Auch im Tal blühen Blumen - Erfahrungsgedichte von Ladina


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Ladina
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Auch im Tal blühen Blumen - Erfahrungsgedichte von Ladina

Beitragvon Ladina » Fr 26 Aug 2005 10:43

Hallo an alle

Mein Name ist Ladina. Ich bin jetzt 37 Jahre alt , interessiere mich für alles, was mit der Natur zu tun hat, radle und wandere gerne und konnte wegen meiner Krankheit manchmal monatelang kaum draussen sein. Ich bin vom Li Fraumeni Syndrom (Kurz LFS) betroffen. Dieses Syndrom ist sehr selten. LFS ist ein genetischer, angeborener Defekt, welcher die Entstehung unterschiedlichster Krebstumore begünstigt ( v.a. Leukämie und Lymphome, Gehirntumore, Weichteilsarkome, Osteosarkome, Nebennierentumore und Brustkrebs). Meine erste Erkrankung hatte ich mit 8 Jahren.
Manche haben hier im Forum schon einiges von mir gelesen, da ich die Buchtipps "betreue". Mein Spezialgebiet sind dort die Erfahrungsberichte. Ich habe sicher 200 solche Berichte in Buchform gelesen und weiss, jeder ist anders.
Müsste ich einen solchen Bericht schreiben, würde es ein dickes Buch, das ich so keinem mehr antun möchte.
Meine Krankheitsgeschichte ist speziell und ich möchte sie auch hier vorläufig nicht weiter ausbreiten, denn im Moment geht es mir sehr gut.

Verarbeitend habe ich während meiner langen Krankheitszeit immer Gedichte geschrieben.

Einige davon möchte ich Ihnen hier vorstellen.
Oft bekam ich von Mitpatienten die Rückmeldung, dass ihnen meine Gedichte aus der Seele sprechen. So denke ich, eine Veröffentlichung hier kann evtl. auch anderen helfen.

Beginnen möchte ich mit dem Gedicht mit dem Titel: "Der Krebs"

Dies ist ein Gedicht, das ich vor vier Jahren schrieb, als meine Intensivbehandlung abgeschlossen wurde.. Es entspricht im Moment noch meiner innersten Einstellung, aber diese ändert sich vielleicht auch wieder, wenn es mir erneut schlechter geht.

Durch meinen angeborenen Gen-Defekt ( Li – Fraumeni – Syndrom ) bin ich lebenslang von Krebs betroffen. Das ist ein sehr schweres Erbe und bis ich so weit gekommen bin, dieses Gedicht zu schreiben, habe ich einen langen Entwicklungsprozess durchgemacht. Für gerade neu Erkrankte wirkt mein Gedicht vielleicht wie ein Hohn, wenn alles noch neu ist, birgt diese Krankheit nur Schrecken, Angst und Entsetzen. Das habe ich auch alles erlebt und ich erlebe es auch immer neu. Berg – und Talfahrt der Gefühle. Mir half das Schreiben sehr dabei, mit den Belastungen meiner Erkrankung besser zurecht zu kommen. Ich habe meine Gefühle, Gedanken, Erlebnisse, meine Träume, Wünsche, Ängste, Schmerzen, Nöte in Gedichten verarbeitet, meine Hoffnungen, aber auch meine Vorstellungen vom Sterben, - kurz mein Leben mit dem Krebs in geschriebene Worte gefasst, um auf ihrer Basis ein Gespräch zu ermöglichen über Unaussprechliches. Einige dieser Gedichte teile ich nun in den nächsten Wochen mit allen, die sich auf sie einlassen mögen.

Wenn sie dann vielleicht nicht mehr nur mir helfen, sondern auch andern Betroffenen, Angehörigen oder anderweitig Interessierten , dann denke ich, hat das alles seinen Sinn . Dann konnte ich mein schweres Erbe zusammen mit einem guten ( dem Talent, mich schriftlich auszudrücken ) zu einem Gebilde formen, das etwas Schönes in sich trägt.

Herzlichst
Ladina

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Der Krebs

Beitragvon Ladina » Fr 26 Aug 2005 10:55

Der Krebs
*********


Es gibt neuerdings eine vielversprechende These, die propagiert,
sich den Krebs zum Freund zu machen, um besser mit ihm leben zu können.
Doch Freundschaft setzt für mich Vertrauen voraus,
welches ich ihm nie entgegenbringen könnte,
Offenheit, die ihn nicht interessiert,
und ein Gefühl des Geborgenseins, das in seiner Gegenwart fürwahr nicht gespürt werden kann.
Ich habe mir den Krebs nie zum Freund gemacht,
aber trotzdem recht gut mit ihm zu leben gelernt.
Ich habe ihn als Begleiter akzeptiert, der immerzu mit mir geht.
Ich anerkenne ihn an als etwas,
das mich zu klarerer Sichtweise befähigte,
das ich aber oft nur allzu gerne verscheuchen würde,
um das Gefühl, einfach normal zu sein, wieder zu erleben.
Ich lernte ihn kennen als etwas,
das mich Dankbarkeit lehrte für jeden guten Augenblick,
aber auch als etwas, das wirkliche Unbeschwertheit verhindert.
Er kann Bereicherung sein, aber auch eine grosse Belastung,
er vermag einen zu bremsen und gerade dadurch erst weiterzubringen.
Er kann schwere Sekunden zu Jahren machen
und kurze Momente so intensiv erlebbar wie die Unendlichkeit.
Er verwandelt die Werte, nach denen man sich ausrichtet
und bringt einen zum Wesentlichen zurück,
aber mein Freund wird er nie werden.
Zuviel Schrecken birgt er in sich und er geizt nicht, seine Macht zu zeigen.
Er ist mein lebenslänglicher Begleiter,
Lehrmeister und Widersacher zugleich.
Er ist sicher nicht das Beste, das man sich wünschen würde,
aber ich glaube,
doch auch nicht das Schlimmste, was man haben kann.


Ladina, 33 Jahre, im August 2001
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Ladina
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Auch im Tal blühen Blumen

Beitragvon Ladina » Fr 26 Aug 2005 11:14

Meine eigenen Lieblingsgedichte

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Auch im Tal blühen Blumen
**************************


Bevor die Krankheit kam, wandelte ich auf einer Ebene
und hatte sozusagen keine Mühe
meine Ziele zu erreichen.
Dann kam mit der Erkrankung die Wende,
ein Umbruch im wahrsten Sinne.
Ein weiter, dunkler Schlund riss sich hinter mir auf,
und spitze, unüberschaubar bedrohlich schwarze Berge
erschienen vor mir.
Es gab nur zwei Wege für mich:
Das Aufgeben, das Zurücktreten, das Stürzen in den Schlund
- kurz und beinahe schmerzlos
oder aber
das vorwärts Weitergehen, versuchen stark zu sein
und kämpfen.
Kämpfen gegen die Krankheit.
Kämpfen um eine Aussicht ins Leben.

Jahrelang war ich seitdem bemüht
Ziele zu erreichen, die zu erreichen vielen unmöglich schien.
Jahrelang war ich bestrebt, Berge zu erklettern,
die nicht viele zuvor bezwingen konnten,
körperlich manchmal schier am Zerbrechen,
aber seelisch doch so oft auf dem Mount Everest,
in Eiseskälte zwar, jedoch gleichzeitig
mit einem intensiven Hochgefühl und mit Siegerstimmung.
Viele Schweiss-und Blutstropfen,
viele Tränen habe ich dafür vergossen,
um wieder ganz hoch hinauf zu kommen,
doch niemals möchte ich den Anblick
der farbenprächtigen Bergwiesen missen,
der sich mir dort oben bot.

Manchmal in meinen Träumen
stelle ich mir vor, wie wunderschön es wär
wieder dort oben zu sein
und ich gaukle mir vor, es wär doch so einfach,
aber die Realität zeigt mir ganz deutlich,
dass die Zeit der Aufstiege,
die Zeit der wiederkehrenden Triumphe vorbei ist.

Jetzt muss ich auf andere Weise stark sein:
Ich muss den Abstieg wagen,
ihn annehmen als einzig möglichen Weg.
Ich muss Abschied nehmen von den Bergblumenwiesen,
vom Hochgefühl, aus eigener Kraft nach oben gekommen zu sein
und vom Ausblick, weit, weit ins Land.
Als Trost wird die Erinnerung bleiben
und die Dankbarkeit, es gesehen und erlebt zu haben.

Doch muss am Ende des Abstiegs nicht zwangsläufig
Resignation und Hoffnungslosigkeit stehen.
Absteigen heisst nicht unbedingt Aufgeben,
denn auch unten im Tal kann man Hochgefühle erleben,
auch im Tal gibt es Ausblicke, die beglücken,
auch im Tal blühen noch Blumen
- sie sind nicht weniger schön
als jene oben auf dem Berg -
Nur anders!

Ladina, 29 Jahre alt , im Mai 1997

8 Jahre sind vergangen, seitdem ich dieses Gedicht schrieb. Es waren
8 gute Jahre. Ich bin dankbar und fühle mich als Glückskind.
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Die kleine Spinne und was sie mich lehrte
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°


Ich beobachte seit Tagen eine Spinne
Sie hat ihr Netz zwischen der Surfinen-Ampel und der Hauswand auf unserm
Balkon gebaut,
und jeden Abend, wenn meine Mutter die Blumen giesst,
fährt sie der Spinne unbeabsichtigt in ihr kunstvolles Überlebenswerk,
beschädigt es oder zerstört das Netz ganz.
Doch die Spinne hat Geduld.
Sie kommt, beschaut sich die Schäden und fängt an, sie auszubessern.
Wenn ich am Morgen das Netz betrachte, ist es wieder intakt.
Immer wieder. Jeden Morgen neu.
Ich bewundere die Ausdauer dieses kleinen Geschöpfes sehr.
Die Spinne könnte auswandern, sich ein ungestörteres Plätzchen suchen,
doch sie harrt aus, wohin das Schicksal sie führte, akzeptiert die Gegebenheiten
und macht das Bestmögliche draus.
Die kleine Spinne, sie hat mich viel gelehrt.
Ich möchte wie sie, bleiben, wo ich bin und darauf vertrauen,
dass es so, wie es ist, schon richtig ist.
Und die HOFFNUNG nicht suchen,
sondern sie selber bauen!

Ladina, im Sommer 2000
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Sieger
******


Sich an jenem orientieren und freuen,
was einem noch möglich ist,
sich auf das konzentrieren,
was wieder erlernt werden kann,
aber all das beiseitelassen
was für immer vorbei ist
- wer das schafft, bleibt,
wieviel er auch verloren hat.
doch immer ein Sieger!

Ladina, Spinas, 20. Februar 2000



Ich glaube, es wäre falsch....
************************


Ich glaube, es wäre falsch,
mir den Sieg über den Krebs
als einziges Ziel zu setzen
und starr den Blick darauf richtend
die Freude über kleine Siege
nicht mehr zu empfinden.
Die Siege eines jeden neuen Tages,
die Siege über die Traurigkeit, die Verzweiflung,
die Siege auch über die Stimme der Vernunft,
die sagt, dass im Grunde alles sinnlos ist.
Die Siege meiner Seele, die fähig ist zu träumen
und deren Sehnsucht sich manchmal verselbständigt und
bewegte Bilder hervorbringt, die sich kaum noch
vom realen Erleben unterscheiden.

Ich glaube, es wäre falsch,
nur noch das grosse Ziel zu verfolgen,
vorbeizueilen an den Blumen, die auch
am Wegrand einer Krebskranken blühen,
sie vielleicht sogar niederzutreten,
weil nur das eine noch wichtig erscheint,
weil ich mich blenden liesse
vom trügerischen Glanz einer Illusion,
die, soweit ich ihr auch folge,
mir immer mehr entweicht.

Ich glaube, es wäre falsch,
nur noch darauf hinzuarbeiten,
völlig gesund zu werden,
und alle andern Träume und Wünsche,
die ein Leben lebenswert und erstrebenswert machen
zu begraben,
alle Kraft nur noch dafür zu verwenden
die Krankheit zu vernichten.
Jede einzelne Sekunde zu kämpfen,
keine Zeit für meine Freunde, für meine Freuden,
für Vergnügungen mehr übrig zu lassen.

Vielleicht könnte man das grosse Ziel
zwar so erreichen,
aber ich glaube,
man hätte am Ende zu leben verlernt.

Ladina, Mai 1997
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Die Hoffnung findet ihren Platz
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*
Gerade erst noch warst Du
ein kerngesunder Baum
mit hoffnungsvoll grünen Blättern,
stabilen Ästen und einem Stamm,
an dem das Leben unaufhaltsam emporkletterte.
Und nun?
Tränen hängen anstelle von Blättern
an Deinen Ästen, die zeitweise schmerzen,
weil am Stamm eine Krankheit nagt.
Die Unbeschwertheit und die Leichtigkeit
sind dahin, Deine Seele blutet,
plötzlich ist da Angst vor der Zukunft.

Doch die Hoffnung findet ihren Platz
auch dort, wo Tränen sind,
auch dort, wo Schmerzen sind,
auch dort, wo Angst ist und Ungewissheit.
Wenn auch nur ein winziges Plätzchen
für sie frei ist,
inmitten Deiner Not,
sie findet es und lässt sich nieder.
Sie wird ein Nest bauen in Dir,
ein Nest aus Halmen, so zart und zerbrechlich
wie das Leben,
aber sie flicht daraus eine Bleibe,
die standhaft ist und beweglich zugleich.
Die Hoffnung wird zu singen beginnen
und Deine Seele möchte tanzen.

Mögen auch Tage kommen,
an denen Du zweifelst.
Mögen auch Stürme und Dunkelheit
Dich bedrohen,
die Hoffnung findet wieder zu Dir zurück,
immer und immer wieder,
solange Du es zulässt.

Wenn irgendwann alles drüber und drunter geht,
wenn Du die Orientierung verloren hast
und nicht mehr weisst,
wohin Du dich wenden sollst,
wenn Du dich hilflos ausgeliefert fühlst
und Du denkst, Du bist verloren...

Halt ein Plätzchen frei
für die HOFFNUNG!

Ladina, 1.Januar 1997
Die Hoffnung findet ihren Platz neu.JPG
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Träume
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Es gibt manchmal Tage, die erdrücken mich beinah.
Tage, wo die Angst mich befällt
und nicht mehr ablässt von mir.
Tage, wo ich müde bin und doch nicht schlafen kann.
Tage, in denen mir die ganze Wirklichkeit
unerträglich scheint.
Dann,
wenn alles um mich grau und schmerzlich ist,
wenn kaum Aussicht auf Besserung besteht,
dann schliesse ich meine Augen
und entrücke in den abgelegensten Winkel meiner Seele.
Ich träume mich an einen Ort, wo es schön ist,
oder zu Menschen, die ich lieb hab
und ich gebe mich ganz den Träumen hin,
halte sie fest in meinen Händen.
Nicht immer sind Träume nur Selbstbetrug
manchmal stosse ich mit ihnen an Grenzen,
doch manchmal überschreite ich diese auch durch sie,
dank ihrer Hilfe und Existenz.
Nicht immer sind Träume nur Selbstbetrug,
denn wenn sie mich an erreichbare Ziele führen,
wenn sie meinen Willen stärken
und damit wieder Kräfte in mir wecken,
dann verleihen sie nicht nur meiner Seele Flügel,
dann nehmen sie mich in ihre Hände
und sie tragen mich weiter...

Ladina, 27 Jahre alt, im Juni 1995 in Irland

Allen, die meine Gedichte hier lesen wünsche ich, dass Sie die Kraft zu solch heilsamen Träumen nie verlieren.

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Gedichte - Umgang mit Nebenwirkungen

Beitragvon Ladina » Fr 26 Aug 2005 11:37

Umgang mit Nebenwirkungen der CHEMO

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Lahmgelegte Dankbarkeit
**********************


Sie ist wieder da,
die Zeit, vor der mir während der Chemo am meisten graut.
Es ist nicht die Zeit, in der ich mich übergeben muss
und auch nicht die Zeit, in der mir die Haare ausfallen.
Es ist die Zeit, in der ich meine körperliche und seelische Kraft verliere.
Mit jedem neuen Tropfen Zytostatika, der in meinen Körper gelangt,
fliesst ein Stückchen Lebensenergie aus mir heraus,
mehr und mehr schwindet sie,
bis eines Tages nichts mehr davon da ist,
das nach aussen gelebt werden kann,
bis ich nur noch nehmen aber nichts mehr zurückgeben kann,
bis ich mich jeder Freundschaft unwürdig fühle.
Ich bekomme liebe Briefe, die mich zutiefst anrühren
und mir grosse Freude bereiten,
doch die Kraft, sie zu beantworten, fehlt.
Meine Telefongespräche wirken desinteressiert und lahm,
und wenige halten dieses Trauerspiel länger als 10 Minuten aus.
und selbst bei Besuchen
findet meine Dankbarkeit den Weg nicht mehr zum anderen.

Doch sie ist noch da.
Sie schlummert in mir
und wartet sehnsüchtig auf den Tag,
an dem die Lebensenergie sich neu aufgebaut hat
und sie sich wieder zeigen kann.

Und wenn es vielleicht auch Monate dauert,
bis die Dankbarkeit wieder freikommt,
sie vergisst es nicht, wer ihrer würdig ist.

Ladina, 25 Jahre
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Überlebensräume
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Wieder einmal liege ich im Krankenhausbett
und bekomme Chemo infundiert.
Ich bin fixiert an vielen Schläuchen,
doch in Gedanken bin ich frei
und ich fliege weg zu meiner Freundin oder hinaus in die Natur.

Jedes Mal,
wenn mir die Wirklichkeit zu schwer wird
und ich nahe dran bin schlapp zu machen,
dann erleichtern mir Träume das Leben und helfen mir durchzuhalten.
Dann,
wenn die Gegenwart nichts Reizvolles mehr zu bieten hat
und die Zukunft noch nicht greifbar ist,
immer dann sind Träume
keinesfalls Schäume
sondern
Überlebensräume.

Ladina, 27 Jahre

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Fatigue
******


Wenn während der langen Monate der Chemo,
die Sonne ihre Strahlen in mein Krankenzimmer schickte,
dann träumte ich im Spitalbett davon,
wie es sein würde,
wenn ich die Therapie hinter mir hätte,
und ich schmiedete Pläne,
für das neugewonnene Leben danach:
Ich sah mich barfuss über grüne Wiesen laufen,
sah mich Fahrrad fahren am Fluss entlang,
ich sah mich in den Bergen wandern,
sah mich am Blasmusiktreffen,
sah mich unter Freunden,
sah mich auf einem Felsen sitzend
den Sonnenaufgang auf dem Muottas Muragl erleben
und ebenso einen Sonnenuntergang am See.
Und ich wünschte mir nichts mehr,
als den Krebs zu besiegen.

Doch nun bin ich bereits seit drei Monaten ausser Therapie,
und es ist Sommer, eine herrliche Jahreszeit im Engadin!
Ich war nie barfuss wandern, nie Fahrrad fahren,
an keinem Fest,
nicht in den Bergen, nicht am See,
sehr selten nur unter Freunden.

Eine bleierne Müdigkeit
ist Hauptbestandteil all meiner Tage.
Schwere und Schwindel
bremsen jeden meiner Schritte,
machen Pläne zunichte,
verhindern es mir, mein neugewonnenes Leben zu geniessen.
Es scheint,
als habe ich den Sieg über den Krebs,
mit meiner Lebensenergie und der Vitalität bezahlt.

Die Sonne scheint, es ist angenehm warm.
Ich möchte endlich raus!!
Doch die Müdigkeit lässt mich taumeln,
und ich finde mich wieder auf dem Sofa oder im Bett,
falle in einen traumlosen Schlaf,
und wenn ich aufwache, fühle ich mich noch genauso erschöpft.

Auf dem Gartenstuhl vor dem Haus
erlebe ich den Sonnenuntergang,
und ich wünsche mir nichts mehr,
als die Müdigkeit zu besiegen.....

Ladina, Sommer 1997

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Meine gesunden Organe
********************


Tropfen für Tropfen physiologische Kochsalzlösung
gelangt durch den Plastikschlauch der Infusion in meine Venen.
Noch geht es mir gut, noch ist alles friedlich und still,
aber in den Nebenräumen wird schon alles
für meine bevorstehende Chemo vorbereitet.
Dann kommen sie mit dem Gift,
dem Gift, das meinen Krebs besiegen und mein Leben retten soll.
Sie fügen es der Infusion zu oder geben es über den Dreiweghahn,
und Augenblicke später nur
ist nichts mehr so wie es eben noch war.

Meine gesunden Organe wissen nichts von der Bedrohung,
die in mir steckt.
Sie reagieren ganz natürlich auf das Gift,
das nun durch meinen Körper fliesst.
Der Magen gerät in Aufruhr und rebelliert trotz Zofran, 32 mg, i.V.,
das Ohr schlägt Alarm und klingelt unaufhörlich,
der Darm lässt alsbald alles unverdaut im Schnelllauf passieren,
meine Haut zeigt sich wenige Stunden später rot wie ein Stopp- Signal
und brennt wie Feuer.
Bald werden auch die Schleimhäute schmerzhafte Reaktionen zeigen,
innerhalb der nächsten Woche
fallen mir die neu nachgewachsenen Haare aus
und das Knochenmark kann dem Zerfall lebenswichtiger Blutkörperchen
nur ungenügend die Stirn bieten.

Meine gesunden Organe wissen nichts davon,
dass dieses Chemogift beabsichtigt in meinen Körper gelangt.
Sie wehren sich dagegen und quälen mich damit so sehr.
Sie wollen mir helfen, doch sie schwächen mich dabei
und ich fühle mich wie ein Häufchen Elend.

Sie wissen nichts von dem Kampf, den ich führe
um mich und sie zu retten vor dem Krebs.
Sie wissen nichts davon, dass diese Chemo von mir nur ertragen wird,
um mein und ihr Fortbestehen zu gewährleisten
oder es wenigstens zu versuchen.

Sie wissen es nicht, und nichts und niemand ist in der Lage,
ihnen das jemals verständlich zu machen.
Sie werden sich jeden Tag neu zur Wehr setzen.
Sie können nicht anders!

Ladina, 25 Jahre
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Perücken-Anschauungen
********************

Eine Nachbarin sagte zu mir: "Ach, lassen Sie doch Ihr Haar mal pfiffig schneiden.
Sie tragen ja jahrein jahraus dieselbe fade Frisur!"

Ohne eine Spur von Kränkung zu spüren, steckte ich diese Bemerkung ein.
Was mich früher sehr getroffen hätte, lässt mich heute kalt.
Nie hat mir eine solche Kritik meiner Frisur weniger ausgemacht,
als jetzt, wo es eine Perücke ist.

Eine andere Bekannte lobte meine Frisur in den höchsten Tönen,
sagte, sie wünschte, ihr Frisör würde ihr Haar ebenso schön frisieren!
Und ich hätte jauchzen mögen vor Freude,
so wie ich nie das Bedürfnis gefühlt hatte,
als mein eigenes Haar noch Komplimente erntete.

Nie hat mich solches mehr gefreut,
als jetzt, wo es eine Perücke ist....

Ladina, 31 Jahre
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Hilflosigkeit
**********


"Sagen Sie es, wenn während der Therapie irgendwelche Beschwerden auftreten,
die Sie beeinträchtigen. Es gibt viele Möglichkeiten , diesen entgegenzuwirken!".

Diesen Satz sagten mir die Onkologen, sobald eine Behandlung ihren Anfang nahm.
Und sie sagen das bis heute.
Manches empfand ich als nicht der Rede wert und erwähnte es nicht,
in anderem konnte ich mir selbst gut helfen.
Doch ich habe lernen müssen, mir helfen zu lassen,
mich zu beklagen, um Hilfe zu bitten,
ohne mich als zimperlich zu empfinden dabei.
Ich habe lernen müssen zu sagen: < Damit komme ich nicht zurecht. >
So bekam ich Tipps für die Perücke und die Adresse eines Zweithaar-Studios,
Medikamente gegen das Erbrechen oder die Schmerzen,
Ratschläge für den Umgang mit der Müdigkeit,
Dragees, um meine Stimmung zu heben,
Trinknahrung, um mir das Schlucken zu erleichtern
und der Gewichtsabnahme sowie dem Kräftezerfall vorzubeugen.....

Jetzt, mit der neuen Therapie, kamen neue Beschwerden
oder sie intensivierten sich.
Zuversichtlich, dass es etwas geben wird, was Linderung bringt,
meldete ich die störenden Auffälligkeiten in meinem Befinden.
Den extrem lauten Tinnitus sowie Verlust des Geschmacks – und Geruchssinns.
Aber diesmal weiss mein Arzt keine Medikamente,
keine Massnahmen, es mir zu erleichtern.

Jetzt muss ich wieder lernen zu akzeptieren,
dass es nicht für alles ein Gegenmittel gibt,
jetzt muss ich lernen, allein damit zurechtzukommen.

Ich muss wieder soweit kommen, nicht nur zu sagen, sondern zu glauben,
dass ich es allein bewältigen kann.

Ladina, 25 Jahre
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Angst in der Röhre
****************


Wenn die Anspannung wächst
und alle Glieder kribbeln
und so ein Druck auf dem Brustkorb lastet,
dass man meint, die Luft zum Atmen reicht nicht aus,
dann wird es eng und die Angst steigt hoch in der Röhre des MRI,
ohne dass es sich um Klaustrophobie, also Platzangst, handelt.
Und es lässt sich nicht vergleichen
mit dem Probeliegen eines angehenden Arztes,
der voll kommen locker ist, für den das wie ein Spiel ist, der nicht bedroht ist durch eine schwere Krankheit, dessen Zukunft nicht am Befund der Bilder hängt, der keine Schmerzen leidet.

Auch wenn er es gut meint und sagt: "Da kann nichts passieren.",
er weiss nichts von den wirklichen Gefühlen
von uns Patienten,
die wir von bösartiger Raumforderung
im eigenen Körper betroffen sind
und deren wirkliche Angst und Beklemmung
nicht durch diese Röhre,
sondern durch die Auseinandersetzung
mit realen inneren Beengungen und Grenzen
hervorgerufen wird..... .

Ladina, 31 Jahre

Heimat
°°°°°°°°


Über 8 Monate war meine Nase wie verwaist,
war auch meine Zunge wie tot.
Kein Duft besuchte und erfreute mich mehr,
kein Gestank drang zu mir vor und warnte mich vor Verdorbenem,
kein Menü, und schaute es noch so lecker aus,
brachte meinem Gaumen Wohlbefinden.
Und keine Erinnerung und keine Vorstellungskraft
brachte mir Düfte oder Geschmacksempfinden wieder zurück.
Eine mal gehörte Melodie kann man, wenn man in sich lauscht
in die Erinnerung zurückrufen und nachsummen
und auch visuelle Eindrücke lassen sich wirklichkeitsnah erinnern.
Düfte nicht.
Heute mal wieder im Botanischen Garten stecke ich dennoch meine Nase
in jede Blume, es könnte ja sein, hoffe ich - aber ich rieche nichts.
Bevor die Verzweiflung gross wird auf dem Nachhauseweg, besinne ich mich auf meine Fähigkeiten.
Ich kann ja noch sehen, die Vielfalt der Farben und Formen auf mich wirken lassen, ich kann ja noch hören, Naturgeräusche und Musik und freundliche Stimmen und Kirchenglocken und Kuhglocken.
Ich kann laufen, radeln, mich bewegen.
Ich bin sehr darauf bedacht, Dinge im Leben zu finden, für die ich Dankbarkeit spüren kann. Positives, damit die Traurigkeit mich nicht überwältigt über das so lange Fortbleiben des Geruchs- und Geschmacksinns.
Am Abend im Bett, die Lichter sind erloschen, lösen sich dennoch ein paar Schluchzer und Tränen und plötzlich ist ein Duft, ein himmlischer Duft in meiner Nase. Ein Glücksmoment, den ich kaum fassen noch beschreiben kann - ist das alles nur ein Traum?
Ich prüfe es nach und merke, nein, es ist wahr.
Ich kann es wieder riechen!
Der Geruchsinn ist da, als wäre er nie weggewesen,
unverfälscht, aber so intensiv.
All diese Düfte gehören mir wieder, nach über 8 Monaten, lange vermisst und in der Erinnerung nicht abrufbar.
Sie sind zurück und werden von mir augenblicklich als Heimat wiedererkannt.

Ladina, Juli 2000
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Duftwelten
°°°°°°°°°°°


Das Wiedererlangen meines Geschmackssinns
bringt Glücksgefühle und Wohlbefinden
in jeden meiner Schritte,
lässt mich das Schwere vergessen,
das hinter mir liegt,
macht den Augenblick zur Kostbarkeit.
Ich rieche an jeder Blume am Weg
und es ist wie ein Fest im ganzen Körper,
wie ein Feuerwerk voll leuchtender Farben.
Ich habe das Gefühl, jeder Teil von mir
feiert diese Wiederkehr des Geruchssinns,
nicht nur die Seele, die so unmittelbar von Düften berührt wird,
nein, selbst der kleine Zeh am rechten Fuss
scheint vor Freude zu hüpfen, wenn irgendein Duft meine Nase kitzelt.

Früh am Morgen, die Luft ist noch frisch,
ich spaziere umher und nehme jedes Geräusch auf und jeden Geruch.
Von weit her strömt mir der Duft von frisch gebackenem Brot in die Nase,
ohne dass eine Bäckerei da wäre
und weckt Appetit in mir
und wieder spüre ich Freude über den Reichtum meines Lebens,
seitdem der Geruchssinn zurück ist.
Es ist alles wie neu,
als ob ich alles zum ersten Mal entdeckte und darüber staune.

Ich habe vorher nicht gewusst,
dass Düfte Farben und Melodien ins Erleben bringen,
ja, dass sie ganze Geschichten erzählen können.

Ladina, Juli 2000

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Gedichte

Beitragvon Ladina » Fr 26 Aug 2005 17:50

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Genauso wie erhofft
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Es gibt Situationen im Leben
da kommen die Erwartungen den Hoffnungen gleich.
Ich denke hier an den Gärtner,
der eine neue Blume zieht - er erwartet sie mit Freude und hofft auf den Tag ihrer Blüte.
Oder ich denke an ein verliebtes Paar.

Es gibt aber auch Situationen,
da richtet sich die Erwartung nach einem grossen Feind und die Hoffnung nach seinem Bezwingen und nur das eine kann letztlich Überhand nehmen und gewinnen.

So eine Situation ist eine schwere Krankheit. Da gehen die Erwartungen allzu oft in eine ganz andere Richtung als die Hoffnung.
Zuviel Schlechtes ist bekannt und erdrückt den Glauben an eine positive Wende.

Dennoch ist immer Hoffnung im Spiel, wenn eine Behandlung begonnen wird , beim Arzt und meist auch beim Patienten.
Zuerst ist es noch der Arzt, der von der Hoffnung spricht und der Patient hält sich zaghaft und dankbar an dieser Aussage fest.

Auch bei mir war das so. Erst kannte ich nur die Hoffnung, von der mein Arzt sprach und dieser Strohhalm war mein Halt. Dann lernte ich die Fakten kennen, die Tortur der Therapien, deren Nebeneffekte, erste Erfolge und dann wieder Rückschläge.

Die Hoffnung schwand dennoch nicht, nein, sie wurde immer grösser, war bald ein Balken, an dem ich mich emporzog.
Ich erlebte, wie andere mit meiner Krankheit starben und wenn ich auch früh gelernt habe, mich nicht an diesen zu messen, so wusste ich doch, dass ihr Schicksal Teil der Erwartungen, der Erfahrungswerte ist, die für mein weiteres Ergehen von Bedeutung sein würden.
Trotz allem schwand die Hoffnung nicht und sie blieb auch bestehen, als die Hoffnung auf Heilung immer geringer wurde. Sie richtete sich einfach nach andern Zielen aus.

Irgendwann erzählte ICH dem Arzt von Hoffnung, überzeugte IHN zum Weitermachen, obwohl ich mir mittlerweile einen grossen Teil seines Hintergrundwissens im Erleben meiner Krankheit mitangeeignet hatte.
Es war oft eine Hoffnung wider aller Vernunft und doch hatte sie das Recht zu bestehen.

Über 18 Jahre lang hat die Hoffnung nun standgehalten, auch als schwere Rückschläge mich trafen, die körperliche und seelische Schäden verursachten, auch als Welten zerbrachen wegen der Erkrankung.

Der Erfahrungswert ist nach wie vor schlecht,
die Erwartungen, die längerfristige Prognose und die Überlebensquoten sind weiterhin gering.
Mir aber geht es prächtig
- ganz anders, als erwartet
genauso wie erhofft!

Ladina, 34 Jahre, 24. Juni 2002 in Basel

PS: Das Gedicht ist 3 Jahre und zwei Monate alt, aber die Hoffnung hat bis heute gesiegt, ein inzwischen neu aufgetretener Tumor war nur semimaligne und konnte bekämpft werden.
Immer wieder habe und spüre ich Glück.
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Ein grosses Fragezeichen
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Bevor ein Mensch an Krebs erkrankt
erscheint ihm alles so selbstverständlich und sicher
eine bevorstehende tolle Reise
ein guter Arbeitsplatz,
der liebevolle Partner,
die Erfüllung seiner Träume irgendwann einmal,
das Heute und das Morgen.
Die Diagnose Krebs ist wie ein Blitz aus heiterem Himmel
Sie erschüttert und verändert mit einem Schlag alles!
Das einzige, was sicher ist, ist dieses schreckliche Wort KREBS
Und alles , was eben noch sicher schien,
wird in Frage gestellt.
Nichts ist mehr so wie es war, der Lebensplan wird erschüttert
und für ungültig erklärt.
Der sichere Arbeitsplatz,
die bevorstehende Reise,
der liebevolle Partner,
die Erfüllung meiner Träume...
Hinter allem steht nur noch ein grosses Fragezeichen.
Und selbst das Heute und das Morgen scheinen meilenweit entfernt.....

Ladina, 1991
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Eine geringere Lebenserwartung
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Eine geringere Lebenserwartung zu haben,
heisst nicht etwa,
keine Erwartungen ans Leben zu haben.
Im Gegenteil.
Das Bewusstsein um die eigene Endlichkeit,
erweitert den Blick auf Ziele, die man erreichen möchte,
ist auch Ansporn zu handeln,
nicht irgendwann, sondern zeitig.
Eine geringere Lebenserwartung zu haben ,
heisst nicht etwa,
keine Träume und Wünsche mehr zu haben,
keinen Sinn mehr zu sehen im Leben.

Jeder neue Tag stellt die Herausforderung an uns,
das Beste aus ihm herauszuholen
und wir packen sie an.
Unsere Erwartungen sind so verschieden wie wir selber,
auch unsere Träume und Wünsche unterscheiden sich kaum von jenen der Gesunden.
Sie verlieren wohl durch unser Wissen
um die geringere Lebenserwartung
einzig an Oberflächlichkeit
und gewinnen an Tiefe!

Ladina, 2001
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Entwicklungen
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Die ganze Qualität eines Lebens
wird an Entwicklungen
und Fortschritten gemessen,
an den Möglichkeiten weiter zu kommen , geistig und körperlich,
sich zu artikulieren,
sich wo nötig anzupassen
und sich wann immer möglich zu profilieren.
Wer an Ort und Stelle bleibt,
egal ob selbstgewählt oder nicht,
gilt schon als zurückgeblieben und behindert.

Meine Krankheit steckt mir einen Rahmen,
engt das Ausmass von Entwicklungen beträchtlich ein
und doch komme ich immer weiter.

Entwicklungen
das sind nicht nur die vielgepriesenen Fortschritte
immer besser werden im Beruf
immer weiter reisen in den Ferien
immer höher kommen in der Lohnklasse.

Wo der Rahmen eines Lebens gesteckt ist
da orientieren sich die Entwicklungen
in eine andere Richtung
da werden Fortschritte immer häufiger
Tiefblicke

Ladina, 2001
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Die Angst vor dem Rückfall
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Unterschwellig ist sie immer da
am Tag und in der Nacht und jede Minute dazwischen
manchmal stark, manchmal schwach,
manchmal nagt sie in mir
und macht mich sprach-und atemlos,
und manchmal kann ich über sie reden
und dann wieder frei durchatmen.
Manchmal ist es einfach mit ihr normal zu leben
und manchmal ist es kaum auszuhalten.
Manchmal übertönt sie alle anderen Wahrnehmungen und löscht sie aus
und manchmal ist sie nur ganz leise,
aber ganz verstummt sie nie.

Sie ist da und sie lässt sich nicht zum Schweigen bringen,
nicht ganz abstellen, nur zeitweise verdrängen
doch ihre Zeit kennt keine Gnade und keinen Einsatzplan.

Unerbittlich kommt sie immer wieder
und nur wer körperlich und seelisch kräftig ist kann gegensteuern
und wird nicht stets von neuem von ihr in die Tiefe der Hoffnungslosigkeit gerissen..

Ladina, Juli 2000
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Greisin
********

Falls sich meine Krankheit
erneut ausbreitet
werde ich nicht hadern dürfen
und es akzeptieren müssen
zu sterben.
Wenn der Rückfall kommt
egal wann
in fünf Jahren
in 11 Monaten
oder schon morgen
muss ich mich damit abfinden
und mir die Tatsache vor Augen halten
dass ich schon jetzt
mit 32 Jahren
mit meiner Krankheit
eine Greisin bin.

Ladina, Januar 2001


Und obwohl ich dies weiss, dieses Gedicht in vollem Einverständnis mit mir selber geschrieben habe, packt mich vor jeder Nachkontrolle eine grenzenlose Angst!

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Im Wartebereich der Onkologie
**************************


Vertraute und doch mit jedem Mal veränderte Gesichter.
Menschen vorwiegend mit Kurzhaarfrisuren,
mit Perücken oder Chemoglatzen,
mit Feldmarkierungen an Kopf und Hals,
blasse oder auch gerötete, aufgedunsene Haut
oder Arme voller Blutergüsse
- so sitzen wir hier
und wir verstecken uns nicht.

Der eine kommt nur zur Nachsorge oder zur Wundkontrolle,
die andere, um den Fortgang der Therapie abzuklären
und wieder andere sind zum ersten Mal hier
mit Ängsten und Fragen auf die eben gestellte Diagnose Krebs!

Die meisten kennen sich hier -
wir waren zur gleichen Zeit auf Station,
bei Chemo oder Bestrahlung.
Man weiss, was der andere mitmacht,
kann es nachfühlen oder erspüren.

Hier in diesem Wartebereich
sitzen Hoffnung und Verzweiflung,
Remissionen und Rezidive
buchstäblich Schulter an Schulter.

Wo andere weggucken voller Entsetzen
schauen wir erst richtig hin.
Betroffen, jedoch nicht erschrocken
längst ist das alles Alltag geworden.

Manche besprechen etwas in der oft langen Wartezeit,
tauschen Erfahrungen über dies und jenes aus,
andere sitzen unbeteiligt, ja fast versteinert dabei,
doch wenn jemand auf die Frage: "Warum bist du hier?"
sagen muss: "Ich bin mit Symptomen da",
dann verstummen alle Gespräche
und das schreckliche Wort RÜCKFALL
liegt als unausgesprochene Bedrohung bereits in der Luft.
Niemand weiss mehr etwas zu sagen
einige schaudern und bekommen Gänsehaut
und jeder, auch der hinterletzte im Raum begreift einmal mehr,
dass es auch ihn oder sie hätte treffen können.

Schon oft sass ich hier
wenn jemand mit dem Verdacht auf einen Rückfall mit im Raume war.
Schon oft habe ich die Sprachlosigkeit miterlebt,
die eine solche Mitteilung auslöst.
Ich habe Routine im Verkraften solch intensiver Schweige-Ewigkeiten,
wo man sich in sich selber plötzlich nicht mehr sicher fühlt.

Doch heute bin dieser Jemand mit der Verdachtsdiagnose RÜCKFALL
wieder einmal ich selber
und die Routine nützt mir gar nichts mehr.
Verzweiflung pur!!!

Ladina, März 1999
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Wiederkehrende Angst
*********************

4 Tage vor der Kontrolle
wie aus dem Nichts
steigt die Angst in mit empor,
trotz aller Vernunft, die mir sagt, dass Angst diesmal nicht angebracht ist,
trotz aller Nüchternheit und Routine.
Sie steigt auf und wird von Tag zu Tag mächtiger,
dunkler, schwerer, unerträglicher.
Keiner kann sagen, aus welchem Schlupfwinkel sie kommt und ihr den Ausgang versperren.
Sie wächst einfach aus den Gedanken an den Tag, der sich nicht wegdenken lässt.
Alle noch so schönen Erlebnisse machen mich tieftraurig, denn die Angst verscheucht das Licht.
Sie macht mich aggressiv gegen die banalen Probleme anderer.
Sie lässt mich glauben, der Mittelpunkt der Welt zu sein
und gleichzeitig fühle ich mich von aller Welt verlassen.
Ihre Zweifel ersticken die Hoffnung, die gerade noch so stark war.
Ich denke an das Schicksal meiner Freunde Pierre, Sonja Schefer und Damiano Mazzucca
und mir wird noch stärker bewusst, dass die Bedrohung unsrerseits durch den Krebs zeitlebens nie vergeht - auch nach Jahrzehnten nicht.

Ich weiss, dass die Angst nicht vor einem Rückfall schützt, nur die Gegenwart verdunkelt - trotzdem kann ich sie nicht überwinden. Trotzdem bleibt sie da und wächst immer mehr,
wird um Zentnerlasten schwerer,
um Lichtpunkte ärmer,
bis alles rabenschwarz erscheint.
Sie bleibt einfach da, trotz aller Vernunft und Abgeklärtheit.
Sie bleibt da noch über den Tag der Kontrolle hinaus
und erst, wenn beruhigende Stimmen einen guten Befund preisgeben
verstummt die Angst
bis zur nächsten Kontrolle...

Ladina, August 2001

%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%

Aus einer hoffnungsvollen Zeit
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Aus einer hoffnungsvollen Zeit
wie ein Blitz aus heiterem Himmel
ist sie wieder da.
Die Angst vor der Kontrolle am 15. August 2001
und vor allem vor den Ergebnissen dieses Tages
vor seinen befürchteten, negativen Konsequenzen
für mein weiteres Leben.
Jedes körperliche Missempfinden wird zu einer Vorahnung,
jeder Traum enthält eine Warnung,
keine Nacht ist mehr erholsam.
Die Kräfte, die seelisch und körperlich Widerstand bieten könnten gegen diese unheilvolle Angst, die werden immer weniger,
die Angst indes wird immer grösser.

Während ich die Folgen des 15. August nicht wirklich in der Hand habe, nichts verändern oder verhindern kann, weil sie sich jenseits meines Einflusses befinden,
so ersehne ich mir oft,
diese Angst vor ihnen eines Tages in den Griff zu kriegen und sie zu besiegen,
denn sie ist eigentlich so sinnlos
und bedeutet stets von neuem
das viel zu frühe Aus
einer hoffnungsvollen Zeit.

Ladina, August 2001
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Eine bange Frage
***************


Über 6 Wochen hingehalten, über mehr als 6 Wochen zum Warten und Schweigen verdammt, allein mit der brennenden Frage in mir: "Schlägt die Chemo an oder nicht?" Für all das medizinische Personal ist meine Frage schlicht noch kein Thema, für mich ist sie fast täglicher Terror.

Und nicht nur mir geht das so.

Viele Krebs-Kranke werden wie ich vertröstet und tragen stumm diese bange Frage mit sich herum, die keiner hören will, und sie harren auf den Stichtag der näheren Abklärungen, auf diesen Tag, an dem die Medizin bereit ist, diese Frage zu ihrem Thema zu machen.

Und wehe, der Patient hat dann was anderes vor! Es würde helfen, die Frage doch stellen zu dürfen, sie zu formulieren, das Gefühl zu haben, einer trägt die Last mit und hört mir zu. Es würde helfen, den Eindruck bestätigt zu bekommen, dass auch das Personal Interesse an der Antwort auf die Frage hat, aber immerzu heisst es nur: "Dazu ist noch nicht Zeit" oder "..ich kanns nicht sagen, Sie wissen doch....."

Und ich weiss es und weiss doch nichts und es wird immer schwerer,
bis ich’s nicht mehr aushalte, und die Frage sich Ausdruck verschafft im vielleicht dümmsten Moment, vor dem mächtigen Tross der Grossvisite!

Erst betretenes Schweigen, Räuspern, dann wissendes Nicken und einer, der sagt: "Das Warten muss entsetzlich für Sie sein!"

Es ist nicht die Antwort, sondern die Bestätigung meines Gefühls durch ihn, die mir geholfen hat, die nächsten 3 Tage noch auszuhalten.

Ladina, 31 Jahre
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Noch länger
**********


Eineinhalb Jahre bin ich jetzt schon ausser Therapie.
Eineinhalb Jahre habe ich keine Chemo und keine Bestrahlung mehr gebraucht.
Eineinhalb Jahre lang ist der Krebs nun schon im Stillstand.

Noch nie zuvor ging es mir so lange so gut.
Noch nie zuvor konnte ich eineinhalb Jahre lang
so ungestört leben
so viele freudvolle Tage geniessen
so viel ausserhalb des Spitals empfinden!

Ich fühle mich endlich im Leben geborgen
und habe sicheren Boden unter den Füssen,
kann etwas weiter voraus planen,
muss nicht von vornherein alles absagen, was weiter weg liegt als 2 Wochen.

Ich bin mir voll bewusst
um dieses absolut grandiose Geschenk des Schicksals
und so voller Dankbarkeit dafür.

Und doch wünsche ich mir bei jeder Nachkontrolle,
die unbeschwerte Zeit
möchte doch noch länger dauern...

Ladina, 33 Jahre


Das grosse K
************


Seit dem 8. Juni 93 weiss ich, dass das grosse K, der Krebs,
für immer in mir bleibt.
An diesen Tag wurde mein Gendefekt erkannt.
Erst war das ein grosser Schock für mich,
meine Zukunft schien getrübt, irgendwie sogar zerstört
und ich brauchte eine ganze Weile,
bis ich wieder Vertrauen fasste in meine Lebenskraft .
Und doch ist mein Leben damit nicht düsterer geworden,
seine Farben sind geblieben,
haben durch die Bedrohung sogar an Intensität gewonnen.
Ich lebe jeden Tag bewusst,
nutze meine Zeit, bin kreativ, habe meine wirklichen Freunde gefunden...
Ich kenne Menschen, die kerngesund sind und doch nicht glücklich scheinen,
die ich nie herzlich lachen sah,
deren Augen wie erloschen wirken.
Ich kenne Menschen, die ihren eigenen Körper ruinieren ,
und solche, die mit ihrem Leben spielen,
weil sie sonst nichts fühlen und ihnen langweilig ist,
die nichts mit ihrer Zeit anzufangen wissen.
Ich kenne Menschen, denen kaum Zeit für eigene Bedürfnisse bleibt,
die eingespannt leben, wie fremdbestimmt,
oder solche, die ihre kleinen Kinder ganz allein aufziehen müssen.
Ich kenne auch viele Menschen, die andere Krankheiten haben,
Multiple Sklerose, Muskelschwund, Asthma, Diabetes,
Migräne, Neurodermitis, Heuschnupfen, Herzerkrankungen , Depressionen oder Schizophrenie.
Ich versuche mir vorzustellen, wie sie das Leben empfinden,
was sie für Perspektiven haben,
und immer mehr spüre ich ,
dass ich mit keinem dieser Menschen tauschen möchte,
dass ich eigentlich ganz gut zurecht komme mit meinem grossen K.
Dass ich vieles machen kann, was ihnen verwehrt bleibt
und gerade dadurch mein Leben als sehr schön empfinde.
Ich möchte mit keinem tauschen.
Nein, wirklich nicht!

Ladina, 1999
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Wie Freunde und freundliche Menschen mir helfen

Beitragvon Ladina » Sa 27 Aug 2005 10:30

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Über die Bedeutung von Freunden und freundlichen Menschen

Aber immer wieder
°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Etwas mächtig Bedrohliches
ist Zentrum meines Lebens geworden.
Es wirft Schatten auf mein Dasein
und trübt die Sicht in eine Zukunft.
Aber es vermag nicht anzukommen
gegen die Kräfte einer wahren Freundschaft
oder gegen die Herzlichkeit irgendeines Menschen,
der mir ganz zufällig auf meinem Weg begegnet.
Es vermag den Himmel zwar zeitweise zu verdunkeln,
mir Tränen in die Augen zu treiben,
aber immer wieder
schickt jemand Sonnenstrahlen
durch Trauer und Verzweiflung
und zaubert einen Regenbogen
in meine Seele.

Ladina, Mittwoch, 31. August 1994
Haus mit Fliegenpilz neu (Andere).JPG
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(Über-)Lebenshilfe
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Kartengrüsse oder Emails, die mir zeigen, ihr denkt auch auswärts an mich.
Anteilnehmende oder aufmunternde Telefongespräche.
Liebe Briefe, die glücklich machen, wenn einen so viel Schweres runterzieht.
Fotos von Euch, die ich mir übers Spitalbett hängen kann.
Schöne Begegnungen aus vergangener Zeit.
Erlebnisse, die wir gemeinsam hatten.
Eine innige Umarmung, die das Gefühl von Geborgensein verleiht.
Eine Hand, die ich in der meinen halten darf oder eine Schulter zum Anlehnen -
all diese kleinen und grossen Zeichen von Freundschaft,
sind so viel mehr für mich als kurzlebige Momente der Freude.

Sie sind eine ganz besondere, durch nichts anderes ersetzbare Wegzehrung,
die, solange die Erinnerung daran wach ist, nie wirklich ausgeht.
Sie sind Notproviant für meine Seele.

Wenn mein Körper ausgezehrt ist, stehen die Ärzte mit Sondenkost und Infusionen bereit,
aber die Seele lässt sich nicht künstlich ernähren.
Sie braucht Aufrichtigkeit und sie braucht Freunde, damit sie die Krankheit übersteht,
damit sie nicht stirbt auf dieser Durststrecke des Lebens.

Sehr oft spüren Schwerkranke die Hilflosigkeit ihrer Freunde,
bekommen von ihnen zu hören: "Ich kann ja gar nichts für dich tun!"
Auch Ihr meine Freunde mögt schon solches gespürt oder gedacht haben.

Aber wisst Ihr, dass gerade Ihr eigentlich die grösste Hilfe leistet?

Denn Ihr seid einfach für mich da, ohne auch nur einmal die hohle Hand parat zu halten.
all meine Hoffnung könnte nicht aufleben ohne Euch,
all meine Gedanken würden ins Leere verlaufen,
längst hätte ich meine Lebensfreude verloren

Die Ärzte und die Therapien können vielleicht
eine Krankheit besiegen
oder das Sterben etwas hinauszögern.

Die wahre (Über)-Lebenshilfe aber
kommt immer von den Freunden!

Mit tiefer Dankbarkeit gewidmet meinen Freunden: Barbara B. aus Zürich, Therese G. aus Davos, Inge S. aus Öhningen, Reni K. aus St. Gallen, Elisabeth S. aus St. Gallen, Guido P. aus Zernez, Martin S. aus Basel, Miriam V. aus Biel, sowie allen, die in irgendeiner Form einem schwerkranken Menschen das wertvolle Geschenk der Freundschaft zukommen lassen.

Ladina, Mai 1997

Besondere Menschen
******************


Es gibt Menschen
die einem oft begegnen
und die einem dennoch
nicht in Erinnerung bleiben.
Und es gibt Menschen
die einem vielleicht nur einmal begegnet sind
oder mit denen man nur schriftlich Kontakt gehabt hat
und die einem in Erinnerung bleiben -
sei das Zusammentreffen auch noch so kurz gewesen.
Sie bleiben
weil eine s p ü r b a r e W ä r m e von ihnen ausging
die man sich immer wieder gerne
in Erinnerung ruft.

Ladina, 1. September 2003[/b]

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Gedichte

Beitragvon Ladina » Mo 29 Aug 2005 10:45

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Gedichte
*******


In Gedichten werden
vorbeiziehende Gedanken
sesshaft.
Doch erst, wenn sich ihnen jemand mit Liebe zuwendet,
haben sie wirklich eine Heimat gefunden.

Ladina, Im Juni 1996

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Aus freien Stücken
****************


Ich lief vom Tod bedroht,
hinein in den Tunnel der Chemotherapie,
und damit hinein in das Elend,
hinein in die Schmerzen,
hinein in die Übelkeit,
hinein in diesen Notzustand des Ausgeliefertseins.
Nach der Hälfte aber denke ich
< Ich halte das alles nicht mehr aus, es wird mir zuviel, ich kann nicht mehr! >
Ich will fliehen,
doch dieser Tunnel birgt keinen Notausgang.
Gehe ich zurück,
lauert dort schon der Tod
und gehe ich vorwärts
läuft die Therapie weiter.
Stehenbleiben? Diese Möglichkeit darf ich nicht nutzen.
< Du bist aus freien Stücken in die Therapie gegangen! >
sagt so ein lieber Mensch zu mir.
Kann man unter drohender Gefahr
überhaupt irgendetwas aus freien Stücken tun?
Ist nicht alles irgendwie Nötigung?
Es ist keiner da, den ich fragen könnte,
es ist niemand da, mich zu stützen und zu stärken.
Die Schwester bringt das Adriamycin über 48 Stunden,
hängt die Flaschen ran, verbindet die Schläuche,
richtet den Tropfregler, überprüft noch schnell die Funktionen.
Und ich gehe weiter.
Aus freien Stücken....

Ladina, Januar 1997
-------------------------------------------------------------------------------

Erkenntnis einer Grenzerfahrung
***************************


Am Anfang stand das pure Entsetzen der ersten Tage,
das Gefühl, etwas ganz und gar Unerträglichem entgegen zu gehen,
die Tür zum Leben schien für immer verschlossen,
das Erleben, plötzlich todkrank zu sein,
glich für mich einem Erdbeben, das eine pulsierende Stadt
innert Sekunden in einen Trümmerhaufen verwandelte.
In diesen ersten Tagen nach der Diagnose glaubte ich,
mich nie mehr über etwas wirklich freuen zu können,
aber rückblickend war dieses schonungslose Bewusstwerden der
eigenen Endlichkeit,
der Ausgangspunkt zu einer neuen Glücksebene.
Ich habe erlebt,
wie dieses Unglück Glück hervorbringt,
und wie aus Angst tragende Zuversicht wird.
Was ich anfangs nicht für möglich gehalten hatte, trat ein:
Ich kann mich wieder am Leben freuen,
sogar viel mehr und viel intensiver als vor dem Krebs.
Heute weiss ich,
dass Tod und Leben einander nicht beenden,
sondern bedingen.

Ladina, April 1997
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Bunte Insel
**********

Mitten in einem weiten Ozean,
umgeben von verlassenen Inseln mit verbrannten Palmen,
schwimmt noch eine einzige Insel mit weissem Sand,
grüner Palme und einer wundersamen, palmgrossen Blume.
Die Insel weiss um den Feind in dem Motorboot,
der mit rasender Geschwindigkeit den Ozean durchquert,
immer auf der Suche nach neuen Inseln,
die er vernichten und abbrennen kann.
Trotzdem taucht sie nicht unter, wenn sie ihn kommen fühlt,
trotzdem leuchtet sie weiter in ihren klarsten und hellsten Farben,
und so seltsam es scheint,
seit über 13 Jahren hat der Feind sie nicht bemerkt,
oder hat er vielleicht Angst vor ihr?

Der Feind heisst KREBS
die Insel heisst HOFFNUNG

Ladina, im Februar 1997
Insel der Hoffnung neu.JPG
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Ladina
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Gedichte

Beitragvon Ladina » Mo 29 Aug 2005 11:52

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Träume und wie sie einem helfen können

Ich träumte...
°°°°°°°°°°°°°°°


Ich träumte, ich hätte meine Seele verkauft
um endlich ohne Angst zu sein,
um die Verzweiflung nicht mehr zu spüren,
um die Traurigkeit nicht mehr wahrzunehmen
und Verluste ungerührt hinnehmen zu können.

Ich fand mich in einer grau-weissen Welt wieder,
aber es störte mich nicht.
Es gab keine Farben, keine Wiesen, keine Blumen,
nur graue, kalte Steine, Mauern und weiss getünchte Wände.
Es gab keine andern Menschen,
niemand, den zu sehen, mich gefreut hätte.
Die Angst, die Verzweiflung und die Traurigkeit waren vorbei,
aber die Freude fand dennoch keinen Platz in mir.

Dann sah ich plötzlich ein kleines rotes Blümchen mitten auf dem Weg blühen, den ich ging,
doch ich beachtete es kaum und lief weiter.
Auch Geschenke nahm ich ungerührt hin.
Erst ein blauer kleiner Vogel, der über die Einöde flog,
weckte doch mein Interesse.

Ich versuchte ihn zu fangen, um nicht mehr allein zu sein,
aber so klein und schwach er zu sein schien,
er trug mich mit sich fort und nahm mich mit in seinen Horst.
"Wer bist Du?", fragte ich den Vogel.
Er antwortete: > Ich bin ein wichtiger Teil von Dir.
Ich helfe Deinen Augen Farben zu sehen,
deinen Ohren Geräusche zu hören und Musik als solche zu erkennen.
Ich helfe Deiner Nase zu riechen, deiner Zunge zu schmecken,
vor allem Dir selbst, lebendig zu bleiben.
Durch mich empfindest Du Freude,
aber ich kann das Leid nicht von Dir fernhalten.
Dass Du mich fangen wolltest, zeigt mir,
dass wir zwei immer noch zusammengehören,
und wir ohne einander nicht leben können.<

Ich hatte während der Seelenvogel sprach, die Augen geschlossen
und als ich sie aufmachte, war ich allein im Horst.
Da hörte ich in meinem Innern ein sehr leises Flüstern:
> Erschrick nicht, ich bin schon wieder in Dir.
Nun hab Mut und spring zurück ins Leben!<
Ich nahm einen Satz -
und landete hart auf dem Boden neben meinem Bett.
Ich knipste das Licht an, sah wieder Farben,
und war einfach richtig glücklich!

Träume sind Schäume - sagt man
aber ich glaube, dass jede meiner (nächtlichen) Phantasiereisen auf ihre Weise wertvoll ist.
Manchmal wünsche ich mir in der Traumwelt zu bleiben,
doch oft wache ich am Morgen auf
und bin wieder dankbar für
die lebendige Wirklichkeit.

Ladina, Juli 96
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Traum-Botschaft vom Leben
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°


Ich begegnete heute Nacht im Traum meinem Leben,
bunt und schillernd stand es vor mir.
Ich wich ein wenig zurück
und flüsterte: "Du warst doch immer wieder schön!"
Es lächelte und sagte: >Ich bin schön!<
Dann bat es mich: >Komm her, berühr mich, dann kannst du mich und meine Schönheit spüren!<
Ich berührte sein Kleid mit einem Finger - es war so warm - ich wollte ihm nicht mehr zu nahe kommen, weil so viele vom Abschiednehmen sprechen,
doch es zog mich sanft an sich und umarmte mich.
Ich liess es geschehen und umarmte es auch.
Ich flüsterte: " Ich habe dich sehr lieb gehabt und wünschte, wir könnten noch viele Jahre beisammen bleiben..."

Da sagte es zu mir: >Dann tun wir das doch. Ich bin stark und du wirst es auch bald wieder sein. Du hast so lange um mich gekämpft. Jetzt kämpfe ich um dich. Wir trennen uns noch nicht!<
Es hatte sich, während es sprach, wie eine liebliche Melodie angehört. Ich fühlte mich geborgen.

Es sagte: > Du wirst gesund. Glaub daran und sage laut: Ich werde wieder gesund! <
Ich konnte erst nur flüstern, zaghaft nur wurde meine Stimme lauter. Ich wiederholte diesen Satz viele, viele Male.

Ich glaube, ich war schon wach, als ich jemand sagen hörte > Du wirst bestimmt wieder gesund!<
Ich schaute mich um, aber ich war allein im Raum.

Ich spürte nur, etwas ist anders an diesem Morgen,
anders, als die Tage zuvor,
anders auch als die Wochen davor, in denen ich mich schlecht gefühlt hatte und niemand wusste wieso.
Ich spürte da eine Kraft in mir,
überzeugende Kraft, Kraft die alle Zweifel erstickt
und nur die Träume frei atmen lässt.
Ich bin frei
befreit von der Angst.

Langsam steigt der vergangene Traum in meinem Bewusstsein wieder auf,
die warme Stimme des Lebens: Du wirst gesund, wir bleiben beisammen...

Schwungvoll wie schon lange nicht mehr, stehe ich auf,
recke mich und trete noch im Pyjama vor die Haustür,
wo die Sonne eben strahlend aufgeht und der Vollmond sich verabschiedet.

Seltsam denke ich,
gerade in einer Nacht, wo die äusseren Umstände für mich so ideal gewesen wären zu sterben,
schenkte mir das Leben diesen besonderen Traum.
Den ganzen Tag fühle ich mich stark.
Die Botschaft des Lebens: > Du wirst gesund!<
klingt bis zum Abend immer wieder in mir nach
und so absurd es scheint:
Ich glaube es wieder.

Entgegen aller Logik: Ich glaube es!

Ladina, 21. Juli 1997


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Gedichte zum Thema: Sterben

Beitragvon Ladina » Di 20 Sep 2005 20:40

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Meine Gedichte und Gedanken über Sterben und Tod
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Wünsche für die Sterbetage
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Wenn die Zeit des endgültigen Abschiednehmens anbricht,
bitte tretet nicht in Schwarz zu mir.
Lasst mich doch noch Farben sehen,
solange ich es kann.

Fasst nicht einfach meine Hand
Lasst mich selber nach Eurer greifen
solang ich es noch kann.

Bleibt nicht am unteren Ende des Bettes stehen
Kommt her zu mir, so nahe es geht, und setzt Euch
Lasst mich doch noch bei Euch sein
solange ich es kann.

Denkt nicht, dass Ihr mich langweilt,
wenn ich zwischendurch meine Augen schliesse
Lasst mich einfach bei Euch ruhen
solang ich es noch kann.

Es wird vielleicht der Tag kommen,
wo ich nicht mehr sprechen kann.
Steht dann nicht stumm an meinem Bett
Erzählt mir was von einer Reise, einem schönen Tag,
von Eurem Haustier oder singt mir leise ein Lied.
Lasst mich doch Eure vertrauten Stimmen hören
solang ich es noch kann.

Und habt keine Angst
etwas falsch zu machen
bleibt nicht einfach weg.
Sterbende Seelen sind sensibel
sie fühlen, wenn etwas aus Zuneigung geboren ist.

Sie spüren es,
bewahren es in sich
lange Zeit und
bis in die Ewigkeit....

Ladina, am 9. März 1999

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Wie eine Feder so leicht
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Ich möchte so gern noch ein wenig leben
wie eine Feder so leicht dahinschweben
mich gleichsam jubelnd in die Lüfte erheben
etwas von mir andern weitergeben.

Ich möchte so gern noch ein wenig verweilen
in Gedichten meine Gefühle Freunden mitteilen
Geborgenheit und Nähe spüren
dann und wann ein Stück vom Himmel berühren.

Ich möchte so gern noch ein wenig ausfliegen
vital sein, nicht immer nur im Bett liegen
ein paarmal noch das beste Stück vom Kuchen kriegen
Kraft haben, die Krankheit auf Zeit zu besiegen...

Doch sollten sich meine Wünsche nicht erfüllen
sollte sich das Glück in einen schwarzen Mantel einhüllen
so wünsch ich mir nur noch, es mög' mir gelingen
ins Sterben so etwas wie Hoffnung zu bringen
Ruhe zu spüren im Abschied vom Leben
und wie eine Feder so leicht von hier fortzuschweben...

Ladina, am 1. September 1998

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Sterbe-Ort Palliativ-Station / HOSPIZ
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Dort,
wo Besuchszeiten nicht gelten,
wo Tag und Nacht die Türen offen stehn,
dort möchte ich sein zum Sterben.

Dort,
wo nicht nur Verwandte Zutritt haben,
sondern Menschen, die mir wirklich nahe sind,
dort möchte ich sein zum Sterben.

Dort,
wo Kerzen und Musik keine Störfaktoren sind
und ich das Fell eines lebendigen Tieres streicheln kann,
dort möchte ich sein zum Sterben.

Dort,
wo ich mit meinen Nöten nicht auf taube Ohren stosse,
wo ich nicht sediert werde, wenn ich weine,
sondern beruhigt durch eine menschliche Hand,
dort möchte ich sein zum Sterben.

Dort,
wo Lachen und Weinen ganz selbstverständlich zu Hause sind
dort möchte ich sein zum Sterben.

Dort,
wo medizinisch das wirklich Not-Wendige noch getan wird,
aber keine sinnlose Quälerei mehr zum Alltag gehört,
dort möchte ich sein zum Sterben.

Und ich glaube nicht, dass dort in mir
je der Wunsch nach der Todesspritze erwacht,
egal, wie es mir geht,
ich werde es tragen können bis zuletzt.

Umgeben von menschlicher Wärme
ist das Sterben wohl nunmehr ein sanftes Hinübergleiten
auf die andere Seite der Geborgenheit...

Ladina, am 10.August 2001

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Stationen
**********

Ich war in vielen Krankenhäusern,
auf vielen Stationen.
Manchmal kam ich als Notfall
und manchmal stand mir ein Aufenthalt lange bevor,
sodass ich vorher zum Reinschnuppern hingehen konnte,
um dem Fremden ein Gesicht zu geben,
der Angst vor dem Unbekannten ihren Grund
und den Alpträumen ihren Inhalt zu nehmen.

Doch immer, wenn ich auf so eine Station ging,
lebte die Hoffnung in mir, sie nach einer bestimmten Zeit wieder verlassen zu können.
So habe ich all diese Stationen unter dem Gesichtspunkt begutachtet,
dass sie nur Durchgangs-Station waren.

Nicht jede dieser Stationen war gemütlich,
doch ich wusste, ich würde zurechtkommen auf Zeit
und dann wieder gehen können.
Und alle in meinem Umfeld konnten mein Tun verstehen.

Vor kurzem aber habe ich meine Sterbe-Station besucht,
mich auf dieser letzten Station ganz bewusst umgesehen,
so, wie wenn man sich eine neue Wohnung anschaut.
Ich habe nicht wie früher Menschen besucht, die da wohnen,
sondern ging ganz bewusst für mich dahin,
und die letzte Angst vor diesem endgültigen Schritt auf diese Station,
ist einer besonderen Art der Vertrautheit und der Vorfreude gewichen.

Ich habe mich dieser angstbesetzten Station angenähert
und bin frei von jeglicher Furcht oder Panik wieder gegangen.

Die wenigsten Menschen in meinem Umfeld aber
brachten Verständnis auf für dieses Handeln,
quasi meine letzte Station freiwillig zu betreten und mich dort umzuschauen
unter dem Gesichtspunkt einer Bleibe auf restliche Lebenszeit.
Es hat sie befremdet
und dünkte sie makaber.

Nichts desto trotz,
mir hat es geholfen,
auf der Palliativ-Station reinzuschnuppern.
Es hat mir weder meine Zukunft getrübt,
noch den Wunsch zu sterben genährt.
Es hat mein jetziges Leben nicht verändert,
aber der Gedanke an mein Sterben irgendwann
ist um eine Hoffnung reicher....

Ladina, im Oktober 2001
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Zwiespältige Gefühle
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Als sich anno 1996 abzeichnete,
dass meine Krankheit keine positive Wende mehr zulassen würde,
war ich der Verzweiflung nah.
Ich wollte leben und sollte sterben!
Ich konnte das Heile-Welt-Gehabe der andern nicht ertragen
und hatte zugleich Mühe, die Angst vor dem Tod auszuhalten.
Zwiespältige Gefühle waren in mir.
Die, die ich am meisten liebte, begann ich zu hassen und schlecht zu behandeln.
Ich sagte mir, dann sind sie nicht so traurig, wenn ich sterbe, dann werden sie es leichter haben.
Ich hatte es so oder so schwer.

Eines Nachts hatte ich einen Traum.
Ich selber verlor in diesem Traum zwei geliebte Menschen.
Einen, der immer gut zu mir war und einen zweiten, der mich in der letzten Zeit immer wieder angegriffen und verletzt hatte.
Ich trauerte sehr um den ersten,
doch auch um den Zweiten.
Negative Gefühle dem verstorbenen Miesmacher gegenüber wollten sich nicht einstellen. Es gehört sich nicht, schlecht von einem Toten zu denken. Mir liefen nur immer kalte Schauer über den Rücken.
Die Zeit der Trauer um beide war lang und schwer,
doch eines Tages tauchte wie ein Stern in der Dunkelheit
eine Erinnerung an den ersten Freund auf.
Es war eine Erinnerung, die mich wärmte.
Es war wie ein Gruss von ihm, wie ein Zeichen, dass es ihn noch immer gibt, in meinem Herzen,
wie ein Neugeborenwerden in einer andern Dimension.
Beim zweiten Menschen tauchten vor allem schmerzliche Erinnerungen auf,
die es mir nicht leichter machten, mein Leben zu leben
nach seinem Tod - im Gegenteil.
Ich wollte am liebsten gar nicht an ihn denken,
weil jeder Gedanke an unsere letzte Zeit zusammen, mein Innenleben zu einem Trümmerhaufen werden liess.

In dieser Nacht habe ich begriffen,
dass die Erinnerungen von anderen an mich
meine Zukunft sind,
ganz egal, ob ich sterben werde
oder leben darf.

Ladina, im März 2002

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Die Last des Sterbens
++++++++++++++++++

(Für Michi und für ihre Freunde)

Jeden Tag quälen dich entsetzliche Schmerzen.
Schmerzen, die nichts wirklich lindern kann,
Schmerzen, die wie ewige Folter sind,
die Mark und Bein erschüttern,
die Dir die Sinne rauben
und den Hilfeschrei nach Ruhe,
ja nach dem Sterben in Deine Seele
bringen.

Sterben -
Du sehnst es Dir her
und wünschst es Dir zugleich fort
sobald nur ein Gedanke an Deine Familie zu Dir durchkommt,
sobald Du Deinen Mann und Deine Kinder siehst,
sobald Du irgendeinen Ton von ihnen hörst,
kommt die Sehnsucht zu leben wieder
und mit ihr der seelische Schmerz des Wissens,
das alles zu verlieren,
es nicht behalten zu können,
so sehr Du es auch möchtest, mit aller Kraft der Welt.

2,3 Monate Zeit zu leben,
stellt man Dir in Aussicht,
ehe der Krebs alles in Dir zerstört hat.
8 bis 12 Wochen Zeit
Kostbare Zeit mit Deinen Liebsten
doch qualvolle Zeit mit Deinen Schmerzen,
die kein Mensch und keine Macht zu stillen weiss, ausser der Tod.

Leben -
Du sehnst es Dir her
und es gleitet dir fort...

Du möchtest so gern die letzte Zeit noch ausschöpfen und auskosten,
noch viel Liebe weitergeben,
doch die Schmerzen erschöpfen Dich und kosten all Deine Kraftreserven,
viel geben kannst Du nicht mehr,
die Schmerzen lähmen Körper und Geist,
nur innerlich rebelliert, lärmt und martert es unaufhörlich mit aller Kraft.
Der Krebs setzt seinen Raubzug fort,
erobert Stück für Stück von Deinem Körper
und keiner vermag ihn anzuhalten, aufzuhalten, still zu legen.
Heilung scheint nicht mehr möglich zu sein.
Der Glaube an einen Gott, der so leiden lässt, ist schwer,
doch irgendwo ist eine höhere Macht,
die uns werden liess.

Zu ihr bete ich, sie flehe ich an.
Ich bete nicht mehr
um eine Heilung,
aber ich bete, ja ich bitte, ich flehe, oft unter Tränen,
Abend für Abend
um Schmerzfreiheit oder wirkungsvolle Linderung für Dich, denn ich hab Dich lieb gewonnen über die Zeit,
ich wünschte, ich könnte die Schmerzen verjagen.

Und so bete ich gegen Deine Schmerzen an,
ich bete um jenes stille Glück in Deinem Herzen,
uneingeschränkt ein wenig Freude zu spüren
ohne Schmerzen.

Ohne diese furchtbaren Schmerzen,
die jeden Frieden,
jeden freien Atemzug,
jedes leise Lächeln,
jedes Strahlen Deiner Augen,
jedes Streicheln auf der Haut
im Keim ersticken.

Neben all den grossen Wünschen der Welt
scheint dieser Wunsch nach Schmerzfreiheit klein,
aber er ist das Grösste,
was ich Dir noch wünschen kann.
Das Grösste und GeWICHTIGSTE,
was wir für Deine Seele und Deinen Körper
noch wünschen können,
denn es würde Dir,
die schwerste Last des Sterbens nehmen.

Ich bete heute und morgen und jeden Abend wieder gegen Deine Schmerzen an und ich hoffe, es wird bald erhört.

Alles Liebe wünscht Dir mit allen guten Gedanken

Ladina , im April 2003
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Schluss-Spruch
°°°°°°°°°°°°°°°


Oft lese ich in Todesanzeigen Texte oder Gedichte,
die Bezug nehmen auf das Leiden des Verstorbenen,
welches den Tod herbeiführte,
und oft wächst aus diesen Worten der Erlösung
für die Hinterbliebenen ein Trost.

Bei mir soll einmal am Ende das Leben stehen,
die Dankbarkeit für eben dieses Leben,
das trotz langer Krankheit
einen grossen Wert für mich hat.
Ich möchte einen Spruch haben,
der mein Leben als letzten Abschiedsgruss
an alle, die mich liebten, sendet.
Einen Spruch, der den Trost in sich trägt,
dass ich mein Leben gerne hatte,
auch wenn der Tod schon lange neben ihm her ging und ich dies wusste.

Ich empfände es wie eine Beleidigung,
dieses meine Leben als Leiden zu bezeichnen.
Es geht mir nicht darum, die Krankheit zu verleumden oder zu verherrlichen,
aber auch wenn es gewiss schwere Zeiten,
dunkle Stunden,
grossen Kummer
und abgrundtiefe Verzweiflung gab darin,
so konnte ich doch mehr aus ihm herausholen
als nur Leiden.

So haben mir liebe Menschen
so unermesslich viel an Licht geschenkt,
das der Dunkelheit und Aussichtslosigkeit
meiner Krankheit,
ihren Schrecken nahm
und eine Perspektive zur Hoffnung
immer neu möglich machte.

Ich denke viel über die Art und Weise meines Sterbens nach,
über dieses letzte Wegstück des Lebens.
Ans Danach denke ich wenig.

Ich wünsche mir eigentlich nur eine Feuerbestattung mit Urnengrab
und eben, dass auf der Todesanzeige
meine Liebe zum Leben das Schlusswort hat.

Ich glaube, es würde mich einfach bekümmern zu wissen,
man schriebe
mein Leben
Leiden

Ladina, März 2002

Ich las einmal folgendes:

"Jahrelang gekämpft, um zu leben.
Es hat sich gelohnt!"

Das gefällt mir...
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Von einem schönen Leben
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°


Es gab Jahre in meinem Leben
in denen ich viel gelitten habe,
in denen ich mich ungeliebt fühlte,
in denen ich kaum einen Traum leben konnte,
in denen das Morgen ein Alptraum war.

Es waren die ersten Jahre meiner Krankheit,
einer Krankheit, die progressiv ist
und an der ich sterben werde.

Aber ich wehrte mich verzweifelt,
wollte nicht sterben,
ehe ich einige Tage das Glück empfunden hatte,
mich geliebt fühlte,
ein paar Träume leben konnte
das Morgen Zuversicht barg.

Seit etwa 7 Jahren ist mein Leben wie verwandelt.
Ich bin dem Glück begegnet,
ich erlebe so viel Freude
ich fühle mich geliebt,
kann eine Menge Träume leben
und das Morgen ist immer neu voller Hoffnung.

Ich bin noch immer krank und werde es bleiben,
aber manchmal vergesse ich das fast.
Ich werde an meiner Krankheit eines Tages sterben
und kann das nun so akzeptieren.
Ich bin ruhiger geworden innerlich in diesen 7 Jahren.
Ich finde das Leben jetzt so wunderbar,
aber wenn der Tag kommt, an dem ich spüre: ich muss jetzt gehen,
so denke ich, hadere ich nicht mehr.

Ich kann dann auf ein schönes Leben zurück blicken
und dankbar sein dafür,
dem Glück begegnet zu sein,
mich geliebt gefühlt zu haben
und selber lieben konnte,
Träume zu leben vermochte,
das Morgen mit Hoffnung erwartet zu haben.

Mit Bitterkeit im Herzen stirbt es sich schwer,
weil da immer der Gedanke ist,
soviel versäumt zu haben,
betrogen worden zu sein um das Wohlbefinden.

Abschied zu nehmen von einem schönen Leben
ist für mich viel leichter, viel eher denkbar.
Die Jahre des Wohlbefindens in Geborgenheit
haben mein Leben zu einem wertvollen, wunderbaren Geschenk gemacht, das ich hoch schätze.

Wenn es Zeit ist, es zurück zu geben
werde ich es jetzt in Frieden tun können
und mit Dankbarkeit im Herzen....

Ladina, Juni 2002
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Gedanken vor dem Schlafengehen
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Es gibt eine Art Schönheit
in dem Wissen um den möglichen, baldigen Tod
die man nur dann empfindet,
wenn alles getan ist,
was man tun konnte
und einem nichts mehr übrig bleibt
als ein Stückchen Morgen...

Ladina, Mai 1997

(an einem Tag, wo es mir wirklich nicht gut ging und ich hätte sterben können)
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Roter Mohn
°°°°°°°°°°°


Erblühender Mohn
----------------------------
nach langen Wochen
scheinbarer Untätigkeit
entfaltest du heute
zum ersten Mal deine zarten Blüten,
stehst aufrecht da, tanztst mit dem Wind,
wiegst dich bei jedem Hauch von Berührung
strahlst alle an und erfüllst mein Herz mit Freude.

Blühender Mohn
===============
Jeden Morgen, viele Wochen lang, öffnest du dich neu,
wirkst frisch, trotz den Strapazen in der Nacht,
von weitem schon erkennt man dich, wo immer du auch bist,
du versetzt alle ins Staunen,
scheinst so zart und bist doch stark
und du bist so wunderschön.

Verblühender Mohn
""""""""""""""""""""""""
deine Zeit ist vorbei
langsam kauerst du dich nieder
neigst dich dem Boden zu aus dem du kamst,
still und leise nimmst du Abschied
doch auch jetzt strahlst du noch leuchtend rot
und erinnerst so selbst im Sterben
jeden Augenblick ans Leben

Sterbender Mohn
So wie du möchte auch ich eines Tages gehen können...

Ladina, Juni 1998
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Langsam sterben

Beitragvon Ladina » Do 17 Nov 2005 15:43

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L a n g s a m sterben
********************


Immer wieder höre ich Leute sagen: " Ich will ganz plötzlich sterben, am liebsten im Schlaf, nur nicht lange leiden und andern zur Last fallen."
Auch ich habe früher so gedacht,
und als mir gesagt wurde,
dass meine Krankheit nur bedingt heilbar sei
und das Leben mit ihr quasi ein Sterben auf Raten wär'
da war ich versucht, es lieber selber schnell und möglichst schmerzfrei zu beenden.
Schliesslich aber entschied ich mich trotzdem fürs Leben zu kämpfen,
meinem Leben nicht Tage,
sondern meinen verbleibenden Tagen, Monaten oder Jahren
Leben zu geben und dennoch so etwas wie eine Perspektive der Zuversicht zu gewinnen.
Heute bin ich so dankbar für das Leben, so, wie es ist.
Langsam sterben ist nicht zwangsläufig ein Martyrium,
sondern kann auch eine Chance bergen,
sich Schritt für Schritt im Loslassen zu üben,
ohne dass jemand von einem verlangt, darin bald Profi zu sein.
Langsam sterben kann ein Privileg sein,
bei dem man klare Ansichten äussern und vertreten darf.
Langsam sterben heisst vor allem noch leben und es zu 100% zu spüren und aufzuspüren,
selbst im winzigsten Winkel.
Langsam sterben heisst gerade in jungen Jahren schon entscheiden dürfen,
was einem wichtig ist,
und dafür zu leben.

Langsam sterben -
kein anderer möchte oder kann es für einen tun,
keiner kann es für einen andern verplanen,
wie es beim Leben öfters geschieht.
Es bleibt allein meine Entscheidung,
ob ich es als Chance nutze
oder, ob ich es als Strafe empfinde, und schnell daran zerbreche....

Ladina, Juni 2000

Ein Stück meiner Seele
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°


Du lerntest mich kennen in den Ferien, in einem
Seminar, im Krankenhaus, auf einer Zugfahrt, bei der Arbeit oder
bei einem meiner Konzerte.
Wir kamen ins Gespräch und waren uns sympathisch.
Es entstand eine Freundschaft zwischen uns und auf Briefe ,
die ich Dir schrieb, folgten irgendwann Gedichte.
GEDICHTE – für mich sind sie unendlich wichtig.
Mit ihnen drücke ich meine Gefühle aus
und gebe meinen Gedanken ein Gesicht,
mit ihnen breche ich das unheilvolle Schweigen und verarbeite Ängste,
mit ihnen schenke ich einem Augenblick des Glücks Ewigkeit
und zeige lieben Menschen meine Dankbarkeit und Zuneigung.
Ich entlade gestaute Empfindungen,
teile meine Erkenntnisse mit,
offenbare, was mein Leben ausmacht und was ich wichtig finde.
Sie sind Zeichen meines Vertrauens
und sie sind noch mehr:
Wenn ich eines Tages nicht mehr bin,
und Du hast Sehnsucht nach mir,
dann nimm doch ein Gedicht von mir hervor.
Tauch noch mal ein in meine Welt.
Erlebe mit mir einen Glücksmoment und
wenn Du dich intensiv darin vertiefst,
wirst du mein Lachen hören können.
Geniess vielleicht noch einmal das Vertrauen, das ich Dir entgegenbrachte.
Schau meine farbigen Bilder an und sei dir gewiss,
dass sie durch Dich bis zum Ende immer bunt geblieben sind.
Sei auch noch mal bei mir, wenn ich in Gedichten Schweres verarbeitete
und wenn Dir Tränen in die Augen steigen, lass ihnen freien Lauf.
Es ist gut zu weinen. Du siehst alles klarer und viel besser,
mit Augen, die geweint haben.
Wenn Du dich alleine fühlst, dann nimm eines hervor,
es ist dann so, als ob ich mich neben Dich setzte.
Wir bleiben Freunde über den Tod hinaus.
Oft vermochten mich meine eigenen Gedichte zu trösten,
vielleicht können sie auch Dir irgendwann Trost und Stütze sein.
Denk nicht, dass Du mich verloren hast,
auch dann, wenn mein Herz aufgehört hat zu schlagen,
auch wenn mein Körper nicht mehr sichtbar ist,
meine Gedichte sind ein unsterblicher Teil von mir.
Solange Du sie bei Dir hast,
solange sie einen Platz in Deinem Herzen haben,
solange bin ich nicht wirklich fort.

Mit meinen Gedichten bleibt
ein Stück meiner Seele
in Deiner Hand

Ladina, Samstag, 31. August 1996



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Gedichte zum Unter-oder Übergewicht als NW

Beitragvon Ladina » Mo 30 Jan 2006 21:44

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Stell dir mal vor...
***************


Weisst du, wie ein Mensch sich fühlt,
wenn er realisiert, dass er immer weniger wird,
wenn er vom Schatten seiner selbst erschrickt,
wenn sich Dinge an ihm im Zeitraffertempo verändern?
Dinge, die ihm ein Leben lang vertraut waren,
ihm plötzlich entrissen werden
und er sich selbst fremd geworden ist?

Nein?
Dann versuch einmal , dir folgende Situationen vorzustellen:

Eines Morgens stehst du vor dem Spiegel
und eine unbekannte Person glotzt dich an,
komischerweise trägt sie den gleichen Schlafanzug wie du,
mit einem Kakaofleck an der exakt gleichen Stelle wie deiner, nur spiegelverkehrt.
Sie macht auch alle Bewegungen mit und plötzlich wird dir klar, das kann kein Zufall sein und du begreifst: Das bin ja iich!
Oder du triffst dein Spiegelbild in der Stadt und es grüsst dich höflich,
aber du kannst nur dämlich fragen: Müsste ich Sie kennen?

Auch Nachbarn kennen dich nicht mehr auf der Strasse
und die, welche dich noch kennen,
merken nur wegen deiner Klamotten wer du bist.
Eines Tages aber ist dir alles zu weit,
und du trägst wieder Kleidergrösse 152.

Zu allem Überfluss
reagiert dein Körper auf alle Nahrungsmittel, die du mögen würdest,
allergisch,
sämtliche Milch-, Butter- und Rahmprodukte
sind nun auch noch verboten
und du musst dich mit dem grausligen Sojazeug ernähren.

...und dann jener Morgen, an dem dich scheinbar
alle Kräfte verliessen und du es nicht fertigbringst,
den Aludeckel auf dem Soja-Heidelbeer-Joghurt zu entfernen.
Niemand ist zu Hause, der dir helfen könnte,
du bist zu doof, um zu merken, dass du ihn mit der Schere einstechen könntest,
und du musst zur Nachbarin,
um ihr die peinliche Frage zu stellen, ob sie es dir aufmacht.
Sie versucht, gelassen und normal zu wirken -
aber du siehst das blanke Entsetzen in ihren Augen.

Bei der grossen Visite im 4er-Zimmer.
Der Tross schiebt sich vom 1.Bett zum 2.Bett,
zum 3. Bett und geht raus, ohne dich noch eines Blickes zu würdigen.
Und du sitzt im 4. und verstehst die Welt nicht mehr!
In der Nacht danach träumst du,
du wärst am Flughafen bei der Personenkontrolle
und der Beamte klatscht, während er dich abtastet, die ganze Zeit in die Hände,
du fragst, was das denn soll und er erklärt, das Abtasten gehöre zur Kontrolle.
Da kapierst du endlich: An mir ist wohl nicht mehr sehr viel dran!

Irgendwann fragt dich ein 16jähriger, ob du mit ihm gehen willst,
er sagt, er mag deine Ausstrahlung.
Du fühlst dich wie im siebten Himmel,
aber auch verpflichtet, ihm deine 29 Jahre einzugestehen.
Das geht dann doch nicht. Schade für beide....

Oder du rufst eine Freundin an
und ihr Mann meldet sich.
Du fragst, ob sie zu erreichen ist und er legt grusslos auf.
Du glaubst an einen Irrtum und wählst noch einmal die Nummer.
Wieder kommt ihr Mann, wieder fragst du nach der Freundin,
da schimpft der Mann mit dir, sagt: "Wötsch chli s'Chalb mache, gäll. Hör jetzt uuf, s'Mueti hät kei Freud, wenn denn s'Telefon so vill choscht!"
Wieder bleibst du zurück, verstehst nicht, warum er dich nicht ernst nahm, bis dir bewusst wird,
dass es wegen deiner leisen Stimme ist, die durch die Bestrahlungsfolgen wie jene eines kleinen Kindes klingt.

Du fühlst dich einsam, sehnst dich nach Kontakt
und doch musst du jedem ausweichen, der sich dir nähert.
die Leute meine, du wolltest gar nicht, dass man zu dir kommt
und fangen an, dumm zu reden.
Sie denken, dass Haare das einzige sind, was man durch eine Krebstherapie verliert,
wie wissen nichts von Abwehrschwäche.

Kannst du dir jetzt ein wenig vorstellen, wie so ein Mensch sich fühlt, der immer weniger wird?
Ja?
Dann kannst du ein Stück der Ohnmacht, der Verzweiflung und der Einsamkeit spüren, die ich empfand in der Letzen Zeit.

Ladina, April 1997
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Keine schwere Last
****************


Wo auch immer ich Bekannte sehe, treffen mich besorgte Blicke.
Die Fragen nach meinem Befinden beantworte ich mehr oder weniger ehrlich,
weil es sowieso nicht alle wirklich interessiert.
Nur meine Freunde sind immer auf dem neuesten Stand.
Bei allen aber bleibt Besorgnis in den Augen stehn,
an meine Blässe sind sie gewöhnt,
auch daran, dass ich manchmal glatzköpfig bin.
Was sie beunruhigt ist einzig mein Gewicht oder das bisschen,
was sie davon noch bemerken, weil ich halt immer dünner werde.
Das belastet sie sehr und sie denken, ich müsste ebenso empfinden.

Ich aber, ich bin froh, dass ich nicht mehr wie jahrelang
vom Cortison wie aufgeblasen wirke,
dass es nicht mehr so aussieht, als würde ich in Kürze platzen
und dass mein Mondgesicht nicht alle Passanten dazu verleitet,
mich anzustarren als käme ich von einem andern Stern
oder so, als wäre ich ein Monster.

Ich muss mit der cortisonbedingten Unförmigkeit nicht mehr
alle Läden der Stadt abklappern wie früher,
wie so viele auf der hoffnungslosen Suche nach passenden Kleidungsstücken,
die nicht nur körperlich, sondern auch seelisch kleiden sollten.
Ich muss mich nicht den vorwurfsvollen oder entsetzten Blicken der Verkäuferinnen und Kunden ausliefern,
ich muss keine Tuscheleien ertragen und werde auch nicht ausgelacht.

Ich kann ganz einfach Zugriff nehmen in meinem Kleiderschrank aus Jugendtagen,
ich trage wieder Kleider, die ich jahrelang nicht mehr tragen konnte,
die mir aber nach wie vor gefallen.

Ich fühle mich wohl so, körperlich und seelisch ideal gekleidet.
Nein, ich trage nicht schwer an meinem schwindenden Gewicht.
Wenigstens das bleibt mir erspart.

Ladina, Mai 1997


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Gedichte - Rebellion und doch wieder Hoffnung

Beitragvon Ladina » Mo 30 Jan 2006 23:08

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Ich möchte keine Marionette mehr sein!!!
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Ich möchte nicht mehr die Marionette meiner Krankheit sein
nicht mehr schlaff an ihren Fäden hängen
und jede meiner Bewegungen von ihr bestimmen lassen.

Ich möchte selber entscheiden, was ich tun will
möchte taub werden für die Stimme meiner Krankheit
die mich immerzu nach ihrer Pfeife tanzen lässt.

Ich möchte auftreten, wann und wo ich will
und mich zurückziehen, wenn ich es brauche
ich möchte Nähe oder Distanz zu Menschen oder einem Tier
nach meinen Bedürfnissen auswählen und nicht mehr länger
die Sklavin meiner Krankheit sein.

Ich möchte endlich wieder frei sein
meine Wege selber suchen
möchte die Fäden, an denen mein Leben hängt, selber in die Hand nehmen.

Es braucht Mut, in einer Situation wie der meinen,
sein Schicksal, soweit das möglich ist, selber zu bestimmen,
den Ärzten die Verantwortung abzusprechen,
sich der Tyrannei der Krankheit nicht länger auszuliefern
und Nein zu sagen, wenn alle andern Ja schreien.

Noch gelingt es mir nicht immer,
aber immer öfter finde ich die Kraft,
um das einzige zu kämpfen,
was mir auf dieser Welt doch wirklich gehört,
finde ich den Mut,
die besitzergreifenden zerstörenden Händen der Krankheit
und auch die helfenden, aber dabei oft auch marternden Hände der Ärzte
wegzustossen
und die Fäden, an denen mein Leben noch baumelt,
wieder mir selber anzuvertrauen.

Ladina, Anfangs Mai 1997

PS: Dieses Gedicht schrieb ich in einer verzweifelten Zeit, wo die Therapie mir nur noch Beschwernisse, aber lange Zeit keine Verbesserung brachte.
4 Wochen später, nach innerem Hadern und äusserer Rebellion gegen alles ärztliche, kam ein neuer Arzt auf die Station, der mich besänftigte und mir wieder reale Hoffnung auch eine Besserung meines Zustandes machte mit einer neuen Medikation, die tatsächlich mehr bewirkte, als ich mir noch hätte träumen lassen. Ich bin heute froh, dass ich mich für diese Chemo entschieden habe.
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3%-ige Hoffnung
**************

Die Momente, wo ich so erschöpft bin,
dass ich mich hinlegen muss,
häufen sich.
Täglich ein paar Mal überfallen mich Schwäche und Schwindel
und ich spüre, es ist Zeit, mich auszuruhen.
Wenn ich dann ein Weilchen liege
entspannt und mit den Gedanken weit,
weit weg von der Wirklichkeit,
dann fühle ich mich so leicht und schwebend.
Es ist ein richtiges Wohlgefühl,
das sich breitmacht
und ich möchte es am liebsten für immer geniessen.
Der Erfahrungswert zeigt, dass 97% aller in diesem Stadium
meiner Krankheit sterben.
Ich weiss,
wenn ich jetzt liegenbliebe, wäre mein Ende sehr nahe.
Wären die Schmerzen und Nöte vorbei.
Aber dann stehe ich
doch immer wieder auf
und gebe dem Leben
seine 3%-ige Chance zu siegen zurück.

Ladina, Ende Mai 1997


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mich in Gelassenheit üben

Beitragvon Ladina » Fr 19 Mai 2006 21:39

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und dürfen in anderen Foren, oder HP’s nicht ohne meine persönliche Zustimmung kopiert oder veröffentlicht werden. .

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Verankerte Gefühle
****************


Noch vor einem Jahr
waren die letzten Tage vor der Nachkontrolle
für mich der pure Horror.
Mein Inneres aufgewühlt wie ein vom Sturm gepeitschtes Meer,
hin und her geschleudert mein Lebensschiff.
Ängste warfen meterhohe, bedrohliche Wellen.
Gedanken voller Furcht trafen mich wie brennende Blitze.
Fragen bohrten sich in mich wie gierige Holzwürmer,
machten mich fertig, ich drohte unterzugehen.

In solchen Tagen,
mit all den Fragen, Gedanken und Ängsten,
Zuflucht zu finden bei einem vertrauten Menschen,
gehalten zu werden, Gehör und seelischen Beistand zu finden,
war mein einziges Glück.
Das war der Hafen, in den ich mit letzter Kraft einlaufen konnte.
Noch vor einem Jahr
gab es keine turbulenteren und quälenderen Tage
als diese 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1 Tage vor der Nachkontrolle.

Nun, wo ich dies schreibe, ist mein 3. Tag vor meinem Termin in Basel und ich spüre nicht den leisesten Wind von Angst.
ich bin noch immer ruhig und lasse mich unbefangen
dem Datum entgegentreiben.
Ich brauche keine Kraft, um mich ruhig zu halten,
vielmehr ist es diese Ruhe, die mir Kraft bringt.
Es ist keine Spur in mir
von Löchern aus Fragen, von Angstwellen, von Panik und quälenden Gedankenblitzen.
Ich kenne inzwischen 2 Menschen,
die mich in ihrem Hafen aufnehmen würden,
sollte ich Zuflucht brauchen und einen Halt,
aber ich kann es nun alleine bewältigen,
seit ich mir bewusst gemacht habe, dass ich in jeder Situation nicht verloren bin, dass immer jemand für mich da ist, egal , was geschieht.

Jetzt sind das Tage, wie fast alle anderen.
Das Bewusstsein um die Nachkontrolle ist da,
keineswegs verleugnet,
aber dieses innere Wissen des in jedem Fall Getragen-Seins hat die Angst entschärft
Das Meer kennt den Sturm nur noch aus der Erinnerung,
kommt deshalb nicht ins Wallen,
mein Lebensschiff trägt mich leise...

Ich fühle mich wohl, diese Tage
einfach in mir geborgen und verankert
im ruhigen Hafen
daheim....

Ladina, 6.Februar 2005

(gewidmet an meine Atemtherapeutin Elisabeth S., die viel zu dieser inneren Ruhe beigetragen hat mit ihrer Arbeit)


Ich gehe meinen Weg
******************


Ich gehe meinen Weg
mit einem Wunsch im Herzen
dem Wunsch,
dass mein Weg noch Zukunft hat
hinter der nächsten Biegung.

Ich gehe meinen Weg
mit dem Blick nach vorne
nach innen und
auf Gott.

Ich gehe meinen Weg
mit ruhigen , gefestigten Schritten
und ganz entspannter Seelenlage

Nichts ist da
wovor ich Angst habe
Mein Gefühl ist voller Zuversicht
im Heute und für morgen.

Irgendwie spüre ich einfach,
ganz egal was kommen wird
dass ich dem GEWACHSEN bin

Ladina, 8.Februar 2005

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Mit dem Wissen von heute
**********************


Meine Mam hatte Krebs
als ich in ihrem Bauch heranwuchs
und sie riskierte aus Liebe zu mir,
ihrem Kind,
ihr Leben und verweigerte die Chemotherapie.
Damals wusste noch niemand, dass es ein vererbbares Krebsleiden war.
Sie nicht und die Ärzte auch nicht.
Sie gebar mich und starb ein paar Monate später
und ich lebe nun an ihrer Stelle
mit der Krankheit, an der sie starb, weiter.

Oft denke ich darüber nach,
ob sie mich auch ausgetragen hätte,
mit dem heutigen Wissen,
dass sie eine erbliche Krankheit hatte?
Ob sie als Mutter, die das Beste wünschte für mich, ihr Kind,
mir dann den Tod anstelle des Lebens gegeben hätte?
Und ich bin froh,
dass sie das Wissen von heute nicht hatte,
ich bin dankbar am Leben zu sein,
glücklich zu geniessen, was das Leben trotz dieser Krankheit
an Schönem für mich bereithält, immer wieder!

Manchmal spinne ich den Gedanken noch etwas weiter.
Wie würde ich selbst entscheiden
mit dem Wissen von heute,
dem rein medizinischen,
wie dem Wissen um meine eigene Lebenslust und Freude?
Würde ich ein Kind austragen,
weil ich um die Freude weiss,
die auch so ein Leben bereiten kann
oder würde ich es abtreiben,
weil ich ebenso um das Leiden und die Tränen weiss?

Doch ich komme nie an ein überzeugtes Ende mit den Gedanken,
ich kann mir keine eindeutige Meinung dazu bilden
und ich bin unendlich froh,
dass mich mein Schicksal
nie vor diese Entscheidung stellen wird.
Ich bin ihm dankbar,
dass es früh genug dafür sorgte,
mich unfruchtbar werden zu lassen.

Ladina, im Februar 2000

(der Gendefekt, den ich habe, trägt den Namen
“ Li Fraumeni Syndrom “ (LFS). Er begünstigt die Entstehung verschiedener bösartiger Tumore in meinem Körper und hat bereits dazu geführt, dass mir aufgrund eines Tumors beide Eierstöcke entfernt wurden.

Harte Wahrheit
°°°°°°°°°°°°°°°

Mit einem Sterbenden
nicht ehrlich sein,
aber hinter seinem Rücken
leise über dessen Sterben reden,
das empfindet, die leidende, aber hochsensible Seele des Betroffenen
wie ein Geschrei.
Erst dadurch wird die Wahrheit wirklich HART.

Ladina, September 1992

Ausnahme-Zustand
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Ich besiegte als Kind ein Burkitt-Lymphom
Ich überlebte einen gutartigen, aber dennoch ungünstigen Gehirntumor
Ich lebe seit drei Jahren mit Weichteilsarkomen.
Ich bin eine Ausnahme.

Immer wieder gibt es eine Therapie, die mir hilft.
Auf schwere Zeiten folgen Wochen voller Lebensfreude,
wo ich auftanke und mein Leben geniesse.
Es ist schön, eine Ausnahme zu sein.

Andere Krebskranke, die an ihrer Zukunft zweifeln
schauen auf mich und fassen wieder Mut.
Es ist gut, eine Ausnahme zu sein.

Doch immer dann, wenn ich wie jetzt einen neuen Tumor habe
und ich vor Verzweiflung an nichts anderes mehr denken kann,
das wünsche ich mir, es gäbe noch jemand wie mich.
Jemand, der mir sagen könnte:“ Schau mich an, ich wurde gesund!“
Jemand, der diesen mühseligen Weg vor mir ging
und weiss, wie es einem da geht.

Aber ich werde wohl vergeblich auf so jemanden hoffen.
Erfahrungswerte gibt es in meinem Fall keine
weil die allermeisten nach dem 2.Rückfall entweder gesund werden oder sterben.
Ich bin die Einzige, bei der alles ganz anders verläuft.
In solchen Zeiten ist es unsagbar schwer, die Ausnahme zu sein.

Ladina, Juni 1993
(Wenige Tage nach diesem Gedicht bekam ich endlich einen Befund, der sich einer Gruppe zuordnen liess und mir zeigte, dass ich mit allem doch nicht ganz alleine dastehe. Es war die Diagnose eines genetischen Defektes, dem Li Fraumeni Syndrom. Wer mehr darüber erfahren möchte, der schaue bitte unter:
http://www.swiss-paediatrics.org/paedia ... urs-ge.htm

http://www.mgz-muenchen.de/home.php?nid ... d=7&did=77
http://de.wikipedia.org/wiki/Li-Fraumeni-Syndrom
http://www.labor-ackermann.de/Li-Fraume ... 134.0.html
------------------------------------------------------------------------------
Frei und offen
°°°°°°°°°°°°°°

Sicherheiten,
die keine mehr sind
loslassen

Hoffnungen,
die irreal sind,
bekennen und aufgeben…

…bedeutet nicht,
ärmer zu werden
oder zu verlieren

sondern Hand und Herz
wieder frei und offen halten

für neue Impulse,
neue Gedanken

um irgendwann
auch wieder neue Sicherheiten zu empfangen
und echte Hoffnung in dir zu wahren.

Ladina, 9.Juni 1993
(einen Tag, nachdem ich erfuhr, dass ich das Li Fraumeni Syndrom habe)
-------------------------------------------------------------------------------------

Kurzsichtige Hoffnung
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°


Hoffnung auf Heilung –
das ist die tragende Kraft im Kampf gegen eine Krankheit,
auch gegen Krebs , sagt man.
Sie war auch Zentrum meines Lebens bis heute.
Doch nun hat sich diese Hoffnung gewandelt,
sie ist nicht mehr endgültig, nicht endlos,
und der sichere Boden,
auf dem sie ein gewachsen war,
ist brüchig, dem Zusammensinken nah.
Nicht dass ich aufgegeben hätte, nein , das nicht.
Ich kämpfe noch immer fürs Leben,
fürs Erreichen von Zielen, die ich mir selbst stecke
und von solchen, die mir andere ermöglichen,
aber ich hoffe und glaube auch nicht mehr,
auf und an eine vollständige Genesung.
Die Hoffnung reicht nur
bis zum nächsten Tumor
und ein Leben ganz ohne Krebs
wird es für mich hier
nie mehr geben…

Ladina, 9.Juni 1993
(einen Tag, nachdem ich erfuhr, dass ich das Li Fraumeni Syndrom habe)
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Lichtblick
°°°°°°°°°

Wieder einmal
sind dunkle Wolken
über meinem Leben aufgezogen.
Wieder einmal
ist mein Leben bedroht
durch einen Tumor.
Wieder einmal
muss ich gegen eine Schattenseite ankämpfen
mit aller Kraft,
um gewinnen,
um wieder ans Licht gelangen,
um weiter leben zu können.
Manche zweifeln dran, dass ich es schaffe,
sie sagen das zwar nicht direkt, aber ich fühle es
und ich weiss auch selber, wie es um mich steht.
Dennoch ist Hoffnung in mir,
denn immer wieder
sind bis jetzt
die schönen Zeiten zurückgekommen,
haben mit ihrem Licht, ihrem Glanz und ihrer Freude
die dunklen Seiten in meinem Leben in den Schatten gestellt,
und nur noch den Augenblick, das Leben, die gute Zeit zählen lassen.
Ich bin überzeugt, so wird es immer bleiben.
Was auch immer mir auf meinem Lebensweg noch widerfahren wird
-ich weiss-
selbst im Tod:
DAS LICHT WIRD SIEGEN¨

Ladina, Juni 1993

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Rückblick
°°°°°°°°°


Hürden
scheinbar unüberwindbar
habe ich überwunden
zu aller Erstaunen
auch zu meinem

Stürme
tobend und unerbittlich
habe ich überstanden
um daran zu reifen
zu wachsen
um Kraft für die Zukunft zu tanken

…um dankbar zu werden
für jeden neuen Tag,
den ich leben darf.

Nun stehe ich wieder vor einer Hürdenbahn
ein heftiger Sturm tobt über meinem Leben
und bedroht es.

Nach mancher verzagter Stunde,
wo ich mich meinem Schmerz hemmungslos hingab
wage ich heute den Blick zurück
und fasse dabei
wieder Mut
für die Zukunft.

Ladina, Juni 1993



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Gedichte aus dem 1. Gedichtband: Das Leben ist wie ein Pfau

Beitragvon Ladina » Mo 28 Aug 2006 20:55

Gedichte aus dem 1. Gedichtband: Das Leben ist wie ein Pfau

Gedichte, die ich als Kind bzw. Jugendliche schrieb

Das Leben ist wie ein Pfau
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Das Leben ist wie ein Pfau,
es schleicht im ewig gleichen Schritt dahin
und manchmal schläfst du fast ein dabei.
Wenn du krank bist, fehlt ihm jegliche Farbe
es läuft dann alles anders,
aber doch wieder immer gleich in dieser Andersartigkeit.
Manchmal wünschst du dir
du könntest fortgehen, ein anderes Leben kennenlernen,
eines, das lustig ist und Spass macht,
doch du kannst nicht weg, wenn du so krank bist,
du musst es einfach aushalten,
das graue Leben im Spital,
das so schwer und traurig ist,
weil man auf vieles verzichten muss
und einem immer schlecht ist
und du verlierst langsam den Glauben an das Gute,
von dem alle Erwachsenen die ganze Zeit sprechen.
Und doch bringe ich noch etwas Geduld auf,
und hoffe,
dass irgendwann,
vielleicht gerade wenn ich es am wenigsten erwarte.
das Leben für mich ein Rad schlägt
und mir dann wieder seine buntesten Farben zeigt,
die es haben kann.

Ladina, November 1979
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Sehe ich das alles noch einmal wieder?
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Kurz vor der Abfahrt zum Flughafen
streife ich noch immer in der Umgebung meines Zuhauses umher
ich besuche den Schwanenweiher,
und streichle jeden einzelnen der Krokusse im Garten,
ich nehme Bussi auf den Arm und trage meine Katze liebevoll herum
mein Blick wandert zu den schneebedeckten Bergen
immer wieder suche ich mein Zimmer auf,
berühre mein Bett, versuche das Gefühl innen hinein zu nehmen.
Ich sage dem Pflaumenbaum ade und meinem Fahrrad.
Die Nachbarn kommen zum Verabschieden,
zum Glückwünschen mit Tränen in den Augen,
Mama sieht gleichgültig aus, aber ich weiss, dass ist nur eine Maske
die sie braucht, dass sie das aushalten kann.

Bei der Fahrt zum Bahnhof im Auto sitze ich verkehrt,
mir wird fast schlecht, doch ich möchte unser Haus so lange es geht, sehen, Seelenfotos knipsen
Augenblicke festhalten als Erinnerung.

Abschied von Päpu am Bahnhof, eine feste Umarmung,
selten waren wir uns so nah.
Sprechen können wir beide nicht.
Claire nimmt mich am Arm, ich schaue immer wieder zurück.
Auch im Zug setze ich mich rückwärts,
schaue alles Liebgewonnene so lange wie möglich an.
Erst als sich die vertrauten Landschaften verlieren, setze ich mich neben Claire.
Versuche, zu meiner gewohnten Heiterkeit zurückzufinden
doch es gelingt mir nicht,
denn über jedem Augenblick hängt wie ein Galgen die Frage:

Werde ich das alles nochmal wiedersehen?!

Ladina, März 1980

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Sonderstellung unerwünscht
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Weil ich sehr krank war, möchten mich manche in den Himmel heben,
sie machen einen Engel aus mir,
es stimmt zwar, vielleicht werde ich nicht mehr lang leben
aber momentan bin ich noch hier.

Sie schimpfen nicht mit mir, wenn ich Blödsinn mache
sie nehmen Rücksicht viel zu sehr
und wundern sich, dass ich nicht lache
wenn Geschenke kommen mehr und mehr.

Wildfremde Menschen kommen daher
und fragen die Mama, wie es mir grade geht
und sie gibt Auskunft, doch es fällt ihr oft schwer
weil ich die falsche Aufmerksamkeit langsam bis zum Halse steht.

Ich möchte nämlich einfach wie alle anderen leben,
bemühe mich sicherlich, nett zu sein
doch geht vielleicht mal was daneben
will ich keinen Heiligenschein.

Dann will ich lieber Schelte kriegen
genauso wie die andern auch
nicht ständig soll das Mitleid siegen
bloss weil ich einen Tumor hatte im Bauch.

Heute endlich ist eine Lehrerin meinetwegen sauer geworden
ich plapperte nach Unterrichtsbeginn noch laut
"Jetzt setz dich hin und gib Ruhe!" schrie sie
und ich verlieh ihr in Gedanken einen Orden,
denn was andern vielleicht den Tag versaut
gab mir viel Mut zu Weiterleben
denn an diesem Tag in diesem Raum
wurde mir die Normalität zurückgegeben

Ladina, Frühling 1981
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Krebs kennt keine verbotenen Wege
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Krebs kennt keine verbotenen Wege
keine Einbahnstrassen und keine Stop-Schilder
er schreitet fort, wann und wie es ihm passt
er blockiert die Bahnen des Lebens, bis es im Stau feststeckt
und es scheint so, als könne niemand seinen Raubzug stoppen.

Und doch gibt es Momente,
wo man ihn für eine Weile wenigstens
in Schach halten kann.
Momente, wo man ihn in vorgegebene Bahnen lenken kann,
wo man ihm seine Entscheidungsfreiheit abnehmen,
ihm das Steuer entreissen und ihn zwingen kann,
für eine Zeitlang still zu stehen.

Das sind zum einen die Momente,
wo die Chemo ihre Krieger mobilisiert,
sie aussendet, um die Geisterfahrt des Feindes zu stoppen.
Das sind aber vor allem auch die Momente,
wo einem Freunde zeigen, dass sie an einen denken,
wo sie einem schreiben, zuhören oder in irgendeiner Form für einen da sind.

In diesen Momenten werden die grössten Feinde des Krebses
erst richtig wach gerüttelt:
HOFFNUNG und KAMPFGEIST
Erst durch sie ist es im Grunde möglich, den Krebs zu stoppen.
Sie können ihn regelrecht aushungern
bis es ihn nicht mehr gibt,
bis ein paar Schrotthaufen zwar
noch an seine ehemalige Existenz erinnern
aber das Leben wieder freie Fahrt hat

Ladina, Frühling, 1981
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Duss in dr Natur
°°°°°°°°°°°°°°°°

Sit ich chrank bin, fühl ich mich no wohler
duss in dr Natur.
So oft ich chann, gang ich use
au im Räga, au im Nebel, au im Schnee,
älei oder au mit andera Menscha, wo ich gäre han
mit Gsunda und mit Chranka.
Niemert, wo zu mir uf Bsuech chunnt
sitzt die ganzi Ziet nur bi üs im Huus.
Alli, wo mir öpis bedüütend, nimm ich mit use
uf en klina oder au grössera Spaziergang.
Duss in dr Natur
isches nie langwielig
mä ka besser reda
und mengsmol findt mer an Antwort uf ä Frog, wo eim ploogat
duss in dr Natur.
Scho viel von dena, woni mit na duss gsi bin
hend de Kampf gega dr Krebs verlora
oder sind andersch gschtorba.
Uf mina Spaziergäng oder Velotoura aber begägna ich ihna vill,
denn duss in dr Natur prägend sich gmeinsami Erläbnis besser ii
und so oft ich am säba Huus, amena dertige Baum oder ama Fluss bin,
tauchend richtig lebendigi Erinneriga i mir uuf.
Es paar vo dena, woni mit na duss gsi bin
werdend au mi überläba und gönd irgendwänn ohni mi go spaziera.
Aber irgendeswie bin i denn gliech derbie,
bimana Baum, am Fluss oder wo au immer sie mit mir gsi sind
träffend sie mich, wenn wänd wieder
und es ischt fascht wie früehner
duss in dr Natur

Ladina, Sommer 1981
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Nur in meinen Träumen
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Wie nach einer Meuchelei schaut es aus in unserem Bad,
überall Blutspritzer, in der Kloschüssel, im Lavabo.
Spuren eines Kampfes,
der einmal mehr fast 2 Stunden dauerte,
Spuren eines Kampfes,
zwischen meinem Willen und demjenigen des Hirntumors.
Spuren eines Kampfes, dessen Opfer ich schon wieder bin.
Wieder eine verlorene Schlacht mehr auf meinem Konto,
die wievielte es ist, kann ich nicht sagen,
ich habe zu zählen aufgehört,
bin total erschöpft, wie erschlagen vom dem langen Brechen,
lege meinen bleischweren Kopf auf den Rand der Kloschüssel,
die Hygiene ist mir piepegal.
Nach einer Weile habe ich Kraft, aufzustehen
und die Blutspritzer zu beseitigen.
Dann schlurfe ich zurück in mein Bett,
ganz schlaff falle ich hinein und hoffe, dass der Schlaf bald kommt
und mich wegholt von diesem elenden Schlechtsein,
mich irgendwo hinführt, wo es schön ist.

Nur in meinem Träumen kann ich auch mal Siegerin sein…

Ladina, Sommer 1982
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Einsame Schritte
°°°°°°°°°°°°°°°°

Einsam sind die Schritte eines jungen Menschen mit Krebs
um der Tapferkeit willen, stets ein Lächeln, wenn andere fragen, wie geht’s?
doch manchmal Sehnsucht haben, die Traurigkeit zu zeigen,
erleben, wie Bekannte einen ausweichen und näheren Kontakt vermeiden.
Immer stark scheinen,
doch in der Nacht versteckt unterm Kopfkissen weinen,
sich so sehnen nach LEBEN
doch die meisten haben einen schon längst aufgegeben.
Trotz meinen 13 Jahren bin ich oft schwach wie ein Kind,
habe Gefühle, die für andere nicht nachvollziehbar sind
im blühenden Leben auf den Tod zuzugehen
anderen Glück damit im Weg drin zu stehen,
ein schlechtes Gewissen haben, wegen der Eltern Sorgen
und dennoch zu wünschen, man lebt noch am Morgen.
Begleitet sein von einem Menschen mit Mut,
das tut mir ganz tief im Herz innen gut,
jemand, der mein Vertrauen nicht schon wieder ausnützt
mich, wenn ich schwach bin auch mal stützt,
das lässt mich mich fühlen fast unbeschwert
und macht mein eingeschränktes Leben wieder lebenswert.
Doch trotz dieser Begleitung, versteh mich doch bitte
ein junger Mensch mit Krebs geht oft einsame Schritte

Ladina, Sommer 1982 (nach der Hirn-OP)
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Sorgen von Erwachsenen können wie Stechmücken sein.

Ladina, Sommer 1982
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Weihnachtsgeschenk im Oktober
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Heute, am 6.Oktober habe ich mein Weihnachtsgeschenk bekommen,
meine Gotte hat es in 2 Tagen genäht.
Sie ist wunderschön, meine Jacke und ich freue mich riesig,
doch diese Freude wird auch getrübt
von bedrückten Gedanken
und der Frage,
warum es meine Gotte so eilig hatte mit dem Geschenk.
Sie sagt,
sie habe sich selber gedrängt, es hätte nichts mit mir zu tun
aber ich habe Angst,
dass sie wie ich selbst ahnt oder befürchtet
dass ich Weihnachten nicht mehr erleben werde

Ladina, Oktober 1982
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Denkwürdige Tage
°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Nun folgen sie wieder Schlag auf Schlag
die Daten der denkwürdigen Tage,
an denen sich vor Jahren irgendetwas nachhaltig veränderte
Die meisten dieser besonderen Daten
hängen mit meiner Krankheit zusammen,
an manchen Tagen gab es neue Hoffnung
an anderen brach eine Welt für mich zusammen,
aber immer habe ich es überwunden.
Manche sagen mir: Versuche, diese Tage zu vergessen,
streiche sie einfach aus Deinem Gedächtnis"
Sie meinen es gut, aber sie verstehen es nicht.
Ich kann diese Tage nicht vergessen, nicht mal, wenn ich wollte.
Auch wenn ich gesund werde,
werden diese Daten in mir gespeichert bleiben.
Ein Blick auf den Kalender genügt und mir wird klar:
Heute ist wieder ein denkwürdiger Tag.
Es folgen ein paar Sekunden, wo ich Gänsehaut habe,
wo mir heiss und kalt wird
und dann steigt ein ganz intensives Gefühl der Rührung und
der Dankbarkeit in mir auf.
Ich möchte diese Tage nicht vergessen
weder die hoffnungsvollen noch die traurigen, schmerzlichen.
Ein bisschen Krebs bleibt für immer in meinem Gedächtnis haften.

Mein Leben wird so für mich immer etwas Besonderes bleiben

Ladina, Frühling 1984

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Um nie mehr zu vergessen
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

"Warum hebst du diese schrecklichen Fotos auf und klebst sie auch noch in dein Gedichtbuch ein? Es ist doch nun vorbei, die Sache mit der Krankheit, du solltest das vergessen, sie dir nicht jeden Tag neu vorführen"
Ja, so raten mir die Leute.
Als ich anfing, sie einzukleben, handelte ich aus einem tiefen Bedürfnis heraus und machte mir keine weiteren Gedanken darüber,
doch die Fragen, die jetzt auftauchen fordern eine Auseinandersetzung.
Und ich blättere zurück, Seite um Seite:
Ich sehe mich aufgedunsen vom Cortison, mit Glatze, ausgefallenen Brauen und Wimpern, manchmal bin ich blass und abgemagert.
Ein Blick in den Spiegel beweist: Es ist vorbei.

Wieder wende ich mich den Fotos zu,
hier beim Radeln in Finnland trotz Glatze,
da mit Nasentamponade im Krankenhaus,
im Rollstuhl nach dem Vincristin
und bei allem weiss ich: Ich habe es überstanden!

Aber noch immer sind da die Fragen unbeantwortet.
Willst du damit etwa die Eindrücklichkeit deiner Worte untermauern oder etwas beweisen?
Nein bestimmt nicht!

Willst du Mitleid erregen?
Oh nein, nur das nicht!

Willst du andere oder dich selbst erschrecken?
Aber nein, nicht doch!

Ich glaube, die Fotos sind vor allem für mich wichtig,
denn so schrecklich sie sind,
so weh auch die Erinnerungen tun
ich will sie immer bei mir haben
um nie mehr zu vergessen,
was mein Leben war und wie es heute ist und immer sein wird:
Jeder neue Tag ein Sieg
und jeder gute Tag ein unendlich schönes Geschenk.
Das wertvollste Geschenk der Welt!

Ladina, 1982
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Lernziel
°°°°°°°°

Jeden Tag so nehmen wie er kommt.
Nicht mit dem Schicksal hadern, wenn er schlecht ist,
sondern ihn akzeptieren als Bestandteil meines Lebens.
Wenn er gut ist, ihn spontan geniessen,
ihn nicht von irgendwelchen Plänen abhängig machen,
nicht spekulieren und fragen: wieso ging es mir nicht gestern gut, wo die Sonne schien, statt heute, wo es nur regnet?
Jeden Tag so annehmen, wie er ist
und versuchen, das Beste aus ihm herauszuholen
sodass auch ein schlechter Tag
kein verlorenes Stück Lebensweg sein muss.
So wie man im Bio-Unterricht die Baumschule besucht,
die Lehrpfade begeht, an jedem Baum stehenbleibt
und ihn betrachtet, bis man seine Besonderheiten, die ihn charakterisieren erkennt,
so besuche ich seit meiner Krankheit eine Lebensschule,
deren Lehrpfade sich aber nicht nur an bestimmten Stellen befinden,
sondern die mich immer begleiten, weil mein Leben der Lehrpfad ist.
Jeden Tag so nehmen wie er vor mir steht,
ihn anschauen, so genau wie möglich, bis ich ihn kenne
und ihn dann erleben, versuchen, ihn zu einem schönen Tag zu formen
auch wenn er schlecht begonnen hat.

Jeden Tag so annehmen, wie er ist
das möchte ich lernen in meiner Lebensschule

August 1988

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Sehnsucht nach einem normalen Gefühl
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Oft fand ich es lästig
immer dann meine drückende Blase zu spüren
wenn es unmöglich war
sofort diesem Bedürfnis nachzukommen.
Z.B. auf offener Strasse oder während eines wichtigen Telefonats
Wie oft habe ich dieses Gefühl verwünscht
oder hätte es am liebsten abgestellt.
Und nun ist es weg, seit drei Wochen schon
die Behandlung mit dem Ifo nahm es fort,
von einem Katheter wird abgeraten,
es soll auch wieder kommen doch jetzt muss ich Inkontinzenzeinlagen tragen
und schon jetzt spüre ich Sehnsucht danach
wieder zu fühlen, wenn die Blase voll ist.
Ich vermisse sogar die angenehmen Gefühle,
den Druck, das Ziehen und Brennen manchmal.
Ich möchte es wieder spüren
auf offener Strasse
am Telefon
mitten im Stau

Es wieder fühlen- das wäre Glück!

Ladina, 1988
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Aber tausend Fragen
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Weil ich nicht weiss, was du weisst
kann ich nicht offen mit Dir sprechen
und dir geht’s mit mir wohl genauso.
Deshalb lege ich Dir diesen Zettel auf mein Bett
damit du es liest und dann Bescheid weisst, Claire.
Ich weiss, dass ich sterben muss,
ich habe keine Angst, aber tausend Fragen…

Ladina, 1988
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Wundervoll
°°°°°°°°°°°

Die Welt und das Leben sind voller Wunder
- einige hängen ganz hoch oben
- andere kannst Du in der Tiefe finden
und manche werden Dir einfach so geschenkt
ohne dass Du was dazu getan hättest
hier und jetzt oder irgendwann

Ladina, 1988
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Die Stärke eines Menschen
misst sich nicht allein in seiner Kraft
sondern gründet auch in dem Mut
sich und andern eigene Schwächen einzugestehen

Ladina, 1988
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Schatten
°°°°°°°°°

SCHATTEN
ziehen auf
in deiner Lunge
somit auch
über unserer gemeinsamen Zukunft
die zeitweilig
so sicher schien
wie die Sonne
die jeden Morgen
neu aufsteigt.
Wird sie jemals wieder aufsteigen für uns?
Noch ist Hoffnung da auf ein Morgen.
In 14 Tagen werden wir es wissen.
2 Wochen warten und hoffen auf ein gutes Ende.
Das Atmen fällt dir immer schwerer,
das Geräusch, das dabei zu hören ist
erinnert mich an das eines Sturmwindes,
manchmal kommt aus Deiner Brust ein dumpfes Grollen
wie ein Donner vor dem Gewitter
- das alles lässt mich die Bedrohung erahnen
die auf uns zukommt mit grossen Schritten.
Dann ist er da, der Tag, auf den wir bangten
und von dem alles weitere abhängt.
Die vernichtende Diagnose ¬ sie trifft uns mitten ins Herz:
Dein Krebs hat Metastasen gebildet,
sie haben Besitz ergriffen von deiner Lunge,
schleichen unaufhaltsam deine Luftröhre hinauf.
Es braucht keine weiteren Erklärungen mehr
Du wirst sterben!
Warum nur? WARUM?!

Ladina, August 1990
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Dienstpflicht
°°°°°°°°°°°°

Am Sterbebett ihres kleinen Jungen
sitzt die Mutter fast rund um die Uhr
sie reden nicht viel oder nur ganz leise,
aber plötzlich sagt die Mutter laut: "Keine Spritzen mehr,
ich verspreche es dir, Ricardo!"
Danach sah ich den Jungen nach langer Zeit mal wieder lächeln.
Kurze Zeit später verlässt die Mutter für wenige Minuten das Zimmer.
Als sie zurückkehrt, steht eine Schwester am Bett des Kindes
und sucht eine Vene für die Blutabnahme.
"Nein", sagt die Mutter, "Ricardo hat genug, er will keine Nadeln mehr!"
"Wir brauchen aber Blut" knurrt die Schwester gereizt
"nein, nein" wimmert der kleine Bub
und seine dünnen Ärmchen versuchen verzweifelt die Schwester wegzustossen.
In seiner Not beisst er sie in die Hand, windet sich und wirft sich wild hin und her.
Die Mutter legt sich fast auf ihr Kind um es zu schützen.
Die Schwester geht, kommt aber gleich mit Verstärkung zurück.
"Ricardo möchte keine Spritzen mehr, ich habe ihm versprochen…"
die Mutter weint jetzt fast,
doch die Schwester bleibt hart.
Verzweifelt schaut die Mutter die Schwester an,
doch diese ist fest entschlossen und sticht zu.
Ricardo schreit,
wimmert noch Stunden später.
Das Lächeln am Morgen war sein letztes,
er starb mit Tränen in den Augen,
weil eine Schwester die sogenannte Dienstpflicht ernster nahm
als den innigsten Wunsch eines sterbenden Kindes

Ladina, September 1990
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Gürtelrose zum Geburtstag
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Wieder verspüre ich unheilverkündende Mattigkeit,
bleierne Schwere und Müdigkeit,
seit Tagen schon
und wieder wächst in mir die Angst vor einem Rückfall.
Alle Gelenke schmerzen, aber Fieber habe ich nicht,
suche nach blauen Flecken, finde Gott sei Dank keine
aber die Angst vor dem Rückfall bleibt.
Endlich wage ich es zum Arzt zu gehen,
erzähle ihm von den diffusen Schmerzen und der Müdigkeit.
Er findet geschwollene Lymphknoten
und am Rücken einen Ausschlag.
Sein Gesicht entspannt sich ein wenig meine ich,
aber die Spannung in mir bleibt.
Er nimmt Blut, schickt es unverzüglich zur Analyse ins Labor
und bald ist das eindeutige Ergebnis da.
Es ist kein Rückfall, sondern Gürtelrose.
Ich muss dableiben an meinem Geburtstag
aber das ist nicht so schlimm.
Wenn die Angst vor einem Krebsrückfall besiegt ist,
wiegt nichts mehr wirklich schwer und man kann sich sogar freuen
über den Befund Gürtelrose

Ladina, Oktober 1990
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Leben
°°°°°°

Leben - nie habe ich es mehr geliebt
Leben - nie ist mir seine Bedeutung bewusster geworden
Leben - nie habe ich es intensiver gespürt
Leben - nie habe ich öfter darüber nachgedacht
Leben - nie habe ich es reicher empfunden
Leben - nie ist mein Wunsch nach ihm grösser gewesen
Leben - nie schrieb ich häufiger darüber
Leben - nie hat es mich so fasziniert
Leben - nie war es mir näher
als seit ich weiss,
dass ich Krebs habe

Ladina, Oktober 1990
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Regentropfen auf meiner Haut
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Regentropfen auf meiner Haut
sie berühren mich so, wie sie auch alle andern berühren
nicht stürmischer, nicht behutsamer, nicht verzagter
Regentropfen auf meiner Haut
sie kühlen mich und lassen mich meinen Körper wieder richtig schön spüren
Regentropfen auf meiner Haut
sie streicheln mich, sie kitzeln mich, sie berühren mich
und ich geniesse es!

Ladina, 1990
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Einen Hauch von Ver-rückt-heit
braucht es wohl
um hinter festgefahrene Ansichten
blicken zu können

Ladina, 1990
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Wenn andere Leute Witze machen
über Behinderte, über psychisch Kranke,
wenn sie abschätzig über diese reden
und in ihren Stimmen nur Hohn
und kein bisschen Achtung liegt,
dann fühle ich mich persönlich angegriffen.
Wenn die Spötter das bemerken,
wenn ich sage, sie sollen nicht so über Schwächere reden,
reagieren sie mit Unverständnis und sagen,
ich bräuchte mich nicht angegriffen zu fühlen,
da ich ja weder ein Krüppel noch eine Doofe
und auch keine Verrückte sei.
Sie können nicht verstehen,
dass auch,
wenn ich nicht sichtbar betroffen bin,
ich doch fühlbar getroffen sein kann

Ladina, 1990
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Ich möchte mich nicht mehr beim "was wäre gewesen, wenn?" aufhalten.
Es ist anders gekommen,
und damit muss ich mich auseinandersetzen

Ladina, 1990
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Nach dem Hirnschlag
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Seit 3 Wochen kann ich meine rechte Körperseite nicht mehr bewegen.
Ich kann zwar sehen und hören
und doch bin ich orientierungslos
Ich kann nicht sprechen
und verstehe nicht was die andern sagen
Ich spüre meinen Körper kaum
dafür den Schmerz in der Seele umso mehr.
Ich habe Physiotherapie und muss viel üben,
doch kaum jemand spricht mit mir
sie wissen wohl nicht, dass menschliche Stimmen gut tun können,
auch wenn man sie nicht versteht,
dass sie innen Schwingungen machen könnten, die wie eine sanfte Seelenmassage empfunden würden. Doch nur wenige reden mit mir.
Ich schliesse oft die Augen
lausche in mir
lasse Gedanken fliegen
und spüre Unbeschwertheit dabei
bis mich die Realität wieder einholt
mit Tränen und Gefühlen der Ausweglosigkeit.
Und trotzdem, langsam keimt eine Hoffnung in mir,
ich denke an Muriel, die ich hier kennen lernte,
wie sie heute wieder laufen kann
und plötzlich ist da tiefe Zuversicht und ich weiss ganz sicher, dass auch wieder aufstehen werde, dass der Weg zu den Sternen immer durch die Dunkelheit führt.
Das war gestern.
Heute konnte ich am rechten Fuss meine Zehen bewegen
und ein kleiner Stern blinzelte mir zu

Ladina, 1990
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Wenn niemand da ist, um dir Halt zu geben
muss du dich selbst in den Arm nehmen,
denn die Einzige, die dich nie und nimmer alleine lässt
bist du selbst

Ladina, 1990

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Die Form der Norm
ist der wohl grösste Schwachsinn
der je erfunden wurde
und wir sind dumm genug,
uns hineinpressen zu lassen

Ladina, April 1991

Aus meinem 2. Gedichtband: "Explosionen und Vulkanausbrüche"

Explosionen und Vulkanausbrüche
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Explosionen und Vulkanausbrüchen gleich
schiessen mir manchmal Gedanken durch den Kopf,
die mich nicht mehr loslassen,
die ich nicht mehr vergessen kann.
Explosionen und Vulkanausbrüchen gleich
beherrschen mich manchmal Gefühle und Empfindungen,
die mich unter sich zu begraben drohen,
die meine Lebensfreude verschütten und ersticken könnten.

Bevor es gar so weit kommt
verarbeite ich diese Gewalten in mir zu Gedichten und Bildern
und stelle mich so über sie.
So haben Explosionen und Vulkanausbrüche
nicht immer zerstörende Folgen.
Manchmal, wenn innere Gewalten ganz leise heraustreten,
ohne zu vernichten, aber doch mit ganzer Intensität
kann sich etwas Gutes entwickeln,
kann vielleicht Heilsames entstehen
für mich als Betroffene und vielleicht auch für andere, die mich begleiten
und die irgendwann, zufällig oder ganz bewusst
einen Blick in die Welt werfen,
die ich mit meiner Kreativität geschaffen habe
und die offen ist für alle, die diese Landschaft zu betreten wagen.

Sie alle werden entdecken,
dass auch Explosionen schöne Formen hervorbringen
und dass auf dem dunkelsten Krater
bunte Blumen blühen…

Ladina, November 1991
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Warum gerade ich?
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Am Anfang, als ich an Krebs erkrankt war,
fragte ich mich: „Warum ich, warum gerade ich?“
Mit der Zeit hörte ich auf, so zu fragen.
Ich lernte, dass keiner das Recht hat, diese Krankheit nicht zu bekommen.
Ich machte Chemos und bekam Bestrahlungen
wie alle anderen auf der Onkologischen Station auch.
Ich wurde operiert und transplantiert wie viele
und habe gekämpft und gehofft
genau wie Marianne Stehle, Thomas Ammann, Philipp Egger, Lotti Einspieler, Frau Hauser, Franca Pomeri, Felix Lutz und Regula Tschäppet.
Dennoch haben sie alle den Kampf gegen den Krebs verloren.
Und mir helfen die Therapien immer noch.
Ich darf weiterleben.
Ich freue mich drüber, doch ich trauere um meine Mitgefährten und Freunde.
Mir gaben einmal Ärzte eine Überlebenschance von 5%,
aber ich lebe noch immer.
Nun frage ich mich wieder: „Warum ich, warum gerade ich?“

Ladina, April 1993
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Ist es das wert?
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durch die Therapie
vielleicht unfruchtbar werden –
Ist es das wert?
bleibende Schäden davontragen –
Ist es das wert?
für immer behindert sein? –
Ist es das wert?
Aus Überzeugung, aus Erfahrung
sage ich JA.
Leben hat immer seinen Wert.
Es kann auch mit Beeinträchtigungen
wie Unfruchtbarkeit, Hörbehinderung
und verminderter Infektabwehr
seinen Sinn behalten
und es geht weiter.
Anders vielleicht
aber tiefer, besonnener, intensiver.
Ich bereue die Therapie nicht.
Mein Leben hat seinen Wert
noch immer
und immer mehr!

Ladina, April 93
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In der Stille der Nacht
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In der Stille der Nacht
wird das kleinste Geräusch zum Lärm
In der Stille der Nacht
erscheinen Minuten wie Stunden
In der Stille der Nacht
fällt dir die winzigste Veränderung
des Atmens deiner Bettnachbarin auf.

In der Stille der Nacht
da werden Nöte übergross
In der Stille der Nacht
quälen dich die Schmerzen mehr
In der Stille der Nacht
kriechen Ängste und Unbehagen mit dir unter die Bettdecke
und krallen sich an dir fest.

In der Stille der Nacht
bräuchten so viele jemanden, der sich zu ihnen ans Bett setzt
wenn sie nicht schlafen können
In der Stille der Nacht
sind aber viel zu wenige Schwestern da
um allen Trost zu spenden, die es brauchen.

In der Stille der Nacht
da fangen Ängste an, weh zu tun, weil keiner Zeit hat für sie.
Man wird betäubt mit Schlafmitteln und es wird noch schlimmer für jene,
welche dennoch wach bleiben
weil sie Angst haben
in der Stille der Nacht

Ladina, Juni 1993

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Resistenz-Test
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Es gab mal eine Zeit, da gehörten die Ballone noch alle mir.
In jeden von ihnen konnte ich Hoffnungen setzen
und sie halfen mir auch,
sie entrissen mich dem Krebs immer wieder.

Nun aber schweben sie über mir
ich blicke sehnsüchtig zu ihnen hinauf und weiss doch nicht,
ob sie jemals wieder mir gehören werden
ob sie mir noch einmal helfen werden
ob sie es überhaupt noch können.

Um das herauszufinden, laufen nun in Brüssel Tests,
die Zeit bis zum Ergebnis ist für mich kaum zu ertragen.
Es hängt alles davon ab.
Mein ganzes Leben!

Ich hänge jetzt total in der Luft
und bin doch am Boden festgenagelt
- verurteilt zum Warten
ohne etwas tun zu können
bangend, hoffend, das Schicksal anflehend
so stehe ich da – still und scheinbar gelassen
doch in mir drin zittert alles.

Die Ballone, die Zytostatika, mit denen ich früher dem Krebs entfloh
sind nur noch fragile Hoffnungen, die wie Seifenblasen zerplatzen können
und die grössten werden das wohl auch tun,
weil sie nicht mehr gegen das dichte Netz der Resistenzkörper in mir ankommen.
Werden die kleineren stark genug sein,
um mich noch einmal vom Krebs weg ins Leben zu tragen,
um den Krebs in die Knie zu zwingen,
damit er mir wenigstens ein paar Monate Zeit lässt,
um meine Pläne zu verwirklichen?

Ich habe Angst, am Ende der Tests, mit leeren Händen dazustehen
und stehn bleiben zu müssen, da, wo ich jetzt bin,
während der Krebs mit Riesenschritten auf mich zukommt.
Unaufhaltsam!

Sie sagen, ich solle versuchen, ruhig zu bleiben.
Es gelingt mir nicht.
Ich habe Angst!!!

Ladina. Juli 1993
(der Test ergab die Resistenz gegen nur zwei Substanzen)

Resistenztest (Andere).JPG
Resistenztest (Andere).JPG (27.22 KiB) 6962 mal betrachtet
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Es macht mir Angst
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Wie ich immer vergesslicher werde
das macht mir Angst
dem eigenen körperlichen Zerfall hilflos zusehen zu müssen
das macht mir Angst
dieses Gefühl innerlich tot zu sein
das macht mir Angst
diese Ungewissheit, was ist und was geschehen wird
das macht mir Angst!!!
Sind diese Empfindungen und Ängste
der Anfang vom Ende,
der Beginn meines Sterbens oder bloss die Folge einer Therapie,
die mir ein Weiterleben ermöglicht?

Ich bin mir nicht im Klaren
wovor ich mehr Angst habe
davor, in diesem Zustand weiterzuleben
oder davor, vielleicht bald zu sterben

Ladina, Juli 1993
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Gut dran
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Besser Chemotherapie als gar keine Therapie
besser Rippenbruch als Genickbruch
besser Mundgeschwüre als Magengeschwüre
besser Haarausfall als Zahnausfall
besser Knochenmarksdepression als Gemütsdepression
besser Blasenentzündung als Bauchspeicheldrüsenentzündung
…..Eigentlich bin ich doch noch ganz gut dran.

Ladina, Oktober 1993
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Zwiesprache mit Gott
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Wie ein Silberstreifen am Horizont
zeigt mir Deine Gegenwart das Ende der Nacht.
Wie ein Silberstreifen am Horizont
weist Du mir den Weg, wenn ich nicht mehr weiss wohin.
Wie ein Silberstreifen am Horizont
nimmst Du der Dunkelheit ihre Bedrohung
und mir das Gefühl der Sinnlosigkeit.
Hoffnung ist kein leeres Wort, das in aller Munde ist
ohne dass jemand den Sinn davon kennt.
Hoffnung ist Aussicht auf hellere Tage
und zugleich Einblick in Tiefen,
den nur ein glaubendes Herz zu haben vermag.
Hoffnung ist überall da, wo Deine Nähe spürbar ist
und wo Fühlen und Glauben mehr zählt,
als alles, was das Auge sieht
als alles, was der Verstand erklären kann.
Denn wer aufschaut zu Himmel
wird Dich erkennen und staunen.
Wer aufschaut zum Himmel
wird Zuversicht und Hoffnung in Bildern sehen
denn Du selbst
malst den Silberstreifen und den Regenbogen,
Du selbst
lässt eine Handvoll Sterne
stärker als die Dunkelheit sein.

Ladina, April 94
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Tapferkeit und Mut
++++++++++++++

Wenn jemand trotz grosser Schmerzen nicht klagt sondern lächelt,
wenn jemand aller Hoffnungslosigkeit zum Trotz,
seine Krankheit zu besiegen versucht-
DANN nennen wir das Tapferkeit.

Wenn jemand an einem starken Seil befestigt, kopfüber in die Tiefe springt
wenn jemand allein durch den dunklen Wald spaziert
DANN nennen wir das Mut.

Doch die bewundernswerte Tapferkeit und der Mut
liegen noch ganz anderswo:

DA,
wo jemand nach mehreren erfolglosen Therapien
das Ende seines (jungen) Lebens akzeptiert
und vor dem Tod nicht davonläuft,
das Sterben aber dennoch nicht beschleunigt.

DA,
wo jemand seinen Schmerz zugibt und zusammen geweint wird
um sich zu gegebener Zeit auch wieder gegenseitig zu trösten.

DA,
wo mit jederlei Gefühlen offen umgegangen wird

DA,
wo Menschen über sich hinauswachsen und handeln,
in Situationen, wo es leichter wär’, klein und tatenlos zu bleiben.

DA,
wo Glaube aktiv gelebt wird
und Vertrauen in die Zukunft
trotz allem besteht

Ladina, Mai 94

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Meine taube Katze
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Es geht mir in letzter Zeit einfach nicht gut
ich fühle mich verloren und von allen allein gelassen,
doch die Menschen um mich benehmen sich wie sonst,
keiner merkt, wie mies es mir geht.
Sie können es mir nicht ansehen, denn mein Mund lächelt
obwohl in mir drin Tränen wie Sturzbäche fliessen.
Meine taube Katze aber spürt es.
Sie kommt zu mir und schmiegt sich an mich,
sie trocknet meine stillen Tränen mit ihrem weichen Fell
sie schläft nachts auf meinem Kopfkissen
und nicht wie sonst auf der Decke oder unter dem Bett.
Sie wendet sich nicht ab wie alle andern.
Meine taube Katze ist hellhöriger als viele,
die von sich behaupten, sie hätten ein intaktes Gehör.

Ladina, Juli 94
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Wut und Traurigkeit
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Manchmal, wenn ich rauchende Jugendliche sehe
werde ich unwahrscheinlich wütend
und unbeschreiblich traurig,
nicht, weil ich neidisch auf sie bin,
nicht, weil ich es auch tun möchte,
sondern weil sie Gesundheit haben
und sie nicht wollen

Ladina, September 94
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Verborgene Gefühle
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Ihr seht mich meistens froh gelaunt
und ich strahle Lebendigkeit aus
so, als wäre mir die Gefahr, die über mir schwebt, nicht bewusst.
Ihr bewundert mich für meine Kraft
und meinen festen Willen, den Krebs zu besiegen
und ihr denkt, ich wäre immer stark.
Doch abends,
wenn ich im dunklen Zimmer auf meinem Bett liege
werde ich des Öfteren schwach.
In der Abgeschiedenheit und Dunkelheit dieses Zimmers, in dem ich mich so sicher fühle,
treten verzweifelte Gefühle ans Licht.
Manchmal hadere ich dann mit dem Schicksal
oder ich schreie Gott an, warum er das alles zulässt
oder ich werde so hilflos von Traurigkeit übermannt
dass ich mich kaum noch rühren kann
- ich rolle mich zusammen, bis ich ganz klein bin
wiege mich sanft hin und her
und streichle meinen kahlen Kopf.
Und dann wünsche ich mir so sehr, wieder ein Baby zu sein,
nur um nicht täglich zu begreifen, was hier vor sich geht

Ladina, September 94
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Unvorbereitet
++++++++++

Seit Wochen wollte ich Rosanna anrufen,
fragen, wie es ihr geht,
sie zu Hause oder im Spital besuchen,
so, wie sie mich damals besucht hatte.
Aber da war die Angst,
da könnte nur noch ihr Mann den Hörer abnehmen
und er sagte:“ Rosanna ist seit Wochen tot!“
Da war die Angst,
dann nicht zu wissen, was sagen,
die Angst,
vor Fassungslosigkeit sprachlos den Hörer aufzulegen
ohne den Mann trösten zu können.
Und so schob ich es immer wieder hinaus,
erstickte meinen innigsten Wunsch
und begründete dieses Verhalten mit Angst,
obwohl ich doch weiss,
dass Angst für alles ein schlechter Grundstein ist.
Wie oft hatte ich mir selbst in traurigen, schmerzerfüllten Tagen,
einen solchen Anruf erhofft, oder dass jemand sich nach mir erkundigte oder mich besuchte
dass jemand mich mein Leid durch seine Gegenwart etwas vergessen liess oder mit mir darüber spricht.
Aber meist blieb das Telefon, die Hausglocke stumm.
Freunde, auf die ich glaubte, zählen zu können blieben mir fern.
Damals war ich sehr traurig, konnte ihre Gründe nicht verstehen
noch nicht einmal benennen
doch heute weiss ich warum
und ich stelle mit Entsetzen fest,
dass auch ich nicht genügend vorbereitet bin
auf eine solche Situation

Ladina, 2.Oktober 1994
(in stiller, erschütterter Trauer über den Tod von Rosanna Huber-Pedemonte, 17.9.1936 – 29.9.1994)

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Bis zuletzt
°°°°°°°°°°°

Ich kaufte mir ein General-Abonnement für ein Jahr,
obwohl ich weiss,
dass ich es nicht schaffen kann.
Meine Schwester näht mir eine neue Faserpelzjacke,
obwohl sie weiss,
dass ich es nicht schaffen kann.
Ich spare für Ferien im nächsten Jahr
obwohl fast sicher ist,
dass ich es nicht schaffen kann.
Man kann das alles „Sinnlose Handlungen“ nennen,
man kann es „die Augen vor den Tatsachen verschliessen“ nennen,
aber auch ein sterbender Mensch
bleibt bis zu seinem letzten Atemzug
ein Lebender!

Ladina, Oktober 1994
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Wesenskern
°°°°°°°°°°°°°

Unser Wesenskern entstammt dem Garten Gottes
und wir sollten uns
aus Dankbarkeit fürs Leben überhaupt
bemühen,
ihn so zu entwickeln,
dass Gott ihn,
nachdem wir gestorben sind,
mit Freude wieder in sich aufnimmt.

Ladina, Oktober 1994
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Überlebensinstinkt
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

In einer Umgebung,
in der das Leben so selbstverständlich geworden ist,
verkümmert unser Ur-Instinkt
zu unserem Überleben selber beizutragen.
Er wird erst wieder erfahrbar durch die Nähe des Todes.
Wir denken dann,
dass ihn der Tod mitgebracht hat
aber in Wirklichkeit gehörte er schon immer zu uns.

Ladina, Okt. 1994
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Nur eine gute Freundin
********************

Wir kannten uns circa 3 Jahre.
Von Anfang an war es eine besondere Freundschaft.
Durch das gleiche Schicksal Rhabdomyosarkom
waren wir uns umso verbundener.
Wir teilten alle unsere Freuden und Leider miteinander
verbrachten viele Tage zusammen im Krankenhaus und auch in der Freizeit.
Sie hat mich zu Hause besucht und ich sie,
wir hatten so ähnliche Empfindungen und konnten sie beide in Gedichten ausdrücken.
Jede Minute mit Tatjana gab mir Freude, Hoffnung und neue Kraft und das Gefühl, verstanden zu sein.
Oft sassen wir zusammen und besprachen unsere Nöte.
An ihr habe ich mich aufgerichtet, wenn es mir schlecht ging
und ging es ihr schlecht, war ich ihr Halt.
Gestern nahm sie mir der Tod,
er kam urplötzlich, in einem unerwarteten Moment,
zwar erahnt, aber doch zu schnell.
Ich fühle mich, als wär ein Teil von mir mit ihr gestorben
möchte sie so gern auf ihrem letzten Weg begleiten,
doch mein Wunsch zum Begräbnis zu fahren
wird vom Arbeitgeber jäh zerschlagen.
Wäre sie mit mir verwandt gewesen, hätte ich gehen dürfen,
aber sie ist ja nur eine besonders gute Freundin.
Kein Betteln und Flehen ändert den Entschluss der Geschäftsleitung,
kein Verzicht auf den nächsten freien Tag, kein Antrag auf „Unbezahlt“

Es zählt hier nicht, dass mir Tatjana viel, viel näher steht,
als so mancher Verwandte.

Ladina, Nov. 1994
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ARBEITEN
um mich abzulenken
das tue ich zur Zeit
um nicht den ganzen Tag zu grübeln
um nicht ständig zu weinen
um nicht an mir selbst zu verzweifeln.
So geht der Tag ganz gut vorbei
doch am Abend, wenn ich zu Hause bin,
kehrt die traurige Stimmung zurück.
Dann verzweifle ich an mir selber,
dann hänge ich trüben Gedanken nach,
dann weine ich – allein in meinem Zimmer.
Keiner kann mich da fortholen,
denn ich spüre, dass nun Ablenkung fehl am Platz wäre.
Jetzt darf ich verzweifelt sein
jetzt darf ich trüben Gedanken nachhängen
jetzt darf ich weinen
jetzt darf kein einziges, aufkommendes Gefühl verdrängt werden
denn nur so kann ich meinen seelischen Schmerz
VERARBEITEN

Ladina, August 1995[/b]
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Aus meinem 2. Gedichtband: "Explosionen und Vulkanausbrüche"

Beitragvon Ladina » Mo 28 Aug 2006 22:49

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Aus meinem 2. Gedichtband: "Explosionen und Vulkanausbrüche"

Krebs ist…
°°°°°°°°°°

Ich wusste, was sehr viele wissen:
Krebs ist eine Krankheit, die tödlich enden kann
Krebs besteht aus bösartigen Zellen und ist fähig, in andere Organe zu streuen.
Seit ich selber diese Krankheit habe,
erkenne ich immer mehr, dass Krebs nicht nur negative Seiten hat,
denn Krebs lehrt einen im Heute zu leben, spontan zu sein,
in der Chemo erlebt man viel Grausames, aber jedes kleine Schrittchen,
wo es einem besser geht
wird wahrgenommen und dankbar empfangen.
Krebs stellt die schönen Momente im Leben in noch helleres Licht,
man lernt zu geniessen.
Krebs ist Aufforderung, Dinge in unserem Dasein zum Guten zu verändern,
Krebs ist Gelegenheit umzudenken, zu sich selbst zu finden,
was für sich selbst zu tun, ohne Egoist zu sein.
Krebs ist Brille, Zusammenhänge zu erkennen.
Krebs ist Fingerzeig auf Dinge, die im Leben zu ordnen sind
Krebs ist Denkanstoss, Verdrängtes neu aufzuarbeiten
an den Tod zu denken und dabei zu erfahren, dass das Leben gerade dadurch eine völlig neue, tiefe Dimension erhält.
Krebs kann Wegweiser sein zu erfüllterem Leben
Krebs ist Lupe, kleines plötzlich zu sehen.
Für mich denke ich,
dass der Krebs eine Art Lebensretter wurde,
denn erst das Bewusstsein um ein mögliches, frühes Lebensende
gab diesem Leben echten Sinn, sinnvolle Zukunft und fruchtbare Tiefe.
Krebs ist darum keine durch und durch sinnlose Erkrankung für mich,
sie bringt zwar Kummer, Todesangst und Schmerz mit sich
aber immer wieder auch tiefes Glück
und Lebensfreude wie niemals zuvor

Ladina, April 1993

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Und nun ist es doch geschehen
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Beim Kontrollkernspin vor 6 Wochen
sah es ganz gut aus in meinem Körper.
Und ich dachte, nun hätte ich es endgültig geschafft
und freute mich auf einen unbeschwerten Sommer.

Und nun ist es doch geschehen,
ein neuer Tumor ist da am Bauchmuskel
und wieder schlägt man mir Chemo vor.
"Es bestehen gute Chancen, dass wir das nochmals in den Griff bekommen", sagt der Arzt.

Wie oft habe ich das schon gehört!?
Wie oft habe ich darauf vertraut?
Wie oft feierte ich Siege und wie oft war der vermeintliche Sieg
nur ein vorübergehendes Stillstehen vor einem neuen
noch heftigeren, noch schmerzhafteren Rückschlag?
Wie oft!?

Zu oft ist alles anders gekommen als man es erwartet hat,
manchmal wurde es gut, wenn die meisten dachten, es sei aus
doch die vielen neuen Einbrüche
sie schwächen meine Hoffnung auf ein gutes Ende
auf ein Leben ohne Krebs immer mehr.

Ich fühle mich wie tot,
irgendetwas in mir ist verbrannt
zu dem Zeitpunkt, als ich vom neuen Tumor erfuhr.
In meinem Innern sehe ich ein paar versengte Baumstrünke.
Kein Grün ist da mehr, kein Spitzchen, keine Knospe.
Nur die schwarzen Strünke verraten,
dass da noch Leben war - bis eben…

Dennoch bin ich froh, dass man ehrlich zu mir ist,
es erleichtert mich, zu wissen, was ist
auch wenn nun wieder Zweifel und Angst in mir wachsen
wie es weitergeht
und die sinnlose Frage "WARUM?" in meinem Kopf Kreise dreht,
surrend wie die Bestrahlungsmaschine,
die über mir kreisend, Strahlen auf meinen Bauch wirft,
die den Tumor vernichten sollen.
WARUM? WARUM?
Warum trifft es immer dieselben?
Habe ich noch nicht genug gekämpft?
Hat Gott noch nicht gemerkt, wie sehr ich sein Geschenk, das Leben liebe,
dass er mir immer wieder so Schweres, so Schreckliches auferlegt
und ich wieder dagegen kämpfen muss,
um mein Leben vielleicht noch einmal geniessen zu können.
Gefällt es ihm, zuzusehen, wie ich mich abmühe
oder warum sonst mutet er mir das alles zu?

Und draussen geht das Leben weiter, als sei nichts passiert
und während die Leute in der Limmat baden
und die warmen Sonnenstrahlen geniessen
liege ich wieder täglich unter der Strahlenbombe
und von Genuss kann keine Rede sein.

Die nächste Zeit für mich ist geprägt von Hoffen und Bangen
und wiederum gefüllt, nein überfüllt von Ängsten ums Wachsen
oder Schrumpfen des Tumors,
wieder mal, wie schon so oft - zu oft!

Wenn ich nach Hause komme, werde ich einen Avocadokern setzen,
damit ich wenigstens etwas Schönes wachsen seh….

Ladina, Juni 1993
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Leben mit Krebs heisst
sich selber gegenüber
die Bedrohung dieser Krankheit zugeben
und trotzdem nicht aufgeben

Ladina, Juni 1993
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Schwer krank
°°°°°°°°°°°°°

Mein Vater hatte schon mehrere Herzinfarkte.
Kürzlich erlitt er wieder einen.
In Windeseile hat es sich herumgesprochen.
Er bekommt Besuche, Anerkennungen, Geschenke,
das gute Gefühl, dass man ihn gern hat.

Seine Schwester, meine Patentante, hat Depressionen.
Es ist ein gut gehütetes Geheimnis
Keiner spricht darüber.
Nur selten bekommt sie Besuch, Zuwendungen oder Geschenke.
Sie ist oft allein mit ihrer Not
und am 27.Dezember hat sie sich vor einen Güterzug geworfen…

Sie war sofort tot.
In Windeseile verbreitet sich die erschütternde Nachricht.
Doch auch jetzt wird noch vertuscht.
"Ein Unfall" sagen sie, und wissen doch genau,
wie es wirklich war.

Doch keiner wagt es auszusprechen.
Selbstmord.
Wieder einmal hat unsere Gesellschaft versagt.
Körperliche Krankheit wird anerkannt, Psychische oft nicht.
Noch heute wird Seelisches mit Selbstverschulden und Verweichlichung gleichgesetzt.

Beim Trauergottesdienst sind viele Leute da,
alle bezeugen, dass sie so ein lieber Mensch war,
dass man sie gern hatte.
Jetzt erst kommen sie aus ihren Verstecken,
Jetzt erst wird Zuneigung zu ihr offensichtlich,
jetzt erst, wo sie tot ist.
Jetzt erst, wo sie den Tod als letzten Ausweg wählte
um ihrer Einsamkeit, ihrer Krankheit und der Traurigkeit zu entkommen.

Sie hatte uns zum Geburtstag immer Kerzen geschenkt, die sie selber anfertigte.
Licht und Wärme schenkte sie und bekam selbst viel zu wenig davon.
Noch vor 3 Wochen sahen wir uns auf einem Geburtstagsfest
und wir vereinbarten, dass ich sie im Sommer besuchen komme.

Doch nun werde ich im Sommer nur noch ihr Urnengrab besuchen können
und da wahrscheinlich genauso beschämt stehen wie heute.
weil auch ich so eine bin, die erst jetzt daherkommt,
deren Erschütterung zwar echt ist, aber zu spät kommt,
weil einfach nie über ihre gesundheitlichen Probleme gesprochen wurde,
obwohl sie im Grunde dem Tod viel näher war als mein Vater.

Und ganz zum Schluss werden Stimmen wach, die sie anklagen:
"Wie konnte sie uns das nur antun, ihre 6 Kinder einfach allein lassen?"

Doch wie lange haben wir sie denn alleingelassen mit ihrer Not,
in der sie weitaus hilfsbedürftiger war, als alle ihre volljährigen Kinder zusammen es je sein könnten?

Meine Patentante könnte noch leben, wenn wir wirklich für sie da gewesen wären.
Ihr Tod hinterlässt in Wirklichkeit keine Fragen,
nur Ausrufezeichen

Ladina, 31. Dezember 1993
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Meine Seele tanzt Walzer
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Meine Seele tanzt Walzer
während das Haus, in dem sie wohnt, lichterloh brennt.
Meine Seele tanzt Walzer
während das Dach, das ihr Schutz gewährte, zusammenfällt
und an der Hauswand der Putz abblättert.
Meine Seele tanzt Walzer,
während ihre ganze Hoffnung
sich in einen Haufen Schutt verwandelt.
Immer dann,
wenn Gefahr droht, vor Verzweiflung halb verrückt zu werden,
wenn die Ohnmacht übermächtig wird.
Immer dann,
wenn der Schmerz zu gross ist
und die ausgelebte Wut sie vernichten würde
Immer dann,
wenn sie in geweinten Tränen erbarmungslos ertrinken müsste…

Immer dann setze ich den Walkman auf
und lasse meine Seele Walzer tanzen

Ladina, März 2004 (unter den Qualen von Adriblastin)

Ohne Haare bist Du kahl
aber Du wirst wieder Haare bekommen.
Ohne Leben bist Du tot
und Du bleibst es!

Ladina, 1994
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Worte
die in falsche Ohren kommen
geraten oft auch
in den falschen Hals

Ladina, 1994
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Krebstumore sind leider wie Menschen
- bevor sie sterben,
schaffen sie Nachkommen,
damit nicht so schnell vergessen werden kann,
dass sie einmal existierten

Ladina, August 1994
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Das Spiel auf der Flöte ist zu Ende
die geschickten Hände sind erschöpft,
es gibt wohl nichts mehr, was die Hoffnung noch wende
und so wird die Hoffnung geköpft

Ladina, August 1994 (zu einem Bild eines Schlangenbeschwörers, dessen Schlange zwei Köpfe hat)
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Alptraum
°°°°°°°°°

Mit Riesenschritten eilt ein Krebs auf mich zu.
Mit rasender Geschwindigkeit droht ein mühlsteinschwerer Tumor
mich zu überrollen und unter sich zu zerquetschen.
Und ich schreie laut vor Panik und voll Todesangst.
Im Traum eilen mir viele Leute zu Hilfe,
aber in Wirklichkeit
hat mich niemand gehört!

Ladina, August 1994
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Entschieden
°°°°°°°°°°°°

Seit Beginn der Irland-Tour fühlte ich
dass das Leben in meine Seele und mein Herz zurückgekehrt ist
und dies war ein unbeschreibliches Glücksgefühl.
Mein Körper leistete wieder, was ich wollte,
er machte keine falsche Bewegung und keinerlei Probleme
und es schien, als habe sich das Leben für mich entschieden.
Doch gestern Abend sah wieder alles anders aus.
Krämpfe schüttelten meine Glieder,
ohne dass ich etwas dagegen hätte tun können.
Heute bin ich wieder abhängig von besonderen Hilfestellungen,
Gott, wie ich das hasse, dieses Anderssein.
Ich bereite wieder Kummer,
ich falle wieder zu Last
Das Leben hat sich wieder entschieden. Gegen mich…

Ladina, August 1994 (Dingle-Island)
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Abschied von einem Traum
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Ich hätte ihn so gern gesehen,
meinen Freund, den Leuchtturm
nicht wie sonst auf Bildern
sondern einmal real auf den Klippen Irlands.
Ich hätte ihn so gern berührt,
meinen Freund, den Leuchtturm,
anders als daheim, wenn ich das Poster berühre
und dabei träume, irgendwann einmal auf so einer Klippe zu stehen.

Ich hätte ihn so gern umarmt
meinen Freund, den Leuchtturm
ihm gedankt auf meine Art, dass ich ihn noch kennenlernen durfte.
Ich hätte ein Foto von uns beiden machen lassen,
es dann aufgehängt, über meinem Bett
und das Glücksgefühl wär immer wieder gekommen-
wie im Augenblick, als ich es tatsächlich erlebte,
wenn ich dieses Foto angeschaut hätte.
Und wenn ich dann einmal nicht mehr am Leben wäre,
wäre dieses Foto meinen Freunden erhalten geblieben
und sie hätten mich drauf gesehen,
so glücklich strahlend.

Aber es sollte nicht sein.
Und ich war doch so nahe an der Erfüllung meines Traumes dran.
Eine Prise Glück fehlte
und die Kraft meines Körpers,
der im alles entscheidenden Augenblick
versagte.

Meine Tränen sind nicht nur aus Schmerz geweint.
Sie stellen den qualvollen Abschied dar
von einem wunderbaren Traum
der zerschellt ist
an der Unerbittlichkeit des Schicksals

Ladina, August 1994
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Unvorstellbar
°°°°°°°°°°°°°

Es ist leicht
in guten Zeiten
zu erklären und zu glauben: Ich wäre bereit zum Sterben.
Aber jetzt,
wo es vielleicht wirklich ernst gilt
sind solche Gedanken in mir nicht mehr auffindbar
und ich kann mir nicht vorstellen,
jemals bereit gewesen zu sein

Ladina, September 1994
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Die Seele ist ein Schmetterling
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Die Seele ist ein Schmetterling,
der aus einem Paradies in unseren Körper flog,
dort Schutz und Geborgenheit suchte
und uns das selbe zu geben vermag.
Doch manche Seele gaukelt mit gebrochenen Flügeln umher,
weil sie es zu eng hatte,
weil sie vertrieben wurde, gequält und geschlagen.
Aber auch sie kann, wenn sie möchte
zurückfinden in ein Paradies.

Ladina, 1994
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Die wahren Freunde
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Es gibt manche,
die mich bewundern
wenn sie meine Texte gelesen haben.
Es gibt auch manche,
die mich bemitleiden,
wenn sie von meiner Krankheit erfahren,
Es gibt manche,
die mich im Fernsehen gesehen haben,
die dann vieles daran setzen,
mich persönlich kennen zu lernen
um es dann weiterzuerzählen: Ich war schon mit ihr zusammen,

Und es gibt andere,
die waren mit mir zusammen, bevor ich im Fernsehen war.
sie haben mir zugehört, bevor sie wussten, wer ich bin.
Sie haben echtes Interesse an mir gezeigt,
bevor es von Bewunderung und Mitleid in den Hintergrund gedrängt werden konnte.
Sie haben mich begleitet in hellen und in dunklen Tagen.
Sie lachten mit mir, sie trösteten mich und waren einfach da
- nicht um später bei andern zu bluffen,
- nicht um von andern vielleicht beneidet zu werden
sondern einzig,
weil sie sich mir verbunden fühlten.

Unter ihnen finden sich meine wahren Freunde

Ladina, September 1994
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Der Verlust deiner Schuhe
braucht kein Unglück zu sein,
denn solange du barfuss gehst
spürst du mehr Boden unter den Füssen
und setzt gleichsam deine Schritte bedachter….

Ladina, 1994
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Auf den Pfaden der Menschlichkeit
kommen die Langsamen und Bedächtigen besser voran

Ladina, Herbst 1994
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Und eine Schraube
bekommst du nicht mit dem Hammer in die Wand,
ohne dass beide Schaden nehmen…

Ladina, Herbst 1994
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Die Flucht vor dir selber
ist im Grunde keine Rettung für dich
Du lebst irgendwo, ohne dich zu lieben
und du stirbst irgendwann, ohne dich wirklich gekannt zu haben

Ladina, 1994

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Jede Seele besitzt Flügel
um den Leid für eine Weile zu entkommen,
doch so mancher fehlt die Kraft
wieder auf dem Boden der Tatsachen zu landen

Ladina, 1994
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Manchmal,
in einem langen, harten Kampf
der all deine Kraft erfordert,
kann es helfen
einen Teil deiner Energien auf etwas anderes zu lenken.
Erst ist es vielleicht nur ein Traum,
doch dann nimmt es Form an
und wenn daraus etwas Gutes zu entstehen verspricht
wächst in der Freude darüber
neue Kraft,
die dir hilft in deinem Kampf

Ladina, 1994
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So mancher Stolperstein auf deinem Weg
macht dich um eine wichtige Erfahrung reicher

Ladina, Monte Generoso, 1994
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Die Angst besiegen heisst, sie in Vertrauen wandeln…

Ladina, Sent, 1994
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Wenn der Tod eine Existenz bedroht,
gewinnt die Lebenslust an Intensität,
die sonst nur selten erreicht wird,
ohne Grenzerfahrung

Ladina, Spinas, 1994
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Sehr oft wäre es hilfreicher,
würde ein Arzt nicht Medikamente reichen,
sondern einfach seine Hand…

Ladina, Latsch, 1994
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Manchmal sind medikamentöse Behandlungen
nichts als getarnte Misshandlungen

Ladina, Fanas, 1994 (dieser Text bezieht sich nicht auf die Zytostatika, sondern auf Psychopharmaka)
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Geht’s dir gut, hast viele Freunde, die sich um dich scharen
bist du krank, bleibt nur ein Bruchteil derer, die einst da waren
doch erst, wenn du persönlich schuldig geworden bist,
erkennst du, wer von denen, ein echter Freund ist.

Ladina, Thorberg, 1994

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Auch ein Clown
weint
manchmal
Tränen,
dann versteckt er
sein Gesicht
und Tränen,
die nach innen fliessen,
diese sehn die andern nicht

Ladina, Andiast, 1994
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Liebloses Zuhause
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"Sei still!" sagen die Eltern zu Diego
als er nach Hause kommt und etwas erzählen möchte.
"Sei leise!", sagen sie,
wenn er seiner Lebensfreude mit Gitarrenklängen und Gesang Ausdruck verschafft.
Aber ich bin sicher,
wenn der Tag kommt, an dem er für immer verstummt ist,
werden sie sich wünschen,
ihm, als er noch bei ihnen war,
öfters zugehört zu haben

Ladina, Oktober 1994
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Nach Francos Tod
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Es ist alles so unfassbar.
Du starbst, als es dir gut ging,
noch Donnerstag und Freitag bist du ausgegangen
zum Pizza-Essen und ins Kino.
Du hattest viel Spass, warst richtig fröhlich
und am Samstagmittag legst du dich zum Mittagsschläfchen hin
und wachst nie wieder auf.
Es ist alles so schnell gegangen.
Dein Tod hat uns alle überrumpelt,
es blieb keine Zeit, sich ein letztes Mal richtig von dir zu verabschieden
und es tut weh, so weh.
Doch trotz aller Sinnlosigkeit deines Todes
bin ich auch sehr getröstet,
und auf eine besondere Weise sogar glücklich,
denn du hast nicht lange leiden müssen.
Du bist nicht erstickt, wie wir alle und vor allem Du, es befürchteten,
als bekannt wurde, dass deine Lunge voller Metastasen war,
sondern du durftest ruhig einschlafen.
Du hast deine letzten Tage voll auskosten können und dein Leben
war reich und erfüllt - bis am Schluss!

Ladina, November 1994 (im Gedenken an Franco Scherrer, 8.4.1976 - 5.11.1994)
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Sterben an Lieblosigkeit
ist der grausamste Tod
weil du danach immer noch atmest.
Begraben mit all deinen Hoffnungen. Ein letzter Atemzug.
Aus, vorbei, erstickt.
Auf dem Grabstein steht: Lass uns zufrieden
Und irgendwann, nach Jahren, wieder ausgegraben
und zu den Akten gelegt
und dann vergessen
für immer.
Ruhe in Frieden!

Diego, irgendwann geschrieben, ist nicht wichtig

Anmerkung Ladina:
(Diego war ein adoptierter dunkelhäutiger Junge aus Brasilien. Er hat weder seine Eltern noch sein Umfeld als friedvoll erlebt. Auch im Spital rebellierte er oft, doch hinter seiner harten, rauhen Schale verbarg sich ein sensibler Junge, der allzu oft in seinem jungen Leben verletzt worden war. Oft sass er neben mir, wenn ich schrieb. Liess sich erklären, was mir das bringt, so etwas aufzuschreiben. Eines Tages schrieb er auch, dieses Gedicht, da oben. Es ist meines Wissen sein einziges und letztes gewesen
und ich möchte es als ein Andenken an ihn hier lassen und auch als Mahnmal um mehr Achtsamkeit auch gegenüber anderen, uns vielleicht äusserlich unverständlichen, jedoch im Kern sehr ähnlichen Menschen

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Im Abgrund der Angst
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Auch negative Gefühle
soll ich ausleben,
rät man mir,
sie nicht in mir gefangen halten
sondern sie zeigen und so Befreiung erfahren.
Ich fühle Ohnmacht und Hilflosigkeit
und weine nächtelang.
Im empfinde Hass
und schlage wütend auf einen Gegenstand ein.
Ich habe Sehnsucht nach Nähe und Gehaltenwerden
und nehme mich selber in die Arme.
Ich habe Angst,
doch ich weiss nicht, wohin mit ihr.
Ist Angst überhaupt ein richtiges Gefühl
oder mehr ein eigenständiger Zustand?
Ich schaffe es nicht, sie in irgendeiner Form auszuleben
und Befreiung zu erleben
denn jedes Denken an sie,
jedes Befassen mit ihr,
lähmt mich so sehr, dass ich des Handelns unfähig werde.
So stürzt mich die Angst
noch tiefer
in die dunklen Abgründe
und ich bleibe
GEFANGEN in ihr

Ladina, 8.November 1994
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Hart
°°°°

Noch gestern war ich voller Zuversicht
über den Sieg über die gefährliche Lungenmetastase
und heute muss ich erfahren,
dass die Schlacht noch lange nicht gewonnen ist.
Ich habe mich viel zu früh gefreut.
Wasser in der Lunge bedroht nun mein Leben,
gibt mir das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen,
verursacht mir blaue, zyanotische Lippen und diesen wirren Kopf.
Ein Pleuraerguss macht mir zusätzlich das Leben und das Atmen schwer
und ich habe wieder solche Schmerzen.
Es ist zum Verzweifeln!
Warum kann es nicht noch einmal gut werden?
Warum darf ich nicht einmal unbeschwert leben?
Warum nur, warum muss immer alles einen negativen Beigeschmack haben?
Dieses Wasser ertränkt alle meine soeben geschmiedeten Pläne.
Nichts geht mehr, mir fehlt die Kraft für alles,
unmöglich, weiter als 10m am Stück zu gehen,
jede Bewegung tut mir weh,
ich kann nicht schreiben, sogar Lesen strengt mich an
und erschöpft mich.
Es ist so unsäglich ermüdend, ich kann bald nicht mehr,
trotz diesem Wasser da drin fühle ich mich leer und hohl,
meine Haut ist irgendwie grau und fahl, die Augen sind matt
und das Wasser steigt nach der Punktion schon wieder an.
Ich sehne mich nach jemandem, der mich in die Arme nimmt,
und mich fortan schützt vor all diesen Qualen.
Doch es ist hart,
denn der Einzige, der das wirklich könnte, ist der Tod!

Ladina, November 1994
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Wo bleibt nur die Gerechtigkeit?
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Und die, deren Tod noch fern ist
versuchen ihn,
selber heranzuziehen:
sie rauchen,
sie saufen,
sie fixen
während ich zur gleichen Zeit
mit vielen Gleichaltrigen und noch jüngeren
mitten im Nirgendwo einer Krebsstation
dem Tod gegenüberstehe
und wie alle hier versuche,
jedem Tag ein Stückchen LEBEN abzuringen

Ladina, November 1994
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Manche bitten um Flügel
um der brutalen Wirklichkeit davonzufliegen.
Ich habe schon welche
und bitte einzig um die Kraft, jeden Tag ein kleines Stück
weiterzuschreiten auf meinem Besonderen Weg
und vielleicht ab und an mal eine Blume am Wegrand erblicken zu dürfen
und zu lernen, dass auch der qualvollste Weg
gesäumt ist von Schönheiten und Wundern,
die das Herz erfreuen und reich machen…

Ladina, November 1994
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Ich möchte…
°°°°°°°°°°°°

Nie so müd sein,
dass ich keinen Neuanfang mehr wage.
nie so wach sein,
dass ich Träumen nicht mehr glauben kann.
Nie so ausgebrannt sein,
dass nicht in der Asche doch noch ein kleines Fünkchen Hoffnung glüht,
nie so verzagt sein,
dass ich den Mut nicht mehr aufspüren kann.
Nie so verzweifelt sein,
dass kein Platz für neue Freuden ist,
nie so beschäftigt sein,
dass kein Raum mehr bleibt für mich.
Nie so betäubt sein,
dass ich das Leben nicht mehr spür,
nie so überzeugt sein,
dass ich Neues nicht mehr gelten lasse.
Nie so resigniert sein,
dass ich keinen Regenbogen mehr erkenne,
nie so abgeklärt sein,
dass mir nichts mehr klar werden könnte,
nie so abgebrüht sein,
dass mir die Gefühle anderer egal sind.

Und nie, nie so ungeduldig sein,
dass ich selbst in grosser Not nicht die Ausdauer hätte
auf einen kleinen Sonnenstrahl zu warten…

Ladina, November 1994
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Was ich fühle
°°°°°°°°°°°°°

In einem Zustand zwischen Leben und Tod
schwebt meine Seele gefährlich nahe am Abgrund;
ich kenne nicht mehr die Uhrzeit,
ich registriere nicht mehr, ob es Tag ist oder Nacht,
ich verspüre keine Hungergefühle
aber ich fühle es,
wenn warmes Blut in meinem Körper fliesst,
ich fühle es,
wenn die KG meine Beine und Arme bewegt,
ich fühle mein Herz schlagen und ich weiss, es gibt nicht auf,
ich fühle tief in mir Zuneigung für einen Menschen,
ich fühle seine Gegenwart und fange an zu sprechen,
immer das gleiche Wort: Mama
und ich fühle plötzlich eine Hand in der meinen.
Sie gibt mir Kraft und Halt.

Irgendwo auf dem Flur dieser Station
erklingt eine leise Pan-Flöten-Melodie,
sie weckt etwas auf in mir
und trägt meine Seele sanft ins Leben zurück.

Ich wache auf, ich bin allein,
halte meine eigene Hand fest umklammert
und mit ihr ein Stück Zukunft…

Neben mir auf dem Nachttisch liegt ein Couvert, darin ein lieber Brief
mit guten Wünschen eben dieses Menschen,
an den ich die vergangenen Tage so sehr dachte…
dessen blosse Existenz mir seit 4 Monaten neue Kraft zum Leben gibt…

…denn Lebenskraft entspringt doch immer wieder der Liebe zu anderen,
zu Menschen, Tieren, zur Natur oder einem Land.
Die Lebensfreude, die daraus wächst,
strahlt heller als Sterne in der Nacht,
ist wärmer als Sonnenlicht
und ihre Wurzeln reichen so tief,
wie sie nur bei starken Bäumen gründen.
Bei Lebensbäumen.

Ladina, Dezember 1994
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Auch wenn mein Raum hier, Glück zu empfinden,
ein ganzes Stück kleiner ist als Eurer,
es heisst nicht, dass ich weniger davon fühle…

Ladina, Intensivstation, 1.Januar 1995, 1.12h, (gewidmet an alle, die Neujahr "draussen" feiern können.)
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Spuren im Schnee
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Aufrecht habe ich am 22.Dezember 94 diese Klinik betreten
und jeder rechnete damit, dass ich sie am gleichen Tag noch,
genauso aufrecht wieder verlassen würde.
Sternumpunktion war angesagt, ein unangenehmes, doch in meinem Fall notwendiges Unterfangen, dessen Ergebnis ausschlaggebend ist für meine Zukunft.

Das Bett, auf dem ich vor der Untersuchung lag,
war ursprünglich nur als Zwischenstation gedacht,
sollte mir Entspannung bieten vor dem spannenden und schmerzhaften Eingriff,
doch es kam anders…

Was Klarheit bringen sollte
löschte beinahe mein Leben aus,
die folgenden Stunden waren von Schmerzen und Todesangst geprägt
Pneumothorax!! Lebensgefahr!!!
Eine abgerutschte Nadel führte zu Luft an falscher, unerwünschter Stelle,
legte die Lungenflügel lahm und raubte mir so den Atem.
Wie durch einen Nebelschleier nahm ich wahr,
wie man mich an Maschinen anschloss…

Vor Erschöpfung und Resignation liess ich mich fallen
und tauchte ab in eine Art Dämmerschlaf
Einiges nahm ich dennoch wahr…

Wenige glaubten, dass ich noch lebend das Spital verlasse,
man rechnete mit meinem Tod.
Ein Pfarrer kam und spendete mir die Krankensalbung
- ich nahm es im Halbschlaf wahr und bekam Angst,
ich sah mich plötzlich vor meinem inneren Auge,
so wie mich auch alle andern sahen,
in einem Sarg aus dem Haus getragen von 2 Männern.

Doch mein starkes Sportlerherz hörte nicht auf zu schlagen,
es schlug kräftig wie immer,
setzte trotz der enormen Belastung und künstlichem Koma
nicht einen Moment aus…

In einer Zeit, wo die Ohren nur noch nach innen lauschen
hören sich die eigenen Herztöne wie feierliche Paukenschläge an,
wie Musik des Triumphes
und die Bilder, die geschlossene Augen sehen
nehmen ob solcher Klänge andere Gestalt an,
sie werden bunt und bunter, erfüllt von Liebe, Glanz und Heiterkeit,
von Sehnsucht, Träumen und neuem Lebenswillen…

Am 31. Dez. 1994 nach 9 Tagen Dauerschlafen
habe ich meine Augen wieder aufgemacht
und blickte einer Realität entgegen, die den Namen LEBEN trägt.

Heute um 14.20h stand ich abmarschbereit an der Pforte
- fehl am Platze mit meinen Turnschuhen,
mit denen ich das Haus an einem warmen Sonnentag, dem 22.12. betrat
und nun wieder verlasse bei schneebedeckten Strassen
und tanzenden Flocken in der Luft-
und doch mit einem festen Platz im Leben!

So mancher steht am Fenster und schaut mir nach,
wie ich aufrecht das Klinikgelände verlasse,
so mancher sieht wohl die Spuren der leichten Turnschuhe,
zwischen denen robuster Winterstiefel
und denkt sich dann vielleicht fälschlicherweise, dass ich lebensmüde bin
ohne zu ahnen, dass mein Leben gerade erst wieder richtig begonnen hat.
So mancher Unbeteiligte schüttelt bei meinem Anblick den Kopf,
einige grinsen, weil ich öfter ausrutsche,
doch denen im Haus an den Fenstern hüpft das Herz vor Freude,
wenn sie sehen, wie ich da tatsächlich gehe, langsam zwar und etwas zittrig
aber ohne Krücken, ohne Sonde, ohne Schläuche…

Der Tanz der Schneeflocken überträgt sich auf mich
mein Herz ist leicht wie sie
und immer wieder drehe ich mich um,
betrachte fasziniert meine Fussspuren.

Auch wenn bald Schnee darüberfällt,
auch wenn alles eines Tages wegschmilzt,
die Spuren meiner Schritte in diesem Schnee
werden vielen für immer
in Erinnerung bleiben…

Ladina, Freitag, 13.01.1995, 17.06h
(gewidmet an alle, die irgendwie dazu beigetragen haben, dass es noch immer Spuren von mir gibt)

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Für Mirjam
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Hände,
noch vor einer Woche im Gebet gefaltet, flehend um Gnade
hoffend auf Heilung, entgegen aller düsteren Prognosen
berühren heute ein Stück Leben,
das dem Feuer der Schmerzen entrissen
und aus der Dunkelheit der Verzweiflung befreit worden ist
und nun dem Himmel entgegenstrebt.

Ohren,
noch vor einer Woche lauschend festlichen Orgelklängen
vernehmend das Wort Gottes, der sagt: "Hab Vertrauen,
du bist nicht allein, ich gehe den Weg mit dir!"
Wir, Deine Mutter und ich,
dankbar für die Kraft, die aus diesen Worten strömt,
getröstet und gleichsam gestärkt,
dürfen heute dein Lachen hören,
deine Stimme, die wieder sprudelt vor Glück.

Tränen,
einst aus Verzweiflung geweint,
verzauberte Gott durch dein und unser Gebet,
durch deinen unerschütterlichen Glauben
und durch sein helles Licht der Gnade
in Tropfen der Hoffnung.

Augen,
noch vor einer Woche von Dunkelheit umgeben,
die einzig durch den Schein der Kerzen
etwas von ihrer Bedrohlichkeit verlor,
erblicken heute den Glanz deiner Augen und deinen Mund,
der wirklich wieder lacht, nicht bloss tapfer hochgezogene Mundwinkel,
sondern echtes Strahlen,
das die Botschaft eines glücklichen Herzens weiterträgt.

ER,
der er ins Feuer greifen kann, ohne sich zu verletzen,
hat dein Leben aus Schmerzen und Leid geborgen
und schenkt es dir neu.
Durch den durchlittenen Schmerz und die durchgemachte Angst
hat es an Intensität gewonnen und wirkt strahlender noch als zuvor
auf dich und auch auf uns, die dich gern haben.
Wir alle sind erfüllt von tiefer Dankbarkeit,
in mir erklingt wieder die Melodie der Lebensfreude,
die gleichsam auch Lobgesang ist und den preist,
der deine Heilung möglich werden liess:

Ich danke Gott dafür, dass er dir geholfen hat.

Ladina, Februar 1995
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Für Annette
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Wenn nie ein Ende des Leidens sichtbar wird
und du dem Leben keine Freude mehr abgewinnen kannst,
dann wird dein Wille zu kämpfen irgendwann schwach.
Wenn immer neue Schicksalsschläge dich treffen,
du auf Hilfe anderer angewiesen bist
und die Schmerzen immer heftiger werden
dann bekommst du deine Ohnmacht besonders deutlich zu spüren.
Und jetzt ist der Moment gekommen,
wo du jeden weiteren Tag sinnlos findest,
wo du darüber nachdenkst, wie du dich davonstehlen, ja , wie du dich umbringen könntest, wie es am leichtesten ginge
doch,
du brauchst keine Hand an Dich zu legen,
dich nicht erschiessen, nicht vergiften, nicht erhängen.
Gib einfach innerlich auf
und dein Leben erlischt.

Ladina, Februar 1995
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Kein Mitleid bitte
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Viele, die wie ich eine schwere Krankheit oder eine Behinderung haben, sagen wie ich: "Ich möchte kein Mitleid"
doch was ist dieses Mitleid eigentlich,
warum ist es bei vielen nicht gefragt und ist doch immer wieder ein Thema.

Für mich heisst Mitleid,
ein Leben als belastend zu empfinden für sich als Mitmensch,
als auch für den Betroffenen selber.

Mitleid heisst,
einem Leben seinen Wert, seine Berechtigung und seine Würde abzusprechen, es als zweitrangig zu betrachten,
nichts Positives darin oder daran zu sehen.

Mitleid macht alles noch schwerer,
es hat zu jeder Zeit mit Kummer zu tun.

Mitleid haben die Leute nicht nur, wenn es mir schlecht geht,
sondern auch dann, wenn sie mich draussen sehen auf dem Fahrrad oder beim Einkaufen und sie denken: so jung und schon Krebs!

Mitleid bewirkt,
dass ich auch an glücklichen Tagen
immerzu an meine Krankheit erinnert werde, sie nie vergessen kann.
Aber auch, wenn es mir nicht gut geht, möchte ich kein Mitleid.
Ich wünsche mir dann, wie in guten Zeiten einfach Mitgefühl.

Mitgefühl kann trösten, aufmuntern, sich auch freuen mit mir.
Mitleid macht nur traurig.

Ich danke allen, die diesen feinen Unterschied bemerken und mir nicht mit Mitleid sondern echtem Mitgefühl begegnen.

Ladina, Februar 1995
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Wo Vertrauen wächst
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Vertrauen - Grundvoraussetzung jeder offenen menschlichen Beziehung
wächst nicht in jedem Garten.
Nur da, wo mit Gefühlen ehrlich umgegangen wird
kann sein Samen Wurzeln schlagen.

Vertrauen wächst,
wenn mir ein Arzt offen ins Gesicht blickt
und wenn er mir Schmerzen bereitet sagt: "Schrei es nur raus, schrei, ich würde das auch tun!"
Vertrauen wächst da, wo Einverständnis besteht.

Vertrauen wächst,
wenn ich jemanden neu kennen lerne
und er oder sie nicht zurückschreckt, wenn sie von meiner Krankheit erfahren, sondern offen Fragen stellt.
Vertrauen wächst da wo die Geborgenheit wohnt.

Vertrauen wächst,
wenn ich jemand anrufe und man es mir auch sagt,
wenn der Anruf ungelegen kommt und ich mich drauf verlassen kann,
dass man mich nicht aus falscher Rücksicht erduldet
sondern zu gelegener Zeit gerne mit mir zusammen ist.
Vertrauen wächst da, wo Offenheit regiert.

Immer dann, wenn Einverständnis, Geborgenheit und Offenheit siegen, wird das Vertrauen genährt und es kann stark werden

Ladina, Februar 1995
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Hat ein verzweifelter Kampf gegen den Krebs
die gleich guten Erfolgsaussichten wie ein mutiger,
oder ist er von vornherein zum Scheitern verurteilt?

Ladina, Februar 1995
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Beim Grübeln findest du nie raus
aus deinem tiefen seelischen Loch,
sondern du buddelst dich noch tiefer hinein

Ladina, Februar 1995
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Stark sein
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Während der Chemo
wenn ich erbrechen muss,
wenn meine Mundschleimhäute offen sind,
wenn mir die Haare ausfallen,
tapfer lächeln, stark sein,
immerzu stark sein - für andere.

Nach der Bestrahlung
wenn sich alles um mich dreht,
wenn ich kaum aufrecht stehen kann vor Übelkeit,
wenn die Beklemmung dieser Abteilung in mir weiter klingt
tapfer lächeln, stark sein - für andere.

Mir möglichst nichts anmerken lassen
mich selbst nicht so wichtig nehmen,
meine Gefühle ignorieren
immer tapfer lächeln, stark sein - für andere.

Stark sein nach aussen,
doch innerlich am Erlahmen.
Mit ausgebreiteten Flügeln scheinbar federleicht fliegen,
aber in Wirklichkeit starr sein vor Verkrampfung und Schmerz.
Ich bräuchte dringend einen Ort,
wo ich meine wahren Gefühle ausdrücken kann,
ein warmes Nest, wo ich mich rundum wohlfühle,
in das ich mich fallen lassen könnte für eine Weile
um neue Kraft zu schöpfen
und wieder stark zu werden
- für mich

Ladina, März 1995
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Verhindert
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- Eine Chemo beendet
Ausrechnen: bis zum Konzert bin ich sicher wieder fit.
Meine Schwester freut sich und wir planen,
doch als es soweit ist, hat mich ein grosser Infekt lahmgelegt
und ich kann nicht mit!
- Endlich wieder Haare,
das Geschwisterfoto für die Eltern scheint realisierbar.
Wir melden uns an,
doch dann, zwei Wochen vor dem Fototermin, kehrt der Krebs zurück,
wieder Chemo, wieder Glatze, es soll kein Perückenfoto geben.
Der Termin wird abgeblasen, wie schon 3 mal zuvor!
- Geburtstagsgeschenk meiner Schwester,
sie lädt mich in das Musical CATS ein
wir freuen uns Monate darauf,
doch dann Blastenkrise,
zuwenig Blut, zuwenig Abwehrzellen, zuwenig Sauerstoff
eine Bluttransfusion kurz vor dem Musical,
ich bin erschöpft, will aber unbedingt mit,
sitze mit Mundschutz im Publikum.
Ich kann es nicht richtig geniessen und meine Schwester auch nicht!
- Mit dem Fahrrad von St.Gallen nach Salem auf den Affenberg,
früher wäre das kein Problem gewesen, am wenigsten für mich,
doch nun mache ich schon vor Kreuzlingen schlapp
mit blauen Lippen falle ich vom Rad.
Wir müssen umkehren, schaffen es mit Müh und Not nach Hause
und weinen beide vor Verzweiflung!

Wen wundert es, dass meine Schwester sich
immer mehr von mir zurückzieht
und häufiger ohne mich plant und weggeht,
mit Freunden, die zuverlässig und gesund sind,
mit denen man wirklich Spass hat
und Traumziele erreichen kann.

Es tut mir weh,
auch sie immer mehr zu verlieren,
aber ich kann und will ihn nicht böse sein.
Sie will leben und es lustig haben
und das kann sie nicht mit mir,
weil ich ständig Hemmschuh bin
und es wohl immer bleiben werde

Ladina, März 1995
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10 Jahre Leben mit Krebs
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Lange ist es her,
seit ich zum 1.Mal seit der Neuerkrankung nach der Chemo kotzen musste
und dachte: das halte ich keine Stunde mehr aus.

Lange ist es her,
dass ich zur Simulation wieder auf die Bestrahlungsabteilung musste
und glaubte, die bedrückende Stille dort nie zu verkraften.

Lange ist es her,
seit ich in Remission kam
und jubelte vor Glück!

Lange ist es her,
seit Lungenmetastasen bei mir festgestellt wurden
und ich dachte: das ist das Ende

Lange ist es her,
seit ich am Gehirn operiert wurde
und der Eingriff gelang!

Lange ist es her
seit ich die Gehirnblutung hatte
und nichts mehr dachte, als zu sterben.

Lange ist es her,
seit das Spendermark anwuchs
und ich das Leben neu geschenkt bekam.

Lange ist es her,
seit der Krebs zurück kam
und mir weniger als 10% Chancen angerechnet wurden.

Es sind 10 JAHRE, wo ich mit all dem schon zurechtkomme
10 JAHRE Tränen, Einsamkeit, Verzweiflung und Schmerz
aber auch 10 JAHRE immer wieder Glück und tiefe Freude erleben dürfen.
Es sind 10 JAHRE - wer hätte das gedacht???

Ladina, April 1995
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Z'Herz vomana Vatter
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(gwidmat üsaram Fründ, am Mini Mack, alias Roman Bont)

Du fahrscht um d'Welt mit am Trottinett
Tuusigi vo Kilometer nur mit diner Muskelkraft.
Du kunnsch wundi Füass über,
Schwiele an dr Händ
und literwies rünnend Schweissperla vo diner Schtirn.
Aber du denksch nit dra, uufzgäh
Du machsch wieter und kämpfsch.
Du kämpfsch für üs,
wo mir üs iisetzad für chräbskranki Chind
im Privatläba, im Bruaf oder in dr Freiziet
und du kämpfsch vor allem
für di chrankna Chind selber und für ihri Familia
defür, dass sie no bessari Chance überchömid,
defür, dass i ihras Läba wieder Freud drichunnt.
Du müehsch di ab, organisiersch Konzert,
erfüllsch so mengem Chind en grossa Wunsch.
D'Press schriebt über dich unter anderem, dass du chinderlos bisch,
doch din Iisatz für fremdi Chind in aller Welt zeigt mir,
dass du äsjedes vo dene Chind so richtig gääre häscht,
wies eigentlich nur z'Herz vomana Vatter chan.
Z'Kämpfa, allne Widerständ zum Trotz,
sich nit vom Elend abwenda,
dr grenzelos Iisatz fürs Wohl vo da Chind,
selber z'lieda, för dass es am Chind mol wieder besser goht
das alles chan nur es Härz vomana Vatter, wo liebt.
Du bischt für mich nit chinderlos,
denn Dis Härz schloht für üsi Chind
wies eigentlich nur eins chan:
Z'Herz vomana Vatter!

Mir dankad Dir vo Härza för Din Iisatz

Ladina, Mai 1995
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Gefühle einer verwaisten Patin
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Wieder einmal sitze ich auf der Bank beim Spielplatz,
allein, denn Du mein kleiner Schatz bist nicht mehr hier.
Ich schaue den Kindern zu
wie sie fröhlich und ausgelassen herumtollen
und erinnere mich an die Zeit, in der du das auch noch konntest,
an die Zeit, bevor die Kinderkrebsstation
unser neues Zuhause wurde
und du diesen Spielplatz nie wieder in Gegenwart anderer Kinder
geniessen konntest,
wegen der Ansteckungsgefahr.
Wieder und wieder
durchlebe ich in meiner Erinnerung die Zeit,
in der du krank warst.
Eine unendlich schwere, aber auch eindrückliche Zeit.
Zeit der Leiden, des Hoffens - und trotz allem intensiv leben.
Die vielen Stunden
an denen ich an Deinem Bett sass,
dich zu trösten versuchte, die Spuckschale hielt, dir Geschichten erzählte.
Die vielen Versuche
ins Schattendasein Licht zu bringen.
Die vielen Kilometer,
die ich dich auf dem Tropfständer durch die Gänge schob,
wie du mich antriebst "Schneller Gotti, noch schneller!"
und diese Riesenfreude, wie sie nur kleine Kinder empfinden und zeigen können.

Ein Ball, der an mich prallt
reisst mich aus meiner Erinnerung in die Wirklichkeit zurück
und ich schaue wieder den Kindern zu,
die fröhlich sind und herumtollen.

Ein Stück von dir ist mit dabei…

Ladina (geschrieben für Anita Gabathuler, in Erinnerung an Pascal Brägger, 14.April 1991 - 8. September 1994)
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Verrückt!?
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Verrückt nannten mich die Leute
wenn ich ihnen erzählte
dass ich im Juni Fahrradferien in Irland mache.

Verrückt nannten mich die Schwestern
als ich im Spital anfing
das "Crazy Chicken" auf einen Pulli zu malen.

"Du betrügst dich selber", rügten sie mich,
wenn es ihnen endlich gelungen war
mich aus meinen Träumen in die Wirklichkeit zurück zu reissen.

"Es ist einfach unmöglich", das sagten fast alle.

Und doch sitze ich nun hier am Loop Head in Irland
und trotzdem fahre ich die Tour mit wie alle andern.

Und die Zweifler, die zu Hause auf mich warten
nennen es weiterhin verrückt.
Sie können es sich nicht erklären, wie das möglich ist,
denn sie glauben nicht an die Kraft der Träume

Ladina, Juni 1995
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CONNEMARA
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Still und einsam ist sie immer,
die Connemara,
ob nebelverhangen oder im Sonnenschein.
Karg scheint sie
und ohne Leben
und doch liegt in jedem Detail Bewegung
und Leben besonderer Weise verborgen.
Hochmoore und im Wind zitterndes Wollgras.
Glockenheide am Tümpelrand und gaukelnde Schmetterlinge.
Der Geruch von Torf und vorbei ziehende Wolken
das und noch viel mehr sind Zeugen dieses Lebens.
Grün-Braune Töne sind es
welche das Landschaftsbild prägen
und es doch keinen einzigen Moment
öde oder ausdruckslos erscheinen lassen.
Die Weite und Unberührtheit -
- man fühlt sich frei in der Connemara
und doch nimmt sie einen gefangen.
Unmerklich zuerst
aber auch wenn man es realisiert,
man lässt es zu,
man lässt es gerne zu,
denn es ist eine Gefangenschaft,
die weder einengt noch hemmt,
sondern die unsere Seele mit einer Erinnerung füllt,
die wir ein Leben lang nicht mehr vergessen möchten.

Ladina, 24. Juni 1995
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Dimensionen des Lebens
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In der brütenden Glut der Sonne
erinnere ich mich der vergangenen Tage,
an die Hektik auf dem Londoner Flughafen,
die ersten Eindrücke von der Gruppe,
vor allem aber derer der Landschaften, der Stimmungen Irlands.
Da war der blaue Himmel mit den Schäfchenwolken,
darunter unser Weg, wellig, steinig
oder auch für rasante Fahrten geschaffen.
Da waren bunte Blumen, satt grünes Gras,
zwitschernde Vögel, tanzende Schmetterlinge,
da waren Bäume, Hügel, Seen, Bäche und Steine,
kahl oder mit Moos bewachsen.
Da waren aber auch Regentropfen und stürmische Winde,
raschelnde Blätter und der Duft von Torf,
rostige Schiffe und von Freiheit singende Möven.
Da war das Spiel der Wellen,
das manchmal von Übermut,
doch manchmal auch von Wehmut erzählte.
Ich denke zurück wie wir lachten über die Spässe von Edi,
wie wir Abend ein hübsches Pub suchten,
wie wir oben beim Leuchtturm die Klippen bestaunten
und ich denke auch an die Musik im Pub von Lisdoonvarna,
die echte Lebensfreude weitertrug und verbreitete.
Ich denke an den Triumph derer, die den Pass erklommen
und die gleichsam grosse Erleichterung jener, denen es zu heiss war
und die sich darum freuten, Paul und den Bus in der Nähe zu haben.
Ich werde mich noch lange
an den vielen Eindrücken dieser Reise erfreuen,
dem Einklang zwischen satten und matten Farben,
dem kühlenden Wind, der strahlenden Sonne,
den Gegensätzen der verschiedenen Landschaften dieser Insel,
die trotzdem eine tiefe Harmonie ausstrahlt
- sowie an dem fantastischen Zusammenhalt unserer Gruppe.

Ich bin glücklich, dass ich hier sein durfte nach langen Krankenhausaufenthalt.
Ich habe meine Kraft wieder gespürt,
Düfte gerochen, Geräusche gehört, Wollgras gefühlt,
Farben und Formen gesehen.

Und in allem entdeckte ich immer wieder
Dimensionen des Lebens,
ja Dimensionen auch meines neu gewonnenen Lebens!

Ladina, 24.Juni 1995 (geschrieben beim Peacock-Center, dem Endpunkt unserer Baumeler-Irland-Velo-Reise)
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Hochgefühle oder Leben heisst, trotz Krebs mit dem Fahrrad Pässe fahren
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Wer hätte es mir wohl zugetraut,
dass ich jemals wieder Alpenpässe mit dem Fahrrad bewältigen kann,
dass ich auch den Aufstieg schaffe ohne vom Rad zu fallen.
Wer hätte es mir noch zugetraut, ausser mir?
Wer hätte nicht gezweifelt,
wer hätte nicht mit Sorge auf mich gewartet.
Doch ich habe es ganz allein geschafft,
niemand hat mich angestossen
oder auf halber Strecke aufpäppeln müssen.
Ich habe etwa 3 mal so lang gebraucht wie früher um die Lukmanierpasshöhe ,
etwa 5 mal so lange um die Oberalppasshöhe zu erreichen,
doch Zeit und Schnelligkeit zählt nicht mehr für mich.
Ich bin angekommen, allein und ohne fremde Hilfe,
habe diesen Kampf bestanden,
nehme viele wertvolle Eindrücke mit heim
und ich weiss nun und spüre es deutlich,
dass es auch ein Leben nach Krebs geben kann.
Ein Leben voller Freude und Vitalität, fast genauso wie vorher
oder sogar reicher,
weil man eine Art Weisheit entwickelt
und die Nebensächlichkeiten, die früher noch wichtig waren, nicht mehr sucht,
dafür die tatsächlichen Wunder in sich aufsaugt.
Es zählt nicht mehr, als Erste oben zu sein,
sondern überhaupt oben zu sein.
Es zählt nicht mehr die Medaille mit Prägung, die man auf dem Heimweg stolz um den Hals trägt,
sondern nur das, was sich in der Seele als unauslöschliche Erinnerung einprägt und was man im Herzen trägt.
Krebs bedeutet nicht das Ende aller Aktivitäten.
In guten Zeiten kann man trotzdem Spass am Leben haben.
Man kann sogar Pässe fahren.
Es geht vielleicht etwas länger als früher bis man oben ist
- aber es geht!

(Kräfte sichtbar werden lassen heisst, das Leben wieder in sich fühlen)

Ladina, August 1995
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Das Gute an der Erinnerung ist,
dass sie schöne Erlebnisse in sich birgt
und immer neu aufflackern lässt
gerade dann, wenn alle andern Lichter
ausgelöscht worden sind.

Ladina, August 1995
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Auferstehung
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Auferstehung ist es für mich
wenn ich nach langen Wochen des Gelähmtseins
wieder erste Schritte tun kann.
Auferstehung ist es für mich
wenn nach Monaten der Kahlheit
mein Haar wieder zu wachsen beginnt.
Auferstehung ist es für mich
wieder einen lieben Menschen in die Arme zu schliessen
nachdem ich lange kraftlos am Tropf hing.
Auferstehung ist es für mich
wieder selbst ein Danke aussprechen zu können
nachdem ich lange sprechunfähig war.
Auferstehung ist es für mich
wenn Mundgeschwüre heilen
und ich wieder einen Apfel essen kann.
Auferstehung ist es für mich
nach Wochen der Bettlägrigkeit
einen Regentropfen auf der Haut zu spüren.

Jedes Mal, wenn sich Schweres in Gutes wandelt,
immer, wenn ich das Leben in mir oder um mich wieder spüre,
dann ist das für mich, als ob ich auf ein Siegertreppchen steigen dürfte.
Dann möchte ich die ganze Welt umarmen,
alle anlachen,
die Freude über meine zurückgewonnene Normalität mit allen teilen,
die um mich sind.

Doch oft spüre ich, dass man mich nicht versteht,
mit dieser Glücksseligkeit über scheinbar "Selbstverständliches".

Ladina, August 1995


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Zuletzt geändert von Ladina am Mo 20 Mai 2019 17:18, insgesamt 6-mal geändert.


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