Auch im Tal blühen Blumen - Erfahrungsgedichte von Ladina


Moderations-Bereich
Ladina
Beiträge: 1652
Registriert: Do 4 Aug 2005 19:54
Wohnort: Kanton St.Gallen
Kontaktdaten:

Gedichte aus dem 3. Gedichteband

Beitragvon Ladina » Mo 28 Aug 2006 23:07

Gedichte aus meinem 3. Band: Wie eine Feder so leicht (1)

Wie eine Feder so leicht (Einleitung Band 3)
********************

Wenn ich Schmerzen habe
wenn ich verzweifelt bin
wenn ich mich verlassen fühle
überkommt mich manchmal die Sehnsucht
wie eine Feder so leicht
in den Himmel zu schweben,
doch gleichzeitig liebe ich das Leben
noch viel zu sehr.
Wenn Todesangst und Leere mich lähmt,
wenn ich immer die gleichen Gedankengänge machen muss
wenn ich wütend oder traurig bin,
aber auch, wenn ich etwas Schönes erlebe,
dann nehme ich ein Blatt Papier
und schreibe meine Gefühle auf.
So kämpfe ich an gegen die Angst,
so überstehe ich Schmerzen,
so halte ich Gedanken fest,
so beseitige ich Zweifel,
so verarbeite ich Wut oder Trauer.
so bewahre ich mir schöne Erinnerungen.
Ich kenne keine Tabuthemen mehr und schreibe,
schreibe einfach alles auf
um mich irgendwann nicht mehr leer,
jedoch befreit zu fühlen
und federleicht….

Ladina, Dez. 1995
----------------------------------------------------------------
Diagnose: Lebenslänglich
*********************

Mit Vergesslichkeit, Schwindel und Krämpfen hatte es angefangen,
damals 1979.
Der Kinderarzt merkte nicht, was los war, er schob es dem Stress in der Schule zu.
1980, es war Sommer, bin ich ohnmächtig geworden und im Krankenhaus wieder aufgewacht.
Viele Untersuchungen hatte ich hinter mir, bis endlich die Diagnose,
die schreckliche Wahrheit feststand: Gehirntumor.
Ich hatte Angst.
Angst zu sterben
Angst, den Verstand zu verlieren
Angst, mich irgendwann nicht mehr bewegen zu können.
Aber ich entschied mich, zu kämpfen.

Der Tumor, obwohl als gutartig eingestuft, machte nach der Operation ein Rezidiv.
Darum wurde nicht nur nochmals bestrahlt, sondern auch eine Chemo durchgeführt
und so vergingen mehrere Monate.
Mal schrumpfte der Tumor, dann wuchs er plötzlich wieder.
Noch immer hatte ich Krämpfe, ich war langsam und vergesslich
konnte vieles, was 12 Jahre alte Mädchen mögen, nicht mehr tun.
Aber ich kämpfte weiter, so gut es ging
um wieder gesund zu werden
um einmal wieder ganz normal leben zu können,
um wieder so intelligent, leistungsfähig und wendig wie früher zu werden.

Eine neue Operationsmethode wurde an mir ausgeführt.
Hoffnung auf lebenslange Heilung hatte nur ich, die Ärzte strebten , wie ich heute weiss, lediglich eine Verbesserung für meine Lebensqualität an.
Grosszügig saugten sie das kranke Gewebe ab,
bestrahlten den verbliebenen Rest um auch Mikroherde noch zu vernichten.
Dann hiess es hoffen und warten, wie sich alles entwickelte,
Die Ärzte rechneten aufgrund der Rückfallsneigung des Astrozytoms mit einem rezidiv in 1-2 Jahren.

Jedes Jahr zweimal war ich seitdem in der Kontrolle. Der Tumor kam bis heute nicht zurück.
Ein unerwarteter Erfolg.
Was blieb, sind die Krämpfe, die Langsamkeit und die „lange Leitung“.

„Das ist normal“, sagen die Ärzte, „keiner übersteht so etwas unbeschadet!“

Nie mehr werde ich so intelligent, leistungsfähig und wendig sein wie früher.
Ich werde mein Leben lang auf Invalidenrente angewiesen sein,
immer etwas doof bleiben.

Ich habe zwar meinen Gehirntumor besiegt,
aber für immer stehe ich
als Verliererin im Leben.

Ladina, Oktober 1995 (an so einem schlimmen Tag, wo mir meine Andersartigkeit von aussen so brutal mit Auslachen und Verspotten bewusst gemacht worden ist)
…………………………………………………………

Schicksalsgemeinschaft
********************

An einem Tag im März 1995
trafen wir uns zum ersten Mal:
Wir – ausgewählt, an einer Forschungsstudie teilzunehmen
wir – alle von der gleichen Krebsart betroffen
wir – jung und gleichermassen vom Tod bedroht.
Wir kamen zusammen und waren uns fremd.

Die folgenden Wochen erfuhren wir etwas mehr voneinander,
die Hobbies, die Schwächen, die Träume,
doch was uns am meisten verband, war unsere Krankheit, genauer unser Syndrom
Es hat uns zusammengeführt,
verband uns, bescherte uns bereichernde Kontakte
doch zugleich trennte es uns auch.

Ende Juli gingen wir zum vorerst letzten Mal auseinander
jeder zurück in seine Heimat.
Adressen wurden, entgegen der Ratschläge der Ärzte, ausgetauscht.
„Bis bald!“ ruft man beim Abschied
„Ich schreibe Dir sicher.“ „Wir telefonieren“
„Wir werden uns in Karlsruhe treffen!“
Hoffnung lebt in jedem von uns.
Jedem und jeder sind die ausgesprochenen Worte ernst.
Keiner denkt daran, sie nicht zu halten.

Und so trennten wir uns,
jeder mit dem Wunsch im Herzen,
bald voneinander zu hören,
bald selbst jemandem zu schreiben.

Doch bis heute bekam ich keinen Brief
und habe selbst noch keinen geschrieben.
Bis heute gab es kein Treffen in Karlsruhe,
bis heute rief mich niemand an
und auch ich telefonierte mit keinem.

Es ist nicht die Angst vor hohen Telefongebühren oder teuren Briefmarken
die uns abhält, unsere Versprechen einzuhalten.

Es ist nicht, dass man sich vergessen hätte.

Jeder von uns hat das tiefe Bedürfnis zu wissen,
wie es den andern geht.

Doch noch tiefer sitzt die Angst.
Angst, im Brief oder beim Anruf
vom Rückfall eines andern zu erfahren,
welcher auch für einen selbst immer einen Rückschlag bedeutet,
welcher das eigene Risiko, ebenfalls einen Rückfall zu erleiden, erhöht.

Angst, selbst bald ohne Hoffnung zu sein.

Und so schreiben wir uns keine Briefe,
wir telefonieren auch nicht
und treffen uns nie in Karlsruhe.

Wir werden uns erst im Dezember wieder sehen.
Wir werden dann
die Träume, die Schwächen, die Hobbies
der andern kennen
aber von dem,
was uns wirklich alle angeht,
und was uns am meisten verbindet,
werden wir wiederum genauso wenig wissen,
wie am allerersten Tag.

Ladina, Oktober 1995

(und wenn dann die eine oder der andere gar nicht mehr erscheint, wissen wir, dass unsere Angst begründet war)
-------------------------------------

Wochenlang spielte sich das Leben, nachdem ich mich so sehnte,
draussen ab
und ich war drinnen gefangen.
Heute,
spielt es sich wieder
draussen ab
und ich bin dabei!

Ladina, Ostern 1996

Todkrank sein
************

Todkrank sein heisst
plötzlich nicht mehr als Gesprächspartnerin angesprochen
sondern als Gesprächsthema besprochen zu werden.
Todkrank sein heisst
bei der kleinsten körperlichen Veränderung
an Metastasen zu denken.
Todkrank sein heisst
jeden Tag so intensiv zu geniessen als wäre es der letzte.
Todkrank sein heisst
Wissen und Hoffnung in sich zu vereinen
Todkrank sein heisst
beim Abendspaziergang Selbstgespräche zu führen
Todkrank sein heisst
erst recht das Bedürfnis zu haben, gepflegt auszusehen
Todkrank sein heisst
davon zu träumen, sich den grössten Wunsch noch zu erfüllen
Todkrank sein heisst
andern etwas von sich geben zu wollen
Todkrank sein heisst
oft isoliert zu sein
Todkrank sein heisst
sich an Kleinem zu erfreuen
Todkrank sein heisst
sich von der Natur trösten zu lassen
Todkrank sein heisst
ein Testament zu verfassen
Todkrank sein heisst
den Tag, an dem man angstfrei an den Tod denken kann mit Sehnsucht zu erwarten
Todkrank sein heisst
sich seine eigene Beerdigung vorzustellen
Todkrank sein heisst
seine letzten Wünsche zuverlässigen Leuten mitzuteilen.
Todkrank sein heisst
täglich auf ein Wundermittel zu hoffen
Todkrank sein heisst
jeden neuen Tag als Geschenk zu betrachten
Todkrank sein heisst
im Glauben zu reifen
Todkrank sein heisst
Schönes mit allen Sinnen in sich aufzunehmen
Todkrank sein heisst
Trost aus den Büchern von Kübler-Ross zu schöpfen
Todkrank sein heisst
an verstorbene Freunde zu denken

Todkrank sein heisst
TROTZ ALLEM
immer noch ganz Mensch sein
mit Gefühlen und Sehnsüchten
und zu LEBEN
bis zum letzten Atemzug

Ladina, Mai 1996

Solche Tage
***********

Endlich!
Zwei herrlich warme Frühlingstage sind angesagt,
die nur darauf zu warten scheinen,
von mir entdeckt und erlebt zu werden.
Und zum ersten Mal seit langem
kann ich ihre Einladung annehmen.
Mit dem Fahrrad ihnen entgegen radeln
und sie still geniessen.
Endlich!
Das sind die Tage, die ich so sehr brauche.
Tage, wo ich draussen sein kann
und mich wie andere bewegen kann
Tage, wo ich die Sonne sehen und auf der Haut spüren darf
Tage, in denen jede Stunde doppelt zählt
Tage, die selten und gerade deshalb unendlich kostbar sind.
Aber gerade an solchen Tagen
wo ich mich in der Therapiepause endlich wieder wohlfühle
und so normal leben kann,
wie es während der Behandlung niemals möglich ist,
da kommen mir auch Zweifel,
da tauchen Fragen auf, ob ich wirklich den richtigen Weg gehe,
ob es sinnvoll ist, diese Therapie durchzuziehen
in der Hoffnung auf eine gute Zeit,
die aber dennoch überhaupt nicht gewährleistet ist
oder ob ich aufhören soll
und einfach bis zum Ende
therapiefreie, schöne Tage geniessen will
so wie heute.

Irgendwie wäre das schön

Ladina, März 1997
-------------------------------------------------------------

Ich allein
********

Jeden Tag muss ich,
ob ich will oder nicht
meinen Körper fremden Menschen überlassen
ihnen Einsicht in jedes meiner Organe gewähren
doch wem ich meine Seele öffne
das bestimme ich,
ich ganz allein!

Ladina, Dez. 1995
-------------------------------------------------------------------

Nur Erinnerung
**************

Schon wieder muss ich ein Stück Lebensraum
an die Krankheit abtreten,
meine Anwesenheit draussen schwindet mehr und mehr.
Nur in Gedanken noch
kann ich mich frei bewegen,
kann ich weiter gehen als nur die paar Schritte zum Fenster,
kann ich mehr entdecken,
als das vertraute Bild der nahen Umgebung.
Erst ein Jahr ist es her,
seit ich meine Freundin Inge in Deutschland besuchen konnte.
Bald ist es ein Jahr,
seit ich um den Westarm des Luganersees radelte
oder ich das Jungfraupanorama bei schönstem Wetter genoss.
Alles in mir wünscht sich nichts sehnlicher
als noch viele solcher herrlicher Tage und Stunden geniessen zu dürfen.
Doch das Leben wohnt draussen
unerreichbar für mich.

Was bleibt
ist nur Erinnerung.

Ladina, März 1997
Zuletzt geändert von Ladina am Mo 20 Mai 2019 16:51, insgesamt 9-mal geändert.

Ladina
Beiträge: 1652
Registriert: Do 4 Aug 2005 19:54
Wohnort: Kanton St.Gallen
Kontaktdaten:

Gedichte aus dem 3. Gedichteband

Beitragvon Ladina » Fr 10 Nov 2006 9:48

WICHTIG, bitte beachten:
Meine im Krebsforum.ch verfassten und veröffentlichten Beiträge, Bilder und Gedichte unterliegen dem Urheberrecht
und dürfen in anderen Foren, oder HP’s nicht ohne meine persönliche Zustimmung kopiert oder veröffentlicht werden. .

Gedichte aus meinem 3. Band: Wie eine Feder so leicht (1)


Kranker, weisser Vogel
*******************

Kranker, weisser Vogel
du wähntest dich einen Sommer lang gesund,
bist frei geflogen, wohin es dich trieb
hast Traumziele erreicht.
Doch die unbeschwerte Zeit ist vorbei
kranker, weisser Vogel
wieder hat Deine Krankheit
und damit der Tod
die Hände nach Dir ausgestreckt.
Der blaue, lichte Himmel des Sommers ist düster geworden.
Du schwebst in Gefahr, dein Leben ist wieder bedroht.

Vor dir liegt eine andere Welt
Du weißt um die Unbeschwertheit dort,
du weißt um das Licht, die Wärme, die klare Luft.
Du weißt, dass du dort für immer gesund sein würdest.

Aber ich sehe Dir an,
dass Du nicht wirklich dort hin willst,
noch nicht!
Du schwebst zwar in die Richtung
aber dich zieht es mit aller Kraft auf die Erde zurück.
Dort sind die Menschen, die du liebst
und die Landschaften,
in denen du dich, auch wenn du krank bist,
gesund und glücklich fühlst.
Zu ihnen möchtest Du zurück.

Mit goldenen Bändern sind zwei Gewichte
an deinen Füssen festgebunden,
sie wirken klein und unscheinbar,
machtlos und mickrig
aber sie wiegen schwerer und sind viel stärker
als die meisten glauben.

Kranker, weisser Vogel
hab keine Angst
solange du kämpfst
kann alles möglich werden

Ladina, Dezember 1995

Kranker weisser Vogel neu (Andere).JPG
Kranker weisser Vogel neu (Andere).JPG (31.3 KiB) 5658 mal betrachtet
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Prioritätenwechsel
°°°°°°°°°°°°°°°°°

Ein Chemotag,
doch er ist wie geschaffen für dich
trocken, hell, aber nicht so heiss
und du fühlst dich gut genug um etwas Schönes zu unternehmen.
Es wäre dein Chemotag,
doch seit deine Chancen zu siegen noch tiefer gesunken sind,
bist du diesem Tag nicht mehr widerspruchslos verpflichtet.
Du hast dir die Freiheit geben lassen, abzusagen,
endlich kannst du ohne schlechtes Gewissen
von deinem Recht Gebrauch machen,
Nein zu sagen.
Und obwohl es rein äusserlich so aussieht,
als würdest du dich mit dieser Liederlichkeit
dem Tod förmlich in die Hände spielen
fühlst du dich seltsamerweise nicht von ihm bedroht,
weil für dich an solchen Tagen nur noch die freudigen Empfindungen
wichtig sind.
Du setzt die Prioritäten anders,
weil du weißt, dass die Krankheit ihren Lauf nimmt,
ganz egal, was du noch unternimmst.

Es gilt nun im Grunde nicht mehr
die Krankheit zu besiegen
sondern das Leben zu gewinnen

Ladina, Dezember 1996 (nach einem Gespräch mit Regula Trütsch)
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Ich allein
********

Es ist dunkel um mich
meine Augen sind zugeschwollen
und ich liege im Bett in Quarantäne,
warte auf die Injektion.
In der Dunkelheit werden Geräusche
zu einer wichtigen Orientierungsquelle ¬
Ich höre geschäftiges Treiben auf dem Gang meiner Einheit,
Stimmen,
das Klappern von Birkenstock-Sandalen,
Klirren,
Brechgeräusche aus dem Zimmer von Kathrin.

Mitten in der Konzentration auf die unterschiedlichen Töne
fühle ich, wie etwas Warmes aus meinen Katheter fliesst und verklebt.
Das kann nur Blut sein!
Ich klingle - schon ist eine Schwester da.
"Oh Gott, oh Gott!" ruft sie und vergisst,
dass dies mich, die ich nichts sehen kann, in Panik versetzt.
Sie holt Verstärkung
und schon bin ich auf einem Schragen,
flüchtig zugedeckt,
und sie eilen mit mir fort.
Es ist hart, ungemütlich und kalt.

Kurz darauf nehme ich einen roten Schein
durch die verschwollenen Lider wahr.
Der Arzt, bei dem ich jetzt bin, sieht offenbar auch Rot.
Massenhaft quillt Blut aus meinem Katheter.
Der Arzt redet behutsam auf mich ein,
erklärt mir, was er tun wird,
beruhigt mich, er habe das im Griff.
Er hat Zeit, obwohl es Sonntag ist.
Es gelingt ihm, die Blutung zu stillen
und ich werde wieder zurück auf die Station gefahren.

Leider hält der Erfolg nicht lange hin,
durch die Erschütterung auf dem Schragen
oder weiss nicht wieso,
beginnt die Blutung erneut.
Also rechtsumkehrt und wieder zurück.
Diesmal reagiert der Doktor sauer
"Was, schon wieder die?"
Er beschimpft die beiden Schwestern als unfähige Leute.
Gröber als vorhin hantiert er an meinem Bauch herum,
ich schlottere vor Kälte und er knurrt mich an:
"Halten Sie doch bitte still, ja! Sonst komme ich hier vor Mitternacht nicht mehr raus!"
Ohne Vorwarnung sticht er mit einer, wie mir vorkommt, groben Nadel
wenig oberhalb des Katheters etwas ein.
"So fertig, jetzt machen Sie aber keine Dummheiten mehr!"
mit diesen Worten verabschiedet er mich,
oder meint er damit die Schwester?

Wenig später folgt meine Injektion.
Brechreiz setzt unmittelbar danach ein.
Meine Brechschale ist nicht am gewohnten Platz.
Ich kann sie nicht finden!
Sie müssen sie wegen dem Notfalltransport weggestellt haben,
es bleibt mir keine Zeit zu klingeln,
ich werfe mich auf die Seite und schon kommt es mir hoch.
Eine Schwester hört das Geräusch,
sieht nach und entdeckt die Bescherung
"Wo haben Sie denn Ihre Brechschale?" ruft sie
und als ich nur die Schulter leicht zucke, faucht sie:
"Also Mädchen, so geht das wirklich nicht.
Schwester Mary bringt einen neuen Übelkübel
und sagt der andern, dass es gar nicht meine Schuld ist.

Einen Tag später,
Verlegung in eine andere Klinik
Dort sind sie spezialisiert auf die Behandlung meines Tumors
Ich werde gleich dem Chefarzt vorgestellt:
"Voilà, das Rhabdomyosarkom LIM, ABD, Stadium IV ist da!"
Es ist schrecklich, mit solchen Worten angemeldet zu werden,
wissen die das denn nicht?

Er fängt an mich zu betasten,
er schaut sich den Geräuschen nach meine Bilder von MRI und CT an,
er blättert in meiner Akte.
"Da fragt man sich, wer zäher ist, der Tumor oder die Patientin"
höre ich ihn sagen
und eine andere Stimme sagt: "Wenn ich sie nicht sähe, tät ich das nicht glauben."
Erst da wird mir bewusst, dass 2 Personen mit mir im Raum sind!
Wer ist der andere. Warum ist er dabei?
Ich erfahre es nicht.
Ohne je bei meinem richtigen Namen genannt worden zu sein,
werde ich verabschiedet.

Zurück auf meiner alten Station
erwartet mich eine Überraschung.
"Sie haben Post!" ruft mir Sr. Helen zu, "soll ich Ihnen vorlesen?"
Sie liest mir die Karte von Therese vor
und drückt mir danach ein Päckchen in die Hand.
Die erste Kassette ist angekommen!
Sie ist von Inge!
Nichts hält mich mehr
und ich höre sie mir an.
Sie ist wunderschön.
Inges Stimme tut mir gut,
was sie erzählt, macht mich froh.
Die erste Freude an diesem schweren Tag
und doch,
jetzt erst schiessen mir Tränen in die Augen,
ich höre die Kassette mit den tröstenden Worten
und den Geschichten
und weine dabei, so sehr, wie schon lange nicht mehr.
Tränen der Rührung, sind es, die da fliessen,
Tränen der Freude,
weil mich hier jemand bei meinem Namen oder dem
liebevollen Übernamen nennt,
Tränen, weil sich hier jemand meiner Verletzlichkeit bewusst ist,
und nicht, wie so viele, auf meiner Seele herum trampelt,
sondern sich ihrer behutsam annimmt.
Tränen der Sehnsucht nach Barbara und Inge und Therese, überhaupt nach der Schweiz.

Plötzlich berührt mich jemand am Arm,
ich erschrecke, stelle den Walkman ab
und höre eine fremde Stimme, die sagt:
"Ich bin die Psychologin hier, erzählen Sie mir,
was Sie so zum Weinen bringt!"
Ich bleibe stumm, wende mich zur Seite,
aber sie versteht nichts und drängt weiter, bohrt weiter.
Ich schüttle den Kopf: "nein, das erzähle ich nicht jedem!"
Sie will es nicht akzeptieren, dass ich meine
eigenen Vertrauenspersonen habe
und drängt weiter: "Erzählen Sie es mir doch, bitte!"
Doch es bleibt dabei. "Nein", sage ich
und endlich geht sie,
bitter enttäuscht von mir,
weg.

Jeden Tag muss ich,
ob ich will oder nicht
meinen Körper fremden Menschen überlassen
ihnen Einblick in jedes meiner Organe gewähren,
doch wem ich meine Seele öffne,
das bestimme ich,
ich ganz allein!

Ladina, Dezember 1995
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Blumen in der Dunkelheit
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Verloren fühle ich mich in meinem Lebensmeer,
beraubt meiner Kraft
zu wenden
zu fliehen
zum blossen Dahintreiben gezwungen
hin und her gerissen in den stürmischen Wassern
dem Kentern
dem Untergehen nah.

Über meinem Abgrund
zum Greifen nah
befindet sich der Himmel.
Schwarz und bedrohlich ist er,
wie die Trauer, die Verzweiflung in mir.

Doch da funkeln auch Sterne,
die werfen ein friedliches Licht auf mich.
Und da sind Menschen,
die streuen schon jetzt
Blumen für mich
und nicht erst an meinem Grab.

Blumen, die auf Steine fallen
machen sie weicher
und Blumen am stockdunklen Himmel
wirken bunter noch, als sie es sonst wirklich sind.
Sie machen die Nacht erträglicher,
sie trösten mich in meinem Schmerz,
sie geben mir Zuversicht und Kraft
sie erhalten mich am Leben!

Tröstende Worte sind wie Blumen in der Dunkelheit.

Ich danke Euch!

Ladina, Dezember 1995
Blumen in der Dunkelheit neu (Andere).JPG
Blumen in der Dunkelheit neu (Andere).JPG (25.04 KiB) 5658 mal betrachtet
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Erinnerungen an meinen Freund
***************************

Ist es Zufall,
dass wir uns unter einer Trauerweide zum ersten Mal trafen?
Wir,
zwei vom Schicksal zusammengeführt
wir,
zwei junge Leute, die gegen den Killer Krebs kämpften
jeder für sich
doch nun auch irgendwie gemeinsam.
Unser Lebenswille,
stark wie dieser mächtige Baum,
doch in uns oft auch Trauer über unsere Machtlosigkeit.
Von nun an lief nichts mehr ohne den andern,
wir waren immer zusammen
im Spital und in den Therapiepausen daheim.
Oft trafen wir uns unter der Trauerweide.
Sie war schon vorher unser beider Lieblingsbaum
und unser Symbol.
Wir verbrachten ein wundervolles Jahr,
wir verlobten uns und wollten heiraten.
Doch am 10.Oktober 1990.
hat Dich mir Dein Krebs für immer genommen.
Uns war keine gemeinsame Zukunft vergönnt.

Oft sitze ich jetzt allein
unter unserem Baum,
dort fühle ich mich Dir noch immer so nah
und wenn der laue Herbstwind
mich sanft umbläst,
denke ich noch heute,
dass Du es bist, der mich streichelt.

Ladina, Dezember 1995
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Im See
°°°°°°°

Dort,
wo im Sommer die Enten schwimmen,
die wir so häufig besuchten und fütterten
dort bis du jetzt auch.
Dort,
wo die Menschen glücklich sind,
wo Schiffe fahren, wo Fische leben, wo Wellen spielen
und kleine Kinder Steine hineinwerfen,
dort hat man deine Asche hingebracht.
Du wolltest nah am Leben bleiben auch im Tod,
du wolltest weiter kommen,
wolltest dich zwischen den Ufern bewegen,
wolltest tanzen im Wind,
wolltest mit den Möven singen und lachen
wolltest übermütig sein und mit den Gestirnen in Verbindung bleiben.
Was durch den Tod auf deinen Lippen erstarb
und dir im Leben verwehrt worden ist,
holst du dir jetzt zurück
und du lädst uns ein, es dir gleichzutun.
Es ist schön, an diesen See kommen zu können
und dir zu begegnen,
in den Erinnerungen an gemeinsam erlebte Tage hier
und an unsere Nacht auf dem Wasser im Segelboot,
wo du auf dem Saxophon über 2 Stunden das Stück "Sailing" spieltest.
Es ist schön und tröstlich zu wissen,
dass du auch nach dem Tod wieder dorthin wolltest,
wo du am liebsten warst
und wo wir zwei unsere schönsten Tage verbrachten…

Ladina, Dezember 1995
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Zwischen Grenzen
***************

Seit es mich gibt,
bewege ich mich immer zwischen Grenzen
schon bei meiner Geburt
schwebte ich zwischen Leben und Tod
und egal, nach welcher Seite ich mich orientiere,
scheine ich doch vielen fehl am Platze zu sein,
wie ein Tagfalter,
der dem Mond entgegenfliegt
und keine Blume mit süssem Nektar findet,
weil sie doch nachts alle verschlossen sind,
sich aber seelisch nährt am Licht des Mondes.
Ich bin jung und sehr krank
einige sagen, sie ist zu jung zum Sterben
und andere sagen, sie ist zu krank zum Leben.
Ich selbst bin eine Kämpferin geblieben
zwischen den Fronten des Lebens und der Menschen,
des Ja und des Neins,
des Fragezeichens und der eindeutigen Antwort.
Die Krankheit setzt mir immer neue Grenzen,
verschiebt sie je nach Lust und Laune,
doch dazwischen bleiben Möglichkeiten
zum Leben
zum Glücklichsein
und zum Geniessen.
Die nutze ich, solange ich noch Kraft in mir spür.

Ladina, (zu einem Bild)


°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Swim Home
**********

Siehst du die blauschimmernde Perle dort
wie sie in einem Blatt geborgen
ganz leise von hier weg schwimmt?
Menschen hatten sie in Gold gefasst
um sie wertvoller erscheinen zu lassen
aber damit ist ihre Reinheit und Schönheit verfälscht worden.
So eingezwängt hat sie sich nie wohl gefühlt,
doch erst jetzt, wo ihre Zeit um ist,
zerspringt die Fassung und sie ist wieder frei.
Perlen und Menschenseelen halten es genau gleich:
Wenn ihre Zeit vorbei ist, lassen sie ihre Umhüllung zurück
und ursprünglich, wie sie einst gekommen sind
schwimmen sie dorthin zurück,
wo sie erschaffen wurden…

Ladina, (zu einem Bild)
****************************************************
Zuflucht im Licht
°°°°°°°°°°°°°°°°

Immer wieder muss der Seelenvogel Vertrautes hergeben
immer wieder wird er erschreckt und verscheucht
immer wieder verliert er seine Heimat
immer wieder werden die Überlebensräume seiner Träume zerstört.
ABER solange er noch einen Ort kennt,
an dem er Geborgenheit erfährt,
an dem es Wärme, Licht und Freude gibt für ihn,
SOLANGE stirbt die Hoffnung nicht,
solange gibt es Halt für ihn,
solange werden neue Träume geboren
solange ist Zukunft kein leeres Wort.

Solange er auch nur einen einzigen solchen Ort kennt
solange ist ihm neues, tiefes Glück gewiss.

Ladina (Zu einem Bild)
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Kein Wundermittel auf der Welt
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

"Es gibt nichts mehr was wir für Dich tun können!"
Alle von uns fürchten wir diesen schrecklichen Satz,
der manchem von unseren Freunden schon gesagt wurde.
Heute hast du diese Nachricht erhalten,
lange erahnt und doch unvorbereitet
wie ein Schlag ins Gesicht traf sie dich.
"Es gibt nichts mehr, was gegen den Tumor noch wirksam ist"
Ein Satz, leise gesagt und doch voller Ausrufezeichen.
Du fühlst dich wie betäubt und irgendwo schon tot,
haltlos, als hätte man dir den Boden unter den Füssen
weggezogen,
fällst Du in ein unendlich tiefes Loch der Verzweiflung.
Der Arzt verspricht dir, dass Du nicht leiden musst
und verschreibt dir Morphin gegen die Schmerzen,
die ungehemmt wuchernde Krebstumore verursachen.
Doch Leiden hat viele Gesichter.
Nicht nur Schmerz ist Leiden.
Wohin mit Deinen Ängsten, deiner Traurigkeit,
deiner Verzweiflung und den bohrenden Fragen,
die keiner beantworten kann???
Sie sind oft noch quälender als Schmerzen oder verstärken diese.
Kein Wundermittel der Welt kann sie einfach wegzaubern.
Sie begleiten dich auf diesem letzten Wegstück
und du kannst dir nicht vorstellen,
dass sie jemals aufhören werden
sich an dich zu klammern.

Ladina, (für Astrid) März 1996
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Ich au
°°°°°°

Sie isch im 92gi chrank worde
ich au
sie hät es Rhabdomyosarkom
ich au
sie hät mengi Chemo und viel Bestrahlige müesse erträga
ich au
sie hät versuecht, normal wieter z'läba
ich au
sie hät vill dr Moralisch gha, aber au glücklichi Ziete erläbt
ich au
sie isch in Remission cho
ich au
sie hät gjublet und gmeint, sie segi jetzt gsund
ich au
aber zmol hät sie en neue Buggel gspürt
ich au
sie hät müesse erfahre, dass dr Chräbs wieder do isch
ich au
sie hät dr Kampf nomol uufgnoh
ich au
wieder Chemo und Bestrahlige duregmacht
ich au
S'hät nüt meh gnützt,
sie mues bald schtärba

ich au?

Ladina, März 1996


Ich auch?
°°°°°°°°°

Sie ist anno 1992 erkrankt
ich auch
sie hat ein Rhabdomyosarkom
ich auch
sie hat Chemotherapien und Bestrahlungen hinter sich
ich auch
sie versuchte, normal weiter zu leben
ich auch
sie war oft deprimiert, hat aber auch schöne Zeiten erlebt
ich auch
sie kam in Remission,
ich auch
sie hat gejubelt und dachte, sie sei gesund
ich auch
aber dann entdeckte sie einen neuen Knubbel
ich auch
sie erfuhr, dass der Krebs wieder da ist
ich auch
sie nahm den Kampf nochmals auf
ich auch
sie machte noch eine stärkere Chemo und wieder Bestrahlung durch
ich auch
Es hat nichts genutzt,
sie wird bald sterben

ich auch?

Ladina, März 1996
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Kleines Licht in der Dunkelheit
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Meine Ferien im so sehr geliebten Irland,
monatelang mit Freude erwartet,
hart dafür gekämpft und scheinbar gesiegt.
Unverhofft neue Beschwerden.
Nur ein kurzes Tasten,
ein ernster Blick des Arztes
ein Wort: "AUS!"
ein stilles Kopfschütteln, das laut zu schreien scheint:
"Vergiss es, du kannst so nicht fort!"
Vorbei der Traum von Ferien,
von Erholung,
einem Hauch von sich gesund fühlen.
Vom eigenen Körper verraten,
schon wieder, immer wieder
ohne Rücksicht auf meine Gefühle.
Ein Mund, der tröstend spricht:
"Vielleicht ein andermal"
aber Augen, die verstohlen flüstern:
"doch wahrscheinlich nie wieder…"

Fassungslos sein, explodieren,
meine Selbstbeherrschung verlieren,
vor mir selber erschrecken,
mich selbst nicht mehr kennen
mir fremd sein und doch
die Gefühle in mir spüren
und wissen, sie gehören zu mir.

Den Satz nicht hören wollen,
mit dem ich mich sonst selbst oft tröste:
"Es hat alles seinen Sinn"
Den Arzt, der dies sagt, anschreien: "dann sagen Sie mir diesen gottverdammten Sinn. Ich will ihn wissen. SOFORT!"

Betretene, betroffene Gesichter,
beschwichtigende Worte
"So beruhigen Sie sich doch."

Nein!!!
Mich nicht beruhigen können
Ausser mir sein
um mich schlagen.
Niemand von denen an mich heran lassen.
Es einfach nicht verstehen!!!
Warum? WARUM???!
Wütend sein auf meinen Körper,
der diese Krankheit einlässt,
zu schwach ist, sie zu besiegen.

Flehende Worte meines verzweifelten Arztes,
der mich noch nie so erlebt hat
"Versteh doch, es geht nicht!"

Es vom Verstand her längst begriffen haben,
die Hoffnung loslassen, der Verzweiflung Platz machen,
mich äusserlich beruhigen,
zusammensinken wie ein Kartenhaus.
Innerlich vor einem Scherbenhaufen stehen,
fast draufgehen vor seelischem Schmerz.

"Schlafen Sie drüber, morgen ist es nur noch halb so schlimm!"
Worte von Menschen, die keine Ahnung haben.

Überhaupt nicht schlafen können.
Es vielleicht gar nicht wollen.
Zu kostbar ist die Zeit.
Grübeln. Wie weiter?
Immer wieder die Frage: Warum?
Selbstmitleid.
Endlich Tränen.
Fast ersticken beim Weinen,
den Kopf unter dem Kissen vergraben,
bis die Luft knapp wird,
die Seele nahe dran, sich am Körper zu rächen.
Nahe dran, für einmal den Körper zu verraten.
Das erste und letzte Mal,
doch die Kraft dazu fehlt.

Dann ein kurzer, lichter Gedanke
inmitten dieser Dunkelheit,
an einen Menschen, an ein Land, an den Sommer,
das Kissen wegwerfen
mich aufbäumen mit meiner Seele, meinem Körper, meinem Geist
wieder Kraft spüren
Lebenskraft
Kraft zum Kämpfen.

Noch einmal, aber intensiver denn je, LEBEN wollen

Ladina, Mai 1996
*************************************************
Rückfall
°°°°°°°°

Wieder zurück geworfen
in die Abgründe des Lebens.
Wieder gefangen
in der Dunkelheit,
ohne Möglichkeit zu entkommen.
Wieder dazu verdammt
im Tunnel der Angst, des Schmerzes und der Verzweiflung
eine lange Zeit zu verharren,
allein, ohne jemanden, der mir meine inneren Wunden pflegt.
Was bleibt
ist die Erinnerung
an ein kurzes Stück Weg im Sonnenschein.
Was bleibt
ist der Traum
dass es irgendwann wieder so schön werden wird.

Was bleiben muss
ist HOFFNUNG

Ladina, Mai 1996
***************************************************
Durch die Maschen deines Gefängnisses
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Du warst jung, fühltest dich leicht wie ein bunter Schmetterling
und erreichtest jede Blume,
bis du plötzlich ins Netz der Krankheit gerietst.
Jede deiner Bewegungen wird jetzt von ihr bestimmt.
Alles scheint dir schwarz und bedrohlich,
du fühlst dich ausgeliefert und allein.
Doch schau!
Durch die Maschen deines Gefängnisses
siehst du noch immer die Farben des Lebens.
Erst empfindest du es noch als ungerecht,
die Schönheit bisweilen nur aus der Distanz betrachten zu können,
aber bald wirst du dich freuen, dass du sie sehen kannst.
Wenn alles so grau und schmerzlich ist,
mach deine Augen zu
und flieg in deinen Träumen über bunte Blumenwiesen.
Bewahr sie dir,
die Erinnerung an das Schöne
und die Blicke über dein Gefängnis hinweg hinaus in die Freiheit.

Sie werden dir Kraft zum Kämpfen geben!

Ladina, August 1996 (zu einem Bild)
Durch die Maschen deines Gefängnisses (2) (Andere).JPG
Durch die Maschen deines Gefängnisses (2) (Andere).JPG (55.73 KiB) 5660 mal betrachtet
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Nahrung für die Seele
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Heute ist wieder Transfusionstag.
Körperlich am Nullpunkt, seelisch weit darunter
so steige ich ins Taxi, das mich ins Spital bringt
und ich frage mich, wie lange ich das alles noch aushalten kann.
Mit dem Rollstuhl werde ich in mein Zimmer geschoben
wo ich mich erschöpft aufs Bett lege.
Frage nach meinem Befinden,
Hantieren an den Schläuchen,
die obligatorische Blutentnahme für die Blutgruppenkontrolle + den Quick,
der sowieso katastrophal ausfallen wird.
Dann endlich der Beutel mit dem kostbaren Saft.

Umgeben von steriler Leblosigkeit
so liege ich da - stundenlang,
während das Spenderblut in meinen Körper gelangt.
Alles was mich umgibt, ist weiss, kalt oder durchsichtig,
kaum jemand spricht mit mir,
es ist alles schon gesagt worden.

Dann ist die Konserve leer, Schläuche abhängen, desinfizieren,
steril verpacken, gut fixieren an meinem Bauch.
Termin für die nächste Kontrolle,
noch 2 Stunden ruhen und dann bin ich entlassen.

Der Körper wieder fit, doch die Seele noch immer so müde,
so verlasse ich das Spital.

Es ist höchste Zeit zum Mittagessen,
aber ich habe ganz andern Hunger.
Mich zieht es hinaus in die Natur
wie immer nach der Transfusion.

Ich gehe spazieren, ob bei Sonne oder Regen.
Ich brauche das.
Hautnahe Begegnungen mit der Natur sind es,
die meine Seele wieder munter machen.
Düfte, Blumen, Farben, Berge und Wasser,
Sonne oder Regentropfen - ich geniesse jeden Augenblick
und sauge alles in mich auf.
Das Zwitschern der Vögel lässt meine Seele tanzen,
der Duft von frischem Heu erfüllt sie mit Leichtigkeit,
die Farben einer Blumenwiese machen ihr Dasein wieder bunt,
die Berge wecken Sehnsucht, ihre Gipfel zu erreichen,
das Wasser ist Sinnbild für das Leben überhaupt,
die Stille lässt mich meinen Herzschlag spüren
und erfüllt mich mit einem Gefühl von Triumph.

Ein Spaziergang in der Natur macht meine Seele stark
für die kommenden Tage.

Ich werde noch lange Blut brauchen
um meinen Körper zu erhalten
aber immer wieder
wird es die Natur sein,
die mir Kraft zum Leben gibt

Ladina, Mai 1996
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Einfach LEBEN
°°°°°°°°°°°°°°

Heute vor 11 Jahren, es war auch ein Montag,
erfuhr ich, dass ich Krebs habe.
Ich sollte keine 3 Jahre mehr leben
und doch bin ich noch immer hier.
Bewunderung schwingt in vielen Stimmen,
fast Gratulation zu diesem besonderen Krebsgeburtstag,
den nicht viele sooft "feiern" können.
Nach aussen gebe ich mich heute souverän,
wie es innen aussieht interessiert eh keinen.
Alle wollen sie nur bewundern, keiner kann und will sich vorstellen,
wie das ist!
11 Jahre lang immer wieder kämpfen,
die Krankheit nicht eine Sekunde lang wirklich ganz zu vergessen,
alles nach ihr ausrichten müssen,
Zukunftspläne nur unter Vorbehalt überhaupt schmieden zu können.
Es zehrt jeden Tag an meiner Kraft
und meine Sehnsucht nach Ruhe wächst.
Wie gerne würde ich mich mal hängen lassen,
einfach in den Tag leben
nur einen Tag mich einfach gehen lassen.
Ich kann dieses ewige Unter-Druck-Stehen,
diese ständige Anspannung
kaum noch aushalten
und wünsche mir immer öfter,
all meine Waffen weglegen zu können
und einfach so leben zu können.
Doch schon ein einziger Tag des Aufgebens
kann die ganzen Jahre des Kampfes
sinnlos machen

Ladina, Juni 1996

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Die Melodie der Lebensfreude
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Man hört sie nur noch selten,
meistens noch bei kleinen Kindern,
die Melodie der Lebensfreude.
Sie geht unter in der Hektik des Alltags
sie wird erstickt im Lärm,
verkümmert in dieser leistungsbetonten Gesellschaft.
Manchmal kann man,
da und dort,
ein paar Töne aus dieser Melodie vernehmen,
aber kaum einmal erklingt sie ganz,
die Melodie der Lebensfreude
und oft, zu oft
lebt sie nur noch auf unter der künstlichen Einwirkung vom Fernseher,
vom Radio oder wenn jemand lustige Witze erzählt.
Es tut gut,
Bruchstücke dieser Melodie dann und wann zu hören,
doch es stimmt mich auch nachdenklich
und ich hoffe,
dass wir es noch nicht verlernt haben,
diese Melodie aus uns selbst zu erzeugen,
denn kein Instrument
hat einen solch bezaubernden Klang,
kein Mensch der Welt
eine solch ausdrucksstarke Stimme,
als dass sie diese Melodie schöner erklingen lassen könnten
als ein glückliches Lachen
tief aus der Seele

Ladina, Juli 1996
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Trostlos
°°°°°°°°

Wenn es bei dir wieder nur schlechte Neuigkeiten gibt,
wenn die letzte Hoffnung auch noch eingestürzt ist
wie ein angesägtes Gerüst,
wenn nicht ein Funken deiner Zuversicht am Leben geblieben ist,
dann spürst du das tiefe Bedürfnis,
Menschen, die du magst anzurufen,
dich hilflos zu zeigen,
deiner Verzweiflung freien Lauf zu lassen,
nicht um Mitleid zu erwecken, aber um etwas Trost zu bekommen.
Doch nur selten rufst du jemanden an.
Oft bleibst du allein,
lässt niemand von deinem Kummer wissen
und wartest solange, bis sich irgendwo ein neuer
Hoffnungsschimmer zeigt.
Erst dann rufst du die Freunde an
und erzählst, was dir Schlimmes passierte
und wenn sie dann betroffen sind,
und hilflos nach tröstenden Worten für Dich suchen
dann kommst du ihnen zuvor
und tröstest sie.

Ladina, Juli 1996
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Das Gesicht der Hoffnung
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°


Lange Jahre, wenn du dich im Spiegel angeschaut hast, hat dir ein Glatzengesicht gegenüber gestanden, konturlos ohne Brauen dazu.
Am Anfang hast du deine Glatze gehasst
und dich versteckt.
Aber irgendwann wurde dir klar,
dass die Glatze ein deutliches Zeichen von Hoffnung war,
denn solange es eine Therapie für einen gibt, ist man nicht verloren
und von da an gelang es dir immer öfter,
deinem Spiegelbild und auch den Leuten draussen
ein aufrichtiges Lächeln zu schenken.

Die Menschen um Dich aber schauten bekümmert drein
Sie glaubten dich dem Tode nah.
Die Glatze war für sie nur das Merkmal einer Sterbenskranken.
Wenn du ihnen erzählt hast, dass es grosse Hoffnung gäbe,
lächelten sie ein wenig,
aber nachher sagten sie hinter deinem Rücken:
"Das Kind kann die Tragweite seiner Krankheit nicht erfassen,
welch ein Glück!"

Am 14. März 1996 sagten dir die Ärzte,
dass dein Tumor therapieresistent geworden ist
und weitere Chemos und Bestrahlungen sinnlos wären.
Und nun?
Ein in den letzten 11 Jahren sehr selten gewordenes Bild
bietet sich allen, die dir begegnen
und dir selber,
wenn du in den Spiegel schaust.

Dein Kopf ist bedeckt mit braunen Naturlocken.
Viele, die um deine Krankheit wissen,
freuen sich an dieser Haarpracht,
sie bewundern sie und fahren mit der Hand drüber,
staunen, wie kräftig doch das Haar ist.
Sie strahlen und sind glücklich.
Sie sagen dir: "Schön, dass es dir so gut geht!"
Sie setzen Haare mit Gesundheit gleich und ahnen nicht,
dass es dir jetzt schlechter geht als je zuvor,
weil keine Therapie dir mehr helfen kann gegen den Krebs.

Sie sind alle nur Zaungäste;
ihnen fehlt das Insiderwissen,
dass Haare zwar für einen geheilten Patienten das höchste Glück bedeuten,
für jemanden wie dich aber tagtäglich auch ein Zeichen dafür sind,
dass deine Zellen,
die guten wie die bösen,
sich unaufhaltsam teilen und immer mehr werden.

Trotzdem versuchst du zu lächeln.
Die Leute würden deine Traurigkeit im Moment nicht verstehen
und höchstens sagen: "Sie hat es in der schweren Zeit verlernt,
sich zu freuen."

Sie wissen nicht, dass das Gesicht der Hoffnung
nicht immer Locken trägt.

Du weinst nur, wenn es niemand sehen kann und dann tröstest du dich selber, geniesst das Gefühl, über die weichen Haare zu streicheln,
denkst, dass es schön ist, jetzt im Sommer,
den Kopf nicht mit Sonnencreme einschmieren zu müssen.
Du freust dich auch unter die Leute gehen zu können,
für einmal ohne Angst, im Rummel die Perücke oder das Kopftuch zu verlieren.

Doch ich glaube es dir aufs Wort wenn du sagst,
du würdest viel dafür geben,
statt des Lockenkopfes
noch einmal, wie ich gerade, eine Glatze zu tragen
und mit ihr noch ein Stückchen Hoffnung zu haben

Ladina, (für Astrid) August 1996
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Zwischen zwei Welten
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Manchmal sehe ich mich im Traum
in Begleitung eines bärtigen alten Mannes
unbekannte Wege gehen.
An gewissen Stellen bleibt er stehen und erzählt mir,
wer hier in welchem Alter gestorben ist¨
oder er zeigt mir idyllische Plätzchen.
Mich dünkt, als wolle er mir den Tod schmackhaft machen
oder mir Dinge zeigen,
auf die ich mich "drüben" freuen könnte,
auch Menschen, die schon vor mir angekommen sind
- doch es sind alles fremde Namen, die er mir nennt
mein Bezug zu ihnen fehlt gänzlich.

Er führt mich auch auf verlassene, verlassene Gehöfte und Anwesen
und auf Friedhöfe, wo man ein Käuzchen rufen hört.
Es ist gruselig und doch fürchte ich mich kaum.
Ich sehe anders aus und doch weiss ich, dass ich es bin.
Ich wirke zerzaust, zottig, mit struppiger Mähne,
schmutzig am ganzen Körper, zerlumpte und verlöcherte Kleider trage ich am Leib
und ich habe einen wilden Ausdruck im Gesicht,
wie ich ihn sonst von mir nicht kenne.

Wenn ich jeweils aufwache,
liege ich halb steif in meinem Bett
und ich bin kraftlos, spüre mich kaum mehr.
Jede Bewegung bereitet mir Mühe
und ich fühle mich auch am Tage wie gerädert.

Schritt für Schritt entferne ich mich in diesem unbewussten Traumzustand
immer mehr vom Leben und der Welt,
doch im Wachzustand klammere ich mich ganz fest daran
und ich suche Heimat bei den Menschen auf der Welt

Ladina, August 1996
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Die Sehnsucht nach Vertrautem
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Es war von Anfang an so:
Ärzte kamen und gingen,
Schwestern und Pfleger kamen und gingen,
Studenten und Tutoren kamen und gingen,
MTA's, Assistenten und Psychologinnen kamen und gingen.

Sie kamen, begleiteten einen ein kürzeres oder längeres Wegstück
und gingen wieder.
Selten, sehr selten entstand mehr als ein Personal-Patienten-Verhältnis
mit verordneter Offenheit und Vertrauen auf Zeit,
auf Behandlungszeit beschränkt.

Es war unangenehm und mühsam,
sich immer wieder an neue Leute gewöhnen zu müssen
und dennoch, mehrere Jahre vermochte ich
diesen ewigen Wechsel von Bezugspersonen im Spital gut zu verkraften und auszuhalten.

Aber nun, bedingt durch die Länge meines Krankseins,
fühle ich immer öfter, wie einsam ich im Grunde bin
und ich sehne mich nach Nähe, physischer wie psychischer
- nicht zu Spitalpersonal,
sondern zu ganz gewöhnlichen und doch aussergewöhnlichen Menschen,
die ich lieb habe.

Ich möchte mich öffnen,
meine Gedanken und Gefühle mitteilen,
mein Innerstes preisgeben,
diesen wenigen Menschen meines Vertrauens.
Ich brauche sie jetzt mehr als zuvor,
denn die Sehnsucht nach Vertrautem wächst
wächst mit der Ungewissheit
wächst mit der Bedrohung und der Angst
wächst mit der Verzweiflung
wächst jeden Tag
immer mehr.

Doch mit dem wachsenden Bedürfnis nach Nähe,
nach Vertrauenspersonen, nach Sicherheit
springen zur gleichen Zeit immer mehr Menschen meines Vertrauens ab,
sie schleichen sich langsam aber stetig davon
lassen mich allein zurück.

Nicht aus Bosheit gehen sie weg,
sondern weil sie meine lange Krankheit zu sehr belastet,
weil diese Ungewissheit sie fertig macht,
weil sie durch mich ständig an ihren eigenen Tod erinnert werden,
weil meine manchmalige Verzweiflung auf sie überspringt
wie ein zerstörendes Feuer.

Ich habe nicht die Kraft,
sie zurückzuhalten,
meine Argumente wirken egoistisch.
Ich stehe einfach bloss da und schaue zu,
wie sie nach und nach alle weg gehen
und nur mein Kopfkissen ist noch da,
um meine Tränen aufzufangen, die nachts in Strömen fliessen,
weil ich immerzu denken muss: "Niemand hat mich mehr lieb…"
Das tut so unheimlich weh!

Und doch, ich kann meinen Freunden und Vertrauenspersonen
nicht böse sein
denn wer sollte besser als ich verstehen,
wie unendlich schwer es ist,
mit der Todesbedrohung zu leben

Ladina, August 1996
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

FALL
°°°°°

Mitten im Sommer aus vertrautem Umfeld gerissen zu werden
und unter Schmerzen zu fallen,
im Fall noch mitbekommen, wie alle andern glücklich sind,
das tut unheimlich weh.
Doch zu spüren,
dass man getragen ist auch im Leid,
dass Geborgenheit auch unten noch empfunden werden kann,
das gibt meiner schmerzenden Seele Halt und Hoffnung
und schafft in ihr einen Lebensraum für neue Träume.
Umgeben zu sein von echten neuen Freunden, die Halt geben,
Geborgenheit spüren lassen und Zuversicht vermitteln,
das ist es, was mir so grossen Auftrieb gibt
und in mir das Gefühl weckt, innerlich am Himmel zu schweben
auch dann, wenn ich noch immer am Boden liege

Ladina, März 98 zu einem im August 1996 gemalten Bild
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Lebendig begraben
°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Jedes Jahr erwarte ich ihn sehnsüchtig,
den neuen Veloferienkatalog von Baumeler.
Eine Fundgrube voller verlockender Angebote
wunderschöner Fotografien,
faszinierender Reisebeschreibungen
und Nahrung für Träume.
Doch 1997 wird es anders sein,
es wird keine Reise für mich geben,
denn meine Krankheit schreitet fort,
es stehen Operationen an
und noch weiss ich nicht, wie ich das alles ohne Aussicht auf einen Aufsteller danach überstehen soll.
Aber dennoch schaue ich den Katalog an
Bretagne, Schottland, Norwegen, Cornwall…
Durch die Tränen hindurch leuchten meine Augen auf.
Träume leben auf und beginnen Gestalt anzunehmen.
Für einen Moment radle ich glücklich und gesund
durch unberührte Landschaften.
Doch die Wirklichkeit sieht ganz anders aus.
Noch einmal will mein Traum aufflackern
Ich lege den Katalog beiseite
und begrabe meine Träume lebendig
unter dem harten Boden der Realität!

Ladina, August 1996
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Kein Platz für mich in meinen Träumen
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Früher,
wenn ich träumte
war ich meistens mit dabei.
Ich sah mich etwas tun,
oder ich spürte, ich bin mitten drin.

Doch nun bin ich bereits seit Wochen
aus meinen Träumen verschwunden.
Ich komme nie mehr darin vor,
ich sehe nur andere Menschen etwas tun,
meistens solche, die ich kenne und die ich mag,
mit denen ich auch gern zusammen wäre,
gemeinsam mit ihnen meine Zeit verbringen würde.

Ich spüre meine Sehnsucht, während ich schlafe,
diese Sehnsucht, mit dabei sein zu dürfen
aber ich bleibe auf der Strecke,
komme nicht mehr bei ihnen an.

Was im Frühling dieses Jahres
erst vom Verstand her erfassbar war,
scheint nun in tiefere Schichten meines Bewusstseins
vorgedrungen zu sein.

Nun hat es auch meine Seele begriffen:
Es ist kein Platz mehr für mich in meinen Träumen!

Ladina, August 1996
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
In die Ecke gedrängte Träume
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Aller Realitäten zum Trotz habe ich mir bis heute Träume bewahrt,
sie mir in leuchtend bunten Farben ausgemalt
um den Kontrast zu setzen gegen das Leid,
damit sie auch dann noch sichtbar bleiben,
wenn die Nacht kommt….
Seit kurzem aber sind sie kaum mehr zu erkennen.
Nicht die Dunkelheit hat sie verschluckt,
nein, ich selber habe sie in die Ecke gedrängt,
weil es mir zu weh tat, sie immerzu vor Augen zu sehen
und dabei um die Wirklichkeit zu wissen,
die nicht im Entferntesten an Träume glauben lässt.
Doch ganz verstossen möchte ich sie nicht,
denn vielleicht kommt doch noch mal eine Zeit,
wo sie mehr Raum erhalten können
und ich sie aus der Ecke holen kann
um ihnen wieder Platz inmitten meines Lebens zu geben.

Ladina, August 1996 (zu einem gemalten Bild)
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Bedrohte Träume
°°°°°°°°°°°°°°°°°

Die Mutter meiner Träume heisst Hoffnung.
Wenn sie geraubt wird verhungern sie.
Noch ist das zwar erst ein Alptraum von mir,
doch der Krebs ist mächtig wie der riesige Raubvogel
und wenn es ihm eines Tages gelingt,
die Hoffnung fortzutragen,
dann gehen meine Träume zugrunde
und ich mit ihnen

Ladina, Oktober 1996 (zu einem gemalten Bild)

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Ein Hauch von Hoffnung
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Nur noch ein Hauch von Hoffnung ist sichtbar
in der stürmisch schwarzen Nacht.
Wird sie es schaffen, durchzukommen
und sich ans Tageslicht zu retten um aus Blumen neue Kraftnahrung
für sich und mich zu schöpfen.
Es braucht Mut, als so zartes Geschöpf
den einzigen Weg über das wogende Meer zu wagen
doch die Hoffnung ist ein tapferes Wesen
und sicht- und spürbar wird sie meist erst in der Not

Ladina, Oktober 1996 (zu einem gemalten Bild)
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Die Hoffnung hat gesiegt
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Draussen legt sich grauer Nebelschleier über Stadt und Land.
Viele Menschen werden jetzt traurig und geraten aus dem Gleichgewicht.
Ich kam gestern aus dem Krankenhaus, spazierte im Nebel nach Hause,
setzte mich an mein Pult und malte dieses Bild.
Es ist ein Feuerwerk voller Leuchtkraft, Farben und Freude
und nur jemand, der weiss, wie ich Sommer und Herbst verbrachte
wird das Bild zu deuten wissen.
Solche Farben passen nicht in ein Novemberbild,
doch in mir sieht es genauso aus.
Es ist Frühling oder Sommer, es ist harmonisch
und ich fühle mich glücklich.
Die Hoffnung hat gesiegt!

Ladina, November 1996 (zu einem Bild)

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Berg- und Talbahn (im Andenken an Sonja)
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Du stiegst bei der Haltestelle "Stocken" in den Bus ein
- blass, kahl mit einer hübschen beigefarbenen Strichmütze auf dem Kopf.
Ich sass schon drin,
etwas weniger blass, aber ebenfalls kahl mit einer braunen Kappe aus Faserpelz.
Wir sahen uns an und wussten Bescheid.
Wir lächelten, aber wir waren beide schüchtern
und so blieb es bei einem Augenkontakt.
Mir gefiel Deine Mütze, hätte dich gerne gefragt, wo du sie her hast
und auch dir standen Fragen ins Gesicht geschrieben,
aber Schüchternheit und Befangenheit können offene Wege zueinander verbauen und wir wurden sowieso schon von neugierigen Leuten
unverhohlen angestarrt und beobachtet.

Ca. 2 Wochen danach traf ich dich wieder beim Spazieren
und wir kamen ins Gespräch.
Ich erklärte dir was ich habe und zeigte dir ein paar meiner Gedichte.
Du last sie und sagtest, genauso würdest du dich auch fühlen.
Ich gab dir meine Telefonnummer und sagte: Ruf mich doch mal an!
und du strahltest und fandest es lieb von mir.
Du sagtest: Danke, das mach ich sicher
und ich freute mich schon darauf.

Tschüss, bis bald, sagtest Du
und wir drückten uns zum Abschied fest die Hand.
Ich wusste noch nicht, dass es der letzte Händedruck sein würde.
Wusstest es du?

Du riefst mich nicht an.
Vielleicht dachtest du, obwohl ich es dir angeboten hatte, du dürftest mich nicht mit deinen Sorgen belästigen?
Ich kenne solche Gefühle gut, verspüre sie selber immer wieder.
Ich hatte oft schon den Telefonhörer in der Hand um Dich anzurufen,
einfach um zu fragen, wie es dir geht. Dir irgendwie zu sagen, ich denke an Dich.
Ich wünschte, ich hätte nur noch einmal meine Schüchternheit überwunden.


Viele, viele Kerzen haben für Dich in manchen Kirchen gebrannt,
für Dich ihr Licht verströmt.
Eine gemeinsame Bekannte erzählte mir manchmal, wie es Dir in etwa geht.
Es ging halt immer auf und ab.
"Berg- und Talbahn" wie du es nanntest damals.

Letzten Sonntag am Chläusler-Markt habe ich auch eine lange
Berg- und Talfahrt gemacht.
Bewusst habe ich sie gesucht. 15 Mal die üblichen 5 Runden, nur mit den kurzen Pausen zwischen den Fahrten.
Die ganze Zeit waren meine Gedanken bei Dir.
Ich habe noch nicht recht begriffen, dass du gestorben bist.
Es traf mich wie ein Keulenschlag.
Ich hatte doch so die Hoffnung, dass du es schaffst,
dass die KMT in Basel für Dich der Sprung zurück
in die Gesundheit sein würde.

Auf dem Karussell versuchte ich nachzuvollziehen,
wie du dich die ganze Zeit gefühlt haben musstest.
Auf und ab, auf und ab, immer wieder
bis man nicht mehr kann,
bis förmlich die Luft zum Atmen ausgeht…

Vor drei Tagen bist du beerdigt worden,
gerne hätte ich dich auf diesem letzten Weg begleitet, doch ich lag mit Grippe im Bett.
Jetzt aber stehe ich an Deinem Grab, einem Blumenmeer
und schreibe diese Zeilen,
in Gedanken nochmals auf unserem gemeinsamen Spaziergang.

Die Schritte, die du neben mir gingst haben Spuren hinterlassen
in meinem Herzen.
Das Gespräch mit Dir, werde ich nie vergessen.
So viel Reife sprach aus allem, was du sagtest
und du warst doch noch so jung!
Wie war das nochmal?
Es ist halt wie Berg - und Talbahn - hattest Du gesagt
und dass du kämpfen wirst gegen die Leukämie
um irgendwann wieder oben zu sein und es zu bleiben,
um wieder gesund zu werden.
Das war dein grosses Ziel.

Du hast es geschafft, Sonja!
Deinen Körper hat man in die Erde versenkt
- eine letzte Talfahrt,
aber deine Seele ist längst in unsichtbare Höhen entschwebt,
in den Himmel, wie man es uns als Kinder gelehrt hat
oder ins Paradies, dorthin, wo keine Krankheit und kein Leid mehr existiert.

Du bist jetzt frei, Sonja!
Das tröstet mich.

Ladina, November 1996
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Kraftquellen
°°°°°°°°°°°°

Seit du auf der Welt bist,
bestehst du jeden Tag Kämpfe aus eigener Kraft
doch du bemerkst es kaum,
weil es sich in deinem Körper im Verborgenen abspielt,
selbstverständlich und ohne dein bewusstes Zutun.
Da vernichten Leukozyten Krankheitserreger,
Blutplättchen bessern feine Risse in den Blutgefässen aus,
rote Blutkörperchen bringen dir Sauerstoff, damit du dich wohlfühlst.
Es verläuft alles recht normal bei dir,
du stehst am Morgen gewöhnlich ohne Schmerzen auf,
arbeitest 5 Tage
und hast am Wochenende noch immer genügend Energie
für weitere Aktivitäten.
Kranke Leute waren immer weit ,weit weg
viele von ihnen alt, gebrechlich, verbraucht,
sie gehörten nicht in deine Welt,
selten hast du dir über deine eigene Lebenskraft Gedanken gemacht.

Aber jetzt kennst du mich.
Du weißt, dass ich krank bin
und du fragst mich und auch dich, wie ich es schaffe,
nach jedem Rückfall von neuem aufzustehen und weiter zu gehen.

Du fragst, woher diese Kraft kommt,
Stürze einfach hinzunehmen,
Stürze, bei denen so viel mehr kaputt geht
als nur die Haut am Knie,
wo Hoffnungen zerschlagen werden
und du versuchst dir vorzustellen,
wie du mit dem allem wohl zurecht kämest

Mit Entsetzen stellst du fest,
dass du diese Kraft nicht hättest
mit einer tödlichen Krankheit zu leben,
unmittelbar davon berührt zu sein.
Wenn du doch schon in der Phantasie keine Kraftquelle entdeckst,
glaubst du, gewiss auch in der Realität keine zu finden
und dir wird bange…

Aber hab keine Angst.
Bleib ganz ruhig und verzweifle nicht.
Solltest du jemals betroffen sein,
solltest du jemals mehr brauchen als deine eigene Lebenskraft,
weil dir ein Kampf bevorsteht, den niemand ganz alleine bestehen kann,
dann wirst du sie finden,
die Kraftquellen,
die dir geben können was du brauchst.

Du magst sie bei Menschen finden, die du schon lange kennst
oder bei solchen, die du gerade erst kennen lerntest.
Du magst sie in einem Hobby finden, oder in dir selber,
bei einer Blume, die inmitten des Asphalts Platz zum Wachsen fand
oder bei einem Baum.

Du findest sie,
bei Tag oder während eines Spaziergangs in der Nacht,
denn eine solche Krankheit schärft deine Sinne
und bringt das Leben näher, das Wesentliche im Leben.

Dinge, denen du heute kaum Beachtung schenkst
werden plötzlich zu Quellen der Kraft.

Menschen, auf die du glaubst, in der Not zählen zu können,
wenden sich vielleicht ab von dir,
aber du wirst auch welche treffen oder bereits im Umfeld haben,
bei denen du Halt findest und Kraft tanken kannst.

Glaub mir,
dann,
wenn du sie brauchst,
findest du sie.

Vielleicht an einem Sonnentag oder auf einer Ferienreise,
im Gebet oder im Traum,
vielleicht bei Nebel oder irgendwo in der Natur.

Du findest sie!
Ich kann dir nicht sagen, wo oder bei wem

Aber du wirst sie finden!

Ladina, Februar 1997
gewidmet an alle, die sich die Frage wegen der Kraftquellen stellen, insbesondere aber an Claudia Cattuzzo

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Bereit
°°°°°°

Anfangs 1989 war ich bereit zu gehen,
bereit es hinzunehmen, dass ich sterbe an meiner Krankheit.
Gelassen wartete ich darauf.
Unerwartet stellte sich Besserung ein.
Nun bin ich gesundheitlich wieder am selben Punkt
wie vor 8 Jahren.
Heute aber bin ich bereit zu bleiben,
bereit, weiterzuleben, mit und trotz der Krankheit

Ladina, Februar 1997
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Seelenverbundenheit
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Es gibt immer wieder Menschen, die sagen,
sie möchten mir helfen
und doch sind sie unfähig mich zu trösten
wenn ich in ihrer Nähe weine.
Und es gibt andere Menschen,
welche Tränen zu trocknen vermögen
durch Briefe
durch Telefonate
einfach dadurch, dass ich sie kenne
weil eine Nähe zwischen uns besteht,
die nicht von Distanzen abhängig ist

Ladina, Februar 1997
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Sie standen da an deinem Bett (oder die totgesagte Zukunft lebt)
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°


Sie nahmen dir Blut und Knochenmark,
sie schickten dich zum Sonogramm,
sie versuchten, dich zu beruhigen: "Es muss nichts Schlimmes sein"
…und dann standen sie da an deinem Bett
und sagten: es ist "Leukämie"

Sie verordneten Chemotherapien und Schädelbestrahlungen
du sprachst an und kamst in Remission,
doch nach dem ersten Rückfall folgte ein zweiter.
Ein Knochenmarkspender wurde gesucht und auch gefunden,
doch auf diese freudige Nachricht,
folgte eine erschütternde Meldung:
…Sie standen da an deinem Bett
und sagten: "Keine Chance. Das Risiko ist zu gross!
In Europa wird dich niemand transplantieren"

In die ganze Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung
mischte sich ein Zauberwort: Seattle
Alle Hebel wurden in Bewegung gesetzt,
die Zeit drängte, noch warst du in Remission,
doch die Blutwerte waren instabil.
… Und dann standen sie da an deinem Bett
und sagten: "Die Amerikaner machen es!"

Am 8.März 1989 kamst du in Seattle an.
Im "Hutch" begann die intensivste aller bisherigen Behandlungen.
Ganzkörperbestrahlungen, Konditionierungschemo,
damit verbunden unsägliche Qualen mit Schmerzen, Kotzen
Rosskur pur,
dein Körper am Ende fast ein Wrack, die Abwehr tot,
doch stark dein Wille zu siegen.
Du, die High-Risk Patientin aus Europa bekamst in Amerika deine Chance,
weil dir in Europa keiner eine reelle Chance gab,
weil es alle für sinnlose Quälerei hielten.
Doch die Amerikaner liessen sich nicht abschrecken,
obwohl auch sie gewiss wussten, wie nahe dir der Tod war.
…Sie standen da an deinem Bett
und sagten: "Wir kämpfen ab jetzt miteinander fürs Leben!+

Und du kamst ins sterile Zelt und bekamst die gesunden KM-Stammzellen deines Spenders.
Bis zu 30 Tabletten musstest du fortan einnehmen,
alle 7 Tage bekamst du rote Blutkörperchen und Plättchen transfundiert,
du wurdest mit Sondenkost ernährt, weil deine Mundschleimhaut aufgeplatzt war,
du musstest dich täglich mit stinkender brauner Desinfektionslösung waschen, dann die Fettcreme auftragen, die klebrig war wie Kaugummi,
das grauslige Ampho-Moronal einpinseln und anderes mehr.
Es ging dir schlecht und schlechter, aber du gabst nicht auf.
Und dann wurde dir eines Tages innerlich ganz heiss,
so heiss, dass du glaubtest, zu verbrennen,
du bekamst rote Handinnenflächen und Hautausschlag.
Und so unangenehm das auch war, ab jenem Tag wusstest du, dass es gelungen war.
TAKE! Das Spendermark war angewachsen!
… Sie standen da vor deinem Zelt
und freuten sich, als wenn ihnen selbst
das Leben neu geschenkt worden wäre.

Am 30.Juni verliessest du mit 5500 Leukozyten das sterile Zelt,
nach einem weiteren Monat im Svedish Hospital flogst du heim
- trotz des vorläufigen Erfolges in eine sehr unsichere Zukunft.
Noch war die Gefahr eines erneuten, und dann unheilbaren Leukämierückfalls sehr gross.

Wenn du heute Leute von damals fragst,
sagen dir alle, sie hätten eigentlich mit einem Rückfall gerechnet,
rechnen müssen, aufgrund deiner Krankengeschichte
und auch du hattest natürlich Angst vor einem Rezidiv,
aber gleichzeitig hast du gehofft und an dich geglaubt, wie das junge Menschen gottlob so an sich haben.
Du dachtest, all deine Erlebnisse müssten doch einen Sinn haben.
Und du solltest in deinem Optimismus recht behalten, allen Zweiflern zum Trotz.
Deine Zukunft, die damals im März vor 8 Jahren so ausgeschlossen schien durch die Bedrohung deiner Leukämie, diese Zukunft, an die die meisten nicht glaubten,
diese Zukunft wird heute 2922 Tage an.

Du und alle, die dich kennen, können dieses Glück kaum in Worte fassen,
in Gedanken bist du voller Dankbarkeit für Deine damaligen Ärzte aus Seattle, Dr.Burdach und Dr. Shields, die dir die Chance zu leben gaben
und mit Dir kämpften und du willst das geschenkte Leben immer hoch schätzen und mit Sinn erfüllen.
In zwei Wochen fliegst du nach Afrika um dort anderen kranken Menschen in ähnlicher Art zu helfen, wie Dir geholfen wurde - ohne Lohn machst du das.

Wenn du deine Augen schliesst, siehst du so wie damals beim Take, deine beiden Lebensretter, die die diese Chance gaben, an deinem Bett stehen.
Sie strahlen und freuen sich, weil ihnen das Unmögliche gelungen ist
und sie dabei mithalfen,
dass das Leben den Tod besiegte.

Ladina, März 1997 (für Madlaina S.)
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Marmorierte Spuren
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Bunte Farbtupfer
ähnlich einer Blumenwiese
zierten dein Leben und strahlten allen entgegen,
die mit dir in Berührung kamen.
Jede Farbe hatte ihren festen Platz seit vielen Jahren.

Mit der Krankheit kam die Dunkelheit,
die drohte, alles zu zerstören,
alle Lebensfreude, alles Wohlbefinden, alle Zukunft, alle Pläne.
Drohte,
das leuchtende Gelb, das beruhigende Blau,
das fröhliche Rot, das zuversichtliche Grün zu begraben
unter einer grauen, unförmigen Lache.
Drohte,
den einst von Leben pulsierenden Weiher
zu einem modrigen Tümpel zu verschandeln,
in dem ein lebenswertes Leben
unmöglich scheint.

Vor bald 15 Jahren
habe ich mich ebenso verloren gefühlt
und ich verstehe, wenn du verzweifelt bist,
doch lass mich dir eines versichern
und glaube es mir:
Wenn du kämpfst,
muss die Krankheit nicht zwangsläufig ein einziges Bild der Zerstörung
in deinem Leben hinterlassen,
nicht nur einen dunklen Fleck,
der Ekel auslöst und Wut und Ohnmacht spüren lässt.

Denn wenn du mithilfst und kämpfst
kann dein Leben von der Krankheit nicht wirklich zerstört werden.
Sie taucht dann nur wie eine spitze Stricknadel
in die bunten Farbkleckse deines Lebens,
sie bahnt sich ihren Weg und bringt die Ordnung durcheinander,
gleichzeitig aber hinterlässt sie Spuren wie marmorierte Muster.

Sie formt dein Leben so um,
dass es nie mehr ganz so werden wird wie zuvor,
bevor die Krankheit kam.
Anfangs wirst du traurig sein,
aber wenn du kämpfst wirst du neue Möglichkeiten finden
dein Leben so zu bereichern und zu gestalten,
dass du wieder Freude daran hast.

Und wenn du eines Tages zurück blickst,
das Muster deines Lebens betrachtest,
die Formen, die sich seit der Krankheit neu gebildet haben,
dann wünsche ich dir,
dass du alle Farben deines bisherigen Lebens
in dem marmorierten Muster wiederfindest, das die spitze Nadel
deiner Erkrankung aus deinem wohlgeordneten Leben geschaffen hat.

Ich wünsche Dir, dass du Muster erblickst, die dich bezaubern,
die trotz der dunklen Spuren darin, Heiterkeit verbreiten
und ein glückliches Lächeln auf deine Lippen bringen.

Ich wünsche dir, dass du irgendwann, so wie ich ehrlich sagen kannst:
Ich liebe mein Leben trotz der Krankheit!
und dass du erfährst,
dass das Glück nicht mit dem Unglück endet
sondern an Tiefe und Intensität gewinnt!

Ladina, April 1997 (für Leyla Agdag)
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Vielleicht

werde ich es nicht schaffen

meinen Krebs zu besiegen

aber niemand

wird mir

je vorwerfen können,

dass ich es

nicht versucht

hätte

Ladina, April 1997
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Bin weit gereist

bin tief getaucht

hab verborgene Schätze ausgegraben

nicht irgendwo in einem fremden Land

sondern in mir selbst

denn

wer kennt sich selber wirklich

wer weiss, was alles in ihm oder ihr steckt

bevor eine höhere Macht einen zwingt

an Ort und Stelle zu bleiben

und so doch am Ende weiter zu kommen

als alle Reisenden der Welt

Ladina, Mai 1997
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

An Krebs sterben
bedeutet
schrittweise vom Leben Abschied nehmen
und es dennoch gewinnen

Ladina, 1997
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Die Blumen eines Sommers
**********************

In den Sommern 1995 und 1996
habe ich einen bunten Blumenstrauss pflücken dürfen,
einen Strauss von wunderbaren Erlebnissen.
Wiederholungsreise nach Irland
Besuch beim Leuchtturm
Fahrradtouren weit, weit über die Grenzen der letzten 10 Jahre
Pässe: 3mal den Lukmanier, den Oberalp und die Schwägalp,
via Disentis bis Altdorf/Flüelen
Gotthard Nord - und Südrampe
Melchsee-Frutt mit Claudia
SWISS TROTTY TOUR mit Mini Mack
Ritom Seen
Pilatus
Schynige Platte
Monte San Giorgo
San Salvatore mit Abstieg nach Figino,
Monte Generoso und Monte Tamaro
Pila Costa, ein Reh gesehen beim Abstieg nach Intragna,
Fahrt durchs Centovalli nach Domodossola, via Brig nach Bern
Radtour rund um den Zugersee und den Brienzersee,
die Giessbachfälle bewundert,
herrliche Wanderung in Malbun, wieder einmal Sessellift gefahren
Witzwanderung in Heiden,
Wanderung von der Ebenalp zum Seealpsee, auf den Hohen Kasten.
All diese Erlebnisse und Entdeckungen
sind wie lauter bunte Blumen,
die ihre Leuchtkraft über Jahre nicht wirklich verlieren.
Jetzt im Sommer 1997
kann ich kaum neue solcher Blumen pflücken,
doch in meiner Erinnerung freue ich mich auch jetzt noch
an den Farben der Blumen von damals

Ladina, Juni 1997
[/b]

WICHTIG, bitte beachten:
Meine im Krebsforum.ch verfassten und veröffentlichten Beiträge, Bilder und Gedichte unterliegen dem Urheberrecht
und dürfen in anderen Foren, oder HP’s nicht ohne meine persönliche Zustimmung kopiert oder veröffentlicht werden. .
Zuletzt geändert von Ladina am Mo 22 Nov 2021 18:50, insgesamt 6-mal geändert.

Ladina
Beiträge: 1652
Registriert: Do 4 Aug 2005 19:54
Wohnort: Kanton St.Gallen
Kontaktdaten:

Aus dem 4. Band meiner Gedichtesammlung - Titel: Seerosenzeit

Beitragvon Ladina » So 12 Nov 2006 14:58

Aus dem 4. Band meiner Gedichtesammlung - Titel: Seerosenzeit


Seerosenzeit (Titelgedicht meines 4. Bandes der Gedichtesammlung)
***********

Es war im Juni 1981
Wenige Wochen nach meinem ersten operativen Eingriff am Gehirn.
Ich lag im Bett, draussen regnete es Bindfäden.
Doch plötzlich spürte ich das Bedürfnis aufzustehen
und rauszugehen, um irgendetwas zu fotografieren.
Ich stand auf, kleidete mich der Situation entsprechend an
und ich nahm den neuen Fotoapparat unter die Regenjacke.
Unten in der Stube waren viele Leute versammelt
geladene Gäste meiner Eltern, ca. 20 Verwandte.
Zuerst strahlten sie mich an,
doch als ich sagte, ich ginge raus zum Fotografieren
da wurden sie fast alle ernst.
„Du kannst jetzt nicht raus, Kind, es regnet, Dein Kopfverband wird nass und der Fotoapparat geht kaputt. Jetzt gibt es eh keine guten Fotos!“ sagten sie, nur eine Tante setzte sich für mich ein und sagte: „So lasst sie doch gehen.“

Und ich ging in den Regen hinaus,
spazierte im Park des Krankenheims
und dort fand ich ein Motiv zum Fotografieren.
Wochen später hielt ich die Bilder jenes Tages in den Händen
und staunte, wie schön sie waren.
Und nicht nur ich staunte, nein, auch jene ,die so gezweifelt hatten an meiner Vernunft,
fanden die Seerosenfotos wunderschön.

Noch heute, 17 Jahre später, erfreuen die Bilder Herz und Augen besonderer Freunde
und das gibt mir immer neu Vertrauen in mich.

Seerosenzeit,
das ist für mich die Zeit,
in der ich ganz nach meinem Empfinden handle,
nicht auf die Eltern höre, nicht auf die Ärzte.
Die Zeit, wo ich mich einfach ganz auf mich verlasse.
Die Zeit, in der ich schon oft mehr erreichte,
als alle anderen es dachten.

Ladina, Juli 1998
---------------------------------------------------------------------------

Ein Buch mit leeren Seiten
***********************

Soeben schrieb ich das letzte Gedicht in „Band 3“,
die allerletzte Seite ist erreicht
und ich habe die Wahl,
ein weiteres Buch mit leeren Seiten zu eröffnen
oder es sein zu lassen.
Soll ich es machen oder nicht?
Ist es nicht Vergeudung, eine Vielzahl an Seiten eventuell leer zurückzulassen,
wenn ich sterbe?

Jedes Mal beschäftigen mich die gleichen Fragen und Gedanken,
wenn ich dabei bin, ein neues Buch zu beginnen.
Es erscheint stumpfsinnig, sich wegen einigen leeren Seiten den Kopf zu zerbrechen,
aber für mich haben sie sehr viel Gewicht und Inhalt.

Sie haben mir dabei geholfen, überhaupt so weit zu kommen.
Wenn niemand da war, um mir zuzuhören oder mir Beistand zu leisten,
ich aber spürte, dass ich reden oder mich öffnen muss oder möchte,
dann waren sie da um mich zu erleichtern und aufzunehmen, was ich loswerden wollte
und nicht selten gab mir dann mein eigener Text letztendlich den Beistand, den ich brauchte.

Diese leeren Seiten waren zu jeder Tages-und Nachtzeit da für mich,
wie eine immer währende Einladung,
die ausdrückte: Wir sind für Deine Nöte, Gedanken und Sehnsüchte da.
Ohne schlechtes Gewissen und Zeitdruck kann ich ihnen alles berichten.
Sie sind ein wenig wie ein Schwamm,
sie saugen auf, was überläuft,
bewahren es bei sich
und geben es wieder ab, wenn es benötigt wird.
Oft führten sie mir so meine eigenen formulierten Gedanken,
genau dann vor Augen,
wenn ich ihrer bedurfte
und auch andere Menschen, Gesunde wie Erkrankte
vermögen manchmal Trost oder Kraft, Mut und Hoffnung
aus meinen Gedichten und Bildern zu schöpfen.

Und so glaube ich,
trotz der momentanen schlechten Prognose,
dass es sich lohnt,
meine poetischen und kreativen Quellen
weiter sprudeln zu lassen.

Vielleicht werden sie demnächst für immer versiegen
aber vielleicht sitze ich in 1-2 Jahren
nochmals an diesem Pult
und eröffne ein weiteres Buch
mit leeren Seiten!

Ladina, Mai 1997
----------------------------------------------------------------

Die Sehnsucht meiner Seele
***********************

Mein seelisches Empfinden ist ein Siamesisches Zwillingspaar
- zwei Vögel, die zusammengewachsen sind
und sich ein Flügelpaar teilen.

Nachts, wenn ich nicht schlafen kann,
spüre ich sie zwischen meinen Rippen in ihrem Nest
miteinander ringen und ihre Kräfte messen.
Es sind ruhelose Nächte, die ich so verbringe.

Ich möchte Partei ergreifen für eine der beiden Seelenidentitäten
doch ich kann es nicht
denn ich fühle mich beiden verbunden.

Der eine Vogel sehnt sich danach
nun ins Jenseits zu fliegen,
alle Pein und alle Tränen hinter sich zu lassen
und ins paradiesische Land hinter den Sternen einzugehen
- ins Land der versprochenen Harmonie,
dorthin, wo Seelenvögel wirklich frei sind.

Doch dagegen wehrt sich die andere Seite meiner Seele,
die immer noch am Leben hängt
und sich wieder mitten hinein setzen möchte.

Die Hoffnung auf ein freies Leben ohne Krankheit
ist das Ziel beider Vögel
doch die Wege, die sie dahin fliegen wollen, sind so grundverschieden.

Beide sind sich der Konsequenzen ihrer Wege bewusst,
der eine weiss um das Zurücklassen von allem, was ihm lieb ist,
der andere darum,
was ihn im Leben vorerst erwartet
- eine Vielzahl bunter, aber bitterer Tropfen von Medizin
rotes Adriblastin, gelbes Methotrexat, blaues Novantron und rosa Tabletten zur Beruhigung
-danach vielleicht ein Weiterleben,
vielleicht auch wieder Blicke auf saftig grüne Hügel.

Sehnsucht, die das Schwere ertragen lässt und Kummer in Hoffnung verwandelt
das fühlen beide Vögel in sich
und sie glauben, dass ihr Weg diese Sehnsucht zu stillen vermag.

Und so zanken sie sich weiter,
doch sie stehen sich zu nahe und haben sich zu lieb,
als dass sie den anderen verletzen möchten.
Sie wissen genau, das würde geschehen,
sollte sich einer von ihnen gegen den Willen des andern durchsetzen
und sich losreissen.

Meine Seele würde mit zerreissen, beide Vögel mit je einem Flügel zurückbleiben
zum Stürzen verbannt.

Sie müssen zur Übereinstimmung gelangen
- diese beiden siamesischen Seelenzwillinge
und gemeinsam abfliegen
in die eine oder die andere Richtung.

- Nur so kann ich in Frieden weiterleben oder sterben.

Ladina, Juni 1997
-----------------------------------------------------------------

Diagnose: Erneuter Gehirnbefall
***************************

Sie kam zu mir
wie Schnee im Sommer
und ich meinte,
dieses Wort könne für mich
nie mehr Wirklichkeit werden.

Jeden Morgen, wenn ich die Augen öffne
muss ich mich neu zurechtfinden
mit diesem unbegreiflichen Hieb des Schicksals.

Die Bäume, der erst neu gekeimten Hoffnung in mir
haben durch dieses eine Wort
ihr Laub und die süssen Früchte verloren

Zurück bleiben kahle Äste,
die während der Stürme in mir
wild hin und her schaukeln
und wie zum Abschied winken.

Aber noch gebe ich nicht auf,
noch gebe ich mich noch nicht geschlagen.
In mir lebt ein Traum von Leben.
Ich habe in diesem Sommer von lieben Menschen neue Kraft geschenkt bekommen,
die ich jetzt einsetzen kann.
Noch nie zuvor hat die Natur so viele Regenbögen in den Himmel über mir gemalt.

Mit dem neuerlichen täglichen Gang zur Bestrahlung
hangle ich mich von Ast zu Ast in der Hoffnung,
doch noch einmal die Früchte des Lebens geniessen zu dürfen!

Ladina, August 1997
----------------------------------------------------------------------

Stopp das Karussell
****************

Es dreht sich
unaufhörlich im Kreis
seit vielen Jahren.
Es steht nie still
gaukelt mir manchmal „Heile Welt“ vor
versetzt mich in Euphorie
und spritzt mich unvermittelt wieder mit Dreck und Übel voll.
Es dreht sich unaufhörlich im Kreis
das Krebskarussell.
Mir geht es gut, dann schlechter, ganz schlecht, besser, gut, prächtig
doch schon wieder schlechter und immer so weiter.
Es dreht sich immer schneller.
Stopp das Karussell!
Mir wird so schlecht, die Luft bleibt mir weg,
das irrsinnige Tempo drückt mich noch tiefer in mein Gefängnis.
Bitte lass mich aussteigen!
Stopp das Karussell!
Ich kann einfach nicht mehr
Stopp das Karussell!
Egal an welcher Stelle
aber
bitte, bitte, Gott:
Stoppe es!

Ladina, August 1997
------------------------------------------------------------------------------

Kein neuer Zug
*************

Ich stehe mitten auf dem Zürcher Hauptbahnhof
müde, mit rasenden Kopfschmerzen, schweissnass
und bin total überfordert durch die Flut von Eindrücken,
die hier auf mich eindrischt.
Geräusche, Pfeifen, Rauschen, Schreien, Sprechen
grelles Licht, hetzende Menschen, Farben.
Ich starre auf die Anzeigetafel,
finde den Zug nicht, den ich nehmen wollte
fühle mich so hilflos und allein unter diesen Menschenmassen,
die ein Ziel haben und es sicher ansteuern.
Ich schaue immer wieder auf die Uhr und auf die Tafel,
suche auch auf dem Plakat.
Die Zahlen und Buchstaben verschwimmen mir vor den Augen,
ich verstehe überhaupt nichts mehr
mein Zug fährt heute nicht
was soll ich denn jetzt machen?
Ich bin dem Verzweifeln nahe,
gehe dann doch auf Perron 8, dort fährt er sonst immer mein Zug.
Zwei rote Lichter verschwinden gerade in der Ferne.
Mein Zug war da – ich habe es nicht gemerkt.
Jetzt ist er abgefahren, ich kann nicht mehr aufspringen.
Auf diesem Perron fährt in einer Stunde
ein neuer Zug
im Leben aber kommt keiner mehr….

Ladina, August 97
-------------------------------------------------------------

WOZU?
********

Wozu weisen mir Sterne in der Dunkelheit
Wege,
die ich niemals gehen darf?

Wozu erblühen hier im Garten
Blumen,
die ihre Farben verlieren, sobald ich sie anschauen möchte?

Wozu bietet mir das Leben
Früchte an
und gibt sie dann doch immer an andere weiter?

Wozu zeigt man mir
Ziele
deren Pfade allesamt verbaut sind?

Wozu errichtet mir das Schicksal
Brücken,
und reisst sie, wenn ich sie beschreite, wieder ab?

Wozu sind sie gut, diese Verlockungen?
Wer möchte mich denn immerzu nur quälen?
Warum muss ich mir jedes kleine Glück im Kampf erobern?

Ich weiss, es ist sinnlos, sich und andern solche Fragen zu stellen
und eine Antwort zu erwarten, die wohl niemand geben kann
doch es kann einem gut tun, sie einem vertrauten Menschen zu stellen
und dieser einen einfach in den Arm nimmt und leise sagt: Ich weiss es nicht.

Ladina, August 1997
--------------------------------------------------------------

In meinem Kopf
***************

Bei vielen Themen, die die Welt heute diskutiert
kann ich nicht mitreden,
weil ich die Zusammenhänge einfach nicht begreife.
Mein Verstand reicht nicht weit
und doch ist mein Kopf nicht leer.
Ich mache mir weit mehr Gedanken
als es mir zugestanden wird,
doch meine Erlebniswelt war und ist anders
und wahrscheinlich bleibt sie es auch
und das, was in mir vorgeht,
jenes, von dem ich etwas verstehe
bleibt den meisten Menschen verborgen
unvorstellbar und rätselhaft.
Viele wollen es auch nicht wissen,
sie wollen es nicht hören, was ein Mensch erfahren hat,
der so lange krank ist, wie ich.
Sie wollen einfach unbeschwert leben,
diskutieren über die Politik oder Bischof Haas.
Sie bewegen sich in der breiten Masse der Normalität
und bemerken es nicht,
dass ihnen dabei das Wichtigste entgeht
vom LEBEN

Ladina, November 1997
--------------------------------------------------------------

Gedanken zum Ende eines besonderen Jahres
*************************************

Schon wieder steht Weihnachten vor der Tür
und bald ist dieses Jahr vorbei.
Zeit für ein paar Gedanken:
Für mich war es ein bewegtes Jahr
mit Höhen und Tiefen
Freude und Trauer
schönen Überraschungen aber auch bösen Erschrecken
mit Erwartetem und Unerwartetem.
Noch ist es schwer zu sagen, was überwiegt
- das Leid oder die Freude
und was von all dem Erlebten
ich mit hinüber nehmen werde,
was mich prägen und was mir noch Monate oder Jahre später
in Erinnerung sein wird…

Aber ich empfinde Dankbarkeit
das Schöne erlebt und das Schwere überstanden zu haben.
Dankbarkeit für die tiefen Gefühle,
die das Leben im Jahr 1997 für mich bereithielt.
Dankbarkeit für Menschen,
die mir in ärgster Not Halt und Nähe schenkten.
Dankbarkeit für unbeschwerte Tage, für die Helle, die Wärme, das Licht
Dankbarkeit für die Kraft, trotzdem Radausflüge und Wanderungen geschafft zu haben.
Dankbarkeit für all das Schöne, was ich sah
Dankbarkeit für jeden Sonnenstrahl, der den Weg zu mir fand
Dankbarkeit für jedes echte Lachen
und für die Tränen, die mir ein lieber Mensch trocknete.

Mit dieser tief empfundenen Dankbarkeit in meinem Herzen
kann ich ins Neue Jahr hinübergehen mit einer grossen Zuversicht
- ganz egal, was morgen kommt

Ladina, 20.Dezember 1997
-------------------------------------------------------------------

Lebensfreude pur
***************

Noch vor einem Jahr glaubten wenige
dass es mich heuer noch gibt.
Das Leben meinte es nicht gut mit mir – so schien es
immer wieder schlug der Krebs neu zu
machte Operationen nötig, nochmals Chemo und Bestrahlung
es war die Hölle.
Aber wer mich heute trifft,
der sieht meine Augen strahlen vor Glück
und wer mich besser kennt der weiss,
dass es diesmal nicht nur die Augen einer aufgesetzten Maske sind,
denn mir geht es wirklich prächtig.
„Warum? Bist Du geheilt?“, fragen mich die Leute
und wenn ich sage: “Nein ich bin nicht geheilt, aber glücklich“
dann wissen sie nicht, was sie davon halten sollen.
Meine Gründe glücklich zu sein, können viele nicht nachvollziehen.

Ich fühle mich prächtig,
weil ich Kraft habe, 100% zu arbeiten
weil ich so Hoffnung weiter tragen kann.

Ich gehe im Spital ein – und aus
für einmal nicht als Patientin, sondern als Besucherin,
ich komme, ohne in Behandlung zu müssen
und gehe wieder, wann ich möchte,
und nur die Tatsache, dass das ganze Personal vom Haus 01
mich mit Namen begrüsst, zeigt mir und anderen Besuchern,
dass ich wohl doch mehr bin, als ein simpler Besuch.

Ich fühle mich stark, so als könnte ich alles schaffen
und ich fühle mich unendlich wohl.

Ich geniesse jeden Abend ein warmes Bad mit immer neuen Zusätzen,
Mal Passionsfrucht, Erdbeere, Lavendel, Hopfen, Muskatellersalbei, mal Birne, Brombeere und Rosskastanie
- Lange vermisste Wohlgefühle

Ich vertrage das Essen besser
Rosenkohl, Kartoffelstock, Broccoli, Randensalat, Brätkügeli, Teigwaren
- Alltägliches, das lange entbehrt, einem Festessen gleichkommt

Ich schmecke den Geschmack von Tee
Schoko-Tee, Pfefferminze, Verveine
kann Dörrobst essen, ein paar Karamellen, etwas Schoggicreme oder ein Glacé
- Genuss, der lange Verdruss bedeutete.

Ich wasche wieder meine eigenen Haare, nicht mehr nur Perücken,
kann im Schnee spazieren gehen,
ohne mich bis zur Unkenntlichkeit verhüllen zu müssen.
Ich kann Freunde besuchen, auch wenn sie Schnupfen haben,
kann mit meinem Kater schmusen und spielen,
wieder Musik hören im eigenen Zimmer und nicht nur „Kissenradio“
Ich geniesse es so sehr, Zeit und Raum für mich zu haben.

Manchmal verspüre ich ein so intensives Glücksgefühl,
dass ich mir wünsche, ein Hund zu sein
um meine Freude so unbändig und begeistert wie er zeigen zu können
und im Schnee herum zu wallen.

Ladina, Februar 1998
---------------------------------------------------------------

40 Tage unbeschwertes Glück
*************************

Mitten im Winter
keimte bei mir neues Leben
mit Wohlbefinden, Heiterkeit und dem Gefühl, gesund zu sein.
Mit dem Frühling
brach in meinem Leben wieder der Winter ein
dem Hoch folgte ein Tief
wie schon so oft.
Aber die Erinnerung an all das Schöne
lebt in meinem Herzen weiter
und hellt die Dunkelheit darin auf.
Die schöne Wanderung im tiefverschneiten Gais hinauf zum Hirschberg,
all die Gaumenfreuden, die ich geniessen konnte,
das unbeschwerte Erwachen am Morgen,
arbeiten zu können, mich leistungsfähig und munter zu fühlen
immer eine Melodie zu summen
all das und noch viel mehr halte ich in meinem Herzen am Leben,
denn diese 40 Tage
so kurz sie auch scheinen
gegen die Perioden im Spital
sind es,
die mir Kraft geben
erneut zum Kampf bereit zu sein
und die mir Mut machen
wieder an einer sorgenfreie Zukunft
zu GLAUBEN

Ladina, März 1998
--------------------------------------------------------------

Unerreichbare Hoffnung
********************

Mitten in einem tobenden Sturm fiel mein Blick auf ein Licht in der Ferne
und schenkte meinem Herzen Zuversicht.
Wochenlang
kämpfte ich mich durch die Wogen des Meeres und dann stromaufwärts
dem Licht der Hoffnung entgegen.
Doch eine unüberwindbare Schwelle versperrt mir nun das letzte Stück.
Ich muss erkennen, dass ich den falschen Weg wählte,
einer trügerischen Hoffnung entgegen strebte,
einer Hoffnung, die sich für mich nicht erfüllt.
Am Ende meiner Kräfte
lasse ich mich flussabwärts treiben
zurück ins tobende Meer
aus dem ich kam…

Ladina, März 1998
Vergebliche Hoffnung neu (Andere).JPG
Vergebliche Hoffnung neu (Andere).JPG (17.1 KiB) 5664 mal betrachtet
----------------------------------------------------------------

Im Strudel der Hoffnung
*********************

Mein Schiff ist wieder Spielball der Wellen geworden,
was erst wie eine Einladung zum Spiel erschien
entpuppte sich als bitterer Ernst.
Die Wellen schlagen auf mein Schiff ein
werfen es hin und her,
es droht, von der Bildfläche zu verschwinden,
es schaukelt wild und ich kann den weiteren Verlauf nicht mehr steuern.
Verzweiflung und Hoffnung sind meine Begleiter,
geben mir jede auf ihrer Weise Kraft zum Kämpfen,
tauchen ab und wieder auf.
Ich denke an die grossen Segler Maggelan und Kolumbus,
kann Zuversicht aus diesen Gedanken schöpfen,
denn schon damals wurden in Sturmnächten
Hoffnungslieder angestimmt.

Ladina, März 1998
Im Strudel der Hoffnung neu (Andere).JPG
Im Strudel der Hoffnung neu (Andere).JPG (30.05 KiB) 5664 mal betrachtet
-------------------------------------------------------------------

Es gibt noch ganz andere Berge
**************************

Auf der Zugfahrt nach Chamonix
wo ich einmal zum Mont Blanc aufschauen möchte,
sehe ich beeindruckende Naturschönheiten
Berge, Seen, Schluchten
und ich sehe viele, viele junge vitale Menschen,
aber auch schon etwas ältere, allesamt topausgerüstet
mit Skiern, Steigeisen, Eispickel und weiteren Werkzeugen,
deren Namen ich nicht einmal kenne.
Sie steigen in den Mont-Blanc-Express ein und bei einer Zwischenstation wieder aus.
Der Berg ist ihr Ziel, der Weg hinauf ihre Herausforderung und willkommene Gelegenheit,
die im Kletterkursus erlernten Handgriffe
und Fusstritte anzuwenden am höchsten Eisriesen Europas.

Als einzige junge Person bleibe ich im Zug zurück mit etlichen älteren Menschen,
die wohl alle über 65 Jahre alt sind,
schicke den Bergsteigern einen sehnsüchtigen Blick hinterher.

Später in Chamonix gehe ich gemächlich wie die älteren Menschen spazieren,
werfe staunende Blicke zu den Bergspitzen
freue mich so, mein Traumziel erreicht zu haben.

Auf der Heimfahrt dann schweifen meine Gedanken ab
heute vor ganz genau 18 Jahren
an dem ich mein neues Knochenmark bekam.

Dieses Wagnis der Transplantation war irgendwie
auch eine schwierige, riskante Kletterpartie.
Aufstieg und Absturz lagen von Anfang an nah beieinander.
Es hat Mut gebraucht, diesen Weg zu beschreiten,
denn keiner konnte mich Kniffe lehren, wie ich besser durchkäme.

Niemand hat mir gezeigt, wie ich mich verhalten musste,
keine Seilschaft unterstützte mich,
meine Steigeisen waren die Medikamente, die ich einnahm,
doch ob sie greifen und mir Halt geben würden,
das wusste niemand mit Sicherheit.

Es hat Monate gedauert bis sichtbar wurde,
dass ich den Gipfel erreichen würde,
einsame Monate, in denen ich immer am selben Ort verharrte
und am Ende doch hoch hinaus gekommen bin.
Nach wochenlangem Schweben und Baumeln zwischen Berg und Tal
spürte ich endlich festen Boden unter den Füssen,
feierte dies wie einen Triumph,
obwohl die Standfläche klein war und kaum Sicherheit zu geben vermochte.

Weitere Monate blieb ich vom schweren Kampf gezeichnet
auch nach der Rückkehr nach Hause
war vieles noch unsicher,
hing in der Schwebe,
wie eine Seilbahn, die ihr Ziel nicht kennt
und nicht weiss, ob die Leitung ihrer Last standhält,
die hofft, dass sie sicher zur Talstation hinabgleiten kann
und dabei aber um die Wahrscheinlichkeit weiss, abzustürzen und zu zerschellen.

Fast ein Jahr blieb dieser instabile Zustand bestehen,
kam ich nicht weiter
obwohl wieder im Tal, wusste ich lange nicht,
ob ich den Berg wirklich überwunden hatte
ob ich nicht einfach wieder zur gleichen Seite abgestiegen bin.

Nur jemand,
der diesen besonderen Berg selbst bezwungen hat
kann das Glück ermessen, das ich fühlte,
als mir gesagt wurde, dass ich gewonnen hatte,
dass ich auf der Siegerseite war
und wieder Fuss fassen konnte im Leben!

Oft bin ich seitdem vor Schwierigkeiten und Unangenehmem gestanden,
die mir wie unüberwindbare Berge vorkamen.
Doch bevor mich die Mutlosigkeit übermannte
und zum Rückzug bewog,
dachte ich wie heute zurück
und plötzlich sah ich einen Weg.

Es gibt noch ganz andere Berge

Ladina, März 1998
--------------------------------------------------------------------------------

Tränen in der Nacht
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

In einer Nacht von vielen, wo ich keinen Schlaf finden kann,
gehen meine Gedanken auf Reisen und hoffen,
einen schönen Ort zum Träumen zu finden.
Doch was hoffnungsvoll begann
endet heute mal wieder mit bitteren Tränen.
Meine Gedanken bleiben bei einem Ereignis hängen
das schon 21 Monate zurückliegt
und Gefühle, die ich längst verwunden glaubte
tauchen daraus auf.
Und wieder ist der innere Schmerz so gross wie damals
und wieder spür ich die unverhohlene Ablehnung eines geliebten Menschen mir gegenüber
und wieder fühle ich mich wie eine Schiffbrüchige,
die von ihrem Retter, dem sie vertraute, ins stürmische Meer zurückgestossen wird.
Doch im Gegensatz zu damals,
wo ich mich tapfer hielt und mich unberührt gab von den zugefügten Schmerz
fangen jetzt,
mitten in der Nacht, die Tränen zu fliessen an.
Und wieder ist niemand da, der mich tröstend in den Arm nimmt,
wieder fühle ich mich so verloren wie damals,
wieder sehne ich mich vergeblich nach jemandem, der mir zeigt, dass er mich lieb hat.

Doch vielleicht müssen diese Gefühle gerade in der Nacht rauskommen.
Vielleicht kommen sie, damit sie gelebt werden können,
damit die Tränen fliessen können,
bis sie von ganz allein versiegen.

Vielleicht werde ich noch oft deswegen weinen und mich selber trösten müssen,
aber eines Tages denke ich,
werden meine Gedanken an dem Ereignis vorüberziehen können,
vielleicht nicht unberührt, aber unverletzt.
Dann habe ich es überwunden aus eigener Kraft
und es wird nicht mehr weh tun.

Ladina, April 1998
---------------------------------------------------------------------------------

Angst vor Menschenaugen
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Es gab in der letzten Zeit einige Tage,
wo es mir schlecht ging,
wo ich nicht mehr alleine gehen konnte
und mir so sehr gewünscht hätte, an die frische Luft zu kommen.
Es waren sogar Menschen da, die mich im Rollstuhl spazieren gefahren hätten.
Doch ich verkroch mich wie ein Tier.

Es gab Tage, in denen meine Augen zugeschwollen waren
und ich mir wünschte,
jemand schilderte mir die Aussicht in den Spitalgarten.
Doch ich wies alle Besuche ab.

Es gab Tage, in denen eine Hand zum Festhalten
für mich das Wertvollste gewesen wäre.
Doch ich klammerte mich meistens nur an mich selber.

Es ist nicht falscher Stolz,
der mich so handeln lässt
und auch nicht Scham im üblichen Sinne.

Aber ich habe ANGST davor,
mich den Menschen in meinem Umfeld
so krank, so zerbrechlich, so elend zu zeigen.
Ich habe ANGST davor,
in ihren Augen
fortan nur noch
(Mit-)Leid zu sehen.

Ladina, Mai 1998
-----------------------------------------------------------------------------------

Hoffnung im Wandel
++++++++++++++++

Wenn Menschen, die mich neu kennenlernen,
meine Gedichte lesen,
sagen sie oft,
dass ihnen die Hoffnung darin
besonders gut gefällt.

Die Hoffnung auf Heilung,
die ich am Anfang so oft beschrieb
aber hat sich gewandelt
in eine Hoffnung auf ein langes Leben trotz der Krankheit.
Sie wiederum wandelte sich
in eine Hoffnung auf ein paar unbeschwerte Jahre,
jetzt noch auf ein paar lebenswerte Monate
und irgendwann dann nur noch auf schmerzfreie Tage
bis die Hoffnung sich eines Tages
nicht mehr dem Leben zuwendet,
bis eine andere Hoffnung an ihre Stelle tritt,
die in der Erlösung, im Tod ihre Vollendung findet.

Noch stehe ich in der Phase der Hoffnung auf ein paar lebenswerte Monate
und es ist für mir nahestehende Personen
doch schon schwerer geworden mich zu begleiten.

Ich habe grosse Angst davor,
eines Tages ganz allein zu sein,
weil niemand meine Hoffnung auf das Sterben mitbekommen möchte
und dann niemand,
ausser vielleicht ein mir unbekannter Seelsorger,
mir die Hand reicht zum Abschied.

Ladina, Mai 1998
----------------------------------------------------------------------------------

Der Weg durch die Wüste „Infaust“
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Vor 13 Jahren wurde ich quasi über Nacht
unvorbereitet aus vertrauter Umgebung gerissen
und in einer Wüste ausgesetzt.
Einer Wüste, in der es keine Orientierungspunkte gab,
ausser Skelette ausgehungerter Wesen als Mahnmale,
die mir zu verstehen gaben, dass ich keine Chance hatte,
aus dieser Wüste heil herauszufinden,
dass diese Wüste mein Verhängnis würde, wie schon für viele davor.
Die Wüste trug den Namen INFAUST oder Krebserkrankung mit (Fast) aussichtsloser Prognose.

Doch die Zeit liess sich nicht anhalten und ich musste weitergehen wie sie.
Es gab keine Spuren, denen ich hätte folgen können,
jeder Schritt blieb irgendwie dem Zufall ausgeliefert.

Dass ich 13 Jahre danach diesen Text schreibe,
für mich und vor allem für ein Mädchen,
dem der gleiche Weg bevorsteht,
hat sicher niemand gedacht.
Dass ich mich zurechtfinden könnte in der Ausweglosigkeit,
mehr noch, dass ich Oasen und Brunnen fand mich zu stärken
für die Wüstenwanderung,
dass ich mich sogar an einer Fata Morgana stärken konnte und heute noch lebe
wirft viele Fragen auf nach dem „Wie?“.

„Wonach hast Du dich gerichtet?“, werde ich gefragt, „woran Dich orientiert,
woher nahmst Du die Kraft?“.
Das sind ebenso die Fragen, die auch mich beschäftigen.

Spuren, die an und in meinem Körper von den Strapazen zeugen,
und die dicke Krankenakte
machen nur zu deutlich,
welcher Kampf, welcher Weg hinter oder noch vor mir liegt.
Unauslöschlich haben sich auch viele Eindrücke dieses Weges
in mein Gedächtnis eingebrannt,
doch wenn ich den Weg andern beschreiben müsste, gerate ich ins Stocken,
fehlt mir die konkrete Erinnerung,
weil ich oft genug wohl einfach funktioniert habe,
ohne mir der gegangenen Schritte voll bewusst zu sein.

Ich denke, es ist nicht möglich,
einem anderen Menschen, den Weg aus der Wüste Infaust zu erklären,
so dass er ihn zu gehen vermag.
Ich kann höchstens ein Wegweiser sein,
einer von vielen, die ein Ziel beschreiben.

Den Weg aber,
findet letztlich jeder
für sich allein

Ladina, Juni 98
----------------------------------------------------------------------------------

Die Chance auf Zukunft
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Es gibt Situationen,
wo du einfach nicht mehr magst,
wo du keine Kraft mehr hast
gegen deine Krankheit zu kämpfen,
wo dir die dafür nötige Liebe zum eigenen Leben verloren geht
und jeder Versuch, sie wieder zu finden
in einer Sackgasse endet.

Wenn es dann in deinem Umfeld Menschen gibt,
bei denen du dich aufgehoben und sicher fühlst,
denen du vertrauen kannst,
die dir viel bedeuten und die du aufrichtig gern hast,
so bist du nicht verloren.

Zeige ihnen deine Liebe und Zuneigung,
lebe deine Gefühle
und bewahre dir ein paar Träume
von einer gemeinsamen Reise
oder einem gemeinsamen Essen.

Dann kommt eines Tages,
wie von selbst,
auch die Liebe zum eigenen Leben zurück
und damit die Chance
auf Zukunft

Ladina, Juni 1998
------------------------------------------------------------------------------------

Diese innere Zerrissenheit
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Diese innerliche Zerrissenheit,
dieses seelisch orientierungslose Dasein
und nicht mehr wissen, wo ich stehe
das ist das Schlimmste in der momentanen Situation.
Ich weiss nicht,
bin ich sterbend oder sind durch die Therapie
jetzt doch Voraussetzungen für eine neue Wohlfühlzeit geschaffen?
Ich habe körperliche Ausfälle, ein fast blindes Auge, Gangstörungen, Übelkeit und Erbrechen-
sie locken die Aufmerksamkeit anderer Menschen auf sich,
werden als quälend empfunden.
Doch für mich sind sie das kleinere Übel.
Ich kann mich damit arrangieren, denn sie sind halt einfach da,
immer etwa gleich.
Das wirklich Schlimme für mich
spielt sich unsichtbar für alle im Verborgenen ab:
Diese innerliche Zerrissenheit,
dieses seelisch orientierungslose Dasein,
dieses einfach nicht mehr wissen,
wo ich stehe

Ladina, Juli 1998
-----------------------------------------------------------------------------------

Der Tod
°°°°°°°°°

Seit vielen Jahren begegnet er mir immer wieder.
Lange blieb er mir fremd und unheimlich,
ich hatte nichts als nackte Angst vor ihm.

Jetzt ist das anders.
Ich habe akzeptiert, dass er zum Leben mit dazu gehört
und manchmal, wenn es mir schlecht geht
sehne ich mich nach ihm.
Die Angst ist weniger geworden,
doch ganz weg ist sie noch nicht.

Ich wünsche mir,
dass ich ihn eines Tages
wie einen Freund begrüssen kann
wenn er sich an mein Bett setzt,
mir seine Hand entgegenstreckt und sagt: Komm.
Und dass ich dann mit ihm gehen kann
ruhig
und
voll Vertrauen…

Ladina, Juli 1998
-----------------------------------------------------------------------------------

Eine ganz wertvolle Lektion
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Auf der Kinderkrebsstation ging ich meine ersten Schritte
und fiel wieder um auf meinen Windelpo.
Auf der Kinderkrebsstation richtete ich mich an meinem Tropfständer immer neu auf,
bis ich frei stehen konnte.
Auf der Kinderkrebsstation weinte und schrie ich bei den Lumbalpunktionen,
doch nach dem 2stündigen obligatorischen Liegen war das vergessen
und ich freute mich herzhaft übers Dreiradfahren mit andern Kindern im Flur.
Auf der Kinderkrebsstation fand ich später meinen ersten Freund,
Hand in Hand gingen Urs und ich überall hin.
Mir ging es besser und ihm auch. Wir durften beide heim.
Erfuhren, dass wir am selben Tag zur Kontrolle bestellt waren
und freuten uns monatelang auf das Wiedersehen.
Doch ich sah ihn nie mehr wieder.
Auf der Kinderkrebsstation wohnten Freud und Leid ganz nah beieinander.
Auf der Kinderkrebsstation vermochten selbst ganz kleine Kinder
Unabwendbares als gegeben anzunehmen.
Auf der Kinderkrebsstation ging es dennoch oft fröhlich zu,
wir spielten mit Puppen und mit Lego,
wir mochten Memory und Puzzles,
wir bastelten viel und machten Scherenschnitte
oder wir bespritzten uns oder auch die Schwestern mit Einwegspritzen voll Wasser.
Wir lernten zu lachen, trotz der Krankheit,
die viel Schweres mit sich brachte
und mehr als alles andere,
lernten wir,
den Augenblick zu leben.

Ladina, Juli 1998
-----------------------------------------------------------------------------------

Mein Leben
°°°°°°°°°°°°°

Schon oft wurde ihm abgesagt,
schon oft wurde es abgeschrieben
schon oft glaubte keiner mehr so recht,
dass es durchkommen würde
und doch ist es noch immer da
manchmal schläfrig, matt und müde
doch immer wieder auch wach
und zu neuen Taten aufgelegt.
Es ist da
und steht Jahr für Jahr
zu seiner Zeit
in voller Blüte!

Ladina, August 1998
-------------------------------------------------------------------------------------

Gsichter
°°°°°°°°°

Gsichter luegend mich aa
Gsichter vo mir selber.
Fascht alli hend di gliech Frisur
und doch isch jedas andarscht.
Hinter jedam Gsicht schtoht en andari Gschicht:
Eis verzellt vo dr erschta Chemo
und eis zeigt mich mit dr erschte Perücka
Eis zeigt mich noch dr Chopfbeschtrahlig
und eis churz vor dr Transplantation.
Eis noch em Hirnschlag mit Halbsietelähmig,
eis mit Magesonda, eis mit Mundschutz
eis mit neu nochgwachsnem Hoor und uufgschwemmt vom Kortison.
Jedas Gsicht verzellt sini eiga Geschicht
und sie alli zämma
verzellend doch irgendwie die gliechi:

Es ischt d’Gschicht vom Läba
wo doch immer wieder schtärcher gsi isch als dr Tod
- bis hüt

Ladina, 31. August 1998
[/b]
Zuletzt geändert von Ladina am Mo 22 Nov 2021 17:35, insgesamt 5-mal geändert.

Ladina
Beiträge: 1652
Registriert: Do 4 Aug 2005 19:54
Wohnort: Kanton St.Gallen
Kontaktdaten:

Gedichte aus meinem 4.Gedichteband: Seerosenzeit (Fortsetzung)

Beitragvon Ladina » So 12 Nov 2006 15:03

Gedichte aus meinem 4.Gedichteband: Seerosenzeit (Fortsetzung)



Wiederkehrende Erfahrung
++++++++++++++++++++


Oft taucht in meiner Erinnerung derzeit
eine Kindheitserinnerung aus Afrika auf:
Ich hatte mich aus Angst vor einer Schlange
auf einen Baum gerettet, wo mich ein weiteres, seltsames Tier erschreckte,
sodass ich mich auf einen der unteren Äste hinüberhangelte.
Dort baumelte ich und harrte auf Hilfe,
hoffte, dass bald jemand vorbeikäme
denn das Festhalten tat immer mehr weh
und ich weinte laut.
Es kamen Kinder vorbei, die mich nicht hätten auffangen können,
aber sie rannten ins Dorf und holten Hilfe.
Endlich eilte mein Onkel herbei und stellte sich unter mich.
Er rief mir zu: “Du kannst jetzt loslassen, ich fange Dich auf, alles wird gut!“
Ich war froh, dass er da war und wollte mich in seine Arme fallen lassen,
doch es ging nicht.
Mein Festhalten war irgendwie mechanisch geworden.
Es tat jetzt nicht mehr weh, mich weiter festzuhalten,
aber das Loslassen war schmerzhaft wie selten etwas zuvor
und ich weinte noch lauter…

So ähnlich geht es mir jetzt auch wieder:
Ich habe das Leben zu lange festgehalten
und es tut jetzt so unendlich weh,
es loszulassen….

Ladina, Juni 1997
-------------------------------------------------------------------------------------

Wie eine Fliege
*************

Ich liege im Bett auf dem Balkon und döse etwas vor mich hin.
Eine Fliege leistet mir seit Stunden Gesellschaft,
sie fliegt um mich herum, summt und brummt,
landet auf der Bettdecke, dem Kopfkissen und dem Buch.
Sie stört mich nicht.
Aber plötzlich will sie mehr.
Sie fliegt meine Hände an und meine Arme.
Das kann ich ertragen.
Bald aber kommt sie mir noch näher,
setzt sich über meine Augen, auf den fast kahlen Kopf, die Nase
und geht um die Mundpartie spazieren.
Ich mag das nicht, wäre sie mit den Händen ab, verscheuche sie erfolglos.
Sie ist jetzt so aufdringlich und hätte es sicher bald geschafft,
mich von hier wieder zu vertreiben.
Noch ein paar Mal versuche ich ihr zu zeigen, dass sie unerwünscht ist,
sie gibt sich unbelehrbar, wird nur noch frecher.
Und plötzlich schlägt meine Hand zu und hat Erfolg.
Nicht ohne innere Regung töte ich sie ganz und während ich sie über den Balkon rausfallen lasse
denke ich plötzlich: Vielleicht hat die Fliege ja nur meine Nähe gebraucht,
hat sich allein gefühlt, so wie ich manchmal.
Auch ich suche derzeit so sehr die Nähe zu meinen Freunden, bräuchte sie sehr.
Mein Alptraum ist, diese Zeit alleine durchzustehen
und ich möchte bestimmte Menschen am liebsten immer um mich haben.
Mein Alptraum ist aber auch, dass ich ihnen lästig werden könnte und sie mich wegjagen,
auch wenn sie jetzt noch sagen, sie helfen mir gern.
Mein Alptraum wär’, dass sie sich eines Tages wünschen
für immer Ruhe vor mir zu haben
und sie davon träumen, wie schön es wäre,
wenn sie mich so einfach loswerden könnten wie eine Fliege

Ladina, August 1997
-------------------------------------------------------------------------------------

Wieder en Ghirntumor
*******************

Öppe vier Mönät isch es här,
sit mini Kollegin, mir sind sienerziet zäme
in dr Chräbsbehandlig im USZ gsi,
mich, ich weiss gar nit mehr, wäg was genau, aagmotzt hät:
„Schpinnsch Du jetzt, oder hescht Du wieder en Ghirntumor?“
Ich bin verletzt gsi, wäge dere Bemerkig,
aber noch eme Wieli han ich selber gmerkt, dass ich komisch bin worde
und ich han mich selber gfrögt: Schpinn ich jetzt, oder han ich wieder en Ghirntumor?
Jo, und hüt isch dr Tag do,
wo mir en Dokter die Frog beantwortet hät.
Ich weiss jetzt, ich schpine nöd,
ich han nur wieder en (chline) Ghirntumor.

Ladina, September 1997
-----------------------------------------------------------------------------------

Für wen kämpfe ich?
*****************

Am Anfang war alles ganz klar,
der Diagnose Krebs setzte ich aus voller Überzeugung
den Kampf fürs Leben entgegen,
weil ich Ziele hatte und Träume, die ich mir noch erfüllen wollte,
weil ich mich stark fühlte,
weil ich fand, ich sei zu jung zum Sterben
und weil ich den Krebs schon einmal besiegt hatte als kleines Mädchen.
Und selbst, wenn das alles seinerzeit nicht bestanden hätte,
ich glaube, ich hätte trotzdem gekämpft.

Aber jetzt, wo der Krebs zum x-ten Mal neu zugeschlagen hat,
da drängt sich immer häufiger die Frage auf: „Für wen kämpfe ich?“
Sicher, ich habe noch immer ein paar Träume und Ziele – die hat man wohl immer,
aber über allem hängt die düstere Prognose wie ein pechschwarzer Vorhang,
der sämtliche Farben verschwinden lässt.
Die Träume sind so weit weg
zu weit weg, um mich an ihnen festzuhalten.

Da sind Freunde, die mir sagen: „Gib nicht auf, Du schaffst es!“
Das tut gut zu hören, doch manchmal belastet das auch
wie ein Erwartungsdruck, dem man nicht entsprechen kann.
Denn wenn alles immer noch schlimmer und quälender wird
nach dem Kampf um ein vermeintliches neues Glück,
wenn gute Zeiten nur noch kurze Pausen sind,
bevor das Leid erneut zuschlägt,
dann fällt es irgendwann schwer
immer neu ans Gute zu glauben.
Dann hat man einfach keinen Antrieb mehr zum Kämpfen,
auch wenn da Menschen sind, die man lieb hat,
auch wenn in einem noch Ziele schlummern und Träume.
Man kämpft dann vor allem für andere,
dafür, dass andere nicht traurig sind.

Für eine Zeitlang kann das hilfreich sein,
aber auf Dauer darf das nicht so bleiben,
weil man sonst verkümmert,
weil man so eh nicht gewinnen kann,
weil es auch etwas Verlogenes in sich birgt,
wenn man sich so aufopfert nach aussen hin
und im Innern sich so sehnt nach Ruhe…

An Tagen, wo es mir gut geht,
wo ich nach draussen kann, vielleicht sogar im Garten arbeiten kann
oder ich die Kraft habe für einen kleinen Ausflug,
da steht für mich die Antwort auf die Frage: „Für wen?“ eindeutig fest.
So fest, wie vor 12 Jahren, als ich den Kampf voller Kraft und Optimismus neu aufnahm.
Da weiss ich sicher: Ich kämpfe noch immer für mich, für mein Leben.

Doch in Zeiten, wo es mir schlecht geht,
da weiche ich der Frage aus, wo ich nur kann,
weil ich Angst vor der Antwort habe, die ich zwar kenne,
die ich aber nicht aussprechen möchte,
weil sie eine Absage ans Leben
bedeuten könnte…

Ladina, September 1997
-------------------------------------------------------------------------------------

WICHTIG, bitte beachten:
Meine im Krebsforum.ch verfassten Beiträge und Gedichte (Urheberrecht) dürfen in anderen Foren, oder HP’s nicht ohne meine persönliche Zustimmung kopiert oder veröffentlicht werden.

Zarte Knospe
************

Am Anfang eines jeden grünen Baumes
stand einmal
eine erste zarte Knospe
HOFFNUNG

Ladina, März 1998
-------------------------------------------------------------------------------------

Leben mit dem Li-Fraumeni-Syndrom
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Leben mit dem Li-Fraumeni-Syndrom, das heisst
um die Bedrohung immer neuer Tumore im eigenen Körper zu wissen
und damit ein Stück Zukunft zu kennen.
Leben mit dem Li-Fraumeni-Syndrom, das heisst
über der Dunkelheit die Sonne zu erahnen
und daraus Kraft zum Weiteratmen zu schöpfen.
Leben mit dem Li-Fraumeni-Syndrom, das heisst
die Ursache der Krankheit zu kennen
und die Schuld dafür nicht mehr im eigenen Versagen zu suchen.
Leben mit dem Li-Fraumeni-Syndrom, das heisst
den guten Zeiten viel mehr Bedeutung zuzumessen
und reich an glücklichen Momenten zu sein.
Leben mit dem Li-Fraumeni-Syndrom, das heisst
von Kindesbeinen an mit dem Tod Tür an Tür zu leben,
früh kämpfen zu lernen,
aber gerade deshalb eine besondere Freude am Leben zu entwickeln.
Leben mit dem Li-Fraumeni-Syndrom, das heisst
den Wechsel von Hell und Dunkel ganz intensiv zu erleben
Schattierungen und Nuancen wahrzunehmen
und jeden Hauch von Glück als Sensation zu empfinden.
Leben mit dem Li-Fraumeni-Syndrom, das heisst
sterbend wie ein verknorrter Baum zu sein
aber trotz allem immer wieder neu Energie zu spüren,
die Äste dem Licht entgegen zu recken
und Knospen der Hoffnung zu treiben.
Leben mit dem Li-Fraumeni-Syndrom, das heisst
immer wieder das Reich der Steine zu besiegen
und sich mit neuem Mut den schönen Seiten im Leben zuzuwenden.

Leben mit dem Li-Fraumeni-Syndrom, das heisst
eine seltene Erkrankung zu haben,
wesentliche Erfahrungen zu machen,
sich jeden Tag weiter zu entwickeln,
gleichzeitig dem Leben wie dem Sterben zugewandt zu sein,
ganz besonders viel zu empfinden,
an manchen Tagen todtraurig zu sein
aber jeden, neuen guten Tag als Sieg zu feiern!

Ladina, Februar 1998
-------------------------------------------------------------------------------------

Eine Antwort
************

Vor 6 Monaten fragte ich verzweifelt: WOZU?
Wozu all das Leiden, der neue Tumor,
wozu die anscheinend leeren Versprechen
wozu die Quälereien
wozu die immer neuen Enttäuschungen?
Niemand konnte mir natürlich diese Fragen beantworten,
keiner wusste einen Grund.
Doch etwas gab mir neue Kraft in dieser Zeit
um die Krise zu überwinden
und so fühle ich mich heute so voller Freude und triumphiere wie eine Siegerin.
Jeder neue Tag ist wie ein Freudenfest für mich
jeder Zentimeter birgt Grossartiges in sich
und ich spüre es auf.
Die Zeit des Lachens, der Kraft und der Farben
ist neu angebrochen
und ich darf dabei sein, mittendrin, sie voll geniessen und ausschöpfen.

Wozu all das Leiden, all die Tränen, all die Not
gut war, das weiss ich jetzt
denn diese Tage geben mir die Antwort darauf

Ladina, Februar 1998
-------------------------------------------------------------------------------------

In Erinnerung an Thomas Lazlo
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Heute vor genau einem Monat, am Schmutzigen Donnerstag, 19. Februar 1998,
wollten Du und ich zusammen an die Guggennacht in St.Gallen.
4 Tage zuvor bist Du zu Grabe getragen worden.
Dein Wunsch noch ein letztes Mal dabei zu sein, erfüllte sich nicht.
Trotz der Trauer in mir bin ich gegangen in unserem Pijamakostüm
und Dich Thomas, und nur Dich habe ich im Herzen mitgenommen.
Ich habe mich maskiert, damit niemand mich erkannte,
damit niemand mich störte,
damit ich Deine und meine Lebensfreude und den Spass an der Musik
auch körperlich ausdrücken konnte.
Ich habe getanzt für Dich, Thomas,
ich habe mich ganz nach dem gerichtet,
wie Du es mir geschildert hast, damals, als wir darüber sprachen.
Ich habe mitgebrummelt und gesungen,
versucht, Deine Stimme zu imitieren,
ich bin herumgehopst und wurde so fröhlich, wie Du es immer warst.
Und ganz am Schluss, Thomas, stell Dir vor,
da habe ich mir und Dir Deinen grossen Wunsch erfüllt,
ich bin für Dich auf eine Bühne gestiegen,
habe Deinen selbst erfundenen, urkomischen Tanz getanzt, ganz allein dort oben
und die Leute unten hatten Spass daran
und sie haben mitgemacht!
Hinter meiner Maske habe ich geweint, während ich tanzte
und ich bin aus dem Rhythmus gefallen,
aber die Leute, Thomas,
sie haben Deinen Tanz noch ein Weilchen weiter gemacht. Sie mögen ihn!

Auch nächstes Jahr möchte ich wieder mit Dir gehen, Dich aufleben lassen und Deinen Tanz.
Und wenn ich wieder weinen muss und aus dem Rhythmus falle,
so hoffe ich, dass einer da sein wird,
der mir zeigt, wie’s weitergeht!

Ladina, März 98 (Thomas starb im Alter vor 38 Jahren an seinem Glioblastom, das viel zu spät erkannt wurde)
-------------------------------------------------------------------------------

Hoffnung aus harten Worten
************************

Einer der Ärzte auf meiner Abteilung
sagte kürzlich trocken zu mir:

„Wenn Sie so weiter machen, haben Sie grosse Chancen
mit 40/45 Jahren auch noch den dritthäufigsten Li, also Brustkrebs zu bekommen!“

Bin erst wie vor den Kopf gestossen,
staune einmal mehr über die „Feinfühligkeit“ gewisser Herren in Weiss.
2 Mitpatientinnen, die es hörten, geht es ebenso.

Doch wenig später,
als ich das Negative in dieser Verheissung verdaut habe,
sehe ich einen Hoffnungsschimmer
jenseits des Entsetzens:

Er traut es mir tatsächlich zu, 40 zu werden!

Ladina, März 1998 (Nachtrag Nov. 2007 – und ich bin 40 geworden, aber bis jetzt OHNE den dritthäufigsten Li-Fraumeni Tumor)
-------------------------------------------------------------------------------------

Freude neben dem Leid
********************

Immer wieder kommt es vor,
dass meine Krankheit meine Pläne durchkreuzt,
mir Steine in den Weg legt, die zu gross und zu schwer sind,
um sie einfach wegzustossen.
Immer wieder zwingt sie mich in andere Bahnen als ich es mir wünsche
und unvorhergesehene Zwischenfälle,
die ein Vorhaben verunmöglichen,
sind keine Seltenheit.
Jetzt, während der Chemo bedeutet schon erhöhte Temperatur,
dass ich zurück ins Spital muss.

Gerade weil vieles in meinem Leben instabil und unsicher ist,
habe ich eine besondere Spontanität und Flexibilität entwickelt.
Ich mache Besuche ohne Voranmeldung
mit vager Hoffnung auf gut Glück den Freund zu sehen
und stehe nicht selten vor verschlossener Tür.
Nach einer ersten Enttäuschung versuche ich dem Tag dann doch noch etwas Positives zu geben und ihm was Schönes abzugewinnen.
Ich geniesse, was ich geniessen kann, schenke dem anderen, wenn es geht in solchen Momenten keine Beachtung, lasse nicht zu, dass es Überhand nimmt.
Vergessen lassen sich die Sorgen zwar so auch nicht
aber ich kann die Freude daneben setzen
und ich sehe, sie vertragen sich,
sie stören sich nicht, bleiben jedes für sich am zugewiesenen Platz,
sie bekämpfen sich auch nicht,
sie verunmöglichen das Gegenüber nicht.

Sie lassen sich sein
und mich
mich selber bleiben

Ladina, Mai 1998
-------------------------------------------------------------------------------------

Lebenshilfen
***********

Ich habe 2 Freundinnen, mit denen ich gut sprechen kann über alles, was mich bewegt
und eine Freundin, mit der ich nur Spass mache.
Ich habe 3 Freunde, die mich zum Lachen bringen
und 2 bei denen ich Trost suche und finde.
Ich habe 2 Freundinnen, denen meine Gedichte viel bedeuten
und 2, die vor allem meine Malereien und die Fotos mögen.
Ich habe 3 Freunde, die mir auch manchmal körperlich sehr nahe sind
und 2, mit denen ich nur telefonisch oder brieflich Kontakt habe.
Insgesamt sind es 7 Menschen, die ich als meine wirklichen Freude bezeichne und empfinde.
2 davon sind in meinem Alter, die anderen älter,
einige haben graue Haare, andere schwarze, blonde, rote oder braune
einige sind musikalisch, andere sportlich, manche an Kunst interessiert, gross gewachsen oder kleiner, schlank oder rundlich
äusserlich auf keinen gemeinsamen Nenner zu bringen.

Doch sie alle,
so verschieden sie auch sind
helfen mir leben

Ladina, Mai 1998
-------------------------------------------------------------------------------------

Entscheidung ohne Wenn und Aber
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Auf der einen Seite ein Tumor,
der weiter wächst ohne Therapie.
Auf der andern Seite eine verheerende Entzündung,
die mir das Augenlicht rauben könnte
und ganz egal, welche Krankheit bei mir nun vorrangig behandelt wird,
die andere breitet sich weiter aus.
Beide können nicht gleichzeitig behandelt werden
also hängt wieder alles von meiner Entscheidung ab.
Was ist mir denn nun lieber?
- Blind noch einige Monate oder Jahre zu leben
oder Sehend etwas früher zu sterben?
Für einmal fällt mir die Antwort leicht
und ich entscheide mich
ohne Wenn und Aber
für die Behandlung der Augenentzündung

Ladina, Mai 1998
………………………………………………………………………………..

Niemand weiss…
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Niemand weiss
wie ausgeliefert ich mich fühle
nachts, wenn auch nach Absprache, meine Hände zusammengebunden werden in Handschuhen,
damit ich meinen ständig juckenden Körper
nicht wundkratzen kann im Schlaf – sofern ich überhaupt zum Schlafen komme.
Niemand weiss
von meiner Sehnsucht
wenigstens etwas umarmen zu können.
Niemand weiss
welche Schmerzen ich oft leide
und wie viele Tränen mein linkes Auge ins Kopfkissen vergiesst.
Niemand weiss
von der Todessehnsucht in solchen Momenten.
Niemand weiss
wie einsam ich mich fühle
wenn ich abends ganz allein spazieren gehe
und wie kalt mir dann ist
trotz warmer Kleidung.
Niemand weiss
wie weh es mir tut, zu sehen, wie andere junge Menschen
rauchen, saufen, ihre Zeit vertun und trotzdem allem Spass am Leben haben dürfen.
Niemand weiss
von der Not, in der ich mich befinde
und von der Bedrängnis
leben zu wollen
aber nicht so…
Niemand weiss
wie gross die Not
wie stark der Schmerz
wie tief die Sehnsucht
wie schwer dieses Leben mit einem Gendefekt oft ist.

Ich kann darüber schreiben
versuchen, Gefühle in Worte zu fassen,
anderen Kenntnis meiner Empfindungen zu gewähren
doch keiner kann es wirklich nachvollziehen
was passiert in mir.
Es bleibt einfach alles wie vorher
und niemand weiss…

Ladina, Mai 1998
Zuletzt geändert von Ladina am Mi 22 Mai 2019 19:21, insgesamt 4-mal geändert.

Ladina
Beiträge: 1652
Registriert: Do 4 Aug 2005 19:54
Wohnort: Kanton St.Gallen
Kontaktdaten:

Weitere Gedichte aus Band 4: Seerosenzeit

Beitragvon Ladina » So 12 Nov 2006 15:38

Weitere Gedichte aus Band 4: Seerosenzeit

Aus neuer Sichtweise
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Seit die Gelassenheit
in mein Leben zurück gekehrt ist
und diese absolute Verbissenheit vertrieben hat,
ist der mächtige Berg meiner schweren Erkrankung
in meiner Sichtweise zu einem Maulwurfshügel geworden.

Er hat seine Bedrohlichkeit für mich verloren
und meine Wut legte sich,
denn ich sehe über ihn hinweg
und er steht mir nicht mehr vor dem Licht.

Die Krankheit ist halt einfach nur noch
ein Detail auf meinem Lebensweg,
von welchem ich jetzt weiss,
dass ich ihn gehen kann

Ladina, Juli 1997
..................................................................................................

Mein anderes Leben
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Wie oft in den vergangenen Jahren sah ich Menschen rennen, lachen,
sich bewegen, etwas tun
und dachte, so möchte ich das auch mal wieder können.
Doch alles Wünschen brachte mich nicht ans Ziel,
all die teils schweren Kämpfe gegen die Auswirkungen der Krankheit
führten nicht derart zum Erfolg, wie ich es erhoffte.

Erst jetzt erkenne ich,
dass ich nicht das Leben eines andern leben kann.
Mein Leben wird nie mehr so unbeschwert sein wie vor dem Krebs,
doch vielleicht macht gerade das seinen Wert aus.

Ich fange an, es zu akzeptieren, so wie es jetzt ist
mit den mehr oder weniger grossen Beeinträchtigungen,
fange an, mein anderes Leben zu leben.
Und plötzlich geht alles so leicht,
plötzlich bin ich zufrieden mit dem, was ich kann.
Ich stelle keine Vergleiche mehr an,
schiele nicht mehr verstohlen über den Zaun zu denen,
die scheinbar alles mühelos erreichen.

Ich renne, ich lache, ich bewege mich und tue etwas,
und es kümmert mich nicht mehr, was andere darüber denken.
Ich lebe einfach so, wie es geht,
lebe mein eigenes Leben, wie alle andern auch.

Ich bin mir der Unterschiede bewusst, aber es kränkt mich nicht mehr,
es betrübt mich nicht mehr.
Endlich kann ich ehrlich sagen: Ich bin glücklich über mein anderes Leben!

Ladina, Valens, Juli 1997
-----------------------------------------------------------------------------------
Nur noch eines
°°°°°°°°°°°°°°

Nachts,
wenn ich wach liege,
wenn die Schmerzen nicht enden wollen,
die Angst an mir nagt
und es mir wieder so schlecht ist.
Nachts,
wenn rings um mich alles dunkel ist,
wenn ich mich kaum rühren kann
und das Licht der Nachttischlampe meine Augen tränen lässt,
dann sehne ich mich danach zu sterben.

Am Morgen,
wenn sich zaghaft Tageslicht in die Dunkelheit mischt,
wenn die Vögel ein Konzert anstimmen
und ein neuer Tag erwacht,
dann mildern sich meine Schmerzen und Nöte der Nacht
und ich möchte nur noch eines:

Hinausgehen und LEBEN!

Ladina, Valens, Juli 1997
---------------------------------------------------------------------------
Vom Willkommen-Sein
++++++++++++++

Auf Krebskongressen schätzen sie
meine nüchterne Sachlichkeit
und die Ausdrucksstärke meiner Worte,
mit denen ich den anwesenden Fachleuten
von meinen Erfahrungen berichte
und die Unbefangenheit,
mit der ich Red und Antwort stehe.
Auf Seminaren schätzen sie meine Offenheit,
und meine Art Gefühle auszudrücken sowie mein Einfühlungsvermögen.
In Lagern schätzen sie meine Verspieltheit,
meinen Einfallsreichtum und die Kreativität.
In Kuren und im Spital schätzen sie meine eiserne Disziplin,
meine Einsichtigkeit und meine Überzeugungskraft, anderen die
Notwendigkeit gewisser Massnahmen darzustellen.
Fast überall sind nur Splitter meiner Persönlichkeit gefragt,
alles andere bleibt aussen vor.
Sie mögen keine Gefühlsausbrüche auf Kongressen,
keine Abgeklärtheit in Seminaren,
keine Lustlosigkeit in Lagern.
Oft gehöre ich zu den ersten, die sie anfragen, wenn sie Patienten suchen für Kongresse
und Betroffene für ein Patiententreffen
- das vermittelt den Eindruck, gefragt zu sein, macht mich manchmal auch ein wenig stolz.
Doch ich kann nur weiter an Kongressen und Patiententreffen "erfolgreich" sein,
wenn ich eine Heimat habe, einen Ort, wo ich als ganzer Mensch willkommen bin,
wo ich leben kann und nicht nur funktionieren muss,
wo ich mich sein darf,
ganz egal, ob ich mutig oder verängstigt bin.
Einen Ort, wo die Traurigkeit nicht ausgesperrt wird
und nicht bis spätestens 13 Uhr weg sein muss.

Einen solchen Ort, eine solche Heimat finde ich immer wieder in meinem
Freundeskreis.
Ich danke Euch allen!

Ladina, November 1997
---------------------------------------------------------------------------
Ich wünsche mir...
**************

Ich wünsche mir
...das Gefühl, ein starker Baum zu sein
oder das Vertrauen darauf, wieder einer zu werden,
... einem Perlenfischer gleich,
Kostbarkeiten aus der Tiefe der Seele zu bergen
... das Gefühl geliebt zu werden
und selber jemandem oder etwas zu lieben.
Ich wünsche mir,
...das Leuchttürme weit nach oben ragen und sichtbar bleiben
... ein vierblättriges Kleeblatt zu finden
... selbst in misslichster Lage die Hoffnung nicht zu verlieren.
Ich wünsche mir,
... die Kraft auf den Händen zu stehen, wenn die Beine versagen
oder alles Kopf steht
... Lebensfreude zu empfinden
und deshalb Purzelbäume schlagen zu wollen
... das Gefühl, wie ein Drachen unbeschwert am Himmel zu tanzen.
Ich wünsche mir,
immer wieder eine schöne Überraschung,
die einem gewöhnlichen Tag unverhofft die Krone aufsetzt
und ihn unvergesslich macht,
... dass Kummer vergeht und der schwarze Sorgenvogel
nicht für immer sitzenbleibt, sondern wieder wegfliegt.
Ich wünsche mir,
... Farben, Wärme, Licht und frohe Klänge, die ein Herz erfreuen
... Möglichkeiten, ein Stück Himmel auf Erden zu schaffen
und ein wenig von der Welt zu sehen
oder eine Reise, eine Bergwanderung oder eine Radtour zu geniessen.
Ich wünsche mir,
... dass das Glücksschweinchen auch unter dem Jahr aktiv bleibt,
... Aussichten, die froh stimmen oder Mut machen
... die Phantasie und die Träume nicht zu verlieren.

Ja, die alles wünsche ich mir für mich
und ganz besonders auch für Dich!

Ladina, zum neuen Jahr 1998

Glücksschweinle neuJPG (Andere).JPG
Glücksschweinle neuJPG (Andere).JPG (23.63 KiB) 5663 mal betrachtet
--------------------------------------------------------------------------------
Veränderung
++++++++

Irgendwie hat sich in meinem Leben
etwas ganz entscheidend verändert,
denn früher,
lebte ich psychisch nur auf,
wenn ich Therapie bekam.
Inmitten des durch die Chemo verursachten körperlichen Leidens
blühte meine Seele auf - allein durch das Gefühl,
es wird etwas für mich, gegen die Krankheit getan.
War aber die Therapie beendet,
und mein Körper zur Erholung von den Strapazen beurlaubt,
fiel ich oft seelisch in ein dunkles Loch,
weil ich nur daran denken konnte,
dass der Krebs den Waffenstillstand für sich ausnützen und neu ausbrechen könnte.
Die Gedanken hinderten mich am Leben.
Aber jetzt ist das auf einmal ganz anders,
ich weiss nicht genau, warum,
aber ich kann es geniessen, frei zu sein.
Ich gerate nicht in Panik, jetzt wo ich keine Therapie mehr habe.
Ich geniesse es zu leben, voll und ganz, ohne Vorbehalte.
Ich lebe nicht mehr auf im Leiden,
und leide nicht mehr im Leben.
Ich fühle mich wohl und gesund,
lebe meine Träume, mache mir keine negativen Gedanken.
Ich nehme es, so wie es jetzt ist
und es ist gut so!

Ladina, Februar 1998
-------------------------------------------------------------------------------------

Über dem Abgrund
****************


Mit einem positiven Lebensgefühl
hinein ins Labor für eine routinemässige Kontrolle.
In Gedanken schon wieder draussen,
erleichtert, dass nichts ist,
doch dann,
ein Blick,
eine Zahl,
Worte des Bedauerns
und ich begreife es!
Werde wieder herausgerissen aus dem unbeschwerten Leben,
wieder ist der schwarze, schwere Vorhang gefallen
und hüllt mich ein, als wollte er mich für immer zudecken.
Ich bin nahe dran, nachzugeben, mich fallen zu lassen,
meinen Widerstand aufzugeben,
fühle mich nicht mehr imstande,
den Ballast und die Angst vor der Zukunft abzuschütteln,
sehe keine Chance mehr für mich,
spiele ernsthaft mit dem Gedanken, eine weitere Therapie zu verweigern.
Doch 2 cm vor dem Abgrund
spüre ich den Hauch der Hoffnung
und versuche,
mich aufzurichten.

Ladina, März 1998
---------------------------------------------------------------------------------
Trotzdem Hoffen
**************


Trotz dem Bewusstsein
um ein Leben,
das den ewigen Wechsel
von Werden und Vergehen,
von Hoffen und Sterben
in Windeseile vollzieht
und kaum Gelegenheit bietet
richtig zur Ruhe zu kommen
widerstehe ich
dem Verzagen in mir
bejahe
meine Begrenzung
und öffne mich
dem Licht…

Ladina, März 1998
---------------------------------------------------------------------------------
FREI!
°°°°°

Nur wer die Freiheit
kennt
kann sich gefangen
fühlen
doch innerlich frei
kannst du auch in Gefangenschaft BLEIBEN

Ladina, März 1998
-------------------------------------------------------------------------
Kraft aus Deiner Hand
"""""""""""""""""""""""""


1000 Hände haben wohl schon meinen Körper angefasst
1000 Hände streckten sich ihm entgegen
um ihm eine Schmerzspritze zu geben,
um ihn zu punktieren, Blut abzunehmen oder zu operieren,
um ihn an Maschinen anzuschliessen, ihn für eine Untersuchung vorzubereiten
ihn zu ernähren,
ihn zu wecken
ihn zu therapieren
ihn zu waschen
ihn zu bewegen.
Doch selten hat jemand meine Seele berührt
sie gestreichelt
sie getröstet
wie es Deine Hand tat.
Ich habe sie berührt und sie hat es zugelassen.
Ich habe sie gestreichelt und sie hat mich beruhigt.
Ich habe sie umklammert und sie schenkte mir
das schöne Gefühlt von Geborgenheit,
wie es keine der 1000 Hände je getan hatten.
Sie nährte meinen Lebenswillen
sie weckte neue Lebensgeister,
sie verabreichte mir das Elixier, das mir hilft, weiter zu kämpfen
sie wusch die Schatten des Verzagens von meiner Seele
und schuf Platz für neuen Mut,
sie bewegte Dinge in mir, für die es keine Worte gibt und die auf keinem MRI sichtbar werden,
sie linderte meine Schmerzen, ohne mir zwangsläufig neue zuzufügen

Sie allein hat mich stark gemacht für die Zukunft!

Ladina, März 1998
----------------------------------------------------------------------------------
Gemeinsamkeit
°°°°°°°°°°°°°°°

Wir, Mirjam, Martin und ich.
Mirjam ist 38 Jahre alt, halbseitig gelähmt, rothaarig,
eine grosse Wasserratte, die im Behindertensport Medaillen erkämpft.
Sie hört gerne Gospelchöre, ist ausgeglichen und kontaktfreudig.
Ihre Hobbys sind Schwimmen, Stricken (einhändig, jawohl - geht nicht, gibt es nicht in ihrem Wortschatz), Fotografieren und Sticken und Brotbacken.
Martin ist 30 Jahre alt, geistig etwas zurück, Epileptiker, blond, sprachbegabt (kein noch so aussergewöhnlicher Dialekt, den er nicht imitieren könnte), immer auf Reisen, hilfsbereit, schlagfertig mit Antworten, unsportlich, gehemmt, humorvoll, begnadeter Witze -Erzähler und Tierbändiger. Er mag Discomusik und seine Hobbys sind Reisen und Telefonieren.
Ich bin ebenfalls 30 Jahre alt, von zunehmender Sehbehinderung betroffen, meine Motorik, die Augenbewegungen und das Kurzzeitgedächtnis sind eingeschränkt, ich bin schon fast grauhaarig oder manchmal auch kahl, fahre immer noch gerne Velo (wie lange noch?), ich bin kreativ, male und schreibe, fotografiere gerne. Ich bin wasserscheue Nichtschwimmerin, zurückhaltend zu Fremden. Ich liebe Volksmusik, Instrumentalmusik und meine Hobbies sind: noch Fahrradfahren, Schreiben, Malen, Wandern, Handorgeln, Reisen.
Mirjam, Martin und ich sind Freunde
wir sind in vielem verschieden und doch verbindet uns etwas Besonderes.
Bei Mirjam liegt es 33 Jahre zurück,
bei Martin 14 Jahre,
bei mir 18 Jahre.
Die Gefühle, Gedanken und Erlebnisse vor diesem Ereignis waren bei uns wohl verschieden,
das Erleben danach war und ist gleich,
egal, wie lange es schon her ist
Wir sind zusammen ausgelassen und fröhlich,
bereden aber auch ernste Themen,
gehen gemeinsam spazieren oder mal in ein Restaurant
und selbst wenn wir schweigen, verstehen wir uns dann noch gut.
Wir teilen ein Stück weit den Alltag untereinander auf.
Das, was uns verbindet,
sieht man von aussen nicht mehr,
doch wir strahlen heute auch alle dasselbe aus:

Es ist die Lebensfreude nach einer erfolgreichen Hirntumor-Operation

Ladina, März 1998
------------------------------------------------------------------------------

Entscheidung fürs Leben
+++++++++++++++

Das Schönste im Leben ist für mich
- Freunde zu haben, die ich unendlich liebe und schätze, denen auch ich etwas geben kann, von denen ich mich angenommen fühle, die in guten und schlechteren Zeiten zu mir stehen, bei denen ich auch mit leeren Händen noch willkommen bin.
- Die Natur und ihre Wunder zu entdecken
- Echte Oberkrainermusik und Melodien von Carlo Brunner und Beny Rehmann
- Handorgel zu spielen, frei oder als Begleitung der Kirmesmusikanten
- und Kraft und Luft fürs Fahrradfahren und Wandern zu haben, sowie zum Schreiben.

Solange ich noch Aussicht darauf habe,
dass mir diese Dinge erhalten bleiben,
werde ich mich immer
fürs Leben entscheiden!

Ladina, 26. März 1998
-------------------------------------------------------------------------------
Stimmen
°°°°°°°°

Durch eine bakterielle Infektion meiner Augen
ist meine Welt seit 3 Tagen dunkel.
Nur für die wenigen Sekunden, wenn mir Tropfen verabreicht werden,
kommt ein wenig Licht zu mir,
brennt und sticht in meinen Augen,
doch es vermittelt auch Hoffnung, denn ich bin nicht blind,
auch wenn es mir jetzt so vorkommt..

Töne, Klänge und Stimmen bringen Spannung und Leben zu mir,
doch das meiste ist anonym und nicht für mich bestimmt.
Dennoch bitte ich die Schwester, die Tür offen zu lassen,
und so finden die Stimmen den Weg zu mir.
Hohe und tiefe, laute und leisere, schrille, heisere, näselnde und klare
statten mir flüchtige Besuche ab.
Gestern hörte ich eine Stimme, die mir bekannt vorkam.
"Das war doch Doktor Odermatt", dachte ich, doch heute erfuhr ich, dass dieser am Vortag gar nicht im Haus war
- es gibt Stimmen, die ähneln sich sehr.
Manche Stimme sagt immer das Gleiche zu mir: En Gueta! oder "Jetzt gits a Spritza!"
andere sprechen nur über mich, aber nicht mit mir
und wieder andere höre ich einfach, ohne dass sie mich etwas angehen.

Aber es gibt auch Stimmen, die einzigartig sind,
Stimmen, deren Klang mich froh macht
mich tröstet, mich beruhigt, mich streichelt.
Stimmen, an denen ich mich fest halten kann,
Stimmen, die man unter Tausenden immer wieder rausfindet,
weil sie nicht nur einen Klang, sondern auch ein Herz haben.

Wenn ich Sehnsucht habe, nach so einer herzlichen Stimme,
ertaste ich auf dem Telefon die Nummer von Barbara, Inge, Therese, Reni, Reto, Mirjam, Martin, Madlaina oder Cecile
und sobald ich sie höre, geht in meinem Herzen die Sonne auf
und ich sehe, trotz der geschlossenen Augen, Licht am Ende des Tunnels!

Ladina, April 1998
-----------------------------------------------------------------------------------
Gewagte Schritte
***************

Ich gehe meinen Weg
mit schwankenden Schritten,
unsicher watschelnd,
fahrig, torkelnd,
so dass es aussieht, als ob ich unter Drogen oder Alkohol stünde.

Ich gehe meinen Weg
und wenn ich hinfalle, stehe ich wieder auf.
Ich gehe anders, als die meisten Leute
und manche sagen mir in fürsorglicher Art: "Setz dich doch lieber in den Rollstuhl. Es wäre viel einfacher für Dich!"

Aber ich gehe weiter zu Fuss,
solange ich gehen kann, so lange gehe ich.
Ich falle hin und falle auf,
gehe watschelnd, torkelnd durch die Stadt.
Ich steige Stufen rauf und runter, benutze nicht die Rolltreppe
- es sieht umständlich aus und das ist es auch,
und doch geniesse ich es, dass ich gehen kann.

Denn es gab einmal eine Zeit meinem Leben,
wo ich gar nicht mehr gehen konnte,
wo ich ein halbes Jahr im Rollstuhl sass und niemand mir
versprechen konnte, ob ich jemals wieder aufstehen kann.

Seitdem ist jeder noch so unbeholfene Schritt, den ich tun kann
ein Geschenk für mich
und jeder Spaziergang ein Gebet des Dankes.

Momentan gehe ich wegen dem Onvovin torkelnd, schwankend, fahrig,
doch ich beanspruche für mich das Recht,
trotzdem zu Fuss zu gehen,
auch vor andern, vor Gesunden.

Ich nehme es in Kauf
aufzufallen,
hinzufallen,
blöde Sprüche zu hören.

Ich reagiere nicht darauf,
und gehe weiter
als ob es das Normalste und Selbstverständlichste der Welt wäre.

Dass es das nicht ist,
dass weiss ich sehr genau
und wenn auch nur einer
auf der belebten Zürcher Bahnhofstrasse
dies durch mich begreift,
dann ist es gut,
dass ich hier bin
und Schritte wage
solange ich kann…

Ladina, Mai 1998
----------------------------------------------------------------------------------
Wahre Freunde
*************

Im Oktober 1997 hatte ich nachts einen Traum
und durchlebte darin noch einmal den 4.August,
den Tag, an dem ein neuer Tumor in meinem Kopf entdeckt worden war.
Ich spürte wieder die Verzweiflung so wie damals,
meine Kehle war wie zugeschnürt vor Angst,
körperliche und seelische Not stürzten mich in die Abgründe
des Tränenreiches.

Wie am 4. August, so waren auch im Traum
alle meine Freunde und Freundinnen gerade in den Ferien
irgendwo in der Welt.

In meinem Traum ging ich nun zu einer Wahrsagerin.
Sie schaute in ihre Kugel, sah eine Strasse
mit vielen bunten Häusern
und einen Menschen, der mir damals noch sehr viel bedeutete.

Dieser Mensch ging in das einzige hellblaue Haus
und die Wahrsagerin wusste, dass er lange dort bleiben würde,
lange genug, dass ich zu ihm gehen konnte
um mich auszuweinen und durch ihn wieder Trost und Hoffnung
zu bekommen.
Ich brauchte nichts nötiger als das.

Also ging ich im Traum zu der Strasse mit den bunten Häusern,
doch ich ging nicht ins hellblaue Haus,
obwohl die Stimme des Freundes daraus zu hören war.
Stattdessen suchte ich ihn im gelben Haus, im rosa Haus,
im lilafarbenen und im grünen
und ich fand ihn nicht, und war verzweifelt.

Ich hatte nicht vergessen,
dass mein Freund im hellblauen Haus ist,
doch spürte ich ganz intensiv,
dass dieses Haus eine unsichtbare Grenze umgab,
die zu überschreiten streng verboten ist,
dass ich dort nicht willkommen bin
und es wohl auch nie war.

Im Traum dieser Nacht gingen mir die Augen auf
und ich wusste plötzlich,
warum ich den Freund nicht dort suchte, wo er war.

Ich hatte ihn lange sehr lieb gehabt,
vertraute ihm brieflich all meine Sorgen und Freuden an,
doch richtig nah durfte ich ihm immer nur per Zufall sein.

Seit diesem Traum definiere ich Freundschaft so:

Meine echten Freunde und Freundinnen sind jene,
die ich finden darf,
in Briefen, am Telefon und ganz besonders auch bei Besuchen
irgendwie
irgendwo
irgendwann
ohne Ausflüchte
ohne speziellen Grund
ohne Erklärungen

Einfach so!

Ladina, Mai 1998
---------------------------------------------------------------------------
Eindrücke aus meiner 1.Vollmondnacht auf dem Balkon im Jahr 1998 (vom 11. auf den 12.Mai 1998)
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°


Jedes Jahr, seit dem Sommer 1991
freue ich mich auf die Nächte
die ich auf dem Balkon schlafen kann.
Es ist erst Mai, doch eine warme Nacht ist angekündigt
und nichts hält mich mehr davon ab,
mein Liegebett samt Moskitonetz zu installieren.
Sobald es eindunkelt,
lege ich mich in dieses besondere Bett
und stille Vorfreude ist in mir.

Diese Nächte hier draussen haben einen Zauber,
den zu beschreiben schwer ist
und sie üben positive Reize auf mich aus,
die beinahe süchtig machen.

Längst habe ich Vertrauen gefasst in diese Nächte.
Ich liege entspannt da, lausche in die Dunkelheit
und finde die Geräusche nicht wieder,
die mich früher jeweils so erschreckten.
Ganz gelöst begebe ich mich in die Obhut des Nachthimmels
und schlafe einem neuen Tag entgegen.

Um 2.15h fällt das sanfte Licht des Vollmondes auf mein Gesicht
und ich erwache ruhig,
freue mich über die Aufmerksamkeit,
empfinde sie wie den Gruss eines Freundes
wie ein Streicheln über meine Seele.
Durch meine Sehbehinderung wirkt der Mond etwa 4 mal grösser als in der Wirklichkeit,
wie sie durch die Brille sichtbar ist.
Sein Licht aber ist genau so strahlend,
verliert sich nicht am Himmel,
versteckt sich nicht vor mir.

Aus einer solchen Nacht
steigt jeden Morgen
eine intensive Lebensfreude und Dankbarkeit
in meinem Innern auf,
ich fühle mich den Leben wieder näher,
spüre mehr Energie in mir
und ich bin glücklich, ja selig darüber,
dass mir solches möglich ist,
dass ich diese schönen Erfahrungen Jahr für Jahr
wieder machen darf

Ladina, Mai 1998
----------------------------------------------------------------------------------

Gedanken im Park der Uni-Klinik Freiburg i. Br.
***************************************

Ich hatte mich fast aufgegeben
als ich hierher überflogen wurde,
habe um mich geschlagen, den Pfleger in St.Gallen sogar gebissen,
in meiner Not und Verzweiflung
aus Angst vor dem Hubschrauberflug
und davor, evtl. im Ausland zu sterben
so weit weg von den Menschen, die ich gern hab.

Ich kam hier an in schlechtem Zustand,
innerlich aufgewühlt, verunsichert
mir selber irgendwie fremd,
die ganzen netten Gesten des hiesigen Pflegepersonals
erreichten mich nicht wirklich.

Doch dann kam der Tag,
an dem im Rollstuhl das 1.Mal durch den Park hier fuhr,
wie verklärt all das Schöne hier draussen
in mein aufgebrauchtes Innere sog
wie ein halbverdurstetes Tier,
das eine Quelle entdeckt.

Es waren nur 20 Minuten, die mir blieben an diesem Tag,
doch sooft es später möglich war in diesen Park zu gehen,
sooft nahm ich die Gelegenheit wahr.

Ich rollte in der Baumallee, verweilte am Ententeich,
am Brunnen vor dem Neurozentrum,
ich schaute all die bunten Blumen an
und vergass es fast,
dass ich hier in einem Krankenhaus war.

Drinnen wurde ich medizinisch und menschlich optimal betreut,
aber erst hier in diesem wunderschönen Park
fand ich zu mir
und zum Leben zurück

Ladina, 12. Juni 1998
(gewidmet an alle, die diesen Park am Leben erhalten)

---------------------------------------------------------------------------

Befähigt durch Behinderung
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Noch nicht wieder richtig bei Kräften
fuhr ich vor einer Woche mit dem Zug nach Chiasso,
versuchte in den Bildern der Natur neue Energie
für mich zu finden,
doch es gelang mir nicht.

Ich sah eine grosse Radlergruppe, Autos mit Ersatzrädern,
Motorräder als Vorfahrer
und schon der Anblick der bunten Trikots
weckte Gefühle in mir, die Tränen auslösten bei mir.
In diesem Moment wurde ich mir wieder so deutlich
meiner Behinderungen bewusst,
die ich durch die Erkrankung unfreiwillig zurückbehalten hatte:
die verlangsamte Reaktion, Konditionseinbussen,
Infektanfälligkeit, Intelligenzminderung,
Verlust der behänden, sicheren und schnellen Bewegungen.
Da fühlte ich mich so vom Leben im Stich gelassen.

Doch heute, nur eine Woche später,
sind ganz andere Gefühle in mir.
Es ist ein wunderschöner Tag
und ich KANN mit dem Velo
von Grindelwald bis nach Wilderswil fahren.
Gemächlich und langsam,
doch ich sehe und höre dabei Wunderbares
und die wehmütigen Gefühle vom letzten Sonntag
verwandeln sich in eine Art Dankbarkeit.

Die Zeit, in der ich selber Velorennen fuhr
und welche gewinnen konnte
ist unwiederbringlich vorbei - doch, was sah ich dabei schon?
Nichts als nur geteerte Strassen!
Plötzlich weiss ich, es gibt weit wichtigeres
als schnell, wendig und klug zu sein.

Ich bin nun besonnener, langsamer und stiller geworden,
Höchstleistungen kann ich nicht mehr bringen,
dafür kann ich viel mehr geniessen,
selbst Alltägliches ist nicht mehr selbstverständlich
und wenn es gelingt bin ich so glücklich.

Jetzt fahre ich Velo in gemütlichem Tempo
und sehe dabei die Schönheiten der Natur
und die Blumen am Strassenrand blühen.
Ich nehme mir Zeit, alles zu betrachten,
koste die Vorteile, die ein ruhiges Leben zu bieten hat
ohne Hetzen aus.

Ich bin und bleibe wohl in vielem eingeschränkt
durch die Folgen meiner Krebserkrankung und der Behandlung,
doch heute denke ich,
ich bin durch diese Behinderungen zu vielem befähigt,
was andere junge Menschen so nicht tun können.

Es ist ein besonderes Leben, das ich führe,
aber es ist eigentlich nicht schlechter als jenes,
das ich vorher lebte.

Immer öfters empfinde ich mein Schicksal als Gnade
und ich bin dankbar,
solches nicht erst im hohen Alter
sondern mitten im Leben
erfahren zu haben…

Ladina, Interlaken West Bhf, 21.Juni 1998[/b]
Zuletzt geändert von Ladina am Mo 22 Nov 2021 17:40, insgesamt 5-mal geändert.

Ladina
Beiträge: 1652
Registriert: Do 4 Aug 2005 19:54
Wohnort: Kanton St.Gallen
Kontaktdaten:

Aus meinem 5. Gedichtband "Wie eine Feder so leicht II - Teil 1

Beitragvon Ladina » So 19 Nov 2006 11:45

Aus meinem 5. Gedichtband "Wie eine Feder so leicht II - Teil 1

Der Traum vom (normal) Gehen
***************************

Schon oft hat er mich in der Nacht besucht
der Traum „vom normal gehen“,
hat mir einige schöne Stunden geschenkt,
schwelgend im Glück, es wieder zu können.
Doch mit dem Erwachen stiehlt er sich davon
und lässt mich in der Verlorenheit sitzen
und wenn ich mich erhebe, die Füsse fest auf den Boden stelle
im Versuch, Halt und Orientierung zu finden,
dann wird es mir wieder vollauf klar,
wie wenig der Traum mit der Realität zu schaffen hat.
Und doch macht er mir noch immer Mut
gibt mir so etwas wie Hoffnung und Ausdauer zum Üben
um es immer wieder Versuchen.
Aber in allem, was ich tue, hängt die Frage: „Wie lange noch?“
Wie lange kann mir dieser Traum noch Kraft und Ausdauer schenken
zum Weiterüben und Hoffen?
Wie lange noch gibt er mir Halt genug
mich an ihm aufzurichten?
Wie lange überlebt die Zuversicht noch, die den Mut nährt,
mich nach jedem Sturz wieder aufzurappeln und weiter zu torkeln
in der Sehnsucht, der Traum möge bald Wirklichkeit sein?
Manchmal bin ich so erschöpft,
dass ich denke, es wäre leichter
aufzugeben und liegen zu bleiben
doch bis heute, halte ich das dann doch nicht aus,
einfach nichts mehr zu versuchen und dann stehe ich wieder auf.
Wie lange noch?

Ladina, September 1998

---------------------------------------------------------------------------------
Mein linker Fuss
+++++++++++++


Eine der frühesten Erinnerungen,
die ich an die Zeit meiner Ersterkrankung habe, ist diese,
wo ich nach einer Chemo das intensive Bedürfnis verspürte,
wieder am Daumen zu nuckeln, um mich zu beruhigen,
denn mir war so übel
und wie der Versuch, es zu tun
von mir selbst abgebrochen wurde
(noch ehe jemand mich, ein 8jähriges Mädchen deswegen tadeln konnte)
nicht aus Angst vor Schimpfe,
sondern weil nuckeln so weh tat
der aufgeplatzten Schleimhäute wegen.

Und ich erinnere mich, wie ich verzweifelt anfing zu weinen,
wie nichts und niemand mich beruhigen konnte,
bis ein kleiner, unauffälliger Helfer in Aktion trat.

Mein eigener linker Fuss bewegte sich unter der Bettdecke
wie von selber sachte hin und her
und mir wurde es wohler.

Oft hat er mir danach über Schweres hinweg geholfen,
bei Punktionen, Spritzen, Infusionen, Chemos
er bewegte sich hin und her und machte mich ruhiger,
aber er war auch da, wenn ich Schönes erlebte
und Angst hatte, dass dieses Glück zu schnell zerbricht.

Bis heute habe ich diese Eigenheit beibehalten.
Mein linker Fuss bewegt sich sowohl bei Schwerem
aber z.B. auch, wenn ich mit lieben Menschen telefoniere.

An vielem hat der Krebs genagt
anderes steuert er aus der Ferne fehl
und entreisst mir die Kontrolle
über manch körperlichen Ablauf.
Einiges habe ich im Laufe der Jahre verloren.

Mein linker Fuss
- mein treuer kleiner Tröster -
ist mir geblieben

Ladina, September 1998


Verzweiflungs-Akt
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Ich torkle seit 10 Wochen umher
stolpere, falle hin
und stehe wieder auf,
wanke unkoordiniert weiter,
erwecke den Eindruck, betrunken zu sein,
erschrecke ungewollt Leute
stolpere und falle hin.
Unzählige Male pro Tag wiederholt sich das,
aber ich über verbissen weiter,
stehe wieder auf,
auch wenn mir bewusst ist,
dass mein Torkeln kein Bein-, sondern ein Gehirn- oder Nervenproblem ist.
Üben – das ist in meinem Fall nicht Training,
das mich zum sichereren Gehen bringt,
sondern lediglich ein Akt der Verzweiflung.
Ich weiss das.
Weiss es schon lange,
doch ich über weiter, gehe weiter, stolpere und falle hin
und stehe immer wieder auf.
Denn ich KANN NICHT
tatenlos darauf warten
ob es nochmals besser wird.
Ich MUSS etwas tun
versuchen der Hoffnung eine Form zu geben,
damit ich den Mut nicht verliere
so weiter zu leben

Ladina, September 1998

---------------------------------------------------------------------------

Die Zeit des Begreifens
********************

Die Zeit des Begreifens
dauert so viel länger
als die Bedenkzeit von 3-7 Tagen,
die einem gelassen wird
vor einer Operation oder einer riskanten Therapie
weil unter der Bedrohung des Todes
vor dem doch alle irgendwie Angst haben
die Überlegungen nicht so tief gehen können wie sie es müssten
um zu begreifen,
was die Folgen des geplanten Eingriffs tatsächlich bedeuten.

Die Angst sterben zu müssen, setzt einen derart unter Druck,
dass wir hastig zwischen den möglichen Folgen hin und her denken,
minutenlang nur überlegen können, was es heissen könnte,
die Zeit drängt und es zählt vor allem eines – das Leben
und so willigen wir ein, wohlbedacht wie wir glauben,
setzen unsere Unterschrift unter die Einverständniserklärung,
die uns über alle Folgen des Eingriffs informiert.
Schwarz auf Weiss sehen wir, was uns dabei zustossen kann,
doch richtig verstehen es viele nicht.
Wir wollen nicht schwarzmalen, wollen einfach leben
und hoffen, dass alles gut ausgeht.

Nach dem Eingriff, wenn sie uns sagen:
„Die Operation ist gelungen“ oder „Die Therapie hat gegriffen“
malen wir uns eine positive Zukunft aus,
sagen dem Leben von neuem zu
und können nicht wahr haben,
dass wir selbst dieser Zukunft abgesagt haben.

Erst nach und nach,
wenn wir die Folgen zu spüren bekommen
wissen wir,
was es bedeutet, damit zu leben
begreifen wir,
was es wirklich heisst, verstümmelt zu sein.

Doch dann ist es leider längst zu spät
NEIN zu sagen.

Ich wünschte,
ich wäre vor der Therapie,
genauso einfühlsam und ehrlich betreut worden
wie jetzt,
wo es gilt,
mit den (bitteren) Folgen leben zu lernen.

Und ich glaube,
es wäre für alle leichter gewesen,
mit die Angst vor dem Tod zu nehmen
als die jetzige Aufgabe zu bewältigen
mir die Angst vor so einem Weiter-Leben zu mildern.

Und einmal mehr, bin ich als Patientin, bei Versäumnissen von Seiten der Ärzte
ganz allein
die LEID-Tragende

Ladina, September 1998
--------------------------------------------------------------------------

Wer hat die Angst geschickt?
*************************

Aus dem Hinterhalt hat sie mich überfallen
ja förmlich überrumpelt hat sie mich, diese Angst.
Sie kam nicht leise daher, sondern wie ein Donnerschlag
und sie hat mich erschreckt und erschüttert.
Ist diese Angst eine Warnung vom Leben, das mir sagen möchte:
„Mach die Therapie nicht, sonst verlierst du mich.“
oder ist sie mit dem Krebs verbündet, der mir endlich an den Kragen will
und mir einflüstert: „Mach die Therapie nicht“ und sich denkt, dann gehört sie endlich mir?
Wer hat die Angst geschickt?
Bedeutet sie Schutz oder Auslieferung?
Soll ich auf ihre Botschaft hören
oder ihr die Stirn bieten, gegen die Angst ankämpfen
und das Wagnis der Therapie eingehen,
von der ich erst nachher wissen werde
ob es sich gelohnt hat oder nicht?
Ich kann gewinnen dabei oder verlieren
und es heisst, nur wer wagt, kann gewinnen.
Urplötzlich bin ich sicher, dass es eine böse Angst ist,
die mich zu erdrücken versucht
und eine gerade jetzt neugewonnene innere Kraft und Stabilität
ermöglicht es mir, mich aufzubäumen und die Angst weg zu stossen

Ladina, September 1998

----------------------------------------------------------------------------------

Beweg-Gründe
*************

Jeden Tag, egal ob die Sonne scheint oder ob es regnet,
gehe ich ca. 5 km „spazieren“
Ich gehe eher langsam,
die Zeit ist es nicht, was für mich zählt dabei,
sondern nur, mehr Sicherheit und Zuversicht zu gewinnen
in meinem unsicheren, schwankenden Gang.
Ich gehe meist allein,
Langsamkeit ist nicht jedermanns Stärke,
oft geht nur die Hoffnung neben mir,
die Hoffnung darauf, dass es doch etwas bringt, zu üben.
Ich gehe bergauf, bergab, geradeaus,
Kiesweg, Teerstrasse, Wiese.
Ich achte genau darauf, wie mein Körper wo reagiert,
merke, welches Gelände mir noch Schwierigkeiten bereitet.
Ich versuche immer Neues, probiere Kniffe aus
und ich sehe und spüre – ich komme voran – auch so.
Es gibt Tage, wo es nur ganz langsam geht und ich oft hinfalle,
aber es gibt auch Tage, wo ich schneller bin und sicherer
und in ganz guten, wenn auch kurzen Momenten, versuche ich zu rennen
und manchmal geht auch das ein kleines Stück.
Es sieht nie graziös, elegant oder damenhaft aus, wenn ich gehe,
doch langsam aber sicher fühle ich mich wieder wie ein Mensch dabei.

Und so scheint mir das Üben sinnvoll und gerechtfertigt,
auch wenn ich nun weiss,
dass es eigentlich nichts bringt, was die Qualität des Gehens betrifft.
Das Gangbild verbessert sich nicht dadurch.

Ich weiss, ich lerne so zwar nicht, wieder normal zu gehen,
aber ganz sicher lerne ich nur so,
mit dieser Art Behinderung
umzugehen!

Ladina, September 1998
----------------------------------------------------------------------------

Wie ein bedrohlicher Vulkan steht das Wissen um meine Erkrankung
tagtäglich bei mir.
Oft ist es schwer, so weiter zu machen, den Mut nicht zu verlieren.
Und doch kann Lebensfreude sprudeln….

Ladina, September 1998

----------------------------------------------------------------------------

5 ü-Städte
*********

Ich war in Düsseldorf
und konsultierte dort einen Krebsspezialisten
ich war in Münster
und liess mir Antikörper spritzen.
Ich ging nach München und nach Lübeck
und liess mein Blut erwärmen
- das alles im Versuch, meinen Tumor nochmals zu besiegen.
Wenn es gelingt,
haben all die Ärzte dort ein grosses Dankeschön verdient,
doch die Grundvoraussetzungen für dieses Gelingen
wurden nicht in Düsseldorf, nicht in Münster,
weder in München noch in Lübeck
geschaffen
sondern in Zürich
von einem ganz besonderen Menschen,
der zwar vielleicht nicht viel von Medizin versteht,
doch schon jetzt mehr erreicht hat,
als alle Gelehrten der Welt.

Und wenn es doch nicht gelingt,
hat mir eben dieser Mensch
die schönste Zeit zu leben geschenkt!

Ladina, September 1998

Bilanz
°°°°°°


Ich sitze sinnend im Park des Kantonsspitals
und denke zurück.
Genau auf der selben Bank sass ich vor 13 Jahren auch,
damals, als sie mir sagten, dass der Krebs wieder da sei.
In die anfängliche Hoffnungslosigkeit damals,
mischte sich irgendwann ein Gefühl der Zuversicht,
ich verspürte Kraft in mir und ich war so sicher, es nochmals schaffen zu können.
Die Heilung als Hauptpreis stets vor Augen,
so kämpfte ich mich durch all die Jahre,
und jetzt, 13 Jahre später ziehe ich Bilanz.
Was habe ich erreicht?
Wie weit bin ich gekommen auf dem Weg der Hoffnung?
Ich könnte entmutigt und traurig sein,
denn noch immer hält mich die Krankheit in ihren Klauen gefangen,
doch irgendwie fühle ich mich befreit und glücklich.

Den Hauptgewinn habe ich nicht geholt,
aber die vielen grossen und kleinen Trostpreise,
die mir von lieben Menschen zuteil kamen und kommen,
die sind so viel kostbarer,
als er es je hätte sein können….

Ladina, September 1998

-----------------------------------------------------------------------------------

Entscheidung gegen die Glückspille
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°


Inmitten von Gefühlen des unbeschreiblichen, inneren Glücks
überfällt mich wieder die Traurigkeit
und reisst mich mit sich in die Tiefe.
Und wieder steht die Frage im Raum:“ Wollen Sie nun nicht doch Stimmungsaufheller nehmen?“
Die meisten raten mir dazu (wohl mehr zur eigenen Erleichterung),
doch ich habe Angst davor, meine Persönlichkeit dabei zu verlieren
und ebenso meine Fähigkeit zu schreiben, auch über Schweres
und ich schüttle den Kopf und sage NEIN.
Nein zu einer Tablette, die auf ewig Sonnenschein in mein Gemüt brächte
und Nein auch zum Fortbestand von Kontakten zu Menschen,
die mich nur fröhlich sehen möchten.
Gleichzeitig mit dem Nein zur Tablette
sage ich JA zum Leben mit der Krankheit.
Zum ganzen Leben mit der Krankheit,
zu dem gerade solche Stimmungen mit dazu gehören,
weil sie eine Auseinandersetzung fordern und gelebt werden möchten.

Gelebt werden MÜSSEN
um wirklich zu vergehen…….

Ladina, Willisau, im September 1998

----------------------------------------------------------------------------

Auf dem Friedhof
°°°°°°°°°°°°°°°°

Jeden Monat ungefähr 4 mal
besuche ich ganz besondere Freunde.
Ihnen kann ich alle Fragen stellen
und nie sagt einer von ihnen zu mir: Sei doch still.
Bei ihnen finde ich eine Art von Trost,
die nur Freunde wie sie zu geben vermögen.
Meine Freunde sind unterschiedlich alt.
Sonja O. ist 18, Marianne St. ist 12, Bea Z. 19 und Fabio S. gerade mal 3.
Roger B. ist 26 und Hildegard di Chello ist 40.
Heute, morgen, in einem Jahr.
Sie werden nie mehr älter, denn ihre Lebensuhr ist für immer stillgestanden
und ich kann sie alle nur noch auf dem Friedhof besuchen.
Ich stehe andächtig vor den Kreuzen oder Steinen, sage leise Hallo, weine manchmal,
erzähle etwas und ich schöpfe kraft.
Viele sagen mir:“ Das tut doch nicht gut, so oft auf den Friedhof zu gehen. Du musst dich dem Leben zuwenden!“
Sie verstehen nicht, dass ich auf dem Friedhof etwas finde,
was sie alle mir nicht geben können.
Und sie wissen noch nicht,
dass es Fragen gibt,
die niemand so deutlich beantworten kann,
wie ein stummer Freund,
der lange neben mir ging und mir im Tod vorausgegangen ist.

Ladina, September 1998
Zuletzt geändert von Ladina am Di 4 Jun 2019 20:12, insgesamt 8-mal geändert.

Ladina
Beiträge: 1652
Registriert: Do 4 Aug 2005 19:54
Wohnort: Kanton St.Gallen
Kontaktdaten:

Aus meinem 5. Gedichtband "Wie eine Feder so leicht II - Teil 2

Beitragvon Ladina » Mi 22 Nov 2006 17:16

Aus meinem 5. Gedichtband "Wie eine Feder so leicht II - Teil 2

Fragen über Fragen
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°


Ganz zu Anfang, als ich als Jugendliche erneut an Krebs erkrankt war,
fragte ich jeden, der mir über den Weg lief:“ Warum passiert mir das nun wieder?“
Ein Theologe antwortete mir:“ Gott will Kämpfer haben. Er schaut von oben zu
und wenn ihm Dein Kampf gefällt, wird er Dich belohnen!“
Irgendwie habe ich daraus damals Kraft geschöpft,
Kraft, den geforderten Kampf zu führen.

Doch nun, nach so langer Zeit,
überfordert es mich immer mehr.
Ich warte schon so lange auf die verheissene Belohnung.
Was muss ich denn noch alles dafür tun?
Immer öfter frag ich mich:“ Will Gott wirklich Kämpfer haben?
Ich liebe mein Leben, aber so wird es mehr und mehr zur Qual.
Immer neue Therapien, in der Hoffnung, etwas von meinen Träumen ins Leben hinüberzuretten,
aber dafür Schmerzen, Ängste und Ungewissheit ertragen,
im festen Willen, nicht unter dieser Last zusammenzubrechen.

Wann wird mein Mut belohnt,
und bedeutet die Liebe zum Leben
wirklich immer nur Kämpfen?

Müsste ich nicht besser geschehen lassen, was geschieht?

Wird ein ständiger Kampf
der Liebe und dem Respekt zum Leben
überhaupt gerecht?

Wie weit darf die Liebe zum Leben denn gehen?
Darf sie ständig Grenzen überschreiten,
darf sie zwischen zwei Fronten existieren?

Fragen über Fragen, die ich mir oft stelle.
Fragen, die gerade jetzt nach überstandener Hyperthermie wieder in mir aufsteigen.
Fragen, die ich keinem stellen kann.

Vielleicht wartet Gott ja auch nur darauf,
dass ich aufgebe, dass ich die Waffen weglege
und es einfach geschehen lasse, was er vorhat mit mir,
auch wenn ich nicht weiss, was?

Vielleicht wartet er,
dass ich Vertrauen zu ihm fasse und daran glaube,
dass er seine Hand schützend um mich legt,
wenn Gefahr droht?

Vielleicht wünscht er sich nur das?

Ladina, Im Oktober 1998

In mir schreit alles NEIN!
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

In einer Situation
in der ich mir erst mal etwas Ruhe erhoffte
nach all den körperlichen Strapazen
bombardiert man mich schon wieder
mit einem weiteren Therapievorschlag.
Und in mir schreit alles: NEIN!

D.T.I.C. – das Mittel, das wie Cisplatin, das heftigste Erbrechen bei mir auslöst
und Ifosphamid, das in hoher Dosierung zu Desorientierung und Verwirrung führt und Angstzustände hervorruft
sollen mir bei vollem Bewusstsein noch einmal verabreicht werden
zur Stabilisierung der vorangegangenen Medikation.
Und in mir schreit alles: NEIN!

Dieses Vorhaben wirft alle meine Pläne über den Haufen
und mich mit ihnen.
Vielleicht stabilisiert es wirklich die Medikation,
doch es bringt mich selbst zu Fall dabei.
In mir schreit alles: NEIN!

Ich möchte mich nicht schon wieder so krank fühlen
möchte endlich leben,
nicht immer nur unter unerwünschten Wirkungen leiden.
Leiden, leiden, bis sich viel später erst die erwartete Wirkung zeigt.
Möchte nicht nur leiden und am Leben irgendwie vorbeileben.
In mir schreit alles: NEIN!

Sie sprechen von der Chance, die mein Leben retten könnte,
doch ich weiss, es ist Gift, das Lebensmut zerstören kann.
Ich bin zu lange schon krank, um das nicht zu wissen.
Ich habe erwachsene Männer unter D.T.I.C. weinen sehen
und Blicke von Besuchern von Ifo-Opfern registriert, die mich zutiefst erschütterten.
Ich müsste mich hassen, um dazu ja zu sagen, ohne zu zögern.
In mir schreit alles: NEIN!

In mir schreit einfach alles: NEIN!
doch ich kann mich kaum rühren,
mich schwer und unter Anstrengung nur verständlich machen.
Nur mein rechtes Auge vergiesst leise Tränen der Resignation und Verzweiflung.
Wann endlich bin ich frei, wann lassen sie mich los?
Sie sagen, sie sind auf meiner Seite,
wollen mein Bestes, mein Leben erhalten,
mich aus den Klauen der Krankheit befreien,
aber ich fühle mich so von ihnen gefangen, verraten,
so als wären sie dabei, mein Leben auszuschalten.
Doch sie merken es nicht, sie glauben ihr Bestes zu tun
und würden mein NEIN nicht verstehen können,
nicht so kurz vor dem „Ziel“.
Fast mechanisch nicke ich eine vorläufige Zusage.
Doch in mir schreit alles: NEIN!

Ladina, Oktober 1998

Terry-Fox-Lauf
°°°°°°°°°°°°°°°°

Seit Monaten fieberte ich diesem Tag entgegen,
im März schon meldete ich mich an, als eine der ersten überhaupt,
und seitdem blieb es mein Ziel
an diesem Lauf zugunsten der Krebsforschung zu starten.
Ich begab mich auf Sponsorensuche wie alle andern auch,
und doch blieb die Teilnahme an diesem Lauf für mich etwas Spezielles.
Oft rückte mein Ziel weit weg in den letzten 6 Monaten,
es ging mir dreckig,
aber ich kämpfte weiter
und irgendwie wusste ich immer, ich werde dabei sein.
Ich wusste nicht wie, ob zu Fuss, im Rollstuhl oder an Krücken,
doch ich wollte dabei sein und starten.
Gerade bin ich nach 2 Stunden Laufen oder besser strammem Marschieren
mit dem Endresultat 11 km ins Ziel gekommen.
Etwas müde zwar, aber überglücklich
an diesem besonderen Hoffnungslauf aktiv dabei gewesen zu sein
- wider aller Vernunftsapostel, die mir rieten, den Traum zu begraben,
- mir den Traum bewahren konnte
und ihm zum Leben zu verhelfen
aus eigener Kraft

Genauso wie es auch Terry Fox im April 1980 getan hat

Ladina, Bern, 18. Oktober 1998, 16.22h, Startnummer 1040, erlaufener Betrag Fr. 480.-
----------------------------------------------------------------------

Gedanken zu meinem Geburtstag
****************************

Morgen werde ich 31 Jahre alt und ich freue mich,
denn dieses Ereignis zeigt mir,
dass ich die dritte Hürde überwunden habe.
Anders als viele in meinem Alter stöhne ich nicht auf
und ich klage auch nicht: Schon wieder ein Jahr älter,
sondern ich feiere es als Triumph über meine chronische Krankheit
und sage: Wieder ein Jahr gewonnen.
Geburtstag zu haben ist etwas Besonderes für mich.
Seit ich lebe, war nie sicher, wie viele ich noch begehen werde,
denn von Anfang an war mein Weiterleben bedroht vom Krebs
und mit jedem Geburtstag wird mir bewusst,
wie lange ich schon am Kämpfen bin,
wie viele Schlachten ich schon geschlagen habe.
Manchmal überlege ich mir tagelang, wie ich es schaffen soll weiter zu machen,
doch irgendwie geht es dann doch wieder weiter und ich bekomme die Kraft dazu.

Und so bleibt jeder Geburtstag für mich ein spezieller,
ganz egal, ob es ein runder ist oder nicht.
Es ist ein Tag, an welchem ich gleichzeitig zurück und vorwärts blicke
und ich die Grossartigkeit des Augenblicks in mir spüre
und innerlich juble,
weil jedes Wiegenfest auch ein Sieg ist
über die Prognose: Aussichtslos

Ladina, 13.Oktober 1998

Normal
*******

Ich torkle wie eine Besoffene umher
und es ist normal

Ich gerate bei der kleinsten Anstrengung ausser Atem
und es ist normal

Mein Kurzzeitgedächtnis ist kaum noch vorhanden
und es ist normal

Meine Haare fallen am Hinterkopf immer wieder aus
und es ist normal

Mein Mund sieht vom Pyoktanin immer blau aus
und es ist normal

Meine Augen gucken komisch
und es ist normal

All diese Dinge grenzen mich jetzt und noch für lange
von der gesunden Aussenwelt ab
machen mich zur Aussenseiterin in der Menge
und es ist und bleibt
so verdammt normal!

Ladina, Oktober 1998
--------------------------------------------------------------------------

Blautinktur Gentiana
*****************

Jeden Tag mehrmals tupfe und bepinsle ich meine Mundschleimhaut
mit der Blautinktur Gentiana
um schmerzhaften Entzündungen vorzubeugen.
Schon als Kind habe ich diese Prozedur zur Mundpflege
immer wieder ausführen müssen,
nur, damals fand ich es noch lustig,
davon einen blauen Mund und blaue Lippen zu bekommen.

Heute braucht es für mich oft Überwindung,
diese Mundpflege mit der erforderlichen Konsequenz auszuführen
und dabei doch irgendwie am öffentlichen Leben teilhaben zu können.
Einmal mehr fühle ich mich durch den blauen Mund
in eine Aussenseiter-Rolle gedrängt.
Ich werde von den Mitmenschen angestarrt,
weiss, dass ich so ungepflegt und unsauber aussehe
und irgendwie schäme ich mich mit den blau verschmierten Lippen,
die von weit her sichtbar sind.

Warum nur, muss diese Lösung blau sein?
So sehr ich auch sonst die Farbe Blau liebe,
so sehr hasse ich sie jetzt, wo sie mich so verunstaltet!

Ich gäbe viel dafür, wäre diese Tinktur nicht blau, sondern durchsichtig,
denn dann könnte ich mich pflegen, ohne negativ aufzufallen
und ausgehen, ohne von allen angestarrt zu werden.

Ich wünschte, sie wäre unsichtbar
um einigermassen als Mensch erkannt zu werden
und mich nicht in jedem Detail
von der Normalität zu entfernen

Ladina, Oktober 1998

-----------------------------------------------------------------------------------

Würfelspiel
**********

Wenn ich früher als 8- oder 9jährige meine Chemopause daheim verbrachte,
besuchten mich manchmal Kinder aus der Nachbarschaft
und wir spielten mit Lego, mit der Puppenstube oder Kasperle.
Oft spielten wir auch „Eile mit Weile“ mein absolutes Lieblingsspiel,
doch irgendwann verlor ich die Freude daran, denn ich gewann immer.

Ohne es zu wissen, spürte ich,
dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging dabei.
Viel später erst bestätigte mir dies ein Mädchen,
deren Mama ihr jedes Mal, bevor sie zu mir ging, einbläute:
„Lass sie gewinnen, hörst du, sie hat es schwer und muss vielleicht sterben!“

Heute, so viele Jahre später
steht viel mehr für mich auf dem Spiel als ein paar bunte Figuren,
die um die Fahrt auf dem Pferdekarussell kämpfen, die am Ziel wartet.
Heute steht das Leben im Ziel
und mein einziger Gegner ist ein Bote des Todes.
Ich erringe Teilsiege, aber am Ende unterliege ich ihm doch.
Das Ende kann schon morgen sein, in einem Jahr, kühn gedacht in 10 Jahren.
Niemand kann das wissen,
nur das Schicksal selbst hat den Würfel in der Hand.

Ich wünschte,
es würde nur einmal meinen Gegner aus dem Spiel werfen
und mir so meine Chance geben
mein Spiel zu gewinnen.

Ladina, Oktober 1998

Qualitätsprüfung
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Wenn ich
zu einem neuen Arzt komme
schaue ich immer darauf,
wie seine Topfpflanze gepflegt ist.
Sieht sie gut aus
so weiss ich:
Hier wird auch dem Menschen
mit Achtung
begegnet

Ladina, November 1998
----------------------------------------------------------------------------------
Der nachfolgende Text beschreibt eine selbst erlebte Situation und macht deutlich, wie Pflegepersonal oder auch Bett- und andere Nachbarn hilfreich reagieren können oder auch nicht:

Gefühle und Empfindungen an einem Tag, der schwer war
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Sonntagabend, 1.November:
Ich habe einen guten Tag hinter mir. 6 Stunden Schreibmaschinenarbeit, bin schön müde.
Nichts deutet für mich beim Schlafengehen darauf hin,
dass mir eine schreckliche Nacht bevorsteht.
Doch ich erfahre es früh genug.
Von grässlichen Schmerzen werde ich wach,
erfasse erst, als ich mich anders hinlegen möchte,
wie es um mich steht.
Krämpfe schütteln mich,
machen bewusste Bewegungen unmöglich,
von Kopf bis Fuss zittere ich.
Ich glaube, es zerreisst mich innerlich, so weh tut das überall,
habe die Kontrolle über alles verloren,
der Blaseninhalt fliesst aus mir heraus, ich kann es nicht stoppen!
Was passiert mit mir? Angst! Entsetzen!
Was um Gottes Willen passiert mit mir??
Fühlt sich so das Sterben an, das mir vorbestimmt ist??

Am Montagmorgen, 2.Nov. wird erst richtig deutlich,
dass ich nicht nur ins Bett gemacht habe,
sondern über die Krämpfe hinaus auch meine Gehfähigkeit
und sicheres Sprechen verloren habe,
dass nichts mehr geht, wie am Tag zuvor.

Es ist noch früh am Morgen
als mich der Rotkreuzfahrer aus dem Haus trägt,
aber es sind schon Gaffer da - so früh schon.
Ich fühle mich hoffnungslos verloren,
nur meine Augen registrieren noch,
was um mich her passiert.
Nachbarn, die neugierig stehen bleiben
gaffen
sie würden gehen, wenn sie wüssten,
wie schrecklich es ist, so angestarrt zu werden.
Sie würden gehen und für mich ein Kerzchen anzünden.

Aber sie bleiben stehen, gaffen,
Mund und Nasen aufgesperrt.
Mitgefühl mimend, das sie nicht wirklich nachempfinden können.
Möchte nur noch weg!
Wir fahren ab - endlich…

In der Klinik Ratlosigkeit
Was ist geschehen? Warum?
Fragen, die ich glaubte, von ihnen beantwortet zu bekommen.
Aber sie wissen es selbst nicht!
Ich fühle mich allein gelassen - inmitten der vielen Weisskittel.
Sie stehen da und gaffen mich an
- fast wie die Nachbarn-
und gehen wieder, schicken andere rein,
damit auch sie
das seltsame Vieh noch anschauen können.
Ich fühle mich so zur Schau gestellt!
Haben denn die heute nichts anderes zu tun, wie sonst immer,
wenn ich froh darum wäre, jemand um mich zu haben?
Ich wünsche mir nur Linderung meiner schrecklichen
Krampfschmerzen,
doch sie sagen, man muss erst die Ursache abklären,
bevor etwas gegeben werden kann.

Ich muss dringend aufs WC, möchte es sagen
"We,we, we" kommt aus meinem Mund
und sie meinen, ich will sagen, mir tut es weh.
Ich kann kein normales Wort sagen!
Ist das wegen der Nervosität, der Angst,
oder habe ich jetzt meine Sprache verloren?
Tränen beginnen zu fliessen

Hilflosigkeit pur!

Auf dem Weg zum MRI
im Rollstuhl passiert's,
die Blase entleert sich!
Am falschen Ort, zur falschen Zeit, zum 2.Mal schon heute,
aber Sr. Marlene nimmt's gelassen,
witzelt, könnte auch sie gewesen sein,
spricht einen an, der grad des Wegs kommt,
sagt: "Da vorne ist ein kleiner See, keine Ahnung von wem,
doch können Sie den bitte wegwischen, ehe einer ausrutscht.
Wir haben leider beide keine Zeit, haben MRI-Termin."
Kein Wort von mir - ich bin ihr soo dankbar,
so unendlich dankbar.
Dankbar für ihre faustdicke Lüge.
Darf man das? Dankbar sein für eine Lüge?

Wieder in einem vertrauten Raum, heute notfallmässig,
aber mir brauchen sie die weiteren Vorgänge nicht zu erklären
wie den meisten, die notfallmässig zum Kernspin kommen.
Ich weiss Bescheid.
Kenne die monströse Apparatur, nenne sie zärtlich "Siemi",
weil sie von SIEMENS ist.
Mich befällt keine Platzangst darin
- nur die Angst vor dem Befund nagt unaufhörlich in mir!
Ist es ein neuer Tumor, wächst der alte wieder?
Ist es jetzt aus mit mir?
Keine Fragen stellen können
Allein mit der nagenden Angst
weiss nicht, wie lange, ohne Zeitgefühl rum liegen
im Schlund des Siemens-Monsters.
Zwischen Angst und Hoffnung.

Beten zu Gott: Lass es sichtbar werden, was es ist,
damit die Ungewissheit weggeht.
Doch, bitte, bitte, lass das Schlimmste nicht Gewissheit sein!

Überall fixiert, aber innerlich ausser mir vor Angst,
immer versuchen, in Gedanken zu fliehen.

Dann endlich ist es fertig.
Beim Rücktransport vom Kernspin in den Rollstuhl
bemerken sie meine feuchte Hose.
"Oh," sagt die MTRA, "hätten Sie doch was gesagt."
Aber die Bahre ist trocken und sie merkt,
es ist schon passiert gewesen, als ich kam.
Sie sagt nichts mehr und ich mache mir Gedanken,
was sie jetzt denkt von mir.
Sie kann mich nicht mehr offen anschauen,
hat sie mich jetzt abgeschrieben?
Abgestempelt sicher!

Dann gehts zurück in ein anderes Zimmer.
Eigentlich entnähmen sie noch gerne Knochenmark.
Alles ist schon vorbereitet.
Fragen: "Schaffen Sie das noch?"
NEIN möchte ich schreien, nicht noch mehr Schmerzen!
Aber wie gesagt, es ist schon alles vorbereitet,
man kann gar nicht nein sagen.
Augen zu und durch.
Kaum vom Schmerz erholt, die Vorankündigung:
Morgen dann noch LP und evtl. AG..

Die sind sich wohl sicher, dass es mich morgen noch gibt.
Könnte als Trost empfunden werden,
aber mir macht das alles nur Angst.

Sie diskutieren über mich hinweg.
Am besten stationär oder doch ambulant?
Sie kennen meine Meinung dazu, ohne mich zu fragen.
Ob man ambulant verantworten kann.
Erst mal doch ausziehen, schon wegen der nassen Hose.
Dann weiter sehen. 1.Befund abwarten.
Ein Pyjama habe ich vorsorglich dabei, welch ein Glück.


Geniale Idee einer anwesenden Schwester:
Sie fährt mich unaufgefordert zum Klo
und ich lasse raus, was kommt.
Fühle mich erleichtert, irgendwie frei,
bin dankbar für die Selbstverständlichkeit,
mit der sie mich hierher gebracht hat.
Frauen haben ganz offensichtlich mehr Gespür für so was.

Dann in ein Bett im Gang,
sie wissen nicht, wohin mit mir.
Onkologie, Neurologie? Ich will nach Hause!
Sie entfernen sich, einer nach den andern geht grusslos,
nur ein älterer Doc sagt: "Jetzt ruhen Sie sich erst mal ein wenig aus."

'Auf dem Gang?! Wie soll das gehen?'
Der unruhigste Ort im ganzen Krankenhaus!
Ich wünschte, ich hätte statt meiner Sprache
mein Gehör verloren, nein, doch nicht! Nein!

Mir gegenüber ein älterer Herr, auch in einem Bett.
Er schaut zu mir rüber, sagt: "Ah, noch eine, die nirgends
hinpasst! Auch ausgedient, auch nirgends mehr erwünscht,
aber noch zu warm für die Leichenhalle.
Und noch so jung.
Wohl auch etwas auf dem Kerbholz, was?"
Und als ich nichts sage, wird er wütend:
"Wohl zu fein, mit mir zu reden, Du Puppe?
Na dann, halt s’Maul!"

Wenig später taucht eine Schwester auf,
ich hoffe, sie holt mich hier weg, doch sie fragt nur:
"Na, vertragt ihr Euch?"
und ohne eine Antwort abzuwarten, geht sie weiter.

Bin ich überempfindlich heute oder sind alle
so gemein zu mir?

Der Mann meldet sich wieder: "Hatte gehofft, könnte mit
Dir reden, bist du stumm?"
Ich versuche, wenigstens Nein zu sagen, es kommt nur: n,n,n,n.
"Ach Stotterin bist Du! Oh nein, auch das noch,
dafür habe ich keinen Nerv, sei bloss still!"
Worte können so verletzend sein! Messerscharf!

Und ich bin still.
Frage mich selbst: Bin ich nun Stotterin?
und vor allem: Bleibe ich das jetzt?
Fragen, die wahre Existenzängste auslösen:
Nie mehr Chancen im Beruf! Ausgegrenzt! Unverstanden¨
Tränen versickern im weissen Kissen.

Endlich holen sie mich da fort.
Die erste Auswertung der Bilder hat stattgefunden.
Kein neues Tumorwachstum erkennbar, kein Anzeichen für
Hirnblutung, keine erhöhten Entzündungswerte.
Gott hat mich erhört!!
Wieder die Frage: Stationär oder ambulant?
Die Ursache muss abgeklärt werden - das ist allen klar -
auch mir, doch heute will ich nochmals heim!
Wohl dem, der Kopfschütteln als weltweite Geste für Nein
eingeführt hat. Unmissverständlich drücke ich so aus,
dass ich nochmals heim will, erst morgen stationär komme.
Ob die Eltern denn…?

Der Rotkreuzfahrer wird angerufen, der Fall kurz erläutert.
Termine für die nächsten Tage, mir egal.
Hauptsache, ich kann heim, in mein vertrautes Zimmer.

Dann endlich im Auto des Rotkreuzfahrers. Ab nach Hause.
Im Pyjama, Jacke drüber, nasse Hose diskret im Plastikbeutel
„TSCHIBO - nur das Beste ist uns gut genug“, steht da drauf.
Diese Tasche zu Hause meiner Mutter zu überreichen,
ist das Schlimmste für mich im Moment,
macht mich so fertig, dass ich zu weinen beginne.
Der Fahrer lässt nicht locker, fragt und fragt wieder nach,
bis er versteht, was mich bewegt.
Er sagt: "Gib mir die Tasche, meine Frau kann die Hose waschen.
Ich habe erst Bedenken. Mutter fragt doch sicher,
wo die Hose ist. Gebe sie ihm dann doch,
irgendwie erleichtert.

Dann sind wir da, der Fahrer trägt mich ins Haus,
obwohl ich wieder ziemlich wackelig gehen kann.
Eine Nachbarin ist wieder oder immer noch da,
steht Spalier und gafft und ihr Pudel kläfft.
Über wen beschwert er sich?

Dann im eigenen Bett.
Mutter hat es frisch bezogen - wie lieb.
Sie fragt nicht nach der Hose.
Was hat sie wohl dabei gedacht, als sie das nasse Laken
abgezogen hat? Ich schäme mich so…
Ich habe einen Topf mitbekommen - für alle Fälle.
Viel trinken muss ich auch.

"Brauchst Du noch was?" fragt Mutter
und ich deute mit Zeichensprache TELEFON an.
Sie versteht es sogar,
sagt, wenn Du doch kaum reden kannst,
bringt es dann doch,
macht kopfschüttelnd die Türe zu.

Lange schaue ich das Telefon an,
dann versuche ich es doch, Barbara anzurufen
(Barbara ist meine allerbeste Freundin, in der Sterbebegleitung tätig, meine treueste Überlebenshelferin, könnte vom Alter her meine Mutter sein)
Bin hin und her gerissen, weil ich nicht möchte,
dass sie meinetwegen schon wieder Sorgen hat,
aber meine Sehnsucht, nach der vertrauten,
beruhigenden Stimme ist stärker.

Und ich höre sie, beginne zu sprechen,
zu stottern mehr.
Sie ist da, sie ist da. Wie schön!
Und sie bleibt da.
Sagt nicht, es hat keinen Sinn so mit dir zu reden,
sagt nicht, sie hat keine Zeit und keinen Nerv.
Und das Schönste, sie versteht mich!
Sie wartet, bis ich mein Wort gesagt habe,
erwartet es förmlich,
gibt jedem meiner unbeholfenen Worte, das Gefühl,
willkommen zu sein.
Sie hört mir zu, ich darf mich ihr anvertrauen,
wie schon so oft,
und doch ist das heute etwas Besonderes.
Sie beruhigt mich, doch sie lügt mich nicht an.
Sie nimmt mich ernst mit meinen Ängsten und Gefühlen.

Und dann auch noch Florian, ihr Sohn, der erste Arzt,
der mir das "Du" angeboten hat.
Auch er versteht mich, trotz meiner abgehackten Sprache,
die mir selber so fremd vorkommt
und er bleibt ruhig und es tut mir gut, dass die beiden sich nicht
anstecken lassen von der Panik in mir.
Zum ersten Mal heute kann ich mich richtig entspannen.
Ich fühle mich von diesen beiden Menschen verstanden,
nicht nur sprachlich, sondern auch gefühlsmässig.
Einfach aufgehoben und getragen.

In einer Situation wie der meinen
ist das alles mehr, als einfach nur schön.
Es gibt Sicherheit zurück, Boden unter den Füssen.
Es bedeutet vollkommenes Angenommensein.

Es war ein schwarzer schwerer Tag
mit Tränen, Einsamkeit und Angst
durch Euer Dasein konnte es zum Schluss auch ein Tag werden,
an dem ich doch auch Freude empfinden konnte,
an dem ich mich wohlfühlen konnte und geborgen,
an dem Zuversicht kein Fremdwort blieb.

So ein Tag ist nie verloren, so ein Tag bleibt für immer eine Kostbarkeit.
Ich danke Euch beiden für alles.
Dir Barbara besonders für die Zeit, die Du mir schenkst, immer wieder
und Dir, Florian dafür, dass Du schon so oft,
Dein wunderbares Mami mit mir teiltest.

Ladina, November 1998
(den ganz persönlichen Abschluss dieses Textes habe ich vor allem deswegen hier belassen, damit Menschen, die wie Barbara Menschen begleiten, sehen, wie kostbar für uns solche Leute sind und wie viel sie helfen können)
----------------------------------------------------------------------------------
Gedanken an den Tod
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Oft, wenn ich wie jetzt
beinahe reglos im Bett liege,
weil jede Bewegung mir Unannehmlichkeiten bereitet,
kommen mir von ganz allein
Gedanken an den Tod.
Manchmal sind das Phantasien und Vorstellungen
über meine Beerdigung oder die Reaktionen der Trauergäste,
dabei fühle ich mich oft erleichtert,
manchmal aber auch sehr traurig.
Aber immer noch kann ich mich mit dem Gedanken zu sterben
nicht wirklich anfreunden.
Wie für so viele andere Menschen ist es die Ungewissheit,
die Frage "Was passiert danach?", die Angst,
die mir das Loslassen erschwert
und so halte ich mich weiter fest am Leben.

Doch auch mein Leben birgt oft Unvorhergesehenes;
ich mache Pläne,
habe Vorstellungen, wie der nächste Tag verlaufen wird -
und dann kommt alles ganz anders.

Plötzlich erkenne ich,
dass ich doch eigentlich jeden neuen Tag
mit dieser so gefürchteten Ungewissheit lebe
und doch an jedem neuen Morgen meine Augen öffne.

Wenn ich sterbe, weiss ich genauso wenig, was kommt,
ich mache mir Vorstellungen von "Himmel",
hoffe Freunde wieder zu sehen,
doch ob das so wird, weiss niemand.

Ich möchte so weit kommen im Leben wie im Sterben,
dass ich meine Augen zumachen kann
trotz der Ungewissheit danach.
So wie ich es jeden Abend tue
im Vertrauen
auf MORGEN

Ladina, November 1998
-------------------------------------------------------------------------------

Streichelhände
*************

Hände
können
tragen
fallen lassen
schlagen
verletzen
zugreifen
geben und nehmen
schenken und stehlen

Streichelhände
können
trösten
lindern
beruhigen
und ohne ein Feuer zu entfachen
Wärme geben
und Licht sein
in der Finsternis

Ladina, November 1998

-----------------------------------------------------------------------
Ein Buch übers Sterben
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Viele glauben, dass ein Buch übers Sterben
nie einem kranken oder sterbenden Menschen
geschenkt werden darf.
Viele glauben, der Kranke verliert so den Mut, wenn er liest,
dass das Buch vom Sterben handelt.
Viele denken, sie schlagen den Kranken oder Sterbenden
mit so einem Buch die Türe der Hoffnung endgültig zu.

Ich selber habe das ganz anders empfunden.
Eine Krankenschwester schenkte mir ein Buch übers Sterben
in einer sehr kritischen Zeit,
nach einer Diagnose, von der ich wusste,
dass sie mein ganzes restliches Leben überschatten wird,
und in der ich Fragen und Ängste hatte,
die ich mit keinem zu besprechen wagte.

Dieses Buch hat mir Mut gemacht
und die Tür der Hoffnung erst richtig geöffnet,
mich selber befreit mitsamt den
quälenden Fragen und Ängsten.
Warum?

Weil ich spürte,
mit dieser Schwester darf ich über alles reden,
auch übers Sterben….

Ladina, November 1998
Zuletzt geändert von Ladina am Di 4 Jun 2019 20:19, insgesamt 11-mal geändert.

Ladina
Beiträge: 1652
Registriert: Do 4 Aug 2005 19:54
Wohnort: Kanton St.Gallen
Kontaktdaten:

Aus meinem 5. Gedichtband "Wie eine Feder so leicht II - Teil 3

Beitragvon Ladina » Mi 22 Nov 2006 18:02

Aus meinem 5. Gedichtband "Wie eine Feder so leicht II - Teil 3

Ein Aufsteller inmitten von Zürich
****************************

Monatelang war ich jede Woche mindestens einmal hier
ging schwankend zum Sächsi-Tram oder an den See
begegnete vielen fremden Menschen
und wo auch immer ich war, alle wichen mir aus.
Ich grüsste manchmal ein paar Leute, doch kaum einer erwiderte meinen Gruss.
Viele schauten mich verächtlich an
und nur die Gewissheit, in meiner Ersatz-Mama hier einen Menschen zu haben, der mich gern hat, wie ich bin,
gab mir die Kraft, das alles auszuhalten.

Heute bin ich wieder hier.
Ich muss einen Mundschutz tragen und an meiner Hand ist eine Kanüle fixiert,
doch ich fühle mich allem gewachsen,
denn ich kann endlich wieder normal gehen.
Ich bin froh, dass es kalt ist, denn es erlaubt mir, den Schal ins Gesicht zu ziehen.
Dennoch begegnen mir neugierige Blicke, es ist unangenehm,
aber sie verletzen mich nicht wirklich.

Im Globus dann, inmitten der Hektik
fällt mein Blick auf ein kleines Pultmöbel,
in das ich mich sofort verliebe.
Beim Transport zur Kasse fällt der Schal,
der Mundschutz wird sichtbar, ebenso die Kanüle
doch es folgt keine böse, dumme Bemerkung der Bedienung,
auch kein abschätziger Blick,
ich werde als Mensch behandelt, mit Sie angesprochen, offen angeschaut,
freundlich bedient und inmitten der Hektik
wünscht mir die Kassiererin: Alles Gute!

Für sie war das vielleicht ganz normal.
Für mich aber hat es Seltenheitswert und es macht mich überglücklich.

Ladina, Dezember 1998
-------------------------------------------------------------------------

9 m2 Geborgenheit, 9 m2 Gefangenschaft
**********************************

Wenn ich an zu Hause denke,
so denke ich nicht an die Stube, nicht an die Küche
sondern nur an mein Zimmer.
Wenn ich sage, ich möchte heim,
so spreche ich von meinem Zimmer,
von meiner kleinen Insel im Haus der Eltern,
von dem Raum, in welchem ich mich geborgen fühle
inmitten der Verlorenheit.
Mein Zimmer ist der Ort, wo ich mich selber sein kann zu jeder Zeit,
wo mir keiner Vorschriften macht
Mein Zimmer ist der Ort im Haus
an den ich mich zurückziehe, in dem ich mich wohl fühle,
aber momentan ginge ich so gerne raus, an die Sonne, doch, das darf ich nicht.

Oft ist mein Zimmer eine Burg,
die mein angegriffenes Immunsystem gegen ansteckende Keime von aussen schützt
- so wie jetzt auch wieder
Ich bin dankbar, dass ich hier sein darf
und nicht in unpersönlicher Einzelhaft im Krankenhaus sitzen muss,
mir nicht jedes vertraute Stück per Telefon bestellen muss,
sondern es mir selber holen kann bei Tag und bei Nacht.

Doch trotzdem sehne ich mich mehr und mehr hinaus zu dürfen,
möchte ausbrechen aus diesem Zimmer,
aus meiner Burg,
die gleichzeitig auch zum Gefängnis geworden ist
für meine Träume und Sehnsüchte,
die dort geboren werden, aber nicht wahr werden können.

Ich verbringe meine Zeit mit etwas lesen, mit Musik, mit Telefonieren,
oft schaffe ich nichts von allem, liege kraftlos da, nicke ein,
zwinge mich förmlich wieder aufzuwachen, weil schlechte Träume mich quälen,
schwelge dann in schönen Erinnerungen.

Doch plötzlich drängen sich mir wieder neue Träume und Sehnsüchte auf,
ich kann sie nicht stoppen, sie werden gross und grösser,
nehmen mich mit auf zauberhafte Reisen,
aber wenn ich mich wieder auf dem Boden der Tatsachen einfinde
bleiben mir von solchen Reisen keine Erinnerungen,
nichts, war real passiert ist, nichts, an dem ich mich nähren könnte
nur weiter unstillbare Träume und Sehnsüchte
und Hunger nach dem Leben, das ich mir zurück erobern möchte
und von dem ich weiss, dass jeder Kampf auch Opfer fordert.

All diese Träume und Sehnsüchte können nur in meinem Kopf und im eigenen Zimmer „existieren“, doch niemals wirklich an die Luft.
Sie prallen an den 4 Wänden ab
und schlagen unerbittlich heftig wieder zu mir zurück
in Begleitung von Fragen und Ängsten.
Nichts von allem dringt nach draussen, ich bin und bleibe alleine dort.

Es pocht bis an die Grenzen meiner Belastbarkeit
irgendwo in mir, bis es anfängt, weh zu tun.
Dann befreit mich nur etwas von den inneren Schmerzen.
Ich setze mich an den Pult und beginne zu schreiben,
über all das, was mich ruhelos und ängstlich macht.
Schreibend oder malend lasse ich raus
was sich in mir gefangen fühlt.

Dann hört das schmerzhafte Pochen auf – mir wird es leichter zumute
und ich sehe die Gitterstäbe meines Gefängnisses
für eine Weile nicht mehr als Hindernis
sondern empfinde sie als Hilfsmittel
an denen ich mich aufziehe
um auf eine Art Freiheit zu atmen.

Ladina, Dezember 1998

-------------------------------------------------------------------------------

Ausbruch I
**********

Totenstille im Haus. Menschenleere.
Keine Sonnenstrahlen dringen zu mir vor.
Musik erreicht mich nicht wirklich.
Fotos vermögen mir momentan keinen Halt zu geben,
bin zu erstarrt um Briefe zu schreiben,
habe keinen Antrieb, fernzusehen,
nichts zu berichten am Telefon
selbst Träume verharren hinter verriegelten Fenstern.
Die Decke ist kurz davor
mir auf den Kopf zu fallen,
ich spüre nichts als Schwere in und an mir.
Tränen suchen einen Weg nach draussen
doch nicht einmal weinen kann ich mehr.
Nur innere Verzweiflung spür ich.
So lange schon eingesperrt, so lang schon hier im Haus gefangen,
so lang schon ohne wirklichen Kontakt zu Freunden
ich fühle mich klein und schwach
hasse mich für das Selbstmitleid in mir und diese Kraftlosigkeit.
Doch dann plötzlich,
spüre ich innerlich einen Ruck
etwas Seltsames wächst in mir heran,
wird gross und grösser.
Die Schwäche zuzulassen hat mich gestärkt.
Ich stehe auf, ziehe mich schön warm an und gehe raus,
fahre mit dem Zug nach Zürich
und erobere mir so für ein paar Stunden
meine Freiheit zurück

Ladina, Dez. 1998

-------------------------------------------------------
Ausbruch II
***********

Seit fast 9 Wochen
wieder das erste Mal für länger als eine Stunde mit dem Mundschutz draussen
unter freiem Himmel
Wind und Wetter ausgesetzt,
doch Aufgehobensein spüren in mir,
kalt haben im Gesicht und doch die Seele aufwärmen dabei.
Der Traurigkeit des Hauses entflohen
ausgebrochen aus der Einöde des Zimmers,
Freiheit erleben
ausserhalb jeglicher Kontrolle mich bewegen,
die seelische und körperliche Verdauung anregen.
Möglicherweise erschöpft
am Abend
heimkehren
zurückgehen ins Gefängnis
wieder drinnen sein für viele Tage
und doch im Herzen etwas von diesem freien Gefühl zurückbehalten
Kraft daraus schöpfen
und wissen,
am heutigen Sonntag habe ich mir selber
den Weg zur Besserung gebahnt

Ladina, Dezember 1998
Zuletzt geändert von Ladina am Di 4 Jun 2019 20:21, insgesamt 6-mal geändert.

Ladina
Beiträge: 1652
Registriert: Do 4 Aug 2005 19:54
Wohnort: Kanton St.Gallen
Kontaktdaten:

Aus meinem 5. Gedichtband "Wie eine Feder so leicht II - Teil 4

Beitragvon Ladina » Do 23 Nov 2006 18:42

Aus meinem 5. Gedichtband "Wie eine Feder so leicht II - Teil 4

Kleine Energie-Spur
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°


Zuviel Energie spüre ich noch in mir
mich einfach hinzulegen und zu sterben
mich aufzugeben, meinen Träumen abzusagen.
Doch zuwenig Energie spür’ ich in mir
um vital zu sein, um mich ins Leben zu stürzen
um an eine kraftvolle Zukunft zu denken
um meine Träume zu leben-
Zuviel zum Sterben
zu wenig zum Richtig (Auf-) Leben
doch wahrscheinlich
gerade genug
um der Gegenwart Sinn zu geben.

Ladina, Januar 1999



Optimismus oder Naivität
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Ich habe eine Gabe,
die manche an mir bewundern
und wegen der andere mich belächeln.
Ich kann in vielem Schweren noch etwas Positives finden
oder mich freuen, dass es nicht noch schlimmer ist.
Ich habe viele Einbussen durch meine Krankheit
doch ich freue und orientiere mich an den Dingen,
die ich noch kann,
die noch immer oder immer wieder möglich sind.

Manche nennen das Optimismus
und andere schlicht Naivität
doch was immer es auch letztendlich ist
- ich bin stets gut gefahren damit!

Ladina, Januar 1999

****************************************************

Kaktusblüte
°°°°°°°°°°°°°

Die Wirklichkeit meines Lebens
ist anders als jene meiner Schwester
anders auch als jene meines Bruders,
anders als jede andere, die ich zu kennen glaube.
Kaum eine Woche vergeht ohne irgendeine gesundheitliche Beeinträchtigung,
die fast jedes Mal eine Arztkonsultation nötig macht
oder mich derart einschränkt oder ermüdet,
dass ein normaler Tagesablauf nicht mehr gewährleistet ist.
Mein Immunsystem arbeitet am falschen Ort.
Trotz allem aber gibt es immer noch vieles in meinem Leben,
an dem oder über das ich mich freue,
vieles, für das es mir wert ist gegen die Krankheit zu kämpfen
mit aller Kraft, die ich noch habe.

Mein Leben ist nicht eigentlich schwerer oder dunkler oder trauriger,
nur halt ganz anders als dasjenige der meisten Leute, die ich kenne.

Es ist etwa so wie ein stacheliges Kaktuspflänzchen.
Oft tun Berührungen damit weh,
aber eines Tages trägt es Blüten.
Ich muss es jeden Tag pflegen, als sei es das Schönste
ich muss es lieb haben, auf das Gute in ihm vertrauen
und ich muss warten können auf das Wunder des Lebens
Jeden Tag neu!

Dann, wenn es sich zeigt, wenn es wieder blüht,
weiss ich, dass die dunklen Tage nötig waren
um die Grossartigkeit dieses Augenblicks und dieses unbeschreiblichen Glücks
erst richtig
zu empfinden

Ladina, Januar 1999

Kaktus Freiland Sukki Namenssuche 20210621 neu(2) (Andere).jpg
Kaktus Freiland Sukki Namenssuche 20210621 neu(2) (Andere).jpg (59.1 KiB) 5662 mal betrachtet
---------------------------------------------------------------------------

Über(s)Sehen
°°°°°°°°°°°°°°

Manches, was andere Leute sehen können, lesen können
erkenne ich nicht,
nehme ich nicht mehr wahr.
Anderes hingegen sehe ich besser,
verstehe es besser,
auch der Blick auf das Wesentliche ist vermutlich durch die Krankheit geschärft.
Ebenso gibt es auch Dinge, die ich zwar sehe
aber nicht mehr sehe für mich.
Dinge, von denen ich spüre,
dass ich dabei nicht mithalten, daran nicht teilhaben kann.
An solchen Dingen gehe ich darum vorbei und komme dann oft woanders hin,
wo kaum noch jemand ist,
weil die meisten schon längst abgebogen sind
um irgendeinem Hinweis zu folgen,
den ich nicht sah
oder nicht mehr sah für mich.
Da, wo es mir gefällt, verweile ich,
suche und finde Eindrücke, die mich faszinieren.
Manche sagten schon genervt zu mir: „Mit dir kommt man nicht mehr weit,
seit Du krank bist. Keine Action, no Fun liegt drin“
Am Anfang tat mir solches noch weh,
doch heute denke ich,
dass ich so oft weiter gekommen bin,
tiefer gesehen habe,
mehr Freude, mehr Dankbarkeit für das Erlebte fühlte dabei
als sie in ihrer bewegten, überfüllten
ruhelosen Freizeit

Ladina, Flumserberge, Januar 1999
(abseits der Touristenströme)
-------------------------------------------------------------------------------------

Müde
*****

Ich liebe die Sonne und das Licht,
bin dann, so oft es geht, draussen
oder in der Nähe des Fensters,
kann einfach kaum liegen bleiben bei schönem Wetter,
auch dann nicht, wenn ich müde oder erschöpft bin.
Immer habe ich ein schlechtes Gewissen
diesem herrlichen Tag gegenüber,
mir selbst gegenüber
und so komme ich nicht zur Ruhe.
So bin ich manchmal sogar dankbar
für die trüben Tage, die der Himmel schickt
für die Kälte und das Regenwetter
einfach für Tage, wo ich die Augen getrost wieder zumachen kann,
nach einer unruhigen oder schlechten Nacht
wo ich schlafen oder in mir selbst auf Entdeckungsreise gehen kann,
wo ich zu erschöpft sein darf um aufzustehen,
zu kaputt, um mich umzusehen.
Dankbar für solche Tage
wo nichts und niemand es mir übel nimmt
zu sein, was ich oft bin

Müde

Ladina, Münster, Januar 1999

(K)EINE kleine Sache
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Wenn die Staumauer der Seele bricht,
wirft einen die kleinste Sache aus der Bahn.
Die Verzweiflung überbordet,
Tränen fliessen - stundenlang.
Alles bricht heraus aus mir.
Menschen sagen:
"Diese Sache ist nun wirklich nicht so tragisch,
reiss Dich mal zusammen!"
Sie wissen nicht,
dass ich genau dies etliche Monate zuvor viele Male tat.
Sie sehen nur diese kleine Sache
und ahnen nichts von den Fluten,
die sich seit Jahren in mir stauten

Ladina, Januar 1999
-----------------------------------------------------------------------------
Gefühle in mir
+++++++++++

Es gibt Gefühle und Empfindungen in mir,
die ich immer wieder in Gedichten zur Sprache bringe,
die ich so verarbeite,
denen ich stets eine neue Form zu geben versuche
und die grosse Anzahl meiner Gedichte lässt vermuten,
dass meine Möglichkeiten zu formulieren unerschöpflich sind.

Aber es gibt auch Gefühle und Empfindungen in mir,
die ich noch nie in einem Gedicht beschrieb,
Gefühle, die nur in mir spürbar sind,
die nie an die Oberfläche gelangen.
Empfindungen, die sich verirren in mir
und nie aus mir herausfinden.
Selbst, wenn ich es möchte,
kann ich sie nicht rauslassen,
sie nicht befreien aus mir.

Zu lange schon
sind sie gefangen,
und sie haben es verlernt
nach oben zu streben

Ladina, Januar 1999
----------------------------------------------------------------------------------
Es ist mir ein Trost (gelesen an Riekes Beerdigung, 7.1.1999)
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

"Sie bekommen eine Zimmergenossin!",
sagte die Krankenschwester zu mir,
"aber erwarten Sie nicht die beste Unterhaltung und nehmen Sie es nicht persönlich, wenn das Mädle nicht mit Ihnen spricht,
sie redet seit einem halben Jahr mit niemandem mehr, lacht nicht, weint nicht, aber was kann man da machen?"
Worte, die in mir brannten wie Feuer,
die mich nicht mehr ruhen liessen.

Dann kamst Du einen Tag darauf.
Ich stellte mich Dir vor und Du schautest sofort weg.
Jetzt war ich doch froh, vorbereitet worden zu sein.
Stumm verbrachten wir die ersten 4 Tage und ich stickte viel.

Dann kam der Tag, den ich nie mehr vergessen werde.
Der Tag, an dem Du so lachtest, dass das Bett wackelte,
weil ich die Mittagsschwester auf deren Nachfrage nach meinem Wunsch (Tee oder so was)
wie selbstverständlich um ein Bügeleisen bat
und sie so dämlich guckte.

Danach war das Eis gebrochen.
Du wünschtest Dir, raus zu fahren in den Park
und wir fuhren gemeinsam zwischen zwei Regengüssen.
Niemand hat Dich wieder erkannt.
Deine Augen, so lange wie erstarrt, waren wieder wach
und sie sind es geblieben bis zuletzt.

Der Abschied kam viel zu schnell.
Du versprachst mir, sofort zu schreiben,
doch nie kam ein Brief von Dir,
aber ich weiss aus den Telefonaten mit Deinem Bruder,
dass Du begeistert noch vieles erlebtest.

Das ist mir ein Trost,
weil ich Dich, ohne es recht beabsichtigt zu haben,
wieder zum Lachen und Reden brachte
und das Leben für Dich bestimmt wieder reicher
geworden ist, als zuvor.

Wir haben 6 Tage im Krankenhaus gelegen und innert
48 Stunden viele, viele Worte gewechselt
Worte von grosser Bedeutung und Tiefe
übers Leben, über den Tod, und über allem fanden wir
doch immer wieder zum Lachen zurück.

Immer, wenn ich an Dich denke, Rieke,
sehe ich Dich lachen und das ist und bleibt mir ein Trost
dass Du sprechen und lachen mochtest
bis am Schluss

(im Gedenken an Rieke Hämmerle , 5.12.1980 - 1.1.1999)

Ladina, 1.1.99


------------------------------------------------------------------------
In Gedanken
°°°°°°°°°°°°°°

In Gedanken breche ich die qualvollen Therapien ab.
In Gedanken nehme ich Abschied von Leben.
In Gedanken spiele ich meine eigene Beerdigung durch.
In Gedanken freue ich mich, dann schmerzfrei zu sein.
In Gedanken stelle ich mir das Wiedersehen mit verstorbenen
Freunden vor.

In Gedanken sterbe ich oft,
doch in Wirklichkeit
kann ich es mir nicht vorstellen.
Ich bleibe wo ich bin und hoffe,
setze die ganze mir noch verbleibende Kraft
in den Vertrauen und den Glauben,
dass diese Medis,
die mir so schwer zusetzen
und mich so krank machen,
mich am Ende doch gesund werden lassen
und ich eines Tages sagen kann:

Es hat sich gelohnt zu bleiben und zu kämpfen,
denn das Leben hat gesiegt
nicht nur in Gedanken
sondern auch in Wirklichkeit

Ladina, Januar 1999
---------------------------------------------------------------------------
Swetlana
++++++++

Ich sah gestern in der Wartehalle ein Mädchen, das tränenüberströmt war und bitterlich zu weinen schien.
Ich ging hin, legte behutsam meine Hand auf ihren Arm
und fragte: "Willst Du reden?"
Sie legte ihren Kopf in meinen Schoss, weinte lange leise,
stand dann auf und ging
und ich hatte das Gefühl, ihr geholfen zu haben.

Heute Morgen kam sie mich besuchen.
Ich sagte Hallo, sie bewegte nur die Lippen,
setzte sich dann und kritzelte auf einen Zettel ihren Namen:
Swetlana, ihr Alter: 19 und dann schrieb sie:
Schilddrüsenkrebs, nie mehr Stimme, aber geheilt. Wie soll ich freuen? Alles kaputt aber gut!?

Bei mir lief das ADR über 48 Stunden,
dank Zofran fühlte ich mich gut,
gut genug, um die Fragen von Sweti zu ertragen,
doch unfähig eine Antwort zu finden.

Nur allzu gut konnte ich ihre Verzweiflung hautnah
nachempfinden, ich nickte verständnisvoll
und hütete mich, ihr zum Trost zu sagen:
"Aber Du kannst doch sehen, hören, laufen,.
Ich hütete mich, sie mit Fähigkeiten zu trösten,
die das Sprechen können niemals ersetzen.

Dann gingen wir zusammen in die Musiktherapie,
versuchten, etwas von unserer Verzweiflung auszudrücken.

Später erfahre ich von einer Krankenschwester,
dass Swetlana sonst viel Mühe hat, auf andere zuzugehen.
Vielleicht vertraute sie sich mir gerade deshalb an,
weil sie spürte
dass ihre Nöte und Fragen
auch meine sind?

Ladina, Januar 1999
----------------------------------------------------------------------------------
Bedrohte Lebenskraft
*******************

Ich hatte viele Chemos
und machte das ganze Spektrum der Nebenwirkungen durch.
Ich hatte eine Gehirnblutung
und verlor meine Sprache und Gehfähigkeit,
Ich erfuhr, dass meine Krankheit chronisch ist
und immer wiederkehren wird.
Ich trug durch die Behandlungen bleibende Schäden davon.
Aber nichts von dem allen
hat meinen Lebenswillen gebrochen.
Der Schmerz in meiner rechten Gesichtshälfte jedoch
pocht beharrlich
widersteht Schmerzpflastern ebenso wie Zäpfchen
und immer mehr spüre ich,
wenn das so weitergeht,
wird er,
als erster und letzter
es schaffen,
meinen Lebenswillen zu ersticken

Ladina, Januar 1999
[/b]
Zuletzt geändert von Ladina am Mo 22 Nov 2021 17:49, insgesamt 9-mal geändert.

Ladina
Beiträge: 1652
Registriert: Do 4 Aug 2005 19:54
Wohnort: Kanton St.Gallen
Kontaktdaten:

Aus meinem 5. Gedichtband "Wie eine Feder so leicht II - Teil 5

Beitragvon Ladina » So 3 Dez 2006 11:09

Aus meinem 5. Gedichtband "Wie eine Feder so leicht II - Teil 5

Privatheit und Gesellschaft in einem
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°


Alles, was in mich reinkommt, wird genau erfasst.
Alles, was aus mir rauskommt,
auf mehr oder weniger natürliche Weise.
müssen sie anschauen, austesten und messen.
Sie stixen meinen Stuhl,
messen den pH-Wert des Urins,
tragen Farbe und Konsistenz in Skalen und Listen ein,
kein ml darf vergessen werden.

Der Topf hat mir auch noch das letzte bisschen Intimität
im stillen Örtchen geraubt,
immer muss ich es melden, wenn derartige Bedürfnisse
von mir gespürt werden
und manchmal wird es mir zuviel,
ich sehne mich nach Privatsphäre in meiner Isolationseinheit,
die mich zwar von den Mitmenschen abgrenzt,
mich durch die Glas und Plastikwand aber dennoch
für alle sichtbar macht.

Gleichzeitig mit dem Wunsch nach Privatheit
regt sich in mir die Sehnsucht nach Kontakt und Gesellschaft
und auch dies ist bloss durch die Plastikwand möglich
und bietet nicht im Geringsten eine Alternative
zu einem wirklichen körperlichen Kontakt.

Eine Schwester sagt zu mir: Ich würde ausrasten, wenn ich da drin sein müsste. Ich bewundere Ihre Gefasstheit und Stärke!"
Und ich freue mich über dieses Kompliment
und habe andrerseits Mühe, es anzunehmen,
denn nur weil ich oft schwach werde, kann ich stark scheinen,
nur, weil ich immer wieder in Gedanken fliehe,
kann ich dies hier ohne Murren aushalten.

Wann immer es möglich ist, tauche ich ab,
gebe mich schönen Träumen hin,
die zugleich auch immer Erinnerungen sind
an schöne Stunden, die ich verleben durfte
und beides, Privatheit und Gesellschaft finde ich dabei.

Ladina, Februar 1999
-----------------------------------------------------------------------------------
Einfach sterben
°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Früher
hiess es nach der Diagnose Krebs, einfach: Sterben
und nichts und niemand
wusste ein Mittel dagegen.
Vielleicht
war dies sogar leichter zu verkraften
als dieses ewige Auf und Ab
der heutigen Zeit!

Ladina, Februar 1999
----------------------------------------------------------------------------

Gedanken zwischen Aufgeben und Aufleben
************************************

Trotz achtmal täglicher Mundpflege
sind mein Mund und mein Rachen eine einzige grosse Wunde
geworden, die grässlich schmerzt.
Nur lallend noch kann ich versuchen
irgendwelche Bedürfnisse auszudrücken
und allzu oft misslingt es mir.
Vom Fieber matt liege ich in der Schutzisolation
seit 5 Tagen schon,
heute hätte ich rausgedurft,
doch es zieht sich in die Länge.
Immer wieder zapfen sie Blut ab,
der CRP-Wert gefällt ihnen nicht,
die systemisch verabreichten Antibiotika lösen Brechreiz aus
und Bauchkrämpfe,
jeder Versuch der Linderung zieht
unweigerlich neue Beschwerden nach sich.
Die ganze Quälerei rüttelt an meinem ohnehin schon
schwachen Nervengerüst,
oft bricht es nahezu zusammen.
Dann bin ich nahe dran aufzugeben
und denke: Der Tod wäre sicher gnädiger,
schmerzloser und sanfter mit mir,
vielleicht sogar menschlicher zu mir.
Für eine Weile gebe ich mich ganz diesen Gedanken hin,
doch dann ziehe ich mich erschreckt zurück,
wende mich wieder der Realität zu
weil ich weiss: Der Tod wäre endgültig,
es gäbe kein Entkommen mehr.
Aber das hier,
so schrecklich es auch momentan ist,
geht eines Tages vorbei
und ich werde mich wieder besser fühlen
und froh sein, noch zu leben!

Ladina, Februar 1999

------------------------------------------------------------------------------
Kurort
******

Nicht (schon wieder) in einer Klinik,
nicht unter Gleichbetroffenen,
nicht isoliert in den Bergen,
nicht am Rhein und auch nicht am Meer
der Ort, wo ich mich erholen kann,
ist dort, wo meine Freunde sind

Ladina, Februar 1999

--------------------------------------------------------------------------------
Die Geschichte (m)eines Baumes
****************************

Vor knapp einem Jahr
stand ein kranker Baum einsam an seinem Platz,
Löcher zerfrassen seinen Stamm
und er drohte zusammenzubrechen.
Kein einziges Blatt schmückte seine Äste,
seine Wurzeln waren verkümmert, sie fanden kaum noch Halt.
Alle mieden ihn und auch der letzte Vogel
spielte schon mit dem Gedanken,
den kahlen, sterbenden Baum
für immer zu verlassen.

Dann aber begann er doch noch mal zu singen,
zu wehklagen mehr,
und er trug das verzweifelte Lied des sterbenden Baumes
leise ein wenig weiter…

Die meisten Menschen wollten solches nicht hören und sehen,
und sie gingen weiter,
gaben dem Baum keine Chance mehr.

Du aber, liebe Barbara
hast das Lied gehört und bist da geblieben,
hast mit Deiner Zuneigung und Pflege zu wirken begonnen
und Du dachtest keinen Augenblick,
dass sich hier die Mühe nicht mehr lohnt.

Heute geht es dem Baum besser als je zuvor
und die Leute aus der Umgebung staunen.

Trotz seiner Krankheit und dem verlöcherten Stamm
ist mein Baum weiter gewachsen,
meine Wurzeln haben wieder Halt im Leben gefunden
und an meinen Ästen treiben bunte Blätter
in den Farben der Zuversicht und der Lebensfreude.
Und der Seelenvogel ist befreit von der Qual
und froh darüber, noch dageblieben zu sein.

So ähnlich, wie Du in Eurem Garten einem kahlen Strunk
zu neuem Leben verhalfst,
so hast Du meinen sterbenden Baum wieder zum Leben gebracht.
Dank Dir, liebe Barbara
ist mein Seelenvogel wieder glücklich
und er spürt Geborgenheit und Sicherheit
auf und in meinem angegriffenen Baum.

Nie ist es mir wohler gewesen als jetzt.

Alles, einfach alles,
wird leichter, heller und schöner
weil Du da bist

Ladina, nach Hochdosis, Februar 1999

(gewidmet meiner Lebenshelferin, Mami und bester Freundin)

Seelenvogel neu (Andere).JPG
Seelenvogel neu (Andere).JPG (32.89 KiB) 5661 mal betrachtet
--------------------------------------------------------------------------------
(K)ein Ausweg aus dem Schmerz
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Ich hatte Gefühlsschwankungen
und man bot mir Stimmungsaufheller an
- doch ich schlug sie aus.

Ich war halbseitig gelähmt
und man bot mir Behindertenferien an
- doch ich schlug sie aus

Immer schon war ich gegen die Flucht,
immer versuchte ich aus eigener Kraft herauszukommen
aus dem Loch der Verzweiflung.

Seit September 98 plagen mich Schmerzen.
Seit 5 Monaten immer wieder Tag für Tag Schmerzen
oft auch nachts Schmerzen.
Sie gehen weg und kommen in Attacken wieder
dauern Stunden, mitunter sogar Tage an.

Niemand weiss ein Mittel dagegen,
nicht einmal MST wirkt,
kein Wille, kein Beten, kein Flehen hilft
und immer tiefer versinke ich im Loch der Verzweiflung.

Jetzt gäbe ich alles für eine Fluchtmöglichkeit,
für eine Linderung dieser quälenden Nervenschmerzen
doch keiner kennt einen Weg
und nur der Tod verspricht noch Schmerzfreiheit.

Ladina, Februar 1999
------------------------------------------------------------------------
Grenzen bejahen lernen
*********************

Meinen eigenen Grenzen begegnen
wie dem Ruf eines guten Freundes,
sie annehmen
und nicht ablehnen, wie einen Feind.
Einhalten
Rasten
Nicht fliehen
Kein Weiterkommen erzwingen.
Es nicht als Kränkung empfinden, mich auszuruhen
sondern als Chance,
die irgendwann
auch wieder ein Weiterkommen
möglich macht
- das muss ich üben

Ladina, Februar 1999

Karfreitagsglück
°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Unruhige Nacht,
halbbewusste Wachträume von einer traumhaften Velotour,
jedoch in meinem Herzen das Wissen:
'Es ist noch zu früh, an solches zu denken'.

Am Morgen zeigt mir der Blick in den Spiegel
mein blasses Gesicht,
draussen lacht heller Sonnenschein,
prima für alle andern, nicht gemacht für mich
doch plötzlich in meinem Innern
ein stiller, aber durchdringender Protest
wie ein stummer Aufschrei: Nein!!!

Und dann steige ich doch aufs Velo,
trotz blasser Gesichtsfarbe,
mal versuchen wie weit ich komme
ohne Illusionen fahren,
das ferne Ziel Bassersdorf liegt heute sicher zu weit weg.

Einfach radeln ohne Tempodrill
alles vergessen - die Zeit, die Blutwerte, die Krankheit,
die sprachliche und körperliche Unzulänglichkeit,
den Kummer zurück lassen
mich unendlich frei und unabhängig fühlen.

Um 16.00h in Kempthal fühle ich Stolz
Um 17.00h in Bassersdorf kann ich mein Glück nicht fassen
Um 17.50h in ZH Oerlikon ist es nur noch ungläubiges Staunen
über meine Superform.

Ich muss mein Glück mit jemandem teilen,
rufe erst meine Gastmutter Cécile an.
Sie sagt: "Das kann doch nicht sein!",
sie versucht sich zu freuen,
aber Besorgnis schwingt in ihrer Stimme.
Auch an Monikas Stimme höre ich, dass sie sich Sorgen macht.
Nur Barbara könnte wohl nachvollziehen,
was dies alles bedeutet für mich, doch sie kann ich
leider nicht erreichen.

Mir bleibt, es einfach mit mir selbst zu feiern,
dieses Grossereignis einer Velotour von 70 km
und dieses innere Glück so intensiv zu geniessen
wie ein Festessen nach 1000 Tagen Wasser und Brot.

Ladina, Karfreitag, 2. April 1999

---------------------------------------------------------------------------------

Kein Versprechen für immer
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Vor zwei Tagen erst befand ich mich in Bestform
und radelte ca. 70km von Wil nach ZH Oerlikon.
Von diesem Erfolg euphorisiert plane ich heute
eine Fahrradtour von etwa 50km von Lugano nach Riva San Vitale.
Voller Idealismus fahre ich los,
noch überzeugt, mein Ziel zu erreichen,
doch bereits in Morcote, nach ca. 10km bin ich fix und fertig.
Schaffe es, mich mit Müh und Not
in den bezaubernden Parco Scherrer zu schleppen.
Sitze dort über zwei Stunden auf einer schattigen Bank,
doch die erhofften Energien
zeigen sich trotzdem nicht wieder.
Bewundernd schaue ich den Pensionierten hinterher,
die an mir vorbeiziehen und flott Treppen steigen,
so als wäre nichts dabei.
Ein eigener Versuch, es ihnen gleichzutun, scheitert kläglich
und ich begreife,
dass meine körperliche Bestform vom Karfreitag
ganz einfach eine Leihgabe des Wohlbefindens war,
aber kein Versprechen für immer.

Ladina, Ostersonntag, 4. April 1999


Gedichte von damals
++++++++++++++++

Es war ein Tag wie viele,
ein Tag, den ich zum grössten Teil im Spital verbrachte,
ein Tag, an dem Fragen in mir aufstiegen,
die ich dort keinem stellen konnte,
die ich so stotternd vor vielen nicht zu formulieren wagte.
Nur Barbara, meiner engsten Vertrauten,
hätte ich diese Fragen auch so stotternd stellen können
und so suchte ich Zuflucht in einer Kabine und rief sie an.
Schon allein ihre Stimme löste Erleichterung in mir aus,
doch ich kam ungelegen
und sie bat mich, mich kurz zu fassen mit ruhiger Stimme
und gewiss ohne böse Absicht.

Beim Versuch, ihrer Bitte folgen zu leisten, aber
wurde es mir so schmerzlich bewusst,
dass ich eben genau dies nicht mehr kann.
2 Sätze dauern heute länger als früher ein ganzes Dutzend
und ich sagte nicht viel
und nicht das, was ihr anvertrauen wollte.

Ich hatte das Bedürfnis zu reden
und musste, um alles sagen zu können, was ich wollte,
mich darauf beschränken, zu schreiben
selbst da aber versagte ich!

Jetzt endlich geht das Sprechen und Schreiben wieder
und weil die Eindrücke von damals noch in mir gestaut sind,
aber alles zu lange vorbei ist,
um noch davon zu reden,
darum schreibe ich heute Gedichte von damals
um Worte und Gefühle aus mir zu befreien,
mich neuen Empfindungen zu öffnen
und mit diesem Loslassen
den Schmerz von damals zu bewältigen

Ladina, Thusis, Juni 1999
--------------------------------------------------------------------------------

Lachnummer
¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦


Ein Abend im April.
Sie holten mich aus meinem Zimmer
und forderten mich heiter auf, ins Wohnzimmer zu kommen,
wo eine lustige Sendung ausgestrahlt würde.
"Du sollst wieder mal zum Lachen kommen.
Bist viel zu ernst in letzter Zeit!"
Ich gehe mir, denke, es ist etwas wie Versteckte Kamera.

Weit gefehlt. Sie spielen Sketche - eher geschmacklos, finde ich.
Dann eine Werbepause, bevor der angekündigte Leckerbissen
der Show seinen Auftritt gibt.

Er wird als Star der Komik-Schau bezeichnet,
er redet langsam und stottert,
seine Hände bewegen sich immer in der Nähe seines Halses,
als könnten sie den verklemmten Worten Nachhilfe leisten.
Er ist noch jung und er wirkt sogar im Sitzen fahrig und tollpatschig
und bei jedem einigermassen fliessenden Satz,
der ihm gelingt,
tritt stolzer Glanz in seine Augen.

Alle vor dem Fernseher wiehern vor Lachen,
nur ich allein bin den Tränen der Verzweiflung nahe.
Der junge Mann, der da so überzeugend den Deppen spielt,
erscheint mir wie mein eigenes Spiegelbild
- ich sehe, wie ich selbst auf andere Menschen wirke,
bin genau wie er eine Lachnummer geworden
mit meinem Sprachproblem.

Aber bei mir ist es echt.
Ich kann nicht einfach mit Stottern aufhören
und mich als normal zu erkennen geben,
wenn es mir zuviel wird,
das spöttische Gelächter, die Ungeduld
und die abschätzig verdrehten Augen zu ertragen,
denen ich fast täglich ausgesetzt bin.

All meine Anstrengungen um fliessende Sätze
finden in Misserfolgen ihr Ende.

Ich verlasse das Wohnzimmer und weine lange im Zimmer.
Sie fragen durch die Tür: "Was ist?"
Ich schweige!
Es ist das Einzige,
was wirklich schützt
vor immer neuen Verletzungen

Ladina, Thusis, Juni 1999
-----------------------------------------------------------------------------------
Szenen aus dem Überleben
¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦


Da finde ich auf dem Fahrplan den Zug nach Lugano nicht
und weiss doch genau, es fährt noch einer nach Süden.

Da frag ich einen nach dem Weg
ich verstehe, was er sagt, und gehe danach dann trotzdem falsch.

Da diktiert mir das Tonband eine Telefonnummer aus Solothurn
und ich, ich notiere falsche Zahlen und lande irgendwo
in Winterthur.

Plötzlich schleichen sich bei mir Schreibfehler ein,
die ich seit der ersten Klasse nie mehr machte.

Da bin ich 2 Stunden im Zug traurig darüber,
dass mein Walkman kaputt ist,
bis ich endlich merke, dass der Kopfhörer nicht angeschlossen ist.

Da schliessen Geschäfte morgens um 8
und ich kann mir nicht erklären, wieso.

Da kreisen Lichter am Nachthimmel
und ich frag mich: Seh’ das nur ich, oder würden andere es auch sehen.

Dies sind nicht etwa Episoden aus einem Alptraum,
die ich hier beschreibe,
sondern es sind leider wahre Szenen und Begebenheiten
aus dem Überleben eines Gehirntumors,
das so leicht zum Alptraum werden kann,
wenn das Vertrauen in die eigenen Wahrnehmungen zerbricht
und man sich selbst nicht mehr zu trauen wagt.

Mehr und mehr wächst unter diesen Umständen
in mir die Angst davor,
als Geheilt entlassen zu werden und dabei auf ewig
einen irreparablen Schaden mit mir herumzutragen

Ladina, Juni 1999
--------------------------------------------------------------------------------

Mein Anteil an Zukunft
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Mit manchen bin ich einen bedeutenden Weg gegangen,
andere habe ich bis ins Mark unbeabsichtigt erschreckt,
manche habe ich genervt
und andere vielleicht tief berührt.

Einigen schenkte ich meine ganze Liebe
andere genossen einfach meine ganz
gewöhnliche Freundlichkeit.

Sie alle werden mich nicht so schnell vergessen,
auch wenn ich sterbe,
werden Menschen da sein, die sich an mich erinnern.

Diese Erinnerungen werden einst
mein Anteil an der Zukunft sein,
und meine Möglichkeit, in zwar etwas anderer Form
doch noch im Leben zu bleiben.

Ladina, Juni 1999 in Maienfeld
-----------------------------------------------------------------------------
Bedrängnis
°°°°°°°°°°°°°

Unheilbringende Massen bedrängen mich,
ein Zuviel an Bedrohung ist rings um mich her
und ich fühle mich verschwindend klein.
Ich stehe mit dem Rücken zur Wand,
sehe die Gefahr immer näher kommen
und weiss, meine Chancen zu entkommen, sind winzig.
Noch wirke ich nach aussen hin stark,
auch wenn innerlich mehr und mehr zerbricht.
Noch bekämpfe ich die bösen Massen,
mit einer Kraft, die aus der Verzweiflung kommt,
doch in mir spüre ich oft eine Ahnung,
wie das alles zu Ende geht
und ich habe Angst,
dass mich eines Tages eine der bösen Massen verschluckt
und dass es dann so ist,
als wär' ich nie gewesen…

Ladina, Juni 1999
---------------------------------------------------------------------------------
Filmriss
°°°°°°°°°°

Ich bin auf dem Bahnhof mit einem Ziel vor Augen,
bahne mir mit Hunderten von Leuten den Weg zu einem Perron,
höre Quietschen, Hupen, Gebrüll, Lärm, Lautsprecherstimmen
und Klappern von Schuhen,
sehe sich bewegende Menschen, Farben, Lichter am Kiosk,
lese noch Schlagzeilen dort im Vorbeigehen.

Dann, mitten im Gewimmel trifft es mich,
wie ein Blitz aus heiterem Himmel,
fühle mich überflutet von all den Eindrücken,
überrollt, überfahren,
es ist wie ein Zusammenstoss
mit einem unfassbaren Etwas.

Ich kann nichts mehr aufnehmen,
nicht mehr weitergehen eine Zeit lang,
alle Rädchen in meinem Kopf scheinen still zu stehen.
Es ist wie ein Kurzschluss, wie ein Kollaps im Kopf
und ich sinke auf die nächste Bank wie erschlagen.

FILMRISS!
Ich weiss nicht mehr, wohin ich will,
was ich tun wollte,
weiss nicht mehr, wie es weitergeht.

Lichter, Lärm und Wortfetzen tanzen wild durcheinander
vor meinen Augen und Ohren,
doch mit nichts kann ich was anfangen,
die Wahrnehmungen entfliehen,
bevor ich sie einfangen kann,
bevor ich sie verwerten oder festhalten kann,
bis ich begreife, was ist.

Aus Sekunden des Innehaltens, sich Sammelns
werden Stunden,
wo ich mich wieder zu finden versuche
dort auf der Bank im Zürcher Hauptbahnhof
- mit geschlossenen Augen,
damit nicht noch mehr meine Konzentration stört.

Bis es mir gelingt,
Neues anzuknüpfen an schon Dagewesenes,
bis der Plan, den ich mir für diesen Tag gemacht habe
wieder durchschaubar ist für mich, dauert es lange,
zu lange, um ihn noch auszuführen.

Wie betäubt, fast mechanisch trete ich den Heimweg an,
höre im Zug andern Reisenden zu
was sie berichten von ihren Erlebnissen
und nehme dann Abstand von ihnen,
damit niemand mich fragt, wo ich denn war
mit Wanderschuhen und Stock,
damit ich weder lügen, noch die Wahrheit sagen muss,
damit ich alleine bleiben kann mit der schrecklichen Erkenntnis,
dass ich mich wieder
in mir selbst verirrt habe

Ladina, 19.Juni 1999
(das hier beschriebene Erlebnis stammt nicht aus einem Traum, sondern ist leider Realität. Wer es nicht kennt, mag denken, es sei da bestimmt Alkohol oder Drogenkonsum im Spiel gewesen, aber dies ist nicht der Fall.
Was ich hier beschreibe, diese Filmrisse, ist bei mir und auch bei manchen andern Menschen die Folge einer Hirnverletzung.)
--------------------------------------------------------------------------------
Explosion im Kopf
*********************

Es ist, als hätte mein Gehirn Heisshunger,
als sei es von Fresssucht befallen,
es verschlingt alles, was an Eindrücken um es her ist,
alles nimmt es auf, gänzlich unwichtige Dinge:
Bruchstücke von Gesprächen, die andere führen, Lichter, Geräusche
- ein zusammenhangsloses, unverdaubares Durcheinander.
Dann ein lautloser Knall in mir,
wie eine Explosion im Kopf und alles steht still.
Ich schliesse die Augen und tauche ab,
registriere nichts mehr um mich her.
Ich werde still und versuche den Kopf zu lüften
zu entrümpeln, zu reinigen,
damit die wirklich wichtigen Dinge wieder zutage treten
unter dem Chaos der Orientierungslosigkeit.

Immer war ich bisher allein,
wenn ein solcher Anfall mich traf.
Ich kann nicht sagen, ob ich Freunde dabei
überhaupt noch ertragen könnte,
ob ich sie erkennen würde - doch ich hoffe, das wäre so.

Ich versuche, mir darüber klar zu werden,
was mir helfen könnte, in so einer Situation.
Sicher kein neuer Trubel,
sicher kein Tapetenwechsel,
sicher keine neuen Bilder
- zuviel ist schon in mir, wenn ich ausfalle.

Sicher auch nicht zu einem Doktor gebracht werden,
sicher auch nicht in ein Spital,
aber auch nicht nach Hause
- schon Vertrautes ist mir dann fremd.

Vielleicht aber in ein stilles Zimmer,
vielleicht eine Hand, die leise meine hält,
vielleicht jemand, der mich sprachlos erträgt,
vielleicht einer, der Zeit hat und nicht drängt.

Ich kann es nicht sagen, denn ich war immer allein,
habe mir immer allein wieder auf die Beine geholfen
und mein Gehirn freigeräumt für Wesentliches.

Ich fühle mich nicht einsam dann, aber überfüllt,
ich fühle mich mir fremd
und bin mir doch ganz nah dabei.

Es ist schwer, solche unfassbaren Vorgänge in sich zu beschreiben,
um Verständnis zu werben für etwas,
was man selber kaum versteht.

Ich versuche es dennoch, und sei es nur, um zu sagen,
wie froh ich bin, dass es vorbei geht,
wie dankbar ich bin dafür,
dass die klaren Zeiten immer noch überwiegen
und die bewusstseinsgetrübten Momente
Ausnahmen sind, die ich bewältigen kann,
auch deshalb,
weil ich sie vor meinen Freunden
nicht verleumden muss.
Dass ich sagen kann, was war
und trotzdem nie auf Ablehnung und Unsicherheit stosse,
sondern auf Ruhe und Verständnis von den Menschen,
die in meinem Leben wichtig sind.

Gerade in solchen Situationen
ist es unermesslich wertvoll
in Geborgenheit eingebettet zu sein
und zu wissen, tief drin,
es sind Menschen da, die mich lieb haben, Trotzdem!

Ladina, 20.Juni 1999

----------------------------------------------------------------------------------
In den Bergen
""""""""""""""""""

Nur zwei Tage nach dem Zusammenbruch
zieht es mich fast magisch wieder in die Berge
als wenn ich mir selber beweisen müsste,
dass ich wieder fit bin.
Stets von neuem liefere ich mich mir selber aus
und fahre allein in die Berge,
geniesse es, mir nicht jeden weiteren Schritt
von Fremden erlauben lassen zu müssen,
geniesse es, selber zu entscheiden, wohin ich gehe.
Während ich mich konzentriere auf den Weg,
befreie ich mich vom Verzagen der vergangenen zwei Tage,
gewinne Vertrauen in meine Fähigkeiten,
die doch immer noch genügen, um selbständig zu leben.
Ich behalte den Überblick in mir fremder Umgebung
und erreiche mein Tagesziel, den Wasserfall.
Ich kann wieder Freude empfinden
und schliesse Frieden mit mir.
Der Hass auf meinen kranken Körper verfliegt
für die Dauer einer langen Ewigkeit
und sollte ich ihn von neuem spüren,
weiss ich, wo ich Heilung finde.

Ladina, 21.Juni 1999
-----------------------------------------------------------------------------
Absage
°°°°°°°°°

Angereist mit all meinen Hoffnungen und leisen Zweifeln,
in der Sehnsucht, bald sicheren Lebensboden unter den Füssen zu spüren,
aber auch in der Gewissheit um die Möglichkeit,
ihn gerade hier zu verlieren.
Endlich da,
nach wochenlangem Bangen um den Platz,
den viele andere begehrten,
voller Dankbarkeit für die Chance,
die sie mir hier in Lübeck geben.
Aufgenommen und im Vorbereitungszimmer einquartiert,
noch mal Blutentnahme, bevor es losgeht.
Proforma Informationsblatt lesen,
Einwilligungserklärung unterschreiben,
innerlich erschaudern dabei,
obwohl alles längst Routine ist.
Dann noch etwas Zeit, ehe die 1. Beruhigungstablette gebracht werden soll,
etwas Zeit, schnell 2 Karten zu schreiben
und dafür zu sorgen, dass sie jemand für mich zur Post bringt,
damit die zu Hause erfahren, es hat geklappt, ich bin jetzt da.
Dann wird’s ungewohnt hektisch und ich spüre,
da ist was im Busch,
ein Arzt bringt anstelle der Tablette die Absage:
"Hyperthermie darf nicht starten,
Entzündungswerte sind zu hoch!"
Begreifen, sie wollen mich nicht,
ich bin ein zu hohes Risiko im Moment.
Es nicht glauben wollen, wieder in der Luft hängen
am Boden zerstört sein und dann lange weinen.
Nichts ändert sich, kein Erbarmen,
nur Beteuern und Versichern: Wir merken Sie nochmals
für in 2 Wochen vor!"
Wieder fortgeschickt mit all meinen Hoffnungen.
Abgrundtiefe Verzweiflung spüren
und mir dennoch im Klaren sein,
dass die Absage zwar weh tut, aber richtig ist
und dass die Hoffnung erst dadurch
ihre echte Chance bekommt!

Ladina, Juni 1999

[/b]
Zuletzt geändert von Ladina am Mo 22 Nov 2021 17:57, insgesamt 9-mal geändert.

Ladina
Beiträge: 1652
Registriert: Do 4 Aug 2005 19:54
Wohnort: Kanton St.Gallen
Kontaktdaten:

Aus meinem 5. Gedichtband "Wie eine Feder so leicht II - Teil 6

Beitragvon Ladina » Di 5 Dez 2006 11:59

Aus meinem 5. Gedichtband "Wie eine Feder so leicht II - Teil 6

Am Grab von Roger
*****************

Einen Tag nur, Roger,
habe ich Dich gesehen
und danach leider nie wieder.
Vergessen habe ich Dich nicht.
Dann las ich in der Zeitung Deine Todesanzeige,
wollte so gerne wenigstens den letzten Weg noch mir Dir gehen.
Doch ich kam nicht, aus Angst von Deinen Angehörigen
falsch verstanden zu werden
und wie sollte ich ihnen erklären,
wie viel Du mir bedeutet hast nach nur einem Tag.
Oft denke ich an Dich zurück, an das Gespräch, das wir führten
und wie Du mich fragtest:
Was heisst schon gutartig bei einem so grossen Stammhirntumor?"
Ich stehe an Deinem Grab und denke an Dich, an Deine strahlenden Augen, an den schwarzen Lockenkopf
und noch immer spüre ich die Bewunderung,
Sympathie und Zuneigung für Dich, wo wie damals.
Noch immer habe ich das Gefühl,
mit Dir verbunden zu sein.
Du bist längst ein Land weiter,
nur Dein geschundener Körper ist noch da,
aber in mir Roger, trage ich Dich
so lebendig wie damals,
oft, wenn ich im Kanti da unten im Gang stehe,
wo wir uns begegneten, denke ich an Dich.
Dass es Dir da, wo Du nun bist, gut geht,
das wünsche ich Dir und mir.
Immer wieder denke ich an Dich.
Vergessen werde ich Dich nie.

Bis wie uns wieder sehen, treffe ich Dich in ewiger Erinnerung

Ladina, Juli 1999 in Erinnerung an Roger Brändli, 1973 - 1998

-------------------------------------------------------------------------------
REGENBOGENBAUM
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Meine Blüten erfroren im eisigen Wind
ich verlor meine Blätter und Früchte werde ich nie tragen,
aber meine Wurzeln sind stark und tief.
Solange sie noch Halt und Nahrung finden,
versiegt die Kraft zu leben nicht,
verfliegt der Mut zum Leben nicht
ist auch meine Lebensfreude nicht bedroht.
So kann ich aus der Hoffnung wachsen
auch in die Dunkelheit hinein.

Und irgendwann vielleicht
in einen neuen Morgen….

Ladina, Juli 1999, nach Cosmegen-Perfusion

-----------------------------------------------------------------------------
Irgendwie anders
***************

Manchmal im Geschäft kommen Kunden auf mich zu
und sagen im Positiven: Sie sind einfach irgendwie anders!
Doch sie wissen oft nicht weswegen.
Einigen habe ich von meiner besonderen Situation erzählt,
welche mich manches relativieren und anders betrachten lässt,
und die meisten nicken dann wissend, und glauben zu verstehen.
Auch der Arzt, der mir mit 17 Jahren eröffnen musste, dass der
Krebs zurückgekommen war,
stellte einen Tag später fest, dass ich anders reagierte als die meisten.
Die Erstarrung und Verleugnung nach der Diagnose
dauerte bei mir nur einen Bruchteil der Zeitspanne
der meisten andern in gleicher Situation.
Früh wurde ich aktiv, schrieb und kämpfte dagegen an.

Kürzlich, in der Selbsthilfegruppe aber,
schleuderte mir Vera, die seit ihrem Rückfall
die Sinnlosigkeit noch unterstützt
und nur noch betrunken daher kommt
den bitteren Vorwurf entgegen:
"Du nervst mich mit deinem Optimismus. Ich war auch mal wie du und Du wirst werden wie ich!"
Sonst stets versucht, nachsichtig auch mit Bemerkungen umzugehen, die ich nicht nachvollziehen kann,
konnte ich hier nur noch aufstehen und rufen: Nein, niemals!

Ich bin einfach keine Person, die den Kopf in den Sand steckt,
ich suche neuen Sinn in der Sinnlosigkeit
und finde irgendwo immer einen.

Ich bin aber auch keine Person,
die Bedürfnisse verschweigt oder ertränkt,
niemand, die auf ständig auf stark macht
bei Menschen meines Vertrauens.

Wo andere schweigen, bleibe ich oft nicht stumm
schreibend formuliere ich meine Gedanken,
die oft so anders gar nicht sind
als manche mir weismachen möchten.
Viele äussern, dass sie sich selbst darin wiederfinden.

Ich versuche, meine Dankbarkeit fürs Leben
nach aussen sicht- und fühlbar zu machen
und möchte mir bis am Schluss
offen ins Gesicht schauen können
und mich dabei nie fragen müssen: "Wohin habe ich mich nur treiben lassen?"

In diesem Sinne
bleibe ich gerne irgendwie anders.
Gerade dieser Unterschied hat schon so viele Menschen
einander und sich selber näher gebracht.

Ladina, Juli 1999 Botanischer Garten Freiburg
-----------------------------------------------------------------------------------
Geschenk des Himmels
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Dass Gott mir die Krankheit schickte
weil er mich liebt,
das kann
und will
ich nicht glauben.
Aber dass ER es lenkte,
dass ich solch liebe Menschen traf,
die mir zu jeder Zeit helfen,
an denen ich hänge mit all meiner Zuneigung,
die der Freundschaft wert sind
und die mir das Gefühl vermitteln
auch für sie wichtig zu sein.
Dass ER sie schickte
als ein wahres Geschenk des Himmels
das glaube ich
ganz bestimmt!

Ladina, Leysin, Juli 1999
--------------------------------------------------------------------------------
Gemeinsamkeit
*************

Blumen und Menschen
haben eine Gemeinsamkeit:
Da wo es ihnen wohl ist,
da blühen sie auf!

Ladina, Montagmorgen, 12. Juli 1999
--------------------------------------------------------------------------------
Selbst-Täuschung
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Als ich am 9.Juli nach der Chemo entlassen wurde
da fühlte ich mich super,
nichts war da von der gewohnten Übelkeit zu spüren,
keine lähmende Müdigkeit, kein wunder Mund
und ich war plötzlich unsicher,
ob ich wirklich Zytostatika erhalten hatte.
Doch nur zu gerne gab ich mich der schönen Illusion hin,
dass alles bestens sei
und ich diesmal keine Nebenwirkungen zu spüren bekäme.
Ich vergass förmlich, dass ich zum Zeitpunkt der Entlassung
noch unter Medikamenteneinfluss stand,
ich führte mich selber hinters Licht des Wohlwissens,
was noch kommen würde.
Nun, 3 Tage später, hat der Wind gedreht,
ich kann nicht mehr länger von der beschwerdefreien Zeit träumen,
sehe und spüre, was mich erwartet,
klarer, als es mir lieb ist.
Ich fühl nun, dass ich doch mehr zurückbehielt,
als den grossen Bluterguss am linken Oberschenkel
und in der Leiste,
mir ist wieder übel schon am frühen Morgen,
ich fühl mich schlapp und meine Haut und die Augen
zeigen die gewohnten Reaktionen.
Es ist bitter und doch liegt als Trost in dem allen,
dass ich nun sicher sein kann,
dass ich die Chemo wirklich bekam,
dass da noch Ärzte mit mir kämpfen
um meine Zukunft
im Leben

Ladina, 12. Juli 1999
----------------------------------------------------------------------------
Kümmernis
°°°°°°°°°°°°°

Die Krankheit zieht ihre Kreise
weiter und weiter
sie berührt schon lange nicht mehr nur mich
sondern beschäftigt viele Menschen um mich her.
Ursprünglich eine Krankheit meines Körpers
ist sie ins seelische Erleben und Erleiden
anderer Menschen eingedrungen
und lange nicht nur in mein Eigenes.
Und so froh und dankbar
ich auch darüber bin,
dass ich mich Freunden mitteilen darf,
mit ihnen über Belastendes reden kann
und mich zu keiner Zeit alleingelassen fühlen muss,
so sehr bekümmert es mich auch,
dass meine Krankheit Kreise zieht
weiter und weiter…

Ladina, Juli 1999, Jardin botanique de St.Triphon
----------------------------------------------------------------------------
Auswirkungen einer etwas anderen "Kur"
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Aus verschiedenen Kreisen wurden Stimmen laut,
die sagten, das Beste für mich gleich nach dieser Chemo
wäre eine Krebsnachsorgekur,
aber ich,
ich weigerte mich standhaft
noch weitere 4 Wochen in einer Klinikatmosphäre zu leben.

Ich wollte nicht schon wieder eingesperrt sein,
mich fremden Menschen annähern müssen,
dabei erst prüfen, wem von allen ich vertrauen könnte,
nach Regeln tanzen,
Anwendungen verordnet bekommen,
langsam ins Leben zurückgeführt werden
und nach 4 Wochen von den aufgezwungenen,
vielleicht tatsächlich liebgewonnenen Bezugsperson
wieder Abschied nehmen müssen für immer,
weil der Berufsstand keine intensiveren,
persönlichen Kontakte duldet
und auf Abgrenzung setzt.

Oft genug habe ich solches schon mitgemacht,
egal ob im Schwarzwald, auf Sylt oder in Bad Oexen
ich wurde 4 Wochen auf Händen getragen
und daheim fiel ich in ein dunkles Loch der Einsamkeit.

Und so setzte ich mich gegen alle Ratschläge zur Wehr,
bestand darauf, meine Nachsorge allein zu gestalten.
Drei Tage verweilte ich mit einer lieben Freundin im Engadin,
doch diese drei Tage haben mir so viel mehr geholfen
als alle bisherigen Kuren zusammen.

Ohne Vorbereitung und Nachsorge tauchte ich ins Leben ein dabei,
wurde für einmal nicht von einer professionellen Fachkraft
betreut.
Doch nie habe ich mich in einer Kur
so gut aufgehoben gefühlt wie jetzt.

Ich durfte hinaus in die Natur, hinauf in die Berge,
war wieder einmal mittendrin.
Ich spürte Kräfte in mir auf,
dort, wo wenige Tage zuvor nur Schwäche war.

Ich hatte einen, mir schon vertrauten Menschen bei mir,
konnte über Kummer und Freuden reden bei Tag und in der Nacht und nicht nur bei meinen Terminen.

Ich bekam körperlich und seelisch Halt und Nahrung,
die Übelkeit verschwand und kehrte nicht zurück,
dafür bekam ich Appetit und mochte essen
und das alles ohne psychologische
oder medizinische Unterstützung.

Nicht eine Sekunde kam ich mir verloren dabei vor
und auch jetzt, wo ich zu Hause bin
ist da kein dunkles Loch der Einsamkeit,
in das ich gefallen wäre.

Ich fühle mich einfach von innen her stark
und wähne mich in Geborgenheit

Ladina, Juli 1999
Zuletzt geändert von Ladina am Di 4 Jun 2019 20:43, insgesamt 5-mal geändert.

Ladina
Beiträge: 1652
Registriert: Do 4 Aug 2005 19:54
Wohnort: Kanton St.Gallen
Kontaktdaten:

aus dem 6. Band meiner Gedichte: Mit dem Krebs kam das NEIN

Beitragvon Ladina » Di 5 Dez 2006 17:59

aus dem 6. Band meiner Gedichte: Mit dem Krebs kam das NEIN - Teil 1

Mit dem Krebs kam das NEIN
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°


Mit dem Krebs kam das NEIN
für mein weiteres Leben,
doch ich sagte JA zum Kampf gegen die Krankheit
und das Leben verbündete sich mit mir
und gemeinsam siegten wir nun
schon so viele Male.

Eines Tages aber,
wenn die Krankheit wiederkommt
und erneut NEIN sagt
zu meinem Leben,
werde ich zwar vielleicht wieder JA sagen wollen zum Kampf,
doch das Leben ist zu müde und hat keine Kraftreserven mehr
und sagt dann auch NEIN.

Dann muss auch ich zu diesem Entscheid des Lebens stehn,
mich mit ihm verbünden und ebenso NEIN sagen zum Kampf.

Nur dann wird es möglich sein,
ruhig und in Frieden,
ohne Gram und Groll,
bis zuletzt
den Weg, meinen Weg
zu Ende zu gehen


Ladina, August 1999

Der letzte Tag im Krankenhaus
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Der letzte Tag im Krankenhaus
- vieles lasse ich zurück -
Weggefährten, die das Schicksal mit mir teilten
und solche, die es einfach begleiteten.
Ärzte, Schwestern und das ganze Personal
- ich sag "Auf Wiedersehen" und wünsche mir,
dass es nie, nie mehr dazu kommt.
Abschiedstränen in vielen Zimmern,
welche gleichzeitig auch Freudentränen sind.
Ab sofort erscheine ich hier nicht mehr
mit unglücklicher Regelmässigkeit,
mein Onkologe ist nur noch sicherer Hafen,
falls ein neuer Sturm aufzieht,
doch er ist nicht mehr der Kapitän, der mich leitet
und der Krebs ist nichts als Vergangenheit.

Abschied vom Krankenhaus, vom Labor,
von Chemotherapie, von Infusionen und allem,
endlich ist es vorbei, ich bin frei.
Ich streife alles ab, was mich einst hier fesselte.

Einiges aber bleibt dennoch zurück,
grösseres und kleineres
- das ständige Pfeifen im Ohr vom Platin,
- die Mundtrockenheit und die Polyneuropathie,
- die Infertilität und wahrscheinlich auch die Erinnerungen
an viele schwere Zeiten
doch werde es wohl auch gerade diese Erinnerungen sein,
die auch das Grösste und Stärkste stets neu spürbar machen werden in mir: Diese tiefe Dankbarkeit fürs geschenkte Leben,
für jeden neuen Tag LEBEN!

Noch ist es ein langer Weg bis dahin,
doch ich wage es wieder an Heilung zu glauben
und fange an, mir Vorstellungen
für diesen Glückstag irgendwann zu machen
und auch wenn ich sonst nicht in die Zukunft blicken kann,
in diesem Falle weiss ich: So wird es sein,
GENAUSO wird es sein

Ladina, 1.August 1999

------------------------------------------------------------------------------------
Zwischen Bestürzung und Dankbarkeit
*********************************

Ich hatte mich wochenlang so prima gefühlt,
ich konnte Dinge tun,
die jahrelang zuvor nie mehr möglich waren
und ich glaubte mich auf dem Weg der Besserung,
dachte sogar wieder an eine Heilung vom Krebs.

Nur ein paar Worte meines Arztes
warfen alles über den Haufen,
belehrten mich eines "Besseren"???
und stürzten mich ins Loch der Verzweiflung zurück.
Zuerst noch dachte ich, war es wirklich nötig,
dass ich es erfahre, dass das Cosmegen nicht anschlägt.
Hätte man mich nicht besser glauben machen sollen,
dass es gut ist
und mir noch ein paar unbeschwerte Tage zusagen können?

Trotz der Bestürzung, die das alles auslöst in mir
aber bin ich ihm auch dankbar dafür,
dass er ehrlich war zu mir,
dass er mir nichts vorgaukelte
und die auch für ihn schwierige Mitteilung
an mich weiter gab.

Denn nur so werde ich ihm auch Glauben schenken können,
wenn er eines Tages vielleicht
von neuer Hoffnung spricht

Ladina, 10.August 1999
---------------------------------------------------------------------------------

Am Tag der Sonnenfinsternis
*************************

Am Tag der Sonnenfinsternis
wollte ich mit meiner Schutzbrille
das Naturschauspiel am Himmel verfolgen,
wollte ich innehalten und staunen,
wollte ich das Jahrhundertereignis bewundern,
wollte ich es geniessen, etwas Einmaliges zu erleben…

Aber jetzt, am Tag der Sonnenfinsternis
tue ich nichts von alledem,
auch wenn überall in Europa
Menschen ihre Arbeit niederlegen,
auch wenn Autos auf der Strasse
für ein paar Minuten anhalten,
damit die Menschen ungehindert
in den Himmel schauen können,
der Verlauf meiner Krankheit lässt sich nicht stoppen,
nicht anhalten, nicht einmal für ein paar Minuten.

Zu der Zeit, wo das Faszinierende am Himmel geschieht
und von Tausenden beobachtet wird,
liege ich hier in einem fensterlosen Raum im UG des Spitals
und meine Schutzbrille bleibt von mir unbenutzt im Rucksack.

Anstatt innezuhalten muss ich weitermachen wie immer
und ich bin traurig,
wieder vom Leben und Erleben vieler ausgeschlossen zu sein.

Das Einmalige, was ich mitzuerleben hoffte,
ist in meiner Realität wieder verdrängt worden
vom beinah Alltäglichen einer Thombozytengabe ,
die nötig ist, gerade jetzt.

Nach und nach huscht das Personal für ein paar Minuten raus,
um das zu sehen, wonach auch ich mich sehnte.
Mich fragen sie nicht,
niemand macht sich die Mühe für mich etwas zu bewerkstelligen,
damit auch ich die Sonnenfinsternis sehe.

Ich muss eingesperrt bleiben,
für mich als Kranke erachtet es die gesamte Menschheit
als logisch,
dass nur die Gesundheit erstrebenswert ist und
im Vordergrund zu stehen hat.
doch ich habe Träume, wie alle andern da draussen.

Ich würde so gerne einmal mit dabei sein,
so gerne einmal ein Erlebnis mit vielen Menschen teilen,
einmal mitreden können,
einmal Insiderin sein bei etwas, was auch Gesunde betrifft.

Doch die Sehnsucht erfüllt sich nicht.
Ich bliebe drinnen, während die Schwesternhelferin
mit meiner Schutzbrille schnell rausläuft,
um das Spektakel, das sie ohne Brille
bereits abgeschrieben hatte,
dank meiner Anwesenheit doch noch zu erleben.

Ladina, Mittwoch, 11.August 1999 12.15h-13.00h


Wenn die Kraft fehlt
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Im Botanischen Garten in Genf,
wo die Wege und Pfade gerade und ohne Schwierigkeiten sind,
nur gesäumt von Schönheiten,
die zu entdecken einen anspornen
weiter zu kommen
- hier versuche ich Kräfte aufzuspüren.

Doch mehr und mehr ermüde ich,
mehr und mehr machen mir Schmerzen zu schaffen
mehr und mehr kommt Unmut auf
Unmut darüber, dass ich nicht den einfachsten Weg
ohne Schwierigkeiten zu gehen vermag.

Und dann tauchen in mir Zweifel auf und Fragen.
Fragen, wo denn nur die Kräfte sind,
die ich in guter Zeit auftankte,
Zweifel, wie ich eine Chemo überstehen sollte,
in solchem Zustand,
eine Chemo, die alles andere als ein
angenehmer Spaziergang ist,
sondern Kräfte fordert wie ein Marathon und mehr.

Wie sollte es gehen,
wenn schon ein so ruhiger Tag
mich an die Grenze meiner körperlichen
Belastbarkeit führt?

Dann plötzlich die Erkenntnis,
all die getankten Kräfte
stärken überhaupt nicht für einen beschwerlichen Weg,
sie taugen nur als Proviant für gewöhnliche Tage,
sie sind zwar überlebenswichtig für mich,
doch zu wenig stark für die Dauer
einer mehrwöchigen Chemo.

Um wirklich taugliche Kräfte zu tanken
bräuchte ich mehr:
mehr Zeit als drei Wochen,
eine lange Pause von der Krankheit
das wäre nötig dafür.

Der ganze Wille zum Weiterkämpfen
allein nützt mir nichts
wenn die Kraft fehlt!

Ladina, 29.August 1999
----------------------------------------------------------------------------

Für Stefanie Wietlisbach
********************

Durch unsere Träume
kamen wir uns nahe
weil eine die andere
so gut verstand

Durch unsere Träume
kamen wir weiter
sie trugen uns vorwärts
und behielten trotz allem Leiden Bestand.

Deine Träume gingen mit dem Tod mir Dir
meine eigenen leben noch tief in mir
verbunden bleiben wir uns ewig
ich mit Dir und Du mit mir.

Dass Deine Träume
die Du Dir fürs Leben schenktest
in Deinem neuen Leben
sich umso wunderbarer erfüllen
und dass Du nie mehr Schmerzen hast
- das wünsche ich Dir!

Ladina, 31.August 1999
-----------------------------------------------------------------------------
Mehr als ein Gespräch
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°


Mir ist da eine wahre Geschichte zu Ohren gekommen,
die ich einfach aufschreiben muss:

Es war ein Gespräch zwischen
W., meinem ehemaligen Onkologen
und
T. meinem jetzigen Onkologen.

W: Du wirst da eine recht schwierige Patientin bekommen?
T: Schwierig inwiefern?
W: Weil sie redet, weil sie sagt, was ihr nicht passt, weil sie sich
unmissverständlich ausdrückt
T: Ich kann mir keine idealere Patientin vorstellen. Offenheit ist
doch die beste Basis.

W. hat T. zugegebenermassen nicht ganz verstanden

-> Schon zu Anfang hatte ich das Gefühl, T. mein neuer Arzt
ist mir gut gesinnt.
Nun, da ich diese Geschichte kenne
ist das Gefühl eine Gewissheit geworden

Ladina, September 1999
-----------------------------------------------------------------------------

Nichts ist ohne Sinn
""""""""""""""""""""""""""

Wenn Leute von meiner besonderen Situation erfahren,
sagen viele: Das ist ja schrecklich.

Wenn die gleichen Leute manchmal
Gedichte von mir lesen,
sind sie umso faszinierter.

Immer dann, wenn ich meine Gedichte
in mehr oder weniger kompletter Zusammenstellung
für andere Leute herrichte,
dann wird mir klar, dass sie nur wegen der tragischen Situation
in der jetzigen Form und Deutlichkeit,
im jetzigen Ausmass
entstehen konnten.

Hätte ich mich zu jeder Zeit einfach aussprechen können,
wäre nur ein Bruchteil aller Gedichte je entstanden,
viele Ängste, Fragen, Gefühle und Gedanken
hätten den Weg nicht aufs Papier gefunden,
sie wären intim und privat geblieben,
sie wären besprochen worden und hätten darum keinen Anlass mehr gehabt,
nach aussen getragen zu werden

So schwer es auch manchmal war
mit so vielem allein gelassen worden zu sein,
heute denke ich, es war doch gut

Meine Gedichte helfen so vielen, nicht mehr nur mir,
sie haben einen bedeutenden Stellenwert im Leben mir vertrauter Menschen,
bringen schwer Auszusprechendes ins Gespräch.
Es wäre schade gewesen, sie nicht zu schreiben.

Oft habe ich erlebt, nicht nur bei mir,
dass aus Erschütterndem Ermutigung gewachsen ist
und aus Traurigkeit
letztendlich Hoffnung.

Wie schwer es ist, im Herbst bunte Blätter von den
Bäumen fallen zu sehen,
wie traurig kahle Äste stimmen,
doch wie schön es im Frühling ist,
wenn neue Knospen treiben

Immer wieder hat mich in meinem Leben
Schweres zu Schönem hingeführt.

Nichts ist ohne Sinn

Ladina, September 1999
-----------------------------------------------------------------------------------

Die wirkliche Grösse
++++++++++++++++


Ich hatte ganz konkrete Vorstellungen
von meinen Aktivitäten in diesem Sommer.
Ich wollte Grosses erreichen,
wollte mit dem Fahrrad um den Vierwaldstättersee fahren,
wollte auf den Niessen, den Harder, in die Aareschlucht,
doch abgesehen von wenigen Tagen,
wo mir ähnlich schönes möglich war,
fühlte ich zu schwach,
war ich zu krank
um irgendein Ziel zu erreichen.
Immer mehr
wird mir bewusst,
dass ich Illusionen hinterher jage,
die nichts mit meinen realen Möglichkeiten gemeinsam haben
und ich spüre,
dass die wirkliche Grösse meiner Leistung
darin liegt,
die Freude im Kleinen zu finden

Ladina, September 1999
---------------------------------------------------------------------------------

Die Liebe einer fremden Katze
**************************

Die Liebe einer fremden Katze spüren
ist mehr für mich
als ihre Zuneigung fühlen
ist mehr für mich
als ihr Vertrauen zu geniessen
ist mehr für mich als für die meisten andern Menschen.

Die Liebe einer fremden Katze spüren
bedeutet für mich HOFFNUNG
denn es ist ein sicheres Zeichen dafür,
dass sie das Leben in mir sieht

Ladina, September 1999

(Ich habe während der Chemo sowohl bei der eigenen Katze, wie auch bei fremden erlebt, dass sie mir auswichen und ein Tierpsychologe erklärte mir, dass die Katzen den Chemogeruch wahrnehmen und sie merken, dass das Gift ist und sich darum nicht in meine Nähe begeben)
--------------------------------------------------------------------------------

Nie mehr Bestrahlungen
**********************

Nun ist es offiziell,
steht es schwarz auf weiss,
egal, was passiert in diesem Jahr
heuer und auf längere Zeit hinaus, am besten für immer
nie mehr Bestrahlung!
Nicht kurativ, nicht palliativ, nicht zur Schmerzlinderung
nicht mehr. Nie mehr!
Nie mehr mich wegen Feldmarkierungen und empfindlicher Haut nur pudern, jedoch nicht waschen dürfen,
nie mehr Kriegsbemalung tragen,
nie mehr unter Strahlenkater leiden,
die mehr die bleierne Schwere spüren,
nie mehr diesen ekligen, metalligen Geschmack im Mund haben,
von dem noch heute manche denken, ich hätte mir den eingebildet.
Nie mehr das dumpfe Brummen,
dieses Knacken, Dröhnen oder statische Summen hören,
nie mehr eine Maske anfertigen lassen müssen
nie mehr die Begriffe Linac (Linearbeschleuniger),
Betatron, Caesium-137 oder Kobalt-60
mit meiner Zukunft in Verbindung setzen.
Nie mehr Dioden an den Kopf geklebt bekommen
um die Stärke der Bestrahlung zu messen
nie mehr noch mehr Haare für immer opfern an die Strahlen.
Nie mehr unter dem Simulator liegen,
nie mehr den Kopf rasiert bekommen um das Feld zu markieren.

Nie mehr Bestrahlungen
- eine Belastung weniger
aber auch
eine Hoffnung weniger

Ladina, September 1999
(Der Grund für den Beschluss, mich nie mehr zu bestrahlen liegt am Li Fraumeni Syndrom, welches dazu führt, dass all meine Zellen eine weitaus grössere Strahlensensibilität aufweisen, als normal und daher das Risiko einer Neuerkrankung erheblich höher ist.)
---------------------------------------------------------------------------------

Grenzen
**********

Es gibt Tage, wo ich es mit mir allein kaum aushalte,
wo die vielen Grenzen, die mir gesetzt sind,
mir so bewusst werden und ich so das Gefühl habe,
zu ersticken in dieser engen Einöde.
Es gibt Situationen, wo ich mich verkrieche in solchen Tagen
und es gibt andere Momente,
wo ich dann ausbreche
mich irgendwo hin zu retten versuche vor den Grenzen,
irgendwo ein offenes Stück Leben zu finden versuche.
Doch selten nur gelingt es.
Oft holen mich die Grenzen auf der Flucht vor mir
erbarmungslos ein und werfen mich wieder aus der Bahn.
So stosse ich auf der Flucht vor den Grenzen an noch mehr Grenzen,
komme mir selber und meiner Unzulänglichkeit noch näher dabei und profitiere rein gar nichts von solchen freien Tagen.
Statt glücklich um einen erfolgreichen gewonnenen Tag heimzukehren,
fühle ich mich dabei wieder als Versagerin, wieder als Verliererin,
weil ich trotz allem Willen zu siegen scheiterte.
Und das Schlimme:
Es ist ganz allein meine Schuld, ich lerne es nie!
Jedes Mal, wenn es wieder passiert, der Filmriss mich ausser Gefecht setzt,
denke ich: Jetzt ist Schluss,
nur halten tue ich mich nicht daran,
plötzlich bricht es wieder durch, das Gefühl, ich bin mir selbst zu nahe.
Wann kapiere ich das wohl endlich,
dass jede Ablenkung dieser Art,
mich nur umso mehr darauf hinweist,
dass diese Grenzen existieren?
Wann kapiere ich es
auch mit der hinterletzten Faser meines Wesens,
was ich vom Verstand her längst weiss?
Wann kapiere ich es,
dass Grenzen nicht immer überwunden werden sollen,
sondern manchmal einfach dazu da sind,
sie anzunehmen und auszuhalten,
weil sie nicht nur Gefängnis,
sondern in meinem Fall wohl eher
ein Schutzraum sind?!

Ladina, September 1999
, nachdem ich im Nirgendwo strandete und die Brissago Inseln leider nicht besuchen konnte…
---------------------------------------------------------------------------
Aufwärts
+++++++


Ich stieg quasi ohne Übergang
aus dem Krankenbett auf den Berg,
ohne Muskelaufbau-Gymnastik,
ohne Vorbereitung, ohne Training
mit vermeintlich oder tatsächlich vorhandener Kraft.

Es war so schön,
die Welt wieder von oben zu sehen und zu erleben,
das Hochgefühl, das ich damals verspürte
ist noch heute tief in mir.

Nun, circa 2 Monate danach
bin ich auf dem Boden der Tatsachen zurück,
meine Muskeln sind erschlafft,
schon normales Gehen beansprucht mich sehr
und ich falle wieder öfter,
muss wieder ganz unten neu beginnen.

Die Nachsorgekur-Befürworter halten mir nun Moralpredigten,
sagen: "Wer zu schnell zu hoch kommt, fällt rasch tief!",
doch so schmerzlich es auch für mich ist zu realisieren,
dass meine Muskeln durch die Chemo zurückgegangen sind,
ich bereue nichts!

Was ich da oben im Engadin sah und spürte
kam gerade zur rechten Zeit.
Vielleicht hat es mich körperlich im Endeffekt etwas überfordert,
doch es mich hat wie nichts anderes
seelisch gestärkt und genährt,
mir die tragende Zuversicht gegeben,
dass es auch nach harter Chemozeit, wo ich ganz unten war,
wieder aufwärts gehen kann

Ladina, Insel Ufnau, September 1999


------------------------------------------------------------------------------
Träume vom Sommer
+++++++++++++++++

Während der langen Zeit der Chemo
gaben mir Träume vom Sommer Auftrieb.
Traumziele wie Aareschlucht, Üetliberg, Rocher de Naye,
Gotschnagrat oder Pischa vermittelten mir Hoffnung,
waren der Wind in schlaffen Segeln,
gaben mir Kraft durch zu halten
Mut zum Kämpfen.
Nun ist der Sommer und Herbst da,
für dessen Ziele ich so kämpfte
und es fällt mir unendlich schwer zu begreifen,
dass ausgerechnet diese phantastischen Träume,
die mir solche Kraft übertrugen
in der Realität nicht verwirklicht werden können,
weil sie meine Kräfte lahmlegen,
mich körperlich runterziehen,
auch wenn sie mir seelisch Auftrieb gaben.
Es ist schwer,
und doch muss ich damit leben lernen,
dass manche Träume für immer Träume bleiben
und doch unbedingt
geträumt werden sollen,
weil sie Antrieb sind
in schwerer Zeit…

Ladina, Weinrebenpark Dietikon, September 1999

-------------------------------------------------------------------------------
Mein ganzes Leben
++++++++++++++++

Seit vielen Jahren
gehe ich in Krankenhäusern ein und aus.
Manchmal gehe ich ambulant
und manchmal bleibe ich stationär.
Ich bekomme Behandlungen dort:
Chemotherapie, Transfusionen, Spritzen,
einige Male wurde ich operiert.
Oder sie machen Untersuchungen:
Sonographie, MRI, Szintigramm, KMP, und immer wieder Blutentnahmen.
Manche sagen mir: "Ich bewundere Ihre Geduld in diesen Belangen!"
Manche staunen: "Dass Sie nie ausrasten!"
Doch es ist nicht eigentliche Geduld,
die mich das alles aushalten lässt.
Ich weiss nur, wenn ich aufbegehre,
ist das nichts als verpuffte Energie,
nichts als verschossene Kraft, die ich woanders
besser einsetzen kann.
Ich bin weder sehr stark noch sehr geduldig,
ich weiss einfach nur, ich habe keine andere Wahl,
wenn ich leben möchte.
Es führt kein Weg daran vorbei.
All diese Dinge gehören einfach zu meinem Leben,
gehören mein ganzes Leben
zu meinem Leben…

Ladina, Dahlienschau Tamins, September 1999

---------------------------------------------------------------------------------
Massen von Menschen
***************************

Massen von Menschen ziehen durchs Leben,
den Kopf hoch erhoben
und sie verlieren die Orientierung doch nicht.
Sie schauen während des Gehens mal links, mal rechts
und es scheint für sie nichts zu geben,
was ihnen im Weg stehen oder sie zu Fall bringen könnte.
Massen von Menschen gehen durch die Strassen,
in einem Tempo, bei dem ich nicht mithalten kann,
ich falle zurück und schleiche hinterher,
konzentriert gucke ich zu Boden oder
höchstens wenige Meter vor mich,
jeder noch so kurze Verlust der Aufmerksamkeit
auf meine Bewegungen
bringt für mich die Gefahr hinzufallen mit sich.
Oft habe ich bemerkt, dass ich,
obwohl ich mich nicht so hastig umblicken kann wie andere,
doch weit mehr erkenne oder entdecke als sie
und das gibt meinem Herzen Zuversicht.
Und doch wird es mir zwischendurch schwer zumute
und manchmal wünsche ich mir sehnlichst,
ich könnte in der Masse verschwinden
um nicht ewig aufzufallen,
um nicht immer aus allen Normen raus zu fallen
um mich nicht stets daneben zu fühlen
um einfach so zu sein
oder wenigstens so zu wirken
wie die Massen von Menschen auf dieser Welt

Ladina, Chur, September 1999
-----------------------------------------------------------------------------------
Der Mann mit dem Spezial-Fahrrad
******************************

Er fuhr daher, nahe am Gleis 4 des Bahnhofs Chur,
auf einem Fahrrad mit ungewöhnlichem Lenker
und grossen Stützrädern,
langsam, doch keineswegs unsicher - ein junger Mann,
vernünftig ausgerüstet mit Helm, Velotricot und Handschuhen.
Erst als er vom Rad stieg und ihm jemand zu Hilfe eilte,
bemerkten ich und weitere Anwesende seine Behinderung.
Er hatte deutliche Mühe zu sprechen
und sein steifer, unsicherer Gang
liessen auf Spastik oder Cerebrale Lähmung schliessen.
Er stieg in den Zug und liess sein Rad beim Gepäckwagen stehen.
Die abschätzige Bemerkung
eines vom Alter her gewiss schon "reiferen" Zeitgenossen
konnte der junge Mann zum Glück nicht mehr hören:
"Wozue trogt denn der no anen Helm? Der is jo scho deppert!"
Ich halte sie nur fest um zu verdeutlichen, wie bösartig und
verletzend manche über behinderte Menschen reden
und während mich selbst dieser als Witz erzählte Hohn
sehr verletzt, quittierten ihn seine Begleiterinnen und Begleiter circa gleichen Alters doch tatsächlich mit Erheiterung und Klatschen…
Noch immer stand das Fahrrad unweit von mir auf dem Perron,
ein älterer Mann kam, es näher anzuschauen,
seine Frau stand etwas entfernt und schüttelte den Kopf.
Als ich mich zu den Fahrrad begab,
liess der biertrinkende "Witzbold" auch über mich seine abfälligen Kommentare von der Stange "A geh, schaut da kommt no sei Braut -lauter Krüppel gibt's do in der Schweiz!"
Und ich denke mir, lieber im körperlichen beeinträchtigt, als so eine charakterliche Null wie der sein.
Und dann stand ich bei dem Spezial-Fahrrad und hoffte, von seinem Besitzer nicht als Gafferin missverstanden zu werden.

Was für alle Anwesenden wohl ungewohnt war,
einen körperlich behinderten Menschen auf dem Fahrrad zu sehen,
was manche erschreckte oder peinlich berührte,
war für mich wie ein gesetztes Hoffnungszeichen.

Ich betrachtete das Rad staunend, fasziniert
und freundlich wie einen Freund.

Wenn sich einst mein Horizont verdunkelt
durch fortschreitende Gehbehinderung
wird dieses Fahrrad mein Silberstreifen sein….

Ladina, Chur, September 1999
-----------------------------------------------------------------------------------

Verzweiflung in mir
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Jeden Tag,
egal ob ich arbeite oder zu Hause bin,
egal ob ich im Spital oder bei Freunden bin,
egal ob ich in der Buchhandlung oder auf offener Strasse bin,
passiert es mir, dass ich umfalle,
dass ich mich am Boden wiederfinde
über mich gebeugte Menschen mit Schreck in den Gesichtern
mich anstarren,
dass ich verhaltenes Kichern höre
oder manchmal groben Spott.

Und immer ist es mir so peinlich,
immer fühle ich mich so ausgestellt und gedemütigt dabei,
immer zerbricht etwas in mir,
etwas, dass innen mehr Schmerzen bereitet als aussen,
wo lediglich blaue Flecken oder mal eine Beule zurückbleiben
und wieder abheilen.

Doch selten dringt die Verzweiflung, die ich in mir spür
nach aussen,
selten gebe ich etwas davon preis,
wie es mir wirklich zumute ist,
wenn ich mich stets neu aufrappeln muss.

Ich tue so, als wäre nichts dabei,
als würden diese Stürze mich weder berühren noch
beunruhigen,
als wären sie Gewohnheitssache,
als steckte ich sie locker weg.

Ich ziehe sie ins Lächerliche,
sage, auch der Papst küsst ja den Boden,
versuche unbeschwert und stark zu sein, eben tapfer.

Nur in mir drin da weine ich manchmal
und doch ist es nicht falscher Stolz,
der mich die Verzweiflung verbergen lässt.

Es würde zu weh tun sie offen zu legen
und so bleibt sie in mir
und ich zeige sie nicht,
weil ich denen, die mich auslachen, keine Freude
und denen, die mich liebhaben,
keinen zusätzlichen Kummer bereiten möchte
und weil ich mich selbst ausserstande weiss,
allein zu bestehen,
was gelebte Verzweiflung zerstört

Ladina, Ribaux-Antiquariat St. Gallen, September 1999

---------------------------------------------------------------------------------

3 Hoffnungen
************

Melphalan, Mechlorethamin und Procarbazin
3 Namen wie Götter aus einer andern Welt
3 Namen, die bislang für mich noch keinerlei Bedeutung hatten,
drei, die ich nie beachtete
und denen ich mich nun widmen und zuwenden soll
weil sie es sind, auf die ich hoffte
ohne ihren Namen zuvor zu kennen.
Melphalan, Mechlorethamin und Procarbazin
3 krebszellbekämpfende Wirkstoffe, die vielleicht für mich
noch Lebensretter werden,
die aber nebst dem Krebs doch auch mein Leben bedrohen,
die qualvolle Nebenwirkungen mit sich bringen.
3 Hoffnungen, die zugleich Verzweiflung bedeuten
und denen ich doch keinen Korb geben kann
weil es Verrat wäre fürs Leben.
Melphalan, Mechlorethamin und Procarbazin
bereits ist mir ihre Schreibweise bekannt,
ihre Wirkungsweise kenne ich nur als Theorie
und mir graut davor, sie in der Praxis kennenlernen zu müssen,
wieder eine Chemo mitzumachen.
Die ersten Folgen dieser Therapie, die Nebenwirkungen
verleiten mich klar zu einem Rückzieher,
die erhofften späteren Folgen aber sprechen für Zustimmung.
Melphalan, Mechlorethamin und Procarbazin
3 die vorerst nichts Verlockendes an sich haben
und wäre da nicht in weiter Ferne
die mit ihnen verbundene Hoffnung auf Heilung - ich sagte Nein.
Doch genau diese ferne Hoffnung lebt in mir
und ich sage JA dazu.

Ladina, 29.September 1999
Zuletzt geändert von Ladina am Di 4 Jun 2019 20:51, insgesamt 8-mal geändert.

Ladina
Beiträge: 1652
Registriert: Do 4 Aug 2005 19:54
Wohnort: Kanton St.Gallen
Kontaktdaten:

aus dem 6. Band meiner Gedichte: Mit dem Krebs kam das NEIN - Teil 2

Beitragvon Ladina » Mi 6 Dez 2006 10:00

aus dem 6. Band meiner Gedichte: Mit dem Krebs kam das NEIN - Teil 2

Meine Zukunft
*****************

Immer wieder höre ich den Ausspruch:
"Die Zukunft liegt noch ganz im Dunkeln"
und öfter meinen Leute meine Zukunft damit.
Sie wissen um die Bedrohung durch den Krebs
und glauben zu wissen, wie es mir geht dabei.
Gerade in diesen Tagen höre ich den auf mich bezogenen Satz häufig,
in diesen Tagen, wo die letzten Vorbereitungen laufen,
mir mit Hilfe einer bewährten Therapie
wieder etwas Sicherheit mit dem Wort Zukunft zu geben.
Und immer wieder sind die Leute dann verblüfft,
wenn ich entgegne, dass meine Zukunft keineswegs dunkel ist,
dass ich sie mehr wie ein Meer voll Licht empfinde.
Sie halten das für eine Floskel,
für eine Verleumdung meinerseits der Bedrohung gegenüber,
für eine Abwehrung bestehender Tatsachen.
Sie ahnen rein gar nichts davon,
warum ich die Zukunft so anders empfinde als sie.
Ich weiss wie sie, dass meine Zukunft ungewiss ist,
doch im Dunkeln liegt sie nicht für mich.
Jeden neuen Tag kann ich in der Gewissheit verleben,
dass Lichtpunkte die Nacht durchbrechen,
Lichtpunkte, die Freunde für mich schicken,
Lichtpunkte, die Wärme und Zuversicht schenken,
Lichtpunkte, die gerade in der Not aufblitzen
und immer wieder Orte der Geborgenheit für mich sind.

Deshalb ist meine Zukunft nicht dunkel wie die Nacht
sie ist für mich
ein Sternenhimmel auf der Erde!

Ladina, Oktober 1999
--------------------------------------------------------------------------

Wunsch nach Menschlichkeit
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Zum 7.Mal bin ich hierher gereist
hierher in ein Krankenhaus weit weg in den hohen Norden,
weit weg von zu Hause, von den vertrauten Menschen,
nur die Hoffnung auf Heilung hat mich hergeführt,
all die anderen Bedürfnisse und Träume sind auf Eis gelegt,
haben hier nur wenig Platz.

Zum 7. Mal bin ich hier, doch einen Treuebonus kriege ich nicht.
Ich bin eine von vielen und so werde ich auch behandelt.
Hier ist jeder gleich viel wert
und meistens ist das gut so.

Und doch ist doch jeder kranke Mensch hier
eine Persönlichkeit mit individuellen Bedürfnissen,
die er mit sich bringt,
die nicht daheim zurück gelassen werden können,
die jeder unauslöschlich in sich trägt.

Und wenn auch Frau A., meine Vorgängerin in der Systemischen Hyperthermie,
die Legung des Blasenkatheters vor der Narkose
ohne Murren akzeptierte,
ich bin nicht nur persönlich anders als sie,
sondern auch anatomisch.
Ich kann es nicht ertragen, mir tut es weh,
Erinnerungen an mein Kindheitstrauma
werden durch die Schmerzen ausgelöst,
alles verkrampft sich und ich kann nicht anders als Schreien.

Verärgert über mein Benehmen
wird schlussendlich vom Anästhesisten
doch die Legung des Katheters in der Narkose angeordnet,
wie es sechs Mal zuvor schon selbstverständlich war,
wie es auch bei andern wie ich weiss, immer gemacht wird,
doch seine Schlussbemerkung zum Thema:
"Machen Sie bei Ihrem Freund auch jedes Mal so ein Geschrei?",
wird mir noch lange weh tun.

Wozu nur fragen sie beim Eintritt
stets nach persönlichen Bedürfnissen spezieller Art,
nach Abneigung bestimmten Gerichten gegenüber,
nach Allergien,
wenn im Endeffekt doch alle
in den gleichen Topf geworfen werden?

Was auf Kinderstationen anstandslos gewährt wurde,
muss ich mir hier mühsam erkämpfen
- einen Paravent, wenn ich intim gepflegt werde, z.B.
als ob der Kampf gegen den Krebs
nicht schon anstrengend genug wär'
und bald wird mir der Stempel: Schwierige Patientin aufgedrückt,
nur weil ich mich in dieser sterilen, kalten Welt,
nicht rein sachlich verhalte,
sondern gerne Mensch bleiben möchte

Ich verlange doch nicht, auf Händen getragen zu werden,
ich verlange nicht, masslos verwöhnt zu werden,
ich verlange keine spezielle, bessere Behandlung
oder ein Einzelzimmer mit Aussicht.
Ich verlange nicht, nur vom Chefarzt persönlich betreut zu werden
und auch nicht, irgendwelche Vorteile allen andern
gegenüber zu haben.

Doch ich wünschte, dass hier neben dem Fachwissen
und der Sachlichkeit,
die Menschlichkeit nicht vergessen würde…

Ladina, Oktober 1999
--------------------------------------------------------------------------------

Wie eine Mama
+++++++++++++

Schon ein paar Menschen sagten mir,
sie wünschten, sie hätten eine Tochter wie mich,
doch sie alle kannten nur meine Schokoladenseite:
das Positive, das Willensstarke an mir,
die Herzlichkeit, die Heiterkeit und den Humor in guten Zeiten,
die Hilfsbereitschaft und die Kreativität von mir,
die Freundlichkeit, die Offenheit und die gepflegte Erscheinung.

Du aber, Barbara,
kennst auch meine unvorteilhaften Seiten.
Du kennst mich anhänglich und in gewissen Zeiten abstossend,
Du kennst mich übelriechend,
Du kennst mich verzagt und zweifelnd,
Du kennst mich traurig und nachdenklich,
Du kennst mich hilflos, stotternd und torkelnd
Du kennst mich verwirrt und müde
so, wie ich mich unter andern Leuten nicht mehr zeige,
so, wie ich mich überall sonst verkrieche.
Und trotzdem hast Du mir gesagt,
ich sei für Dich wie eine Tochter
und trotzdem versteckst Du dich nicht mit mir.

Weisst Du, wie schön es ist für mich
angenommen und aufgehoben zu sein von und bei Dir?
Mit all meinen Stärken und Schwächen
bei Dir willkommen zu sein?
Anders als vor 32 Jahren,
als noch niemand wusste,
dass ich die Krankheit meiner leiblichen Mutti bereits in mir trage,
wo man mich wie eine Katze im Sack adoptierte,
der bösen Überraschungen, die kommen würden,
noch nicht bewusst,
und nun enttäuscht, weil nichts so wurde, wie erhofft.

Du weisst, was alles kommen kann
und trotzdem bleibst Du da für mich wie eine Mama.
Nichts hat mehr Wert für mich als das.

In ewiger Dankbarkeit gewidmet an Barbara B. aus Zürich
Ladina, November 1999
--------------------------------------------------------------------------------

Die Kämpfer-Eiche
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Ein hoffnungsvoll grünes Ästlein
sucht Halt im neugewonnenen Leben.
Über ihm zeigen die vertrockneten kahlen,
abgebrochenen Ästlein an,
wie oft die Eiche schon einen Neuanfang wagte
und wie oft dieser ihr vereitelt
und zerstört wurde durch Unwetter und Stürme.

Doch die Kämpfer-Eiche hat ob der Rückschläge
nicht aufgegeben,
ihr Wille zu leben ist ungebrochen geblieben,
unangetastet von Unwettern und Sturm.
Nur an Kraft hat sie verloren,
an der Kraft, weiter oben neu zu beginnen.

Und so duckte sie sich
und wählte für den Neubeginn
ein Plätzchen unterhalb ihrer bisherigen,
fehlgeschlagenen Überlebensversuche.

Man kommt nicht umhin, sich zu fragen,
woher sie immer neu die Kraft nimmt,
weiterzukämpfen fürs Leben.
Irgendwo in ihrer nahen Umgebung oder in ihrem Innern
muss eine Quelle sein, an der sie sich nährt
oder vielleicht ist es gar nicht so sehr die Kraft,
sondern ihre Lust und Liebe zum Leben
und der Überlebenstrieb in ihr,
die sie nicht danach fragen lässt,
ob die Kraft noch ausreicht,
die es sie einfach wagen lassen,
weil sie so sehr leben möchte.

Und, schau her!
Dort, weiter unten als zuvor
und vielleicht mit einer anderen Aufgabe
und einem anderen Ziel als bisher,
hat sie es weiter gebracht,
als all ihre Triebe weiter oben,
die gescheitert sind am Sturm und Unwetter.

Sie lebt und treibt hoffnungsvoll grüne Blätter
und die abgebrochenen Ästchen über dem neuen Trieb,
die von all ihren Niederlagen erzählen
und so ohne Sinn und Zweck erschienen,
bekommen alle ihren Sinn
und wehren wie eine schützende Hand
Stürme, Unwetter und Hagelschauer
von dem kleinen Überlebenskünstler ab.

Und sollte es auch der kleine Trieb nicht schaffen, fortzubestehen,
wird die Eiche es wieder neu versuchen.
Solange EINER da ist, der möchte, dass sie lebt
wird sie es immer wieder versuchen
und den Neubeginn wagen.

Und so, wie mit der Eiche, so ist es auch mit mir,
ich werde es immer neu versuchen
solange ich kann und solange EINER da ist,
der möchte, dass ich lebe…

Ladina, November 1999 (Reflexionen zu einem Foto von dieser Eiche)

----------------------------------------------------------------------------------

Stolpersteine
°°°°°°°°°°°°°°°

Immer wieder liegen Stolpersteine auf meinem Weg
und bringen mich ins Ungleichgewicht oder zu Fall.
Stolpersteine in Form von gesundheitlichen oder persönlichen Beeinträchtigungen,
von neuen Beschwerden ,
von Schwäche, Zweittumor, Sprach- und Gangstörung,
Chemotherapie, bleierner Müdigkeit, Schmerzen…

Doch nie bleibe ich liegen,
immer neu gelingt es mir, mich aufzurappeln,
ein neues Ziel zu erkennen.
Ich nehme den Stolperstein in meine Hände und versuche,
ihm einen Sinn zu geben.
Ich trage ihn fort aus dem Weg
und baue ihn in die Mauer ein, die meinen Weg säumt.

Diese Mauer, an der ich mich abstützen und neu aufrichten kann,
besteht aus vielen grossen und kleinen Stolpersteinen.
Ich schau sie mir an und erinnere mich daran,
wie viele Stürze ich ihretwegen erlebt habe,
wie viele Stürze ich schon überstanden habe
und ich bekomme neuen Mut mit auf meinen Weg.

Das Sprichwort: Was dich nicht umbringt, macht dich stark,
bekommt so für mich seine eigene Bedeutung
mit jedem Mal,
wo ich an meiner Mauer Halt finde,
wird es mir neu bewusst,
wie viel Wahrheit in diesem kurzen Satz steckt
und ich werde dankbar für jeden meiner Mauersteine.

Ladina, November 1999

------------------------------------------------------------------------------

VERunSICHERUNG
""""""""""""""""""""""""""

Ich registriere mit der Geschmacksveränderung,
in der alles ausser Blasentee bitter schmeckt,
eine Störung meines Wohlbefindens.

Schlagartig tauchen quälende Fragen auf,
Erinnerungen an Roger, dessen Stammhirntumor frontal lag und der genau solche Geschmacksveränderungen äusserte.
Ängste vor einem neuen Tumor!!!

Obwohl ich gewöhnlich geduldig bin und warten kann,
stürme ich jetzt beim Onkologen so lange,
bis er sich ausserhalb des Termins
Zeit für mich nimmt.

Zeit, sich meine Fragen anzuhören
Zeit, meine Ängste zu begreifen.

Und er bringt sie mit,
diese kostbare Zeit für uns beide.
Er beruhigt meine Ängste und nimmt sie doch ernst,
er erkundigt sich nach weiteren Fragen,
schaut nicht einmal auf die Uhr,
gibt mir das Gefühl, jetzt seine Patientin zu sein
und nicht eine unliebsame Stürmerin.

Er sagt nicht einfach: "Ihre Ängste sind unsinnig",
sondern er zeigt mir sein riesiges Medikamentenkompendium
und dort steht auf Seite 1895
unter Nebenwirkungen vom Platinol:
'Vereinzelt Verlust des Geschmackssinns'.

Er legt mir nicht leere Vertröstungen ins Ohr,
sondern Tatsachen offen auf den Tisch,
er liest nicht aus seinem Buch vor,
sondern gibt mir die Stelle selbst zum Lesen.

Ob Cola, Hafersuppe oder Reis
- alles schmeckt weiterhin bitter - vielleicht noch wochenlang.
Ängste und bohrende Fragen aber habe ich nun keine mehr.
Ich kann beruhigt wieder heimgehen…

Spätestens jetzt zahlt es sich aus,
dass ich sicher sein kann,
dass mein Arzt mir immer die Wahrheit sagt.

Ladina, November 1999
---------------------------------------------------------------------------------

TINNITUS!
°°°°°°°°°°°°°

Seit 1992 schon pfeift es unaufhörlich In meinem rechten Ohr.
Es war damals ein langer, beschwerlicher Prozess,
bis ich dieses Pfeifen akzeptieren und integrieren konnte
in mein Leben.
Bis ich wieder einschlafen konnte trotz dieses Geräusches.

Jetzt seit der letzten Chemo mit Platin
aber quält er mich wieder richtig
- mein Tinnitus.

Es dröhnt, es heult in meinem rechten Ohr
so LAUT, dass ich es nicht überhören kann,
so AUFDRINGLICH, dass ich es nicht ignorieren kann
so FURCHTBAR, dass ich Angst habe, bald durchzudrehen!

Ich finde kaum noch Schlaf, obwohl ich so müde bin
und was noch schlimmer ist,
ich finde die Ruhe nicht mehr in mir.

Früher, wenn alles über mir zusammen stürzte,
suchte ich mir einen einsamen, ruhigen Winkel in der Natur
oder in mir selber.

Ich tauchte in die Stille ein
und fand dort mich selber wieder,
spürte mein innerstes Empfinden und Befinden
in dieser Stille wieder auf,
bekam wieder ein Gefühl für meinen Körper
und meine Seele fand neue Kraft um weiter zu gehen.

Doch nun gibt es keine Stille mehr für mich,
dieses grauenhafte Ohrgeräusch übertönt sie
und alle leisen Töne!

Ich fühle mich innerlich gehetzt und in Panik versetzt,
weiss nicht, wie es weitergeht,
ohne die Zuflucht in der Stille,
ohne diese Möglichkeit, wieder zu mir zu finden
inmitten der Hektik und Bedrohung,
inmitten der Ängste der Nacht!

Einmal mehr habe ich verloren
und der furchtbare Krebs hat es indirekt geschafft,
den Hahn einer wichtigen Kraftquelle abzudrehen,
mir einen Raum der Geborgenheit
für immer zu verschliessen.

Ladina, November 1999

-------------------------------------------------------------------------------

(ÜBER-)ZEITEN
*************

Zur Unzeit, als ich wenige Monate alt war,
hat meine Krankheit sich zum ersten Mal bemerkbar gemacht
mit verdächtigen Blutzellen, deren Bekämpfung und Beobachtung mich etliche unbeschwerte Baby-Tage kostete.

Dann wieder zur Unzeit
hat mich die Krankheit richtig erfasst,
als kleines Mädchen, 8 Jahre alt, gerade eingeschult,
überglücklich aus Westafrika heimgekehrt,
reich an schönen, einmaligen Erlebnissen.
Plötzlich, diese Geschwulst im Bauch.
Diagnose Krebs! (wobei mir dies nicht gesagt worden ist)
Seltene Tumorart. Burkitt-Lymphom.
Kaum Erfahrungswerte, ungünstige Prognose, Versuchskaninchen, Chemo weit weg im Spital, Bestrahlung, Spritzen, Schmerzen, Glatze
Aber dennoch 9 Jahre alt geworden. Mit 11 ausser Therapie.
12 geworden. Trotzdem.

Ein halbes Jahr nach dem 12. Geburtstag plötzlich eines Tages,
komische Gefühle im linken Arm, Bein nachziehen, seltsame Krampfanfälle, die auch im Schlaflabor unerklärlich blieben,
als Simulantin bezeichnet, schwammiges, wattiges Gesichtsgefühl aber lange keine Schmerzen. 3 Monate darauf in der Schule, ich sitze im Rollstuhl, plötzlich als ob ein Blitz in den Kopf schiesst - ein Schmerz, ein Schrei und Ohnmacht.
Mit Blaulicht von der Schule ins Spital, CT und ein unschöner Fund - ein Tumor rechts im Schläfenlappen.
OP in der gleichen Woche.
Nach 3 Wochen der Befund: Fibrilläres Astrozytom, gutartig, kein Krebs, dennoch Strahlentherapie, da diese Tumore zu lokalen Rückfällen neigen.
Wieder im Krankenhausalltag eingeschlossen, wieder vom normalen Leben ausgeschlossen.
Diesmal ist die Angst inbegriffen. Tumore im Kopf sind unheimlich, auch wenn sie kein Krebs sind.

Trotzdem, irgendwie geht es einfach doch weiter. Ich werde 13, 14, 15 und 16 ohne weitere Zwischenfälle.

Dann plötzlich fällt dem Umfeld ungewöhnliche Blässe auf, ich bin auch immer müde, habe Knieschmerzen, und an komischen Stellen blaue Flecke. 2 Wochen später kann ich kaum noch stehen und in Chur stellt man bei der Blutkontrolle viel zu viele Leukos fest. Nach der KMP, die so schrecklich weh tat, kommt der Hammer. Diagnose Leukämie. Wieder ein Krebs. Warum denn immer ich?
Glück im Unglück. Es ist ALL und ich gelte mit 16 noch als jugendlich, was die Prognose günstiger machen soll.
Ein früher Rückfall wirft die günstige Prognose über den Haufen. Hoffen auf die KMT und einen Spender und wirklich habe ich wieder mal Glück.
Kurz vor meinem 21. Geburtstag werde ich für geheilt erklärt.
Man schreibt das Jahr 1989.

3 unbeschwerte, nur durch die Nachkontrolle überschattete Jahre ziehen wunderschön ins Land.
Sommer 1992 entdecke ich eine Schwellung am rechten Oberschenkel, ich warte eine Woche, ob es weggeht, habe den Eindruck, dass es eher wächst und obwohl es nicht wehtut, mache ich einen Termin in Chur ab und bekomme in subito.
Ohne lange zu zögern, befindet der Arzt, dass da eine PE gemacht werden soll - Ergebnis, leider wieder was Böses. Derzeit inoperabel. Rhabdomyosarkom, embryonal, LIM.
Kindliche Form im erwachsenen Körper.
Chance oder Verhängnis?
Muss ich jetzt sterben? Sterben, ohne je einen Hauch von normalem Erwachsenenleben erfahren zu haben!?
Nein! Auflehnung, Rebellion.
Also wieder Therapie. Neue Chemotherapie,
doch der alte Trott geht weiter trotz dem neuen Mittel Zofran, das immerhin den Brechreiz etwas lindert.
Therapie - Elendfühlen- Pause - Therapie- Elendfühlen-Pause.
Müde werden vom Kämpfen, doch den Traum, normal zu leben nicht begraben wollen, aller Logik zum Trotz.
Nicht aufgeben, auch wenn es leichter wäre.
Den Verstand fast verlieren, doch die Hoffnung nie ganz.
Ärzte an der Seite haben, die bereit sind,
an meinem Traum mit zu bauen.
Trotzdem.

1999 geht jetzt dem Ende zu.
Ich bin noch da, es gibt mich noch!

Wie kann das sein, nach allem, was war?
Wer hat das möglich gemacht?
Niemand weiss es. Oder doch?

Vieles hat zusammen gewirkt,
hat harmoniert wie ein Orchester.
Etwas hat den richtigen Anfang gemacht
und immer mehr Helfer haben eingestimmt
bis sie klingen konnte
- meine Lebensmelodie
manchmal fröhlich, manchmal deprimierend.
manchmal Moll, manchmal Dur,
im ewigen Wechsel,
anstrengend manchmal
jedoch nicht eintönig oder langweilig,
manchmal schleppend
und dann wieder im schnellen Wechsel,
ewig neue Rhythmen,
aber meine Lebensmelodie klingt.

Es hat Kraft gebraucht, Energie verbraucht
bei allen, die das Wagnis eingegangen sind, mir zu helfen
oder es zu versuchen
und auch bei mir
und doch bereue ich es nicht.

Irgendwie macht das so Sinnlose doch Sinn,
auch wenn man vieles nicht versteht
und hadert mit seinem Schicksal.

Ich weiss, ich habe sehr viel Glück gehabt bei allem,
bin in die richtige Zeit hinein geboren worden mit meinem Syndrom.
Neue Medikamente kamen auf den Markt
und waren verfügbar,
neue Therapieansätze und Erkenntnisse
kamen mir zugute.
Ich hatte das Glück, nie ausser in der Leukämie
einen Rückfall oder Metastasen zu bekommen,
sondern stets was Neues,
Resistenzen gegen Zytostatika habe ich fast keine entwickelt.

Menschen liessen mich sitzen,
doch andere liebe kamen und boten mir ihre Freundschaft an
und mit ihr wertvolle Stütze, Hilfe, moralische Unterstützung, eine helfende und haltende Hand und Geborgenheit.
Und Ärzte kamen, liessen mich Teil ihrer Forschung sein,
boten mir ihre beste Therapie,
als wäre ich der wichtigste Mensch der Welt für sie.

Wenn ich heute zurückdenke an meine Gefühle
bei jeder Neu-Erkrankung
so finde ich noch heute,
dass jede von ihnen zu Unzeiten kam
wie wohl jede Krankheit zu Unzeiten kommt.
Jede brachte schwere Zeiten für mich mit sich.
DOCH all die vielen Helfer und Hilfen,
die Menschen wie die Behandlungen
sie alle sind und waren für mich da
zur rechten Zeit!

Ich danke allen, die mir geholfen haben,
meine Lebensmelodie soooo lange
über die voraussehbare Zeit hinaus
erklingen zu lassen
wie ein Lied
der
immer
wiederkehrenden
HOFFNUNG

Ladina, November 1999

-------------------------------------------------------------------------------

Wie ein baufälliges Haus
*********************

Immer öfter erscheint mir mein Körper wie ein baufälliges Haus.
Es hat Schaden genommen im Kampf gegen die Krankheit,
es lottert da und dort
und jeder Versuch es zu flicken,
hat unweigerlich neue Schwachstellen hinterlassen.

Es ist nicht alt an Jahren,
aber dennoch gebeugt und windschief
und manchmal habe ich Angst,
dass einer zum Besichtigen kommt und dann sagt:
'Das Reparieren lohnt nicht mehr. Wir reissen es ab!'

Aber mein baufälliges Haus hat noch Mieter,
die es bewohnen,
sie heissen Lebensfreude und Traurigkeit,
Nachdenklichkeit und Kreativität,
Sehnsucht, Traum und Phantasie,
Hoffnung, Energie und Schwäche,
Begeisterung und Verzweiflung,
Übermut, Witz und Humor.

Gegensätze, die zusammengerottet Leben bedeuten.
Solange diese Mieter das Haus nicht freiwillig verlassen,
solange hat keiner das Recht es abzuweisen.
Kein Arzt - nur der Tod könnte den lebendigen Mietern künden.

Mag sein, dass mein Körper nach und nach verlottert,
meine Augen jedoch weinen nicht nur ,
nein, sie strahlen noch immer viel Freude und Vertrauen aus,
noch immer kann ich andern helfen,
noch immer hilft mir die Kreativität über Schweres hinweg.

Solange dies so ist,
und die Fenster des Hauses nicht ewig dunkel sind,
sondern immer neu hell und licht erstrahlen,
solange ist noch genügend Lebenskraft in mir
in diesem baufälligen Körper
trotz allem noch gerne
am Leben zu bleiben

Ladina, November 1999

-------------------------------------------------------------------------------

Die Krücken meines Freundes
*************************

Es ist der 24. November 1999.
In diesem Monat vor 13 Jahren hat mein Freund
sie für sich ausgesucht.
Damals, als klar wurde, dass sein Bein dem Knochensarkom
zum Opfer fallen würde,
dass eine Amputation unumgänglich war
und das Gehen mit nur einem Bein zwingend Krücken brauchte.

Hellgrau sind sie.
Damals dachte noch niemand daran,
Krücken bunt zu färben.
Ausgestattet sind sie mit allen Schikanen,
mit Spikes für den Winter,
mit Leuchtfeldern für die Nacht,
mit extrabreiten Arm-Halterungen,
mit gepolsterten Handgriffen gegen Druckstellen.

Prima ausgerüstet wäre er mit diesen Krücken gewesen
für seinen gesamten, weiteren Lebensweg.
Aber es sollte nicht sein.
Nur ein halbes Jahr noch hat er die Vorzüge
der "Ersatzbeine" geniessen und damit herumtüfteln können,
dann schlug der Krebs erneut zu
und beendete jäh sein junges Leben
und meine schönste Liebe zu einem jungen Mann.

Erinnerungen an ihn leben viele in meinem Herzen
und seine Krücken, als besonderes Erbstück,
waren mir schon oft wertvolle Wegbegleiter.
Gerade jetzt sind sie wieder im Einsatz.
Ich entlaste den operierten Fuss und die Leiste
und fühle mich sicher mit ihnen
für ein kurzes Wegstück meines Lebens.

Und auch, wenn ich wieder ohne laufen kann,
ich gebe sie nicht weg.
Sie sind für mich ein Stück von ihm
und sie begleiten mich mein ganzes Leben.

Und so oft ich mit ihnen gehe,
Halt und Stütze finde daran,
so kommt es mir vor,
als ginge er noch neben mir.
Ich spüre sie förmlich, seine Nähe
und wenn ich die gepolsterten Handgriffe drücke,
so ist es ein Gefühl,
als hielte ich seine Hand

Ladina, Nov. 1999

-------------------------------------------------------------

Von Schmerzen, von Ängsten, von Unbehagen
++++++++++++++++++++++++++++++++++++

Ganz zu Anfang meiner Krankheit
mit dem Legen des ersten Tropfes,
mit der 1. oder 2. Lumbalpunktion , KMP oder Chemo,
da wurde ich konfrontiert
mit Schmerzen, mit Ängsten, mit Unbehagen
und ich dachte, das halte ich nicht lange aus.

Das Leben mit dieser Krankheit aber hat mir
das Gegenteil bewiesen.
Ich halte es doch aus,
ich halte immer mehr aus,
kenne jetzt Stufen
von Schmerzen, von Ängsten, von Unbehagen
und lerne sie zu unterscheiden.

Ich denke oft, ich habe das alles so satt,
aber die Grenze des Erträglichen
schraubt sich so nicht nach unten, sondern nach oben,
vieles relativiert sich von selber.
Dadurch wirke ich auf mein Umfeld bisweilen unerschütterlich,
abgehärtet in gewissen Bereichen,
ja, so, als könnte mich nichts mehr wirklich treffen.

Mit der fortschreitenden Erkrankung
ist vieles intensiver geworden
- die Schmerzen, die Ängste, das Unbehagen
aber auch die Glücksmomente,
die Wohlgefühle, das Geborgensein
und das Empfinden von dem allem,
anderes wiederum ist in den Hintergrund gerückt,
hat kaum noch Bedeutung.

Mancher Schmerz von früher
ist für mich jetzt nur noch Unwohlsein,
manche Angst von damals
nur noch eine Banalität,
manches Unbehagen von dazumal
heute schlicht Normalzustand.

Verletzlich bleib ich dennoch und Trost und Sensibilität
sind niemals fehl am Platz

Ladina, November 1999

--------------------------------------------------------------------------------
Heute Nacht
***************

Heute Nacht hörte ich irgendwo auf der Station einen Mann heftig husten und nach Luft schnappen,
es klang wie verzweifeltes Rufen und in einem Impuls
wollte ich gerade läuten, als mir eine Erinnerung in den Sinn kam an eine ähnliche Situation auf einer andern Station vor einigen Jahren.

>>Damals hörte ich in der Nacht so ein Röcheln von fern und es ging mir so nah, dass ich klingelte, weil ich das Gefühl hatte,
da braucht jemand Hilfe und kann nicht mehr klingeln.
Die Schwester damals ist schnell gekommen, ich habe es gesagt und sie wurde sehr böse und hat mich geschimpft: "Misch dich gefälligst nicht in anderer Leute Dinge ein. Deine Klingel gilt nur für Deine Bedürfnisse oder von jemandem in Deinem Zimmer. Alles andere behindert uns nur. Merk dir das!"<<

Ich habe aber das Keuchen und Husten unverändert verzweifelt gehört und dann ohne weiteres Zögern die ungute Erinnerung weggefegt und geklingelt.

Und Schwester Luzia ist gekommen und ich habe es gesagt.
Sie ist gegangen ohne ein Wort.
Dann hörte ich hastige Schritte, dann Rennen im Flur wie sonst noch nie.
Dann war es wieder still und das Husten verstummte.
Ich dachte noch: 'Schön, sie haben ihm helfen können und ihm was gegeben, damit er ruhig schlafen kann.
Dann bin ich eingeschlafen, auch ganz ruhig und ohne Angst.

Am Morgen mit dem Frühstück
sind die beiden Nachtschwestern zu mir ins Zimmer gekommen
und so habe ich es erfahren:

Heute Nacht ist der hustende Mann auf meiner Station gestorben,
unerwartet, aber wenigstens nicht ganz allein.
Trotzdem:
Sie sind gekommen und haben mir Danke gesagt…

Ladina, November 1999

--------------------------------------------------------------------------------

Spital-Erfahrungen
****************

Als kleines Mädchen lag ich schon einmal hier im Spital Flawil,
doch die meisten Erinnerungen daran sind schon sehr verblasst.
In der Zwischenzeit war ich in vielen Krankenhäusern
im In- und Ausland.
Auch von dort gibt es Erinnerungen,
gute und schlechte,
und solche, von denen ich wünschte, sie wären nicht meine.

Jetzt bin ich für einen Routine-Eingriff wieder hier im kleinen Spital Flawil und ich darf ehrlich sagen: Nirgends habe ich mich
je aufgehobener gefühlt als hier!

Die Frage: Wann lassen sie mich endlich heim?, die ich mir in andern Spitälern fast täglich stellte, tauchte bei mir hier nicht auf.
Nur andere stellen sie mir, andere, die nicht wissen, wie schön es hier ist.

Egal, wie es auch hinter den Kulissen aussehen mag,
ob sie unter Einsparungen oder Stress zu leiden haben,
ich als Patientin habe davon nie etwas mitbekommen,
auch keine Intrigen oder Streitereien kamen mir in die Quere.

Ich kam hierher und hatte Bammel,
hatte die Erfahrungen in anderen, nicht auf Krebspatienten
spezialisierten Stationen noch vor Augen,
die teils verletzenden Reaktionen des dortigen Personals auf mich, meine Frisur oder Glatze.

Doch jede noch so leise Angst konnte ich hier vergessen.
Niemals zuvor ist mir so viel Freundlichkeit,
soviel Zuvorkommen, so viel Humor, soviel Wertschätzung,
soviel Offenheit und ehrliches Interesse
begegnet wie hier.
Nirgends zuvor in einer Klinik wurden mir selbst Bettflaschen
so liebevoll überreicht wie hier.

Auf keiner Station ist mir mehr Rücksicht,
mehr Behutsamkeit begegnet
und mehr Achtung meiner Persönlichkeit.
Vom Arzt über den Anästhesisten, Physio, Schwestern,
Raumpflegerinnen bis und mit der Putzfrau,
jeder und jede war freundlich zu mir,
da waren keine verhaltenen Blicke, keine falsche Neugier,
nur Besorgtsein um mein Wohlergehen
- so habe ich das erlebt.

Wenn der Tag kommt,
an dem mir mitgeteilt wird, dass ich heim gehen kann
werde ich vor lauter Hektik beim Packen
nicht in den Schrank straucheln.
Sicher wird Freude da sein und Dankbarkeit,
alles gut überstanden zu haben.

Was ich Ihnen damit sagen möchte ist:
ich fühle mich bei Ihnen rundum wohl!

Wenn ich hier weg gehe,
werde ich mit dieser Station
einen Ort der Geborgenheit verlassen
und die Erinnerung an diesen Ort
mit all seinen guten Geistern
wird mir noch lange Freude bereiten.
Danke für alles.

Ladina, November 1999, Spital Flawil, 1.Stock, Zimmer 110
--------------------------------------------------------------------------------

Stimmungsaufheller
""""""""""""""""""""""""""

Ein paar Mal schon standen sie zur Diskussion.
Stimmungsaufheller in Form von Dragées,
nicht um eine eigentliche Depression zu vertreiben,
sondern einfach um mehr Freude als berechtigte Sorgen
für mich erlebbar zu machen.
Aber ich verweigerte die Einnahme stets aufs Neue,
hatte Angst davor, von ihnen manipuliert zu werden,
mich in meiner Persönlichkeit zu verändern,
nicht mehr voll im Besitz meines Bewusstseins zu sein.

Und jetzt nehme ich sie doch!
Nur wenige wissen es, aber ich erlebe die Freude,
die sie an mir haben und ich fühle mich leichter.
Die Sorgen sind nicht weg, aber nicht mehr so nah,
nicht mehr so da, als würden mir ihre Krallen die Luft abdrücken.

Menschen, die mich schon länger kennen,
stellen ohne etwas zu wissen, fest,
dass ich wieder so sei wie anno 1992,
bevor der Krebs neu zugeschlagen hatte
- wieder voll Optimismus und Witz.

Sie empfinden mich eher wie neugeboren
als wie verfremdet oder manipuliert
und ich geniesse es, weniger belastet zu sein.

Ich kann und möchte die Dragées nicht ewig nehmen,
sie nur ca. 6 Wochen als Stütze brauchen,
aber ich versuche,
die doch sehr negative und ablehnende Haltung gegen sie zu verändern
und die Einnahme und deren Folgen zu befürworten.

Noch machen sich hin und wieder Zweifel bemerkbar,
aber immer öfter denke ich positiv über diese Jarsin300-Dragées
und gelange zur Überzeugung,
dass diese Pillen mich nicht manipuliert haben,
sondern nur die erstickenden Sorgen wegschaufelten,
damit die Lebensfreude wieder frei atmen kann
und strahlen…

Ladina, November 1999
.............................................................................................

Schwere Tage
************

Nun stehen sie mir wieder bevor.
Tage, so fade und glanzlos wie ungeschliffene Diamanten
an denen ich vor Schwäche nichts allein verschönern kann.
Tage voller übler Empfindungen,
deren bewusstes Durchleiden eine Tortur ist.
Tage, wo ich die Geisel meines Spitalbettes bin.
Tage, die ich wie erschlagen verbringe.
Tage, die von vornherein verpfuscht sind.

Schwere Tage, die sinnlos scheinen
und es doch nicht sind.
Tage, die mir etwas zeigen wollen,
die mich mir selber näher bringen,
die mich auf Gedanken bringen, welche ich mir in gesunden Phasen nicht zu machen imstande wär'
und die mein ganzes restliches Leben
verschönern und vertiefen können.

Diese unverhoffte Erkenntnis verhilft mir nun dazu,
jeden dieser schweren Tage anzunehmen
als das was er ist,
als einen der vielen harten Pflastersteine
auf dem Weg der Besserung

Ladina, November 1999
Zuletzt geändert von Ladina am Di 4 Jun 2019 20:58, insgesamt 6-mal geändert.

Ladina
Beiträge: 1652
Registriert: Do 4 Aug 2005 19:54
Wohnort: Kanton St.Gallen
Kontaktdaten:

aus dem 5. Band

Beitragvon Ladina » Mi 6 Dez 2006 18:47

Eine einzige Freude
***********************

Der Grundton meiner Tage ist finster wie die Nacht,
dunkel wie ein schwarzes Tuch.
Einsamkeit, Isolation, Angst und Verzweiflung
sind darin eingewoben.
Die Gefahr ist gross, mich zu verlieren
in dieser Trostlosigkeit,
die Gefahr ist gross,
resigniert die Augen zu schliessen.

Der Grund, warum ich diese vorwiegend dunklen Tage
doch überstehe,
ist der,
dass ich meine Augen trotzdem offen halte
auch wenn es dunkel und öde zu bleiben verspricht.
Der Grund, wieso ich weiter komme
selbst im Verharren an Ort und Stelle,
ist der,
dass ich meinen Blick ausrichte
und dann das kleinste Funkeln am dunklen Himmel
wahrnehme als strahlende Freude.

Dann konzentriert sich mein Blick auf dieses Leuchten,
möchte sich von sich aus nicht mehr
in der Dunkelheit verlieren,
hält daran fest, so lange es geht
und wenn mir dabei manchmal die Augen zufallen
und ich einschlafe,
ist das erste, was ich nach dem Aufwachen suche,
wieder dieser Lichtpunkt von vorhin.

Immer deutlicher wird es mir dieser Tage bewusst,
dass in hellen Tagen
eine einzige Freude nie so intensiv
erlebt und gespürt werden kann
wie sie sich mir nun zeigt,
in der Nacht und fast totalen Finsternis vor meinen Augen.

Ladina, Dezember 1999
---------------------------------------------------------------------------------
Geh in die dunkle Nacht hinaus
**************************

Geh in die dunkle Nacht hinaus
dann,
wenn kein künstliches Licht sie mehr erhellt,
dann,
wenn kein Fenster mehr erleuchtet ist,
dann,
wenn es still ist und kein Vogel mehr
sein bezauberndes Nachtlied singt.

Wenn du mit der Dunkelheit allein bist
und nur noch die Finsternis um dich wahrnimmst,
dann schau auf zum Himmel über Dir,
lass Deine Augen über ihn gleiten
und wenn da auch nur ein winziger Stern ist, der blinkt,
Du wirst ihn erkennen
und ihr werdet Euch gegenseitig anstrahlen.

Geh in die dunkle Nacht hinaus
und Du wirst verstehen,
warum ich von der Freude sprechen kann.

Ladina, Dezember 1999, gewidmet an Barbara B. und Reni K.,

---------------------------------------------------------------------------------
Facetten meines Lebens
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Besonderes und Alltägliches
habe ich erlebt

Zufriedenheit gespürt in mir
aber auch Verzweiflung

Träume verwirklichen können
aber auch welche begraben müssen

Ich war
glücklich und traurig
geborgen und verstossen
ernsthaft und witzig

Ich war zu Scherzen aufgelegt
oder in mich zurückgezogen.

Ich habe gelacht und geweint
andere aufgeheitert und getröstet

In dem allen aber war und bin ich krebskrank
doch es ist trotzdem ein Leben

Es ist ein gutes und lebenswertes Leben!
Nicht immer , aber immer wieder.

Ich bin froh, dass ich geboren bin

Ladina, Dezember 1999

-------------------------------------------------------------------

Ein Alptraum mit Folgen
*********************

Plötzlich, ohne Vorwarnung, wieder mittendrin
im schaurigen Geschehen,
wo ich doch dachte,
zumindest dieses hätte ich hinter mir.
Muss wieder über die Schwelle in den Raum,
den ich nie mehr zu betreten hoffte,
flankiert von zwei korpulenten MTA's,
die aussehen, als ob sie mich an der Flucht hindern sollen.
Aber ich bin schon so eingeschüchtert, fast wie gelähmt.
Wegen dem radioaktiven Tritiumstaub
muss ich einen Kittel und Plastiküberschuhe anziehen
und dann zu raumschiffähnlichen Neutronengenerator schlurfen.
Die ganze Horrorszenerie wiederholt sich wieder,
ich muss mich auf die gepolsterte, aber sehr schmale Liege legen, werde fest angegurtet und 2 m ab Boden hinaufgefahren.
Dieses laute Rauschen ist wieder da vom Kühlwasser.
Ich frage:" Kann diese Maschine explodieren?"
und die MTA reagiert unsensibel und knurrt:" Ach seien Sie nicht läppisch, solange es rauscht, kann nichts explodieren!"
Diese Antwort habe ich doch schon mal bekommen…
Hat sich denn nichts verändert seitdem?...
Die Feineinstellung ist fertig und alle verlassen diesen düsteren Raum.
Ich bin allein mit dem unheimlichen Bestrahlungsgerät,
der Tubus, der den Neutronenstrahl wirft,
kommt mir unangenehm nah
oder ich auf meiner Liege ihm.
Näher als mir je ein Mensch während dieser Therapie kam, aber ich habe ja selber ja gesagt dazu.
Ich muss mich anstrengen weiter zu atmen in diesen 8 Minuten der Bestrahlung,
ausharren in dem Wissen, dass mir pro Woche
jeweils 4 solcher Termine bevorstehen
und ich sechs Wochen in dieser fremden Stadt bleiben muss.
Wieder habe ich das Gefühl, es läuft was schief.
Ich spüre Schmerzen im Gaumen,
so als würde die Haut dort verbrannt.
Ich habe das ein anderes Mal erwähnt, doch man nannte mich hysterisch, kindisch und sah sich die Stelle nicht einmal an.
So bleibe ich diesmal stumm.

Das Rauschen und Summen ist plötzlich verstummt und alles ist dunkel. Panne! Explosionsgefahr??
Ich liege steif wie ein Brett, zittere und bin schweissgebadet.
Es bleibt ruhig, niemand betritt den Raum, ich bin verstört.
Es dauert lange, bis ich realisiere,
dass ich im eigenen Bett liege,
verkehrt herum, panisch, weil ich den Lichtschalter nicht finde.
Es dauert so lange, bis ich realisiere, dass alles nur ein Alptraum war, aber voller realer Erinnerungen an eine Tortur mit Folgen.
Denn das erwähnte Gefühl am Gaumen zur Zeit dieser Neutronenbestrahlung hat mich nicht getäuscht.
Freiwillig zahlt mir die betreffende Klinik (keine aus der Schweiz) Monate später auf ein Gutachten hin Schmerzensgeld und übernimmt die Kosten für die Gaumensanierung.
Damit ist für sie die Sache vom Tisch und man bittet mich, sie nicht an die grosse Glocke zu hängen. Davon hätte keiner was - es wäre einfach dieser bedauerliche Fehler passiert, und das Geld hätte ich ja.
Und wenigstens sei das Loch, die Verwundung, die Entstellung äusserlich nicht sichtbar - ich wusste nicht, ob es mehr für mich oder für sie eine Beruhigung war, noch manchmal schmerzt die Stelle manchmal.
In keiner Therapie konnte ich das alles später verarbeiten, und ich habe auch nichts an die grosse Glocke gehängt, wie versprochen.
Mein Versprechen halte ich. Meinen Mund nach diesem Traum nicht mehr. Vielleicht hilft ja das Schreiben darüber, es irgendwann zu vergessen.

Ladina, Dezember 1999
------------------------------------------------------------------------------
Alpträume aus vergangener Wirklichkeit
**********************************

Es gibt Alpträume, die mehr sind,
als entgleiste Phantasie,
deren Inhalte nicht auf Ängsten aufgebaut sind
oder auf Turbulenzen, die uns Psychologen erst deuten müssen, bevor wir sie verstehen.
Es gibt Alpträume, die ganz deutlich sind,
die keine Rätsel aufgeben,
Alpträume, in denen jedes Detail Erinnerung ist -
Alpträume aus vergangener Wirklichkeit.

Jahrelang Verdrängtes rücken solche Alpträume
an die 1.Stelle des Bewusstseins zurück.
Totgeschwiegene Erlebnisse
melden sich durch sie wieder zu Wort.
Sie bringen Verschwiegenes zur Sprache,
machen Vergangenes zum aktuellen Thema
bringen all die Gefühle und den ganzen Schrecken
ins momentane Erleben zurück.

Aus solchen Alpträumen gibt es kein Entkommen,
sie lassen einen nicht sofort kalt nach dem Erwachen.
Wir fürchten uns vor ihnen
und empfinden sie quälend, sinnlos und grausam.

Aber vielleicht wollen sie uns nur helfen
und einen Grund liefern,
das Geschehen von damals
nochmals zur (Aus-)Sprache bringen zu dürfen
und es damit endlich wirklich
zu verarbeiten

Ladina, Dezember 1999

----------------------------------------------------------------------------
Aktiv in der Therapie
******************

Fast jede meiner Chemos
habe ich bei vollem Bewusstsein
über mich ergehen lassen,
lehnte ein beruhigendes Mittel ab und kämpfte einfach.
Ich spürte Bauchkrämpfe und zunehmende Übelkeit
und anderes mehr
und ich stellte mir vor,
aktiv und bewusst erlebt würde die Chemo sicher
besser anschlagen.
Doch tagelang war ich dann danach wie erschlagen,
so schläfrig, matt und gequält
und ich lag nur noch passiv da - fast wie tot.

Diesmal machte ich es anders,
ich distanzierte mich bewusst von den Abläufen der Chemo,
liess mich soweit beruhigen,
dass ich kaum was mitbekam
von den unmittelbaren Folgen der Zytostatika.
Und siehe, ich bin ausgeruhter,
wenn auch nicht topfit zu mir gekommen,
sah am "Christbaum" nur noch den mir bekannten Beutel
der Spüllösung Glukose/NaCl 1:1 von Braun
mit dem blau-orangen Streifenemblem
und konnte es kaum glauben, alles schon hinter mir zu haben.

Die nächsten Tage werden sicher kein Honigschlecken sein,
wie das halt so ist nach einer kombinierten Chemo
und doch habe ich alles in allem ein gutes Gefühl
und ich denke,
dass ich so jetzt möglicherweise
trotz Sedierung aktiver mitkämpfen konnte als bei vollem Bewusstsein,
wo doch eigentlich nur noch das Leiden im Vordergrund steht

Ladina, Dezember 1999
---------------------------------------------------------------------------

Unter Ausschluss der Tapferkeit
***************************

Unter Ausschluss der Tapferkeit
mich feige davonstehlen,
andere machen lassen, was sie für gut halten,
ohne mein Mitspracherecht im weiteren Verlauf
in Anspruch zu nehmen.

Unter Ausschluss der Tapferkeit
mich feige davonstehlen
in einen medizinisch befürworteten Rauschzustand,
im Bestreben
mehr Ruhe
anstelle körperlicher und seelischer Stürme zu spüren.

Mich feige davonstehlen,
wichtige Ereignisse verschlafen,
es zulassen,
die Kontrolle für einige Stunden abzugeben.

Vertrauen fassen
in das Handeln meiner Betreuungspersonen

- auch das kann Tapferkeit sein…

Ladina, Dez. 1999

-----------------------------------------------------------------------------------
Zusammenbruch
**************

Vor knapp 14 Tagen
schrieb ich das Gedicht "Schwere Tage" nieder
mit einem positiven Ende
so wie ich es damals empfand.
Irgendwann aber,
ist die Grenze des Verträglichen erreicht,
schwappt das Fass der Tränentonne über,
ist die hoffnungsvolle Aussicht verhangen
von kummervollen, schweren Wolken.
Ich kann mich nicht sonnen im Leiden,
mein Hunger nach Unbeschwertheit wird nicht gestillt,
das, wovon ich mehr bräuchte,
wird mir verboten und weg genommen
und das,
was ich schon genug hab, krieg ich noch dazu.
Ich krieche unter meine Bettdecke
und jammere und klage und weine
- fast zwei Stunden lang.
Niemand bekommt es mit,
niemand ist da zum Trösten und Streicheln.
Trotzdem hat es mir gut getan,
der Not ihren wahren Ausdruck zu geben

Ladina, Dezember 1999
-----------------------------------------------------------------------

Alternative
*************

Seit über 2 Monaten ist es nun schon mein ständiger Begleiter
- mein überlautes Ohrgeräusch.
Ich kenne seinen Auslöser und doch fühle ich mich unsicher,
und es ängstigt und beunruhigt mich.
Am Tag wird es meist übertönt von vielen Lauten
und manchmal verfalle ich der trügerischen Hoffnung,
es sei nun wirklich weg,
doch die Stille der Nacht oder ihre Geräuscharmut
lässt jede Hoffnung platzen
und es heult wieder in meinem Ohr
wie eine Sirene, die warnt vor der Gefahr.
Schlaf fand ich in den ersten Wochen fast nie mehr
und dass ich ihn heute ohne chemische Mittel wiederfinde
hat nur den Grund,
dass ich mir dieses unheimliche Geheul vertraut machte.
Ich erkläre es mir und stelle mir vor,
es sei die Heizung im Haus eines geliebten Menschen,
wo es mir zu jeder Zeit wohl ist.
Das Geräusch in mir darf nicht unheimlich bleiben,
weil es mir sonst den Verstand raubt,
darum übertölple ich mich bewusst
und rede es mir ein, bis ich es glaube.
Es hat viel Phantasie, Ausdauer und Geduld gekostet
bis ich es mir glaubhaft machen konnte,
doch heute weiss ich, es war es wert
eine Alternative zu erfinden
zum lebenslänglichen Gebrauch von Schlafmitteln

Ladina, Dezember 1999

------------------------------------------------------------------------------

Wenn die Kraft ausgeht
***************************

Wenn Freunde keine Kraft mehr haben
meine Krankheit mit auszuhalten
machen sie sich langsam aus dem Staub.

Ärzte klettern die Karriereleiter hinauf
wenn die Arbeit auf einer Station sie zu sehr belastet
oder sie wechseln die Stelle.

Ich kann nicht sagen,
ich habe die permanente Bedrohung satt
und mein Syndrom abstreifen
wie eine Schlange ihre zu eng gewordene Haut

Ladina, Dez. 1999
Zuletzt geändert von Ladina am Di 4 Jun 2019 21:02, insgesamt 4-mal geändert.

Ladina
Beiträge: 1652
Registriert: Do 4 Aug 2005 19:54
Wohnort: Kanton St.Gallen
Kontaktdaten:

aus dem 6. Band meiner Gedichte: Mit dem Krebs kam das NEIN - Teil 3

Beitragvon Ladina » Mi 6 Dez 2006 19:17

aus dem 6. Band meiner Gedichte: Mit dem Krebs kam das NEIN - Teil 3

Fragen über Fragen II
¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦


Jahrelang erträumt, erhofft und herbei gesehnt
ist der Moment, wo mir gesagt würde,
ich brauche nicht mehr her zu kommen ins Spital,
jede Woche, jeden Monat.

Jahrelang habe ich ihn mir ausgemalt in den schönsten Farben,
den Tag, wo ich ausser Therapie bin und frei werde,
den Jubel darüber in mir.
Und nun?

Jetzt ist da diese haltlose Leere in mir,
als wäre ich aufgegeben worden
und ich kann sie nicht wirklich verscheuchen
auch wenn ich mir wieder und wieder bewusst mache
dass das Entlassensein bedeutet,
dass ich ans Leben abgegeben worden bin.

Kurzfristig kommt Freude in mein Herz,
aber die Unsicherheit verdrängt sie,
wie eine schwere, graue Wolke den ersten zaghaften Sonnenstrahl
und diese Wolke wird gross und grösser.

Ich weiss nicht mehr, wie das geht,
gesund zu sein oder gesünder.
Ich frage mich: Muss ich mich nun ändern,
muss ich jetzt anders sein?
Stabiler? Cooler?

Begreifen es meine Freunde,
wenn ich nach wie vor Halt suche und Nähe brauche.
Darf ich weiter Begebenheiten während der Krankheit
in Gedichten ansprechen und verarbeiten
oder muss ich alle Gedanken daran, alle Erinnerungen
künftig totschweigen?

Wie kann ich mit den Beeinträchtigungen je normal werden
und mich gesund fühlen?
Und wo sind die Grenzen des Wohlbefindens?

Ich denke zurück, wie es war, als ich neu erkrankte,
wie ich meine kleine, heile Welt von jetzt auf sofort verlor
und in Schutt und Asche liegen sah.

Oft fühlte ich mich als Gefangene im Spital.
Jetzt merke ich, dass das Gefängnis doch auch Sicherheit bedeutete,
dass es Halt gegeben hat zu wissen,
nächste Woche bin ich wieder in der Klinik
und wenn Beschwerden auftauchen,
klärt man sie sofort ab.

Es ist zu lange her, als dass ich dort anknüpfen könnte,
wo mich die Krankheit gestoppt hatte.
Ich bin eine ganz andere Person geworden,
die Welt da draussen ist mir fremd,
die Probleme der Leute sind nicht meine,
viele davon kommen mir lächerlich vor.

Ich brauche Lebenshilfe für den gewöhnlichen Alltag,
den sie alle in- und auswendig kennen,
den sie wie im Schlaf bewältigen.

Ich rede den gleichen Dialekt
und spreche ich eine ganz andere Sprache
als meine Altersgenossen.
Ich habe Dinge erlebt,
die viele von ihnen nie erleben werden
und das prägt mein ganzes Leben,
das macht mich anders
und ich möchte es eigentlich nicht vergessen,
was für ein Wunder es ist, dass ich leben kann,
auch wenn ich dadurch anders bleibe für immer.

Aber ob ich das kann,
ob ich mich nicht doch der Oberflächlichkeit anpassen muss,
um irgendwo ausserhalb meines Freundeskreises
für voll genommen zu werden?
Um nicht ewig anzuecken
und ausgegrenzt zu werden??

Fragen über Fragen,
die mir keiner beantworten kann
ausser mein neues Leben

Ladina, Januar 2000
-------------------------------------------------------------------

Geschenk des Lebens
*******************

Im Moment zeigen sich im Verlauf meiner Krankheit
unerwartete Erfolge
und auch mein operierter Fuss heilt gut trotz Chemo.
Ich bin verblüfft und staune.
Manche sagen mir: "Du hast so lange darum kämpfen müssen,
das ist das, was Du schon längst verdient hättest!"
Aber für mich hat Wohlbefinden
nichts mit Verdienst zu tun.

Ich nehme es einfach
überglücklich und dankbar an
als ein Geschenk des Lebens!

Ladina, Januar 2000
--------------------------------------------------------------

Glücksmomente
**************

Jeder noch so kurze Glücksmoment
geht als Besonderheit in meine Erinnerungen ein,
wird gehegt und gepflegt von mir,
damit er auch ja nicht in Vergessenheit gerät,
wird wieder und wieder von mir hervorgeholt und aufgearbeitet,
und so immer neu als Glücksmoment empfunden.

So, wie die Kuh einen Haufen feines Gras
genüsslich frisst und diesen ewig wiederkäut,
sodass eventuelle Beobachter denken,
sie frässe immens viel,
so ähnlich geht das mit meinen Erinnerungen
an glückliche Momente, Tage und Erlebnisse.

Vielleicht ist mein Leben nicht reicher
als dasjenige der meisten anderen Menschen,
aber ich empfinde es so!

Ladina, Januar 2000
-----------------------------------------------------------------------

Auseinandersetzung mit dem Sterben
========================

Ganz bewusst
habe ich mich schon zu Beginn meiner Wiedererkrankung
mit dem Sterben auseinander gesetzt.
Es sollte nicht kommen wie ein Sturm.

Ich habe mich den Gedanken daran ausgesetzt
und doch immer neu auf die Hoffnung gesetzt.
Ich habe den Weg der Zuversicht eingeschlagen
und es zwischendurch gewagt,
in die andere Richtung zu schauen und zu denken.
So ist das eigene Sterben immer eine Möglichkeit geblieben,
die mir bewusst war.

Ich habe die Gefühle und die Gedanken daran nicht verdrängt,
ich habe sie zugelassen
und sie aufgeschrieben, wann immer sie bewusst in mir waren
auch mitten in der Zuversicht
auch mitten in einer Remission
auch mitten im Warten auf den neusten Befund.

Diese bewusste Auseinandersetzung
mit meinem eigenen Sterben
irgendwann
gehörte stets zu meinem Leben mit dazu

und sie gehört es auch weiterhin…

Ladina, Januar 2000
----------------------------------------------------------------------------

Ausser der Regel
+++++++++++++++

Eine heftige Blutung verbunden mit Unterleibsschmerzen
zwang mich zurück ins Krankenhaus.
Beunruhigte Gesichter schauten besorgt auf mich herab,
eigene Ängste brachten mich an den Rand der Verzweiflung.

Manuelle Untersuchung in der Gyn,
der Mimik der mir fremden Ärztin kann ich nichts entnehmen,
sie nickt und schüttelt dann wieder leicht den Kopf.
Sie fragt, ob ich das Orgametril noch nehme
und ich bejahe, das ist ja der Grund meiner Beunruhigung,
es fühlt sich genauso wie eine Regelblutung an
und kann doch keine sein unter Orgametril,
das die Blutung in der plättchenarmen Zeit verhindert.

Dann Sono,
die Muster auf dem Bildschirm sind undurchschaubar für mich,
die Angst droht übermächtig zu werden, da auch die Schmerzen zunehmen,
doch der Arzt mit seiner beruhigenden Stimme
nimmt mir von Sekunde zu Sekunde die Panik im Innern.
Er kommentiert in verständlicher Sprache seine Entdeckungen für mich
und sie erschrecken mich nicht weiter.

Trotz Orgametril ist diese Blutung ausser der Regel
eben doch die Regel,
es ist ein kleines Rätsel wie das kommen konnte,
aber ich kann ohne seine Lösung weiter gehen
hinaus ins Leben,
hinein in die normalen, monatlichen Tage einer jeden Frau.

Ladina, Januar 2000

---------------------------------------------------------------------------------

Reflektionen
°°°°°°°°°°°°°°

In manchen Gedichten habe ich geschrieben,
meine Krankheit habe mich verändert
und heute überlege ich,
ob das wirklich so ist.
Weiss ich denn,
wie ich ohne diese Krankheit geworden wäre?
Ich bin doch damit gross geworden!

Ich lese Briefe, die Lehrerinnen von mir
an meine Mutter schrieben,
darin steht, sie bewunderten meinen Mut
und seien tief berührt von meiner Lebensfreude,
die ich ausstrahlte und vom starken Willen,
vom sozialen Wesen und dem Talent,
sinnvolle Kompromisse zu finden.
Das war zu einer Zeit,
wo ich zwar schon Krebs hatte,
es aber nicht wirklich wusste.

Vielleicht hat mich die Krankheit gar nicht verändert,

vielleicht bin ich einfach so…

Ladina, Januar 2000

----------------------------------------------------------------------------------
Zusammenbruch in Luzern
"""""""""""""""""""""""""""""""""""

Einmal mehr versagte mir mein Körper den Dienst.
In der Hoffnung, vergriffene Bücher zu finden reiste ich an,
in der Gewissheit, wieder alle Leistungsfähigkeit verloren zu haben,
blieb ich am Bahnhof für die nächsten 5 Stunden.
Erbrechen mitten auf dem Perron,
böse angeekelte Blicke,
Sägemehl, das gebracht wird -
das kriege ich noch mit.
Dann zwei orange Gleisarbeiter,
die sich vielsagend zublinzeln, einer links, einer rechts
und mich grinsend abschleppen auf die nächste Bank,
das ist das Letzte,
was mir im Gedächtnis noch haften bleibt
von diesem unglückseligen Morgen.
Ich muss sie dankbar anlächeln
und möchte doch schluchzen vor Verzweiflung,
es nicht ohne Hilfe zu schaffen,
zur nächsten Sitzbank zu gelangen.
Dann sitze ich wohl einfach da.
Als ich dann wieder "klar" bin, ist es wie ein Blinzeln
in einen neuen, unbegreiflichen Morgen,
dabei ist es schon Nachmittag.
Langsam fällt es mir wieder ein,
wo ich bin und was ich wollte,
doch es ist zu spät,
ich kann nur mit dem Zug wieder heim fahren
unverrichteter Dinge.
Die letzte Empfindung vor dem Zusammenbruch ist jene,
die mir zuerst wieder einfällt
und die mich nicht mehr loslässt,
die mich nachhaltig erschüttert und kränkt
noch viele bewusste Stunden danach.
Für ein liebloses Abschleppen dankbar lächeln müssen
und doch schluchzen mögen vor Verzweiflung
mich wildfremden Menschen in meiner Unzulänglichkeit
preiszugeben

Ladina, Februar 2000

-------------------------------------------------------------------------------

Gedanken ans Sterben
********************

Vielleicht ist es seltsam,
doch es hilft mir,
in gesunden, freien Tagen
Gedanken ans Sterben zuzulassen und zu verarbeiten.

Sie trüben den guten Tag nicht,
sie vertiefen nur das Gefühl der Dankbarkeit
für den unbeschwerten Moment.

Es hilft mir,
Gedanken ans Sterben
schon im Leben aufzuarbeiten
und nicht erst in den unmittelbaren Stunden davor.
Es hilft mir und auch andern,
die dann eventuell um mich sind.
Die Gedanken, die ich mir heute mache
sind gewiss auch dann noch verlässlich,
es würden wohl keine anderen sein.

Sie sind wohl dann noch genauso wie heute in mir,
doch kann ich sie vielleicht dann nicht mehr finden,
ich werde ihnen evtl. keinen Ausdruck mehr verschaffen können,
weil mir vielleicht die Kraft zu sprechen fehlt
oder die Worte nicht mehr in mich finden.

Und deshalb ist es wichtig für mich
alles herauszulassen, was an Gedanken in mir ist,
sie aufzuschreiben, sobald ich es kann
auch dann
wenn das Thema
fehl am Platze scheint.

Ladina, Feb. 2000

-----------------------------------------------------------------------

Überraschung statt Enttäuschung
++++++++++++++++++++++++++

Weitläufige Pläne,
hochtrabende Ziele in weiter Ferne
sind nicht mehr für mich gedacht.
Ich nehme nur noch Tag für Tag in Angriff,
schaue, was im Augenblick möglich ist
und arrangiere mich entsprechend.

Konkrete Pläne für das kommende Wochenende
mache ich keine mehr,
zu oft traf mich die Enttäuschung,
wenn die Kräfte es nicht mehr zuliessen.

Ich lege mich nicht mehr fest darauf, was ich tun will,
sondern beziehe immer verschiedene Varianten
in meine Überlegungen mit ein.

So habe ich für jedes Befinden einen Plan oder ein Ziel
und die Enttäuschung über einen Kräfteabfall
wiegt nicht mehr so schwer.

Ich richte mich dann häuslich ein,
und verlebe den Tag dann eben daheim.
Und wenn die Kräfte ausreichen,
wenn ich mich wohlfühle und Energien spüre,
dann ist das immer wie eine schöne Überraschung,
ein unverhofftes Glücksgefühl
und der Tag wird schön.

Vom Wetter unabhängig
erfülle ich mir einen der vielen Träume
die in mir wachsen
in den Tagen daheim

Ladina, Feb. 2000
----------------------------------------------------------------------------------
Zwischenfall im MRT
"""""""""""""""""""""""""""

Eine ganz gewöhnliche MRT-Untersuchung der Hüfte.
Ich liege schon in der Röhre,
bestens informiert und ohne jegliche Angst,
längst sind mir die Geräusche des Kernspins,
die an Synthesizer oder Street Parade erinnern, vertraut.
Der Schwall Mageninhalt, der so plötzlich
und ohne wahrnehmbare Vorwarnung aus mir raus
an die Decke der Röhre schwappt und von dort zurücktropft
auf mein Gesicht,
setzt allem ein jähes Ende.

Abrupt verstummen die Geräusche,
die Bahre fährt aus der Röhre raus,
selbst ohne Brille kann ich
das verärgerte Gesicht der MTRA erspüren
und ihr Vorwurf lässt sich nicht lange bitten: "Aber Sie hätten doch sagen müssen, dass Ihnen schlecht ist!",
fährt sie mich an,
"jetzt können wir alle heimschicken, bis das sauber ist,
desinfiziert und es wieder menschenwürdig riecht darin - das kann Tage dauern. Oh Gott, warum haben Sie nicht geläutet oder den Mund aufgemacht?!!!"

Ich kann mich nicht mehr wehren oder verteidigen,
fühle mich wie ein unmündiges Kleinkind
und zittere am ganzen Leib.
Wenn sie wüsste, wie gerne ich es gemeldet hätte,
wenn ich es nur gespürt hätte,
aber mir ist doch IMMER übel.
Ich könnte pausenlos jammern,
aber ich musste mich dran gewöhnen,
ich spüre nicht mehr wo normale Übelkeit aufhört und Brechreiz beginnt,
im wahrsten Sinne des Wortes
habe ich wohl oder übel,
dieses ständige Missempfinden als Bestandteil
meines Daseins akzeptieren müssen
um einigermassen funktionstüchtig zu bleiben
- doch nichts davon spreche ich aus,
ich bin zu sehr beschämt
und in meiner Würde von ihr verletzt.
Sie müsste doch wissen, dass man so was nicht mit Absicht macht.
Meine leise Entschuldigung geht unter
in ihrer Aufregung.

Draussen schleust sie mich an den anderen Wartenden vorbei und sagt: "da gab es eine unliebsame Überraschung, Sie werden noch warten müssen!"
Ich bekomme noch mit, wie sie in den umliegenden Kliniken
die Kapazitäten vom Kernspin abklären und anfragen, ob man Patienten überweisen könne,
weil man hier quasi nur noch in die Röhre gucke,
es habe eine reingekotzt!

Ich habe den Eindruck, sie redet noch extra laut,
als wenn es mir nicht schon so klar wäre,
was ich anrichtete ohne es zu wollen.

Mit Schrecken denke ich daran,
für diese Untersuchung wieder herkommen zu müssen
und schon schneidet sie das Thema an:
"Sie kriegen Bescheid, wenn wir wieder Zeit für Sie haben und dann kommen Sie doch bitte nüchtern!"

Das ist zuviel für mich!
Ich möchte sie anschreien und sagen, sie soll da zurücknehmen, aber ich weiss, es hätte keinen Sinn.

Ich gehe grusslos weg, kontaktiere daheim telefonisch
meinen Onkologen und bitte ihn, mich für die Wiederholung der Untersuchung in der Privatklinik anzumelden

Und obwohl das absolut unüblich ist,
er versucht nicht, mich umzustimmen,
er versteht mich, ohne dass ich all das Erniedrigen schildern muss und meldet mich umgehend
bei der Konkurrenz an.

Ladina, Februar 2000
-----------------------------------------------------------------------------

In Erinnerung an den 10. Jahrestag meiner KMT
****************************************

Wenige Monate, nachdem ich von der Transplantation zurückgekehrt war,
hörte ich mit meiner ehemaligen Gastmutter Cécile
einem öffentlichen Blasmusikkonzert am Kantonsspital zu
und war beseelt von den festlichen Tönen.
In einer Pause vertraute ich ihr an:
"So ein Konzert wünsche ich mir zu meinem 10. Jahrestag der KMT!"
Und dabei war es der Prognose gemäss schon unwahrscheinlich, dass ich die folgenden 2 Jahre ohne Rückfall überstehen könnte.
Ich wusste das und sie als Krankenschwester wusste es auch.
Aber sie sagte nichts,
schlug es mir nicht aus dem Kopf,
liess mich mit diesem besonderen Traum am Leben bleiben.
Die Jahre zogen dahin, mit diesem und jenem, einer Neuerkrankung, aber keinem Leukämie-Rückfall.

Am 10. Jahrestag meiner KMT arbeitete ich 100%, bekam als besondere Überraschung eine mit 10 rosa Kerzen geschmückte
köstliche Schokoladentorte von einer Kundin und Freundin überreicht und ass abends genüsslich davon,
als das Telefon läutete:
Es war Cécile, meine Gastmutter, und sie fragte:
"Hast Du Zeit? Komm doch schnell zu mir rüber!"

Sie empfing mich nicht allein. Eine ganze Formation Bläser
war vor ihrem Haus und sie spielten für mich
50 Minuten lang.

Diesen Abend voller Freude
vergesse ich mein Leben lang nicht wieder.
Nie mehr seit jenem Novemberabend
habe ich das Konzert Cécile gegenüber nochmals erwähnt,
aber sie hat es sich behalten,
es nicht als wirres Geschwafel abgetan und vergessen,
sondern sie hat daran gedacht,
zum rechten Zeitpunkt zu organisieren begonnen,
trotz ihrer angeschlagenen Gesundheit
und mir dieses Konzert ermöglicht,
als besonderes Geschenk von einer,
die an mich geglaubt hat
10 Jahre lang und mehr

Ladina, Februar 2000

-----------------------------------------------------------------------------
Empathie
***********

Ich lese einen Erlebnisbericht einer Jugendlichen,
die an Leukämie erkrankt war.
Von Behandlungen, Gefühlen und Ängsten ist die Rede,
die ich alle kenne, vom eigenen Kampf gegen diese Krankheit.
Gesunde Jugendliche sagten aus,
das Buch sei für sie trotz der einfachen Sprache
sehr anspruchsvoll und anstrengend zu lesen gewesen.
Für mich selbst ist die Lektüre leicht,
obwohl jede Zeile fast,
eigene schwere Erinnerungen birgt
und ins Bewusstsein zurückruft.
Warum??
Vielleicht weil es einfacher ist,
etwas direkt mit- und nachzufühlen,
als sich etwas Unbekanntes vorzustellen
und es zu verstehen versuchen.

Ladina, Februar 2000
Zuletzt geändert von Ladina am Di 4 Jun 2019 21:07, insgesamt 4-mal geändert.


Zurück zu „Erfahrungsberichte“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 14 Gäste