Auch im Tal blühen Blumen - Erfahrungsgedichte von Ladina


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Ladina
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aus dem 6. Band meiner Gedichte: Mit dem Krebs kam das NEIN - Teil 4

Beitragvon Ladina » Di 6 Mär 2007 17:06

aus dem 6. Band meiner Gedichte: Mit dem Krebs kam das NEIN - Teil 4

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MAITAGE (oder wenn der Kopf Umwege denkt…)
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MAITAGE - ein Wort in einem Jugendbuch,
dessen Sprache ich bis dahin tadellos verstand.
Plötzlich ein Rätsel wegen diesem Wort "Maitage - Mätaasch", klingt Französisch, schlage nach im französischen Wörterbuch und finde es nicht.
Durchschaue und begreife nichts,
schiebe es auf die Müdigkeit und lege mich schlafen,
doch ich komme nicht los von diesem seltsamen Wort,
grüble, schlage das Buch wieder auf,
versuche im Zusammenhang die Bedeutung des Wortes
zu ergründen, aber vergebens.
Ich schlage nochmals voll konzentriert im Wörterbuch nach
und im Duden - das Wort ist gar nicht existent.
Kneife mich, weil ich langsam glaube, das ist ein Alptraum.
Aber ich bin wach, voll da und doch nicht,
lege mich wieder hin,
bis ca. 2 Stunden später,
nach vielen Überlegungen darum herum,
endlich Licht ins Dunkel kommt und kapiere,
dass das vermeintlich französische Wort
ein simples Deutsches ist und nichts weiter bedeutet als
Tage im Mai.

Schlafen kann ich auch nach der "Erleuchtung" nicht,
zu tief bin ich erschüttert über das, was aus mir geworden ist.
Wie können mich die Leute intelligent empfinden,
wenn mir doch so was passiert?

Ich lehne mich an die Wand, die Beine angezogen
den Kopf müde drauf gelegt und schützend um alles
die Arme verschlungen.
So bleibe ich sitzen bis zum andern Morgen,
als ob ich so verhindern könnte,
dass noch mehr von mir verloren geht:
dass immer mehr Alltäglichkeiten
für mich zum Rätsel werden
und vieles davon unlösbar bleibt.

Ladina, März 2000
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Zweifel
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Früher habe ich mir das Lesen selber beigebracht,
in der ersten Klasse Bücher für 12 jährige gelesen und bewiesen, dass ich den Inhalt verstand,
die Sekundarschule problemlos gemeistert, und es hiess, ich sei intelligent - das war eben früher.

Heute ist so vieles anders.
Ich weiss nicht, liegt es an der Chemo oder der Kopfoperation, dass ich es oft nicht kapiere und auch Alltägliches für mich undurchschaubar ist.

Erst vor wenigen Tagen im Warteraum des Spitals.
Der 12jährige André und seine Eltern spielen "Die Siedler von Catan", ein Spiel, das von der Logik her
für Kinder ab 10 angepriesen wird,
wie ich auf der Anleitung lese, nachdem sie mich einluden,
der 4.Siedler in ihrem Bunde zu sein.

Ich verstehe zwar die Worte, aber nicht den Sinn,
kann nichts davon ins Spiel einbringen,
nichts nachvollziehen,
weder eigene noch fremde Spielzüge durchschauen und verwerten.
Glückt mir mal ein guter Zug, so ist es Zufall
und ich weiss nicht, wie ich vorgegangen bin
um einen weiteren erfolgversprechenden Part zu lancieren.
Ich bin zu blöd für das Spiel und meide es künftig,
aber es ist nur ein Spiel, ich brauche es nicht im Leben.

Anders die Sache mit dem gelben Postpaket.
Kinderleicht sei es zusammen zu setzen,
erklärte mir die Dame am Schalter,
aber ich komme nicht dahinter, wie es geht.
Seit mehr als 2 Wochen probiere ich es,
aus den beiden Kartonteilen ein stabiles Paket zu falten,
und immer endet es damit, dass ich verzweifelt aufgebe
und alles an mir anzweifle.

Ich habe 2 Augen, 10 bewegliche Finger und doch ist es mir zunehmend unmöglich, gewisse Vorgänge zu durchschauen
und zu begreifen.

Ladina, März 2000

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Gefühle eines entwurzelten Baumes
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Wie fühlt sich ein Baum,
der vom Sturm
entwurzelt
unter ungeheurer Spannung
fiel
und nun
am Boden liegt
scheinbar reglos?

Er spürt in seinem Innern
Verzweiflung
doch er will es nicht wahrhaben
dass er verloren ist.

Erst wenn ihn jemand
am Wurzelballen berührt
begreift er
was geschah
und
wie ein sterbender Mensch
bäumt er sich
ein letztes Mal auf

Ladina, März 2000
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Wie ein Schatten
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Wie ein Schatten
liegt das Wissen um meinen Gendefekt
auf mir
und mit ihm die Angst vor einem neuen Rückfall
und doch habe ich unter dem Schatten
wieder frei atmen und leben gelernt.
Erst nur so von Tag zu Tag,
aber langsam wage ich mich wieder
über das Heute hinaus
und beginne zu träumen
von so etwas wie Zukunft.
Der Schatten meines Wissens
ist nach wie vor da,
doch immer häufiger
gelingt es mir
mich darüber
hinwegzudenken

Ladina, März 2000
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Teil des Alltags
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Führte ich Ahnungslose
zu meinem Pflegeprodukte-Schrank
so dächten sie,
er gehörte einer alten Frau.

Perückenshampoo + Balsam gibt es darin,
Hepathrombinsalbe zur Venenpflege,
Kukident-Tabletten für die Zahnprothese,
Pharyngor-Spray als Speichelersatz,
Wacholdergeist, Blutstillende Watte und
Inkontinenz-Schutz.

Das, woran viele junge Menschen mit Schaudern denken,
das, was gemeinhin mit dem Altern verbunden wird,
ist für mich
schon jetzt
Teil des Alltags.

Es ist gewöhnungsbedürftig
und nicht jeden Tag ertrage ich es gut.

Aber Angst habe ich davor keine mehr.

Ich kann mit den Jahren
eigentlich nur noch gewinnen
an Reife und Sicherheit
mit solchen Dingen umzugehen…

Ladina, März 2000
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Baum-Bilder
""""""""""""""""

Ich sah vor einigen Monaten
eine Fläche voller vom Sturm geknickter junger Bäume.
Alle waren zur gleichen Seite mit ihrer Krone
zu Boden geneigt
bis auf einen einzigen,
der genau zur entgegen gesetzten Richtung
gebrochen war.
Es sah aus,
als hätte er sich heftigst zur Wehr gesetzt,
als hätte er seine ganze Kraft verwendet im Versuch,
dem Sturm zu trotzen und zu überleben.
Doch er hat es nicht geschafft,
er fiel dem Sturm zum Opfer
wie alle anderen auch.

Dieses Bild beschäftigt mich immer wieder,
sogar bis in die nächtlichen Träume hinein.
Ich frage mich,
für welchen der Bäume es wohl leichter war,
das geliebte Leben zu verlieren?

Für den Kämpfer,
der sein Bestes gegeben hat
oder für jene,
die sich dem Sturm ohne Widerstand beugten?

Und immer öfter denke ich,
dass der Kämpfer zum Ende sehr enttäuscht,
vielleicht sogar verbittert war
und ohne Frieden im Innern ging.

Heute vor 11 Jahren
stand ich selbst unmittelbar vor der Entscheidung
zu kämpfen
oder doch lieber das Sterben anzunehmen.
Ich entschied mich zu kämpfen,
weil ich irgendwie das Gefühl hatte,
es lohnt sich noch
und ich habe es geschafft, aus diesem
und danach folgenden Kämpfen als Siegerin hervorzugehen.

Manche halten mich für sehr stark und sagen:
"Du überlebst uns noch alle mit Deinem starken Willen!"
aber ich weiss es besser.
Ich weiss, eines Tages,
werde auch ich keine Chance mehr haben.
Eines Tages
wird mir alle Kraft, alle Verzweiflung
und aller Überlebenswille
nichts mehr nützen.

Wenn dieser Tag da ist,
hoffe und wünsche ich mir,
dass ich es tief in mir spüre,
dass es nun Zeit ist, das Sterben anzunehmen
und dass ich das Kämpfen sein lassen kann
im Vertrauen darauf,
dass alles, wirklich alles
nun in der Hand eines andern liegt…

Ladina, März 2000
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Rinderwahnsinn
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Vor ziemlich genau einem Jahr
begann ich eine Physiotherapie in der Hoffnung,
durch das Kräftigen meiner Beine
das unsicher schwankende Gangbild
erheblich zu verbessern.
Dieses Gangbild, das manche veranlasst,
mich für betrunken zu halten
und das andere gar spotten lässt:
"Ui, schau die da hat Rinderwahnsinn!"
Dieses Gangbild, das mir auch jegliche Eleganz
im Schritt verwehrt
und flinkes Vorwärtskommen verunmöglicht.

Keinen Tag habe ich seitdem meine Übungen ausgelassen,
diszipliniert habe ich viele Stunden geopfert
für die grosse Hoffnung,
es dadurch künftig wieder besser mit dem Gehen zu haben
und zu verhindern, dass Leute sich nach mir umdrehen
und manche "Rinderwahnsinn" sagen.

Nach meinem heutigen Termin aber,
wo die Therapeutin lange mit mir sprach,
ist diese Hoffnung jäh zerbrochen
und es gelingt mir nicht mehr,
die Scherben wieder zu einem Ganzen zu fügen.

Meine Beine zu stärken
hat unbefriedigend wenig gebracht für mein Gangbild.

Ich kann jetzt wohl nur noch
mein Selbstbewusstsein stärken,
um leichter und unverletzter damit umzugehen,
dass Leute mich für betrunken halten
und manche "Rinderwahnsinn" sagen.

Ladina, Mai 2000
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Der wirkliche Lebensretter
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Als ich 12 Jahre alt war
kam der Tod von neuem in mein Leben
und bedrohte mich in meiner Existenz.
Ein guter Hirnchirurg bewahrte mich davor zu sterben.
Der wirkliche Lebensretter aber
ist im Nachhinein gesehen doch der Tod,
das Bewusstsein um ihn
und die Auseinandersetzung mit ihm.
Erst er hat meinem Leben
die Freude und die Tiefe geschenkt,
die ich nie mehr missen möchte.

Ewig leben? Nie! Die Kostbarkeit des Augenblicks
könnte nicht empfunden werden.

Ladina, 11.Juni 2000 (Eintrag ins Gästebuch der Ausstellung Last minute/ Stapferhaus Lenzburg)
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Traum
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Einen Traum aussprechen
so, als würde er bald wahr
das bedeutet,
ihm ein wenig Existenz zu geben
im Herzen eines anderen

Ladina, Beinwil, Juni 2000
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Mitgenommen
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Bin wieder mal zu sehr mitgenommen
und geschwächt
um mitfahren zu können.
Wieder nur dazu da,
allein im Bett zurück gelassen zu werden.

Eines Tages
möchte ich wieder mitgenommen werden können
und mitfahren dürfen
und die Schwäche ganz allein
im Bett zurück lassen

Ladina, 18.Juni 2000 ( nachdem die Teilnahme an der Brückenwanderung wegen 3 versch. Bakterienstämmen im Hals und einem Virus für mich ins Wasser fiel)
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Abhängig
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Tropfen für Tropfen
fliesst Nährlösung durch ein Schläuchlein in meinen Körper.
Wieder bin ich abhängig
von der Hilfe aus dem Krankenhaus,
wieder habe ich es nicht geschafft,
mich allein mit dem zu versorgen,
was ich nötig habe.

Ich sitze da im Sessel
und lasse meine Gedanken fliegen
während ich an der Infusion hänge
wie schon viele Male zuvor.

Ich weiss,
nach der Prozedur
werde ich mich körperlich wohler fühlen,
werde ich neue Kraft in den Gliedern spüren,
werde ich gehen können
und nicht mehr im Rollstuhl gefahren werden müssen,
werde ich dem Leben wieder näher sein.

Doch innerlich ist dieses unstillbare Gefühl
versagt und verloren zu haben,
bleibt die aufdringliche Ahnung,
die so sehr erhoffte Unabhängigkeit vom Spital
wohl nie wirklich zu erlangen
höchstens phasenweise.

Ich fühle mich als Taugenichts,
habe Angst, als willensschwach zu gelten
bei den Starken da im Krankenhaus.

Ich weiss, zu helfen ist ihr Beruf
und viele tun es gern.
Dennoch bleibt da dieses Gefühl
einmal mehr versagt zu haben
im Versuch
mich in der Selbständigkeit
zu bewähren

Ladina, Juli 2000
( zu den Mangelernährungszuständen kam es wiederholt, weil ich wegen Entzündungen des Verdauungstraktes nur wenig essen konnte und ausserdem nicht verwerten konnte)
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Doppelt
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Jeder Infekt trifft mich
doppelt so schnell
doppelt so heftig
doppelt so lange

Medikamente dagegen müssen hoch dosiert werden
haben oft
doppelt so viele Nebenwirkungen
doppelt so starke Nebenwirkungen

Doch jeden Schritt der Besserung
empfinde ich
doppelt so gross

Jede Freude danach fühle ich mindestens
doppelt so tief
doppelt so intensiv

So macht ein Schatten
auf der einen Seite des Lebens
die andere
umso heller
und Optimismus und Dankbarkeit
sind stets von neuem angebracht

Ladina, Juli 2000
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Chronisch krank
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Das Leiden ist
unheilbar

Die Bedrohung ist
unfassbar

Die Angst ist
spürbar

Die Belastung ist
greifbar

Die Zukunft ist
unklar

Das Ende ist
erahnbar

Die Hoffnung bleibt TROTZDEM
unzerstörbar
dem Leben zugewandt

Ladina, Juli 2000
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PEDRO
+++++++

Er lag zur gleichen Zeit wie ich
auf der Isolierstation
Pedro, ca. 40 Jahre alt,
weitgereist aus Valencia in Spanien,
allein, ohne Familie,
bepackt mit all der Hoffnung auf die Hochdosis
im Kampf gegen sein NHL.
Ihm ging es furchtbar schlecht
und mir ziemlich genauso
doch für ihn war es das 1. Mal
ich dagegen hatte Erfahrung.
Noch höre ich ihn stöhnen, so laut,
dass ich es bis zu mir vernahm
und irgendwann hielt ich es nicht mehr aus
trotz wundem Mund teilte ich ihm über die Gegensprechanlage mit, was ich ganz sicher wusste,
dass dieses Elend irgendwann vorübergeht
und er sich wieder wohler fühlen würde.
Durch die Glaswand gab ich ihm etwas Hoffnung an die Hand,
und vielleicht auch etwas Kraft, durchzuhalten.
Wieder und wieder sprach ich die Worte durch die Anlage,
voll überzeugt, dass auch für ihn eintreffen würde,
was bei mir bislang immer neu geschah.
Ich sprach für ihn und irgendwie auch für mich:
"Halt durch, es geht vorüber!"

Gewöhnliche Worte, die durch die Situation
etwas Magisches ausstrahlten.

Er wurde einige Tage vor mir entlassen
und ich sah ihn nicht mehr.
Vergessen habe ich ihn nicht.
Oft hab ich an ihn gedacht in den vergangenen 1 ½ Jahren.
Bei meinen Telefonaten mit der Klinik fragte ich immer nach ihm,
doch die verbohrte Schweigepflicht der Beteiligten
verwehrte mir als Mitpatientin jegliche Auskunft.

Seit dem 13. Juni weiss ich es,
ich erhielt eine Todesanzeige von seiner Frau oder Freundin,
abgeschickt im April. PEDRO ist tot!
"Er starb nach langem Leiden" stand da in Spanisch.
Eine Bekannte hat es übersetzt für mich.

Ich habe weiss Gott schon Dutzende solcher Anzeigen,
amtliche wie private erhalten.
Sie alle lösten Trauer und Bestürzung aus,
doch hier war es mehr.

Obwohl nichts und niemand meinen Namen in der Anzeige erwähnte, empfinde ich sie wie eine Anklage.
Es ist die erste Anzeige, die ich weg geworfen habe nach wenigen Tagen
und nun plagt mich deswegen wieder das schlechte Gewissen
und ich möchte sie wieder haben.
Aber es ist zu spät.

Wieder und wieder denke ich an PEDRO,
dieser Text soll mein Gedächtnis für ihn sein
und mir eine Verarbeitungshilfe.

Ich kann nichts mehr ungeschehen machen,
kein Wort der Zuversicht zurück nehmen,
doch ich hoffe so sehr,
dass er sich durch mich nicht getäuscht,
belogen und betrogen fühlte in der Zeit,
wo es ihm immer schlechter ging.

Ich hoffe so sehr,
dass es für ihn
auch in der langen Zeit des Leidens,
Momente oder Tage gab,
die ihm noch lebenswert erschienen
oder ihm Freude bereitet haben…

Ladina, Juli 2000
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Tagtraumzeit
°°°°°°°°°°°°°°°°

Ich fühle mich vogelfrei und gelöst,
als würde es mir gelingen zu singen
doch es singen nur alle andern
während ich bloss konzentriert zuhöre,
die Melodien in mich aufnehme
und mir vorstelle, mitzusingen.

Ich überlege mir jetzt,
ob es vielleicht so ähnlich auch gelingen könnte,
allein durch die tiefe Vorstellung von Stille
diese trotz des Pfeifens im Ohr
wieder in mir aufzuspüren.

Ob das Glücksgefühl zu singen ohne Stimme,
nicht auch andersherum empfunden werden könnte,
dass ich erholsame Stille finden könnte
inmitten des Lärms,
irgendwo tief in mir,
wo nicht mehr das Ohr und seine Wahrnehmung
von Bedeutung sind,
sondern nur noch die kostbare Fähigkeit
sich zu entspannen,
sich zu (er-)lösen von Lärm und Hektik
und tief in sich selber zu ruhen
und abzuschalten
für eine kleine, aber heilsame Tagtraumzeit

Ladina, Juli 2000 Insel Ufnau
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In mir ist ein Vogel ganz frei
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In mir ist ein Vogel,
der jubiliert vor lauter Freude
über diese besonderen Stunden
die Du mir heute geschenkt hast.

In mir ist ein Vogel,
der seine Flügel wieder spürt
und doch keine Minute daran denkt,
fortzufliegen.

In mir ist ein Vogel,
der ab sofort weiss,
dass Phantasiereisen nicht immer schöner sind
als die Wirklichkeit.

In mir ist ein Vogel,
dem heute der jahrelange Traum von Unbeschwertheit
erfüllt wurde
und der Dir ewig dankbar ist dafür.

Ladina, Freitag, 7.Juli 2000, Tierpark Langenberg
Gewidmet an einen besonderen Menschen in tiefer Dankbarkeit für einen der schönsten Tage in meinem ganzen Leben.
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IV-Dossier
°°°°°°°°°°°°

Da liegt es vor mir, mein IV-Dossier,
ein grosser Brocken zusammen gehefteter bunter und weisser Papiere,
aus ärztlichen Zeugnissen, Gutachten, medizinischen Fakten, aus Beschlüssen, von Kostenerstattungen und Befunden.
Vor allem die Gutachten interessieren mich,
doch nichts ermutigendes oder erbauendes kann ich
darin entdecken.
Worte, eines vernichtender und abwertender als das andere:
labil, tolpatschig, kindlich, unbeholfen in der Bewegung
Zwischenberichte, ohne Hintergrundinfos und alles negativ.
L., Absolventin des PKP-Kurses fällt in übertriebener Hilfsbereitschaft auf, die bisweilen bis zur Distanzlosigkeit ausartete" - dieser Satz kränkt mich am meisten.
Er wirft ein falsches Licht auf mein Engagement seinerzeit
für eine MS-kranke Frau, eine durch und durch ehrlich gemeinte und seriöse Hilfe zur Lebensqualitätsverbesserung der jungen Patientin.
Lauter Gutachten, bei denen kein gutes Haar an mir gelassen wird,
von wildfremden Leuten über mich verfasst,
die mich noch nie gesehen haben,
jedes vernichtende Wort ist noch extra mit Leuchtstift markiert,
damit es auch ja von allen gelesen und zur Kenntnis genommen wird
und dies ist gewiss kein Vorteil für mich.
Es kommt mir vor, wie bei den Scientologen,
sogar noch schlimmer,
denn mir wird kein Kurs angeboten
um mich zu verbessern.
Für einen Moment wünschte ich mir,
ich wäre geistig nicht imstande zu verstehen,
was die Aussage all der Worte ist,
ich müsste den Schmerz über so viel Negatives nicht spüren,
könnte einfach weitermachen,
weiter lachen wie bisher
und müsste nichts davon wissen,
wie schlecht mich diese Leute beurteilt
und damit verurteilt haben.

Ladina, 10. Juli 2000
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Im Zoo
*********

Mit vielen Kindern und Erwachsenen
bin ich heute im Zürizoo,
um die grosse Attraktion, das Elefantenbaby Aischu zu sehen.
Doch auch hier falle ich auf,
argwöhnisch schauen mich die Kinder an,
ihre ganze Haltung verrät, dass ich ihnen nicht geheuer bin
mit den roboterähnlichen Bewegungen.

Aber ich lasse mich davon nicht allzu sehr betrüben,
freue mich aufrichtig an den bunten Fischen
und am Pinguin, der, wie um mich zu begrüssen,
mit dem Schnabel an die Glaswand pocht.
Mir entfährt ob allem plötzlich ein entzückter kurzer Jauchzer.

Dann steht er plötzlich neben mir,
ein Junge, 9 oder 10 Jahre alt.
Offen schaut er zu mir auf und beginnt zu erzählen,
zu erläutern mehr, was er über diesen Pingu weiss.
Er zeigt mir seine Lieblingsfische, die Zitteraale
und ich gehe voller Freude auf ihn ein.
Er sagt: "Komm, ich zeige Dir meine Lieblingsschlange!"
und er wartet geduldig auf mich,
bis ich die Treppe bewältigt habe.
Er fragt nicht mal, warum ich so seltsam gehe,
er nimmt es einfach als gegeben hin
und erkennt mich wohl als seinesgleichen an,
als jemand, der Tiere genauso gern hat wie er selbst.
Meine spontane Bezeichnung "Samichläuse"
für kleine bärtige Äffchen,
nimmt er begeistert auf
und wir grinsen uns an wie Lausbuben.

Für eine Weile gehen wir getrennte Wege,
dann ist er plötzlich wieder neben mir,
als ob er mich gesucht hätte
und wir amüsieren uns beide über die lausigen Affen
und über die Pfauenmama, die mit 4 Küken
auf den Fusswegen unterwegs ist.

Dieser Bub hat etwas Behutsames
in seinem ganzen Auftreten,
der Pfauenmama gegenüber wie auch mir.
Er ist sensibel, aber nicht überfürsorglich
und er macht mir mit der Selbstverständlichkeit,
mit der er mir begegnet,
soviel Mut.

Ich weiss nur wenig über ihn,
habe es sogar versäumt, nach seinem Namen zu fragen,
aber er wird mir in Erinnerung bleiben
als ganz besonderer Bub
der mir zu einem Hoffnungsträger wurde

Ladina, 17.Juli 2000
Zuletzt geändert von Ladina am Mo 19 Aug 2019 19:33, insgesamt 9-mal geändert.

Ladina
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Aus meinem 7. Gedichteband - Am Ende bleibt die Dankbarkeit - Teil 1

Beitragvon Ladina » Mi 14 Mär 2007 13:50

Aus meinem 7. Gedichteband - Am Ende bleibt die Dankbarkeit - Teil 1

Am Ende bleibt die Dankbarkeit
************************************

Am Anfang ist es wie ein Todesurteil,
wie die schlimmste Strafe, die es gibt
und die keine Rücksicht nimmt
auf Zukunftspläne und Träume.
Die Krebsdiagnose ist wie ein Tornado,
der alles Bestehende über den Haufen wirft
und dem Erdboden gleich macht,
und welcher Zerstörung, Chaos, Verzweiflung
Schrecken und Not zurücklässt
und einem allein die Last aufbürdet,
mit allem fertig zu werden.

Mit der Therapie beginnt erst recht
die Zeit der Hölle,
mit vielen Monaten,
in denen der Kampf im Vordergrund steht,
um eine winzige Verbesserung,
die lange auf sich warten lässt.

Es folgen leid- und schmerzvolle Tage,
die nicht nur 24 Stunden sondern weit länger zu dauern scheinen,
und nur die Hoffnung, mühsam aufrecht erhalten
wie ein Segel ohne Wind,
gibt noch Antrieb weiter zu kämpfen.

Es ist wie ein wandeln in finsterer Schlucht
und immer donnern neue Felsbrocken nieder,
die zu überwinden sind.

Beim steilen Weg hinauf,
hinaus aus der Dunkelheit dieses Tals der Krankheit,
erfreut einen jeder noch so kleine helle Schimmer,
berührt einen jede Blume im Geröll.

Wer den Weg hinaus zu meistern vermag,
wer entkommt aus der dunklen Schlucht
ist um eine wichtige Erfahrung
und um viele Freuden reicher.
Alles Schwere ist eines Tages nur noch Erinnerung,
die ihren Schrecken zwar nie ganz verliert,
aber Positives fürs weitere Leben bewirkt

Am Ende bleibt die Dankbarkeit

Ladina, Vallorbe, 21. Juli 2000

Optimismus
**************

Neben dem Glück, das ich fühle,
seit mein Geruchsempfinden wieder zurück ist,
steckt auch die Frage in mir,
ob mein positives Denken und der Optimismus
zu diesem Zurückkommen beigetragen haben,
oder anders, ob es auch wieder gekommen wäre
ohne diesen Glauben oder diese Hoffnung?

Doch niemand kann das sicher beantworten,
niemand kann das wirklich wissen.
Sicher aber weiss ich,
dass positives Denken und Hoffen
die Zeit des Wartens für mich erleichterte
und hilfreicher war als ewiges Trübsal blasen.

Diese ferne Hoffnung,
von der niemand sicher wusste,
ob und wann sie sich erfüllen würde,
war für mich wie das Licht am Ende des Tunnels.
Es erhellte zwar nicht den Weg darin,
der blieb dunkel wie zuvor,
aber es erleichterte die Schritte auf diesem Weg,
gab mir einen Hinweis auf die Richtung,
schenkte mir ein Stück weit Orientierung
und war einfach da als ein Glanz der Zuversicht.

In vielem habe ich schon Optimismus bewahrt
und manche nennen mich naiv deswegen,

Aber diese Leute wissen nur noch nicht,
dass Optimismus auch dann noch trägt,
wenn alle Stricke reissen
und jede Brücke ins Wohlbefinden
vom gegenwärtigen Schicksal fortgespült wurde.

Vielleicht erst,
wenn sie in eine gleiche Lage geraten wie ich,
werden solche Menschen begreifen,
dass der Glaube an eine positive Zukunft
der Grundstein ist
für den Lebensmut
trotz schwerem Los

Ladina, Juli 2000

Ver(w)irrt
::::::::::::::::

Verirrt im Nirgendwo einer grossen Stadt,
da, wo mir nichts mehr bekannt vorkommt,
wo kein Strassenname, kein Haus, kein Geschäft
meine Erinnerung wachkitzelt,
wo die Orientierung auf der Strecke bleibt.
Keine Telefonzelle und kein Mensch, der mich offen anschaut,
den ich nach dem Weg (wohin?) zu fragen wagte.

Hin und Her, auf und ab laufen wie ein Tier,
das einen Ausweg sucht aus seinem Käfig.
Eingesperrt in meiner eigenen Schwerfälligkeit,
nicht mehr kombinieren und logisch denken können,
eingesperrt in der Unfähigkeit,
Stadtpläne zu durchschauen und umsetzen zu können.

Verwirrt. Verirrt!

Kirchturmuhren zeigen mir, wie die Zeit vergeht,
ohne dass ich dem Ziel näher komme,
mehrmals laufe ich wohl im Kreis,
ohne dass ich es merke und mein Tun beende.
Ich fühle mich immer verlorener,
preisgegeben der Willkür unseriöser Leute,
die jetzt höhnisch hinter mir her pfeifen.

Ich schwitze, bin voll Panik, falle hin.
Erschöpft, atemlos, ohne eine Idee, wie ich herausfinde
aus diesem Irrgarten.
Alles um mich gibt mir Rätsel auf
und ich finde nicht eine einzige richtige Antwort.

Es hört sich an wie die Schilderung eines bösen Alptraums,
doch es ist immer wieder bittere Realität!

Ladina, Juli 2000 (Verwirrungszustände sind hier die Folge einer Hirnverletzung, bzw. einer vorübergehenden Überforderung meiner Wahrnehmung)

Wunsch zu Vergessen

Bisweilen passiert es mir,
dass ich nachts, wenn ich endlich mal schlafe
von Empfindungen aufgeschreckt werde,
die der wahre Horror sind.
Empfindungen, deren Ursachen in Wirklichkeit
längst behoben sind,
deren Auslöser jetzt nicht mehr existieren
aber deren Schrecken mich nach wie vor beschäftigen
tief innen in der Seele.
Gar manches davon hängt mit der Hirntumor-OP zusammen,
dem nahezu dunkelsten Kapitel in meiner Krankenakte
und immer wieder steigt das alles in mir auf.
Die langen Tage und Nächte auf der IPS.
der höllische Durst und tagelang nichts trinken dürfen,
wegen der Gefahr der Wasseransammlungen im Gehirn,
aufgesprungene Lippen und wie die Zunge, die anklebt,
mir Brechreiz und Erstickungsangst auslöste.
Ich erlebe das Grauen so nah,
wenn ich spüre, wie das Hirnwasser aus dem
Bohrloch am Schädel sickert, das lange nicht zuwachsen wollte.
Ich erlebe die Pein, wenn dieses Loch wieder und wieder
aufgekratzt wird um Infektionsherde anzugehen.
Ich erlebe den Schauer, wenn ohne Vorwarnung
hinterrücks so ein Angriff vorbereitet wurde und höre die Geräusche der Instrumente, deren Klang mir fast den Atem rauben, mich Stunden vor Schreck wie gelähmt zurücklassen.
Ich fühle den Ekel über all das Unappetitliche,
das an mir ist und an mir geschieht.

Vieles, was ich hinter mir habe,
schrieb ich mir von der Seele, immer wieder,
doch dies alles noch nie,
weil es einfach zu schrecklich war, es zu tun
es mir und anderen zuzumuten.

Und jetzt tue ich es doch,
im Wunsch, es hoffentlich danach zu vergessen,
weil ich spüre, dass es mich nicht loslässt,
wenn ich es verschweige und weiter verdränge
und weil ich endlich wieder ruhig und ohne Angst schlafen will,
so wie früher, bevor dies alles war.

Ich weiss, dieser Eingriff in mein Gehirn war nötig
um mein Leben zu retten
und ich bin dem Mann, der das tat, auch lebenslang dankbar,
doch ich wünschte,
er hätte mitsamt dem Tumor
auch die traumatisierenden Erinnerungen entfernen können,
die mir die Schrecken dieser OP stets
überdeutlich zurückrufen.

Auf dem Krankenblatt steht irgendwo,
dass seit dieser Operation 19 Jahre vergangen sind,
dass sie nach 2 jährigen Schwierigkeiten
mit einem Bohrloch
letztendlich als durchwegs gelungen erachtet werden kann.
Es stehen Auskünfte dort über den Tumortyp, welche Medikamente ich wie lange nahm
und wie sich mein physischer und psychischer Zustand
seitdem präsentierte und veränderte.

Was ein Mensch, in meinem Fall ein Kind
aber seelisch erlebt
und nach seiner Genesung davon trägt
das steht in keinem Befund
- und hat zu jener Zeit auch keinen interessiert.

In diesen Berichten werden nur objektive Tatsachen vermerkt,
subjektive Gefühle aber können nicht auch noch
berücksichtigt werden.

Sie bleiben darum oft unerkannt und unbenannt
wie Marterpfähle
in der Seele verborgen…

Ladina, Juli 2000

Doppelt sehen
°°°°°°°°°°°°°°°°°

Mit Doppeltsehen, Gangstörungen und
motorischen Ausfällen hat es damals begonnen
bevor zum "guten" Schluss
der Hirntumor in meinem Kopf gefunden wurde.

Während der Therapie blieben die Symptome bestehen
und schränkten mich enorm ein.
Nicht einmal mein Hobby Kuchenbacken
konnte ich weiter pflegen,
ich war ungeschickt geworden und wenn ein Ei auf der Ablage war, sah ich deren 2 oder 2 ½ und griff ewig daneben.
Doppelt sehen, dass hiess damals,
alles verwackelt und unscharf wahrnehmen,
keine Sache mehr fixieren zu können,
oft anecken oder stolpern.

Nach der Operation verschwand der Schwindel allmählich, die motorische Unsicherheit wurde in der Krankengymnastik verbessert, das Doppelt sehen konnte mit einer Augenbinde langsam aber sicher zum Verschwinden gebracht werden
und so lebe ich 19 Jahre nach der Operation
noch immer und immer noch gerne.

Heute sehe ich in anderer Weise wieder doppelt
oder besser, ich sehe doppelt hin.
Liegt heute auf der Küchenablage ein Ei,
so sehe ich auch nur eines
und ich schaue es lange an und bin einfach fasziniert,
dass ich es wirklich sehen kann so, wie es ist
und es auch andere sehen.
Nicht verschwommen, nicht verzerrt, nicht doppelt,
eben einfach so, wie es jeder sieht
und eben doch etwas anders!

Ladina, Juli 2000

GEDANKEN
***************

Es gibt Gedanken um Dinge, die veränderbar sind,
Gedanken, die man weiterdenken kann,
die einen weiterbringen oder beflügeln,
die lange genug überdacht und bearbeitet
eine Lösung herbeiführen,
etwas zum Guten wenden
oder Befreiendes bewirken können.
Das sind die wertvollen Gedanken.

Aber es gibt auch Gedanken um Dinge,
die sich nicht ändern lassen.
Gedanken, die unfruchtbar sind,
die sich stets im Kreise drehen
und an Ort und Stelle bleiben.
Gedanken, die niemals aus dem dunklen Loch herausführen,
sondern einen sogar noch tiefer hinein manövrieren
und die einem das ganze Schlammassel
und die Aussichtslosigkeit zu entkommen
erst recht bewusst machen.
Das sind die sinnlosen Gedanken.

Beide tauchen in meinem Kopf bisweilen auf,
aber ich sorge dafür,
dass die sinnlosen nicht allen Raum und alle Tage ausfüllen.
Die Verzweiflung, die Fragen, auf die es keine Antwort gibt,
sie kehren immer wieder bei mir ein
aber ich rufe sie nicht,
ich fordere ihr Kommen nicht heraus.
Ich verzichte darauf, sie tagtäglich zu bearbeiten,
sie durchzukauen, ohne sie verdauen zu können,
ich will nicht nur um sie herum existieren.

Es zieht mich fort,
weit weg von diesen Fragen,
irgendwohin, wo nur noch das Leben
in der Gegenwart zählt,
und auch das Vergnügen daran.
Ohne leichtsinniges Verhalten zu üben
oder zuviel zu riskieren
gehe ich immer ein paar Schritte über diese Grenze hinaus,
die meine Lebensweise einengt.

Trotzdem scheue ich die Auseinandersetzung
mit den sinnlosen Fragen nicht,
wenn sie von sich aus aufsteigen.
Ich kann sie akzeptieren, als einen Teil von mir,
der von Zeit zu Zeit ganz natürlich zu jedem kommt,
der wie ich eine Erbkrankheit hat.

Doch freiwillig suche ich sie nicht,
weil sie eine Folter sind,
mit der man sich selbst nur quält
und die das Leben erschwert.

Schritt für Schritt übe ich mich stattdessen darin,
meine Erbkrankheit selbst
als einen Teil von mir zu akzeptieren
und die Fixpunkte,
die unser Schöpfer in meinen Lebensplan geschrieben hat
nicht anzuzweifeln oder Gott dafür anzuklagen,
sondern ihm zu danken dafür,
mein Leben, so schön es immer wieder ist
leben zu dürfen.

Ladina, Juli 2000

Traumsequenzen
**********************

Mit einer inneren Beunruhigung vor der angekündigten PE,
doch nicht wirklich voller Angst
so ging ich gestern Abend zu Bett.
Noch ein paar Gedanken,
die das Bevorstehende streifen,
aber dann Abschweifen in Erinnerungen an schöne Tage,
bis dann der Schlaf mich vom Bewusstsein wegträgt.
Und plötzlich sind sie wieder da -
die Bilder und Ereignisse aus der Zeit der Hölle.
Die NADELN, mit denen ich hundertfach gestochen wurde,
die TROPFS, und ihr Schrillen alle 3 Sekunden, das sowohl
Panne wie Ende der Infusion anzeigte und schlaflose Nächte
unter Anspannung zur Regel machte.
Die Chemo ist zurück, die grün und rot leuchtenden Zahlen am Monitor,
die Schmerzen im Beckenkamm, wenn eine Punktion wegen der Verknöcherung nicht problemlos möglich war.
All diese Nöte, all die Angst und all die Schmerzen sind zurück
doch ich schreie nicht -
Es ist in diesem Alptraum nicht anders als in der Realität-
man hält es aus, mit zusammengebissenen Zähnen und
verkniffenen Lippen,
weil man weiss, diese Eingriffe ermöglichen das Leben.
Nur ganz tief innen lösen sich Tränen,
wie ein kleines Geheimnis, das davor schützt,
von ihnen noch mehr verletzt zu werden
und einem gleichzeitig dazu verhilft,
dennoch ein eigenes Gefühl zuzulassen

Ladina, August 2000

Gestreifte Gedanken
¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦


Seit Tagen kreisen in meinem Kopf gestreifte Gedanken,
weiss-schwarz gestreifte Gedanken
um diesen neuen Knoten in meinem Körper,
der noch keinen Namen hat und allen unheimlich ist.

Die weissen Gedanken sind jene der Hoffnung,
der Hoffnung, dass das Gewebe gutartig ist
und sie mich wieder frei lassen nach der Operation.

Die schwarzen Gedanken aber fürchten zu Recht,
dass es bösartig ist, dass es wieder Krebs ist,
dass all die Schrecken
schon wieder Bestandteil meiner Gegenwart werden.

Die weissen und die schwarzen Gedanken wechseln sich ab.
Hoffnung hilft, das Warten zu ertragen,
doch ich möchte auch auf das "Schlechte" vorbereitet sein,
soweit das überhaupt möglich ist,
möchte mir klarer werden,
was ich im negativen Falle zu tun habe.

Bevor mir die schwarzen Gedanken aber zu viel werden,
betrete ich die Brücke hinüber ins weisse Areal,
diese Brücke, die mir vermittelt: "Es kann auch anders sein"
und dann flaniere ich eine Weile im Sektor der Hoffnung
und denke: "Es ist sicher nichts!"

Aber der Angst kann ich nicht entkommen.
Plötzlich stehe ich wieder auf der Brücke,
die mir ihre Botschaft ins Gedächtnis prägt
und mir klar macht: "Es kann auch anders sein"
und schon bin ich zurück auf der schwarzen Seite
und weiss, es kann bösartig sein!

Leicht ist es, die Brücke zu betreten
wenn sie in die Hoffnung führt.
Schwer aber, wenn sie ins Verderben leitet…
Und doch ist diese Auseinandersetzung
mit beiden Möglichkeiten wichtig.

Noch kann ich um ein Gleichgewicht kämpfen
um Balance zwischen den weissen
und den schwarzen Gedanken,
aber wenn der Knoten unten in der Scheide
einen Namen bekommt in wenigen Stunden,
wird es nur eine Gewissheit geben:
Entweder jene, die ich erhoffte
oder die, welche ich befürchtete.

Die Brücke, die sagt: "Es kann auch anders sein"
die gibt es dann nicht mehr.

Am Ende bleibt nur noch
Lachen
oder
Weinen

Ladina, August 2000

Es müsste Lachen sein
***************************

Soeben wurde mir das Ergebnis der Gewebeprobe
durch den Arzt mitgeteilt
mit allen dazugehörigen Nebeninfos,
die von Bedeutung sind.
Ich nehme es ohne äussere Reaktionen auf,
weil es einfach noch zu viel ist,
was da an Gefühlen auf mich einstürzt.
Erst als ich wieder alleine im Raum bin,
folgt die Reaktion unerwartet heftig.

Es müsste Lachen sein,
denn der Tumor ist gutartig, ein sog. Angiolipom.
Es müsste Lachen sein,
denn das Leben geht weiter.
Es müsste Lachen sein,
denn ich muss nicht stationär im Spital bleiben.
Es müsste Lachen sein,
denn die Natur und ihre Freuden liegt direkt vor meiner Tür.

Es müsste Lachen sein,
aber es ist Weinen.
Weinen wegen der Belastungen,
die mir stets neu aufgebürdet werden.
Weinen, weil die ausgestandenen Ängste
auch im Nachhinein noch heftig schmerzen.
Weinen, das kein Anwesender nachvollziehen kann,
dessen Auslöser man nicht sehen kann.

Es wird alsbald ein Lächeln werden,
doch zuerst muss sich die Spannung
in meinem Innern lösen

Ladina, August 2000

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Ein fürchterlicher Schmerz
*******************************

Ein fürchterlicher Schmerz durchfährt mich
beim Drainageziehen aus meiner Wunde.
Ein Schmerz,
der förmlich ausschlägt in viele Regionen meines Körpers
und der noch anhält, lange, lange Tage danach.

Für jedes Wehwehchen
gibt es doch sonst heute ein Schmerzmittel,
für jedes Hühnerauge-Herausschneiden,
für jedes Loch-Flicken beim Zahnarzt.

Dieser grässliche Schmerz beim Redon ziehen aber,
erfährt nie eine Linderung,
dieser grässliche Schmerz, den so viele beschreiben
und erleiden,
der sich anfühlt, als würde einem die Haut abgezogen
oder so, als dränge ein Messer ins Fleisch.

Ausgerechnet dieser wirklich heftige Schmerz
ist es offenbar keinem Forscher wert,
eine Substanz zu suchen, die erschwinglich und rentabel ist
und dieses Schmerzempfinden kurzfristig betäuben könnte.

"Jetzt gibt es einen kleinen Ruck
und dann ist es auch schon vorbei!"
das ist der verharmlosende Satz, den man vorher zu hören kriegt,
aber vorbei ist es danach nur für den, der das Redon
gezogen hat.

Für uns Patienten bleibt dieser Schmerz und
seine Nachwehen noch lange fühlbar
und kein Trost und keine Aufmunterung,
keine Wärme und keine Kälte
können ihn noch wirklich lindern danach.

Ladina, August 2000

Sooo lange Haare
**********************

Wer meine Frisur sieht und nichts von mir weiss,
denkt oder sagt von mir: Sie trägt ihre Haare kurz!

Wenn ich selber über meine weichen, welligen Haare fahre,
so denke ich: Es sind so viele und sie sind so lang.

Heute am Flughafen, wo ich meine Schwester abholte,
bestätigte sich meine Ahnung,
denn gleich nach der Begrüssung
stellte sie freudestrahlend fest:
"Soo lange Haare hast Du schon lang nicht mehr gehabt!"

Die umstehenden Unwissenden aus ihrer Gruppe
sehen mich an und denken sicher: es war ein Scherz

Die aber, die Bescheid wissen
freuen sich alle

Ladina, August 2000

Braucht Lebensfreude Drogen?
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

"Lebensfreude in Reinkultur" sei die Street-Parade in Zürich,
so formuliert es die Nachrichten-Sprecherin im Fernsehen
mit leuchtenden Augen und einem Lächeln
und berichtet im gleichen Moment von Drogen,
Extasy- und Thaitablettenkonsum,
um auszuflippen und sich in Trance tanzen zu können.
Sie berichtet ebenso von dröhnender Musik,
die ohne Ohrenstöpsel das Gehör zu schädigen vermag.

Und ich höre das alles
und begehre ob ihren Worten innerlich auf.

Braucht echte Lebensfreude Drogen?
Ist es nicht vielmehr die Flucht vor dem Leben
und die empfundene Sinn- und Lustlosigkeit,
die das Verlangen nach Drogen weckt?
Nach Drogen, die die Sinne vernebeln
und die natürliche Wahrnehmung verändern?

Lebensfreude in Reinkultur, das heisst für mich:
Das Leben an- und wahrnehmen und schätzen,
so wie es ist,
mit vertrauten Menschen zusammen sein
oder irgendwo in der Natur sein,
fernab von jedem Rummel.
Einfach, mich und das Leben in mir spüren
und schwelgen im Glück
noch da zu sein

Ladina, 13.August 2000

Block
*******

Block - ein alltägliches Wort für viele,
ein Wort, bei dem die meisten Leute
an ein Mehrfamilienhaus
oder an einen Schreibblock denken.

Block - für mich hatte dieses Wort über Jahre hinweg
stets von neuem
einen Zusammenhang mit Chemotherapie

Vom 1. bis zum 15. Block
bedeutete es vor allem Hoffen und Bangen,
Brechen, Haare verlieren, tagelang am Tropf hängen,
Alleinsein, abmagern, Kraft verlieren, Schmerzen haben,
keine Privatsphäre mehr haben, immer aufs Klo müssen,
kaum zur Ruhe kommen und manchmal dem Tod näher sein als dem Leben.

Und ganz egal, wo und wann ich dieses Wort heute höre,
steigen all diese Erinnerungen daraus auf in mir,
wie eine dunkle schwere Wolke,
die sich vor die Sonne schiebt
und sie eine Weile hinter sich versteckt.

Werde ich jemals wieder ein normales Verhältnis
zu diesem Wort haben können?
Wird es mir möglich sein, zu vergessen,
was dieses Wort über Jahre für mich bedeutete?

Ladina, August 2000

Sehnsucht
*************

Da kommt sie strahlend, braun gebrannt und gesund
aus ihren 3-wöchigen Veloferien zurück,
sprudelt vor Glück,
erzählt und erzählt begeistert,
nimmt mich so im Nachhinein ein wenig mit
auf ihre Fahrradtour durch Frankreich.
Und ich bin dankbar und neidisch zugleich.

DANKBAR, dass ich als ihre Schwester
als erste ihre frischesten Ferienerlebnisse hören
und später gewiss auch ihre Fotos anschauen darf
und NEIDISCH, weil meine eigenen Möglichkeiten
nicht über die Rolle der Zuhörerin und Betrachterin
hinausgehen,
weil ich bloss immer dazu verdonnert bin,
die Ferienerlebnisse und Erinnerungen anderer zu teilen.

So schön auch dies oft ist für mich,
so schwer ist es auch
immer zurückbleiben zu müssen,
wenn andere wegfliegen oder wegfahren
in ein anderes Land.

Gerade in der Ferienzeit
wird meine Sehnsucht oft übergross
es all den vielen gleich zu tun,
meine Krankheit einfach abstreifen zu können
sie gegen die Gesundheit tauschen
und alle Möglichkeiten vor mir zu haben,
die Länder meiner kühnsten Träume zu bereisen.

Ladina , August 2000

Schwestern
°°°°°°°°°°°°°


Wir sind Schwestern,
jede von uns beiden nimmt Anteil am Leben der anderen.
Aber wir sind grundverschieden.
Sie ist kerngesund
und ich bin chronisch krank,
sie geht als Siegerin durchs Leben,
ich hinke immer hintendrein,
sie kommt problemlos vorwärts,
mir werden ewig Steine in den Weg gelegt
sie spricht mehrere Fremdsprachen fliessend
und ich (im Moment) nicht mal meine Muttersprache
sie ist tüchtig
ich bin hinfällig
sie hat Erfolg im Beruf und eine gutbezahlte Stelle
ich bin IV-Halbrentnerin, werde unter dem Existenzminimum entlöhnt und muss sehr froh sein, meine Stelle halten zu können,
sie kann reisen, wohin sie will,
ich kann das schon lange nicht mehr
sie plagt mir gegenüber manchmal das schlechte Gewissen
und ich bin manchmal neidisch auf sie und ihre Gesundheit, obwohl ich weiss, dass sie genauso wenig für ihr Befinden kann wie ich für meines.
Sie hat einen festen Freund
und ich bin schon lange solo.

Trotzdem,
wer denkt, nur ich würde unter all dem leiden,
der irrt.
Es ist für uns beide schwer,
nicht in derselben Art und Weise
aber es ist schwer.

Wir sind Schwestern und wir sind uns nicht egal.

Ladina, August 2000

Sinnsuche
************

Es gibt Menschen, die kilometerweit rennen können
oder solche, die über mehrere Wochen mit dem Fahrrad
in der Weltgeschichte rumstrampeln
und hinterher immer noch fit sind
und wenn ich mir auch manchmal wünsche,
dies auch so zu können,
richtig tauschen möchte ich nicht mit ihnen.
Ich habe nicht den Wunsch, jemandem meine Krankheit anzuhängen und stattdessen seine Gesundheit zu übernehmen,
aber zuweilen stelle ich mir vor,
dass es schön wäre,
meine Krankheit für eine Zeit lang
in einem Schrank zu deponieren,
diesen fest verriegeln zu können
und solange gesund zu sein,
bis wieder genug Kraft da ist,
das Leben als kranker, junger Mensch vertragen zu können.

Doch vielleicht wächst diese Kraft,
auch wenn ich nicht immer davon überzeugt bin,
ja letztendlich doch gerade
im täglichen Leben mit der Krankheit heran?

Ladina, August 2000


Notwendigkeiten
*******************

Ein bleischweres Gefühl sitzt seit 8 Tagen auf meinem Brustkorb,
ein beklemmendes Gefühl, ähnlich der Todesangst,
ein Gefühl, als stünde der Weltuntergang bevor.
Ein Gefühl, als seien alle Fenster und Türen verschlossen,
durch die ein Freudenstrahl oder Hoffnungsschimmer
in mein Innerstes vordringen könnte
um die Starre zu lösen und das Dunkel in der Seele
zu erhellen.
Und ich weiss nicht mal, warum,
ich habe doch gute Neuigkeiten,
ich muss mich doch freuen und jubeln
doch ich kann es nicht.

Ich komme mir so undankbar vor in diesem Zustand
und möchte doch so gern lebensfroh und dankbar sein.
Aber die Starre bleibt in mir
und die eingeklemmte Luft, die meine Sprache
so abgehackt tönen lässt,
dass alle erschrecken, sogar ich,
sie findet nicht den Weg zurück.

Ich verstehe mich psychisch nicht mehr
und sprachlich nur, weil ich weiss, was es heissen soll,
die anderen Leute finden es mühsam,
mich zu verstehen und gehen mir aus dem Weg.
Eigentlich gehe auch ich.

Aber ein Mensch bleibt da,
setzt sich zu mir ins Dunkle und bringt eine Kerze mit,
die warmes Licht verströmt.
Dieser Mensch schenkt mir Halt, Nähe, Geborgenheit, Zeit,
Ruhe, ein offenes Herz und Ohr und flösst mir
Vertrauen ein.

Notwendigkeiten, die die innere Not wenden
und Ängste lindern.
Notwendigkeiten, die das wichtigste sind in schwerer Zeit
und gleichzeitig das Letzte,
was man im Normalfall,
von seinen Mitmenschen erwarten kann.

Umso kostbarer sind einen die wenigen,
die solches noch zu geben vermögen

Ladina, August 2000

Ein besonderes Erbe
*************************

Ich erbte etwas, das niemand wollte
könnte man wählen
und ich kann es nicht einmal fortgeben
oder wegwerfen.
Ich erbte eine unheilbare Krankheit
und sie ist und bleibt mein ganzes Leben in mir,
bedroht und zerstört dieses Leben auf Raten.
Es heisst, ich werde nicht alt,
aber wie lange ich genau noch lebe,
kann niemand wissen.

Es ist ein aussergewöhnliches Erbe
und doch bin ich nicht die einzige,
viele Menschen sind gleich oder ähnlich betroffen
und wie alle andern gewöhnlichen Erben,
die ein Vermögen oder eine Liegenschaft
überschrieben bekommen,
haben auch wir Erbkranke die Aufgabe,
unser Erbe sinnvoll zu verwalten
es in unsere Existenz einzubinden,
und das Beste draus zu machen
was im LEBEN möglich ist

Ladina, August 2000
in Erinnerung an Judith Habick (30.10.1975 - 01.05.2000),
Hildegard di Chello, Roger Brändli,, Philipp Stark

Antibiotika
************

Schnelle Ermüdbarkeit
Rückenschmerzen und Verwirrtheit
das gehört zu meinem Befinden seit längerer Zeit,
ist ärztlich abgeklärt und gehört jetzt einfach dazu.
Doch dann
ein unerklärlicher Fieberschub,
Alarmstufe rot für jemand wie mich.
Ich muss sofort zum Arzt, Sputumprobe, Blut- und Urinanalyse,
danach Klarheit: Zystitis und wieder Antibiotika.
Schon wieder Antibiotika!
Anti - Gegen
bio - Leben
gegen wessen Leben??
Gegen das der Bakterien - natürlich ich weiss,
aber mir jeder nötigen Einnahme fühle ich mich so,
als würden die Antibiotika mich bekämpfen,
mein Leben auslöschen wollen.
Bauchweh, Durchfall, Übelkeit, Geschmacksveränderungen, Schwindel, Müdigkeit, Juckreiz……..
alle Nebenwirkungen folgen auf Kommando,
jedes Mal aggressiver,
erschöpfen mich total
und das Leben erscheint so schwer und freudlos.

Die Infekte, die ich erleide, werden immer häufiger,
die Intervalle zwischen den Medikationen immer kürzer,
die Abneigung gegen diese Antibiotika immer heftiger,
die Hoffnung, ohne sie leben zu können, immer weniger
der Wunsch, sie nie mehr nehmen zu müssen, immer grösser

Ladina, August 2000

Einsicht
*********

Wie hatte ich mich gefreut am Tag meiner Abschlussuntersuchung
und der Entlassung aus dem Spital und der
Langzeitbehandlung.

Endlich die Sonderstellung abwerfen,
wie alle andern sein,
nichts stets am Zügel der Ärzte traben,
mehr Zeit für eigene Bedürfnisse haben
und vielleicht vergessen,
die Zeit des Krankseins als alte Geschichte abhaken
und offen sein können für Neues.

Jetzt, nach mehr als einem halben Jahr, sehe ich ein,
dass vieles Illusionen sind:
Die Sonderstellung werde ich nicht los
und wie alle andern sein, überfordert mich,
immer wieder treten Beschwerden auf,
die den vorübergehenden "Besuch" im Spital erforderlich machen.
Die Zeit des Krankseins ist immer noch nicht abgehakt,
eigene Bedürfnisse sind oft genug auf Eis gelegt
und manchmal erfrieren sie dabei.

Viel Neues darf ich wohl nicht erwarten.
Ich glaube, ich muss verstärkt lernen
offen zu bleiben
für Altes, schon Dagewesenes
immer Wiederkehrendes…

Ladina, August 2000
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Aus meinem 7. Gedichteband - Am Ende bleibt die Dankbarkeit - Teil 2

Beitragvon Ladina » Sa 6 Okt 2007 13:20

Aus meinem 7. Gedichteband - Am Ende bleibt die Dankbarkeit - Teil 2

Mir ist Zeit geschenkt
*************************
Mir ist Zeit geschenkt,
Zeit, die vielen andern fehlt,
die andern knapp wird,
ob so vielen Beschäftigungen und Pflichten.

Mir ist Zeit geschenkt,
Lebenszeit, wie sehr hatte ich sie mir gewünscht,
doch nun entspricht sie so gar nicht meinen Vorstellungen,
die Enttäuschung ist gross,
verhasstes Selbstmitleid macht alles noch schlimmer.

Mir ist Zeit geschenkt,
Zeit, die ich nicht nutzen kann,
die ich nicht sinnvoll füllen kann,
die nichts von dem enthält, was ich mir erträumte.

Mir ist Zeit geschenkt,
Zeit, in der ich nichts tun kann, ausser im Bett zu liegen,
zu hoffen und zu beten,
dass das Fieber sich senkt, die Entzündung abheilt,
die Schmerzen vergehen, die Traurigkeit weicht,
die Einsamkeit dem Gefühl des Geborgenseins Platz macht.

Mir ist Zeit geschenkt,
ein Übermass von 24 Stunden pro Tag,
die praktisch ohne Inhalt bleiben.

Ich sehne mich nach einem Gespräch,
es dürfte Stunden dauern,
doch ich störe nur die Betriebsamkeit der meisten
und mein Stottern verunmöglicht ein entspanntes Reden.

Ich sehne mich so sehr danach,
irgendwo gebraucht zu werden,
irgendwo als Glücksfall betrachtet zu werden
mit meiner Verfügbarkeit.

Ich wünsche mir,
meine langsam verkümmernde Kraft und Energie
irgendwo zu investieren, wo es Sinn macht,
wo meine lange Zeit Sinn macht
und mein Leben.

Ladina, September 2000

Ferien
********
Obwohl ich eine reguläre Arbeitsstelle habe
bin ich nur wenige Wochen im Jahr wirklich dort
und obwohl ich insgesamt nur wenige Wochen
dort arbeite,
darf ich noch Ferien beziehen.
Manche im Geschäft denken,
dass ich ein angenehmes Leben habe
und der Bequemste machte heute seinem Ärger Luft
und sagte zu mir: Tja, ich wollte auch, ich hätte Krebs,
dann hätte ich es so schön wie Du!"
Er hat ja keine Ahnung und um ein Haar hätte ich ihm empört eine geknallt, doch ich war zu geschockt,
Ich kann ihm nichts erklären, ohne dass mir vor Erschütterung
die Sprache zittert.
So herrlich, wie es scheint nach aussen, ist es nicht,
denn fast immer wenn ich nicht beruflich arbeiten kann,
laboriere ich mit meiner Krankheit,
oder verarbeite den Stress mit ihr, ihre Folgen, ihre Last
oder ich bin im Spital oder permanenter Arztbehandlung,
erhalte Therapie, kämpfe gegen die Nebenwirkungen,
habe irgendeine Entzündung oder einen Ausfall.
Von Pause, Erholung, Flonerleben und Gemütlichkeit
kann keine Rede sein
und ich brauche die Ferien so dringend,
wie jeder andere im Full-Time-Job.
Und wenn auch die Krankheit
in den Ferientagen keine Pause macht,
so kann ich doch die etwas besseren Tage
ohne schlechtes Gewissen
wieder einmal nur für mich selber nutzen,
mir vielleicht einen Traum erfüllen
und dafür sorgen,
dass mein Notproviant-Säckchen für die Seele
neuen Inhalt bekommt.

Ladina, September 2000
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Am Brunnenrand
*********************
Ich sitze da am Brunnen bei der Ref. Kirche in ZH Altstetten,
der mich durch sein munteres Sprudeln
geradezu magisch angezogen hatte.
Ich sitze am Rande und schaue ins Wasser,
wo neben herbstlich verfärbten Blättchen
auch Insekten vor sich hintreiben.

Manche von ihnen sind schon tot, andere zappeln noch.
Ohne zu zögern, mache ich mit dem Finger Bergungsversuche,
überlege erst kaum,
aber dann beginne ich dennoch zu selektionieren.

Im Wasser sind eine Hummel, 2 Ameisen,
2 Mücken und eine Fliege und all deren Beine
ringen verzweifelt um Hilfe,
manche zucken nur noch schwach,
die Ameisen und die Hummel zappeln schnell, noch voller Energie.

Doch wer ist es wert, gerettet zu werden,
welchem Tierchen helfe ich dabei,
dem in seiner Lage todbringenden Element
noch zu entkommen?
Ich rette erst die Hummel und die beiden Ameisen.
Aber soll ich auch die Mücken , die einen immer grauenhaft stechen und die lästige Fliege?

Viel Zeit darf ich nicht mehr verlieren, zu überlegen,
ob ja oder nein,
was vernünftig und was leichtsinnig ist
und um der Gerechtigkeit willen, rette ich sie letztlich alle.
Eine kleine Hilfsaktion, die da am Brunnen
Realität werden konnte.

Im Leben draussen sieht es anders aus.
Tagtäglich müssen Leute entscheiden,
wem sie helfen wollen oder können und wem nicht.

Die Krankenkassen, das Arbeitsamt, die IV-Ausgleichskasse, das Einwohneramt, das Ausländeramt, die Ärzte
sind nur einige von vielen,
die sich diese Frage Tag für Tag neu stellen
und einen Entschluss fassen müssen,
der über Tod und Leben entscheiden kann,
der Zuflucht oder Abgeschobensein bedeutet,
Arbeit oder Erwerbslosigkeit,
Rente oder Armut,
Unterstützung oder Ausgeliefertsein.

Gerechtigkeit gibt es da kaum.
Was zählt ist die Rendite.

Bis jetzt gehöre ich gottlob noch zu den Nutzniessern,
die sowohl bei den Ärzten, als auch bei der Krankenkasse und der IV auf Gnade und Hilfe bauen können.

Doch nicht selten drängt sich mir die Frage auf:
"Wie lange noch?"
und ich weiss, dass die Antwort nicht überall
"Für immer!" lautet.

Ladina, September 2000
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Früher und heute
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Früher gab es in meinem Umfeld etliche Menschen,
die sagten, ich wäre ihr Vorbild
und sie bewunderten mich
für die Hoffnung, die ich bewahrte
für die Kraft, die ich ausstrahlte
für den Mut, mit dem ich gegen den Krebs kämpfte.
Doch keiner von denen war je wirklich für mich da,
wenn es mir schlecht ging und ich nicht
stark sein konnte.

Sie blockten die leiseste Bemerkung meinerseits
in Gesprächen ab und sagten mir am Telefon:
"Halt die Ohren steif" oder "Bleib nur weiter wacker!"
und sie taten aufgestellt, lachten immerzu und sagten wieder,
wie sehr sie mich doch bewunderten.
Wahrscheinlich waren diese Phrasen nur ein
Schutzschild für sie, mich abzuwehren,
damit ich nicht näher komme,
nicht vertrauter werde,
nicht wesentlicher werde.

Ihre Bewunderung war nur oberflächlich,
keiner davon wollte wirklich wissen,
wie es in mir drin aussieht.
Nach und nach verloren sich all diese Kontakte
und ich trauere ihnen nicht hinterher.
Ich habe nichts Wertvolles verloren mit ihnen.

Heute ist es so ganz anders.
Heute habe ich Menschen an meiner Seite,
die nicht ausweichen, wenn ich Halt brauche.
Menschen, die mich nicht bewundern,
mit denen ich dafür aber Freud und Leid teilen kann.
Menschen, die nicht beleidigt sind oder den Kasper für mich machen, wenn ich nicht stark sein mang.
Menschen, die wirkliche Freunde sind.

Freunde, die mich nicht zum Übermenschen stempeln
oder bewundern,
sondern die mich einfach Mensch sein lassen
und mich an- und aufnehmen
in guten und in schlechten Tagen

Ladina, September 2000
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Ersterkrankung oder Rückfall
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Es ist eine viel diskutierte Frage in Onko-Kreisen:
"Was ist schlimmer, Ersterkrankung oder Rückfall?
Was löst grösseren seelischen und körperlichen Stress aus?
Was flösst mehr Angst ein?
Was erschüttert einen tiefer?

Die Ersterkrankung bedeutet
den schlagartigen Verlust von Sicherheit,
der Rückfall reisst einen wieder
aus neu gewonnener Sicherheit heraus.
Was ist jetzt schlimmer?

Bei der Ersterkrankung fallen viele Ausdrücke,
die man nicht recht versteht,
beim Rückfall hat man viel eher schon den Durchblick.
Was ist nun schlimmer?

Bei der Ersterkrankung liest man
die Nebenwirkungen der Chemo.
Grässliche Wörter, die Verzweiflung auslösen
und den Wunsch zu fliehen.
Beim Rückfall steht hinter all diesen grässlichen Wörtern
bereits die Erinnerung an die durchgemachten Gefühle
und das reale Leiden. Auch hier ist man verzweifelt,
hat den Wunsch zu fliehen.
Was ist da schlimmer?

Bei der Ersterkrankung klammert man sich
an die schnell erwähnte Hoffnung auf Heilung,
hat aber gleichzeitig viele fremde Leute im Kopf,
die an Krebs gestorben sind.
Beim 2. oder 3. Rückfall erwähnt keiner mehr
die Hoffnung auf Heilung
und man hat all die Bekannten im Kopf,
die schon daran gestorben sind.
Was ist hier schlimmer?

Was ist schlimmer?
Betroffen werden oder schon einmal vorher
betroffen gewesen zu sein?
Keine Ahnung haben oder wissen, was kommt?
Horrorvorstellungen haben oder die qualvolle
Realität kennen?

Ich kann keine klare Antwort geben,
vermag es nicht zu sagen, was schlimmer ist,
schlimmer war für mich.

Ich weiss nur,
es ist in jedem Fall,
eine grosse persönliche Katastrophe,
eine ganz massive Bedrohung
nicht nur von einer Krebserkrankung zu hören
sondern eine zu haben!

Ladina, September 2000
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Geduld
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Findet eine Kundin das angekündigte Kleingeld nicht sofort,
oder ein Mann vor mir kann nicht so schnell
wie andere aus dem Zug hopsen,
oder ein Ausländer sucht lange nach dem geeigneten Wort,
oder eine Kundin hat lange beim Einpacken,
das ist alles kein Problem für mich, ich kann warten
und die Menschen freundlich anlächeln.

Wo auch immer Menschen in meiner Gegenwart
irgendein körperliches oder organisatorisches Problem haben,
tritt meine Geduld zutage.
Ich bin nachsichtig und sage: Lassen Sie sich nur Zeit,
immer mit der Ruhe!"
und meist ernte ich ein dankbares Lächeln dafür.

Nur bei mir selber
klappt das mit dem Geduld-Haben nicht oder nur selten.
Immer habe ich das Gefühl, ich müsste schneller sein,
etwas besser begreifen in kurzer Zeit.
Viele mögliche Momente der Freude
verrauchen so im Frust über die vermeintliche Unzulänglichkeit
oder im Traurigsein.

Ich möchte das ändern,
mir selber die nötige Zeit lassen,
die ich brauche, etwas zu tun, ohne selbstauferlegte Hektik.

Ich möchte soweit kommen,
dass ich wieder mehr mit einem Lächeln tun kann,
selbst dann, wenn mancher andere stresst.

Ich möchte auch zu mir selber wieder freundlich sein.

Ladina, September 2000
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Radtour der Hoffnung
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Ich erinnere mich noch so genau, als ob es gestern erst
gewesen wäre.
Anno 1992 sassen wir sechs dort in der Wiese der Kurklinik,
wo wir uns von den Strapazen der Chemos erholen konnten.
Wir, Silke, 22 Jahre, erkrankt am Dysgerminom,
Lydia, 18, erkrankt an Morbus Hodgkin,
Mona, 19, erkrankt an AML, Manja, 19, erkrankt an ALL
Livia, 23, erkrankt an Rhabdomyosarkom genau wie ich.
Es war die letzte gemeinsame Woche und wir schmiedeten Pläne für ein Wiedersehen in der Schweiz, irgendwann mal.

Wir sassen da, Hoffnung und Angst nah beieinander,
versuchten lautstark die Hoffnung auszusprechen
und stärker präsent scheinen zu lassen,
als die Angst zu sterben,
die sich immer neu breit machte in unseren Köpfen.

Und heute, 8 Jahre danach,
wird unser damaliger Wunschtraum tatsächlich wahr
und wir sehen uns alle zusammen zum 1.Mal wieder
bei einer Radtour um den Bielersee.
Sofort ist die Verbundenheit wieder da,
die auf gemeinsam Erlebtem und Erlittenen gewachsen ist.

Wir haben jetzt alle wieder eigene Haare
und eine gesunde Hautfarbe
und wir können kaum aufhören,
einander zu bestaunen wie das 8.Weltwunder.

Während wir radeln,
wird uns richtig bewusst
welch mächtig weiten Weg wir hinter uns haben.
Und was vor 8 Jahren noch mehr oder weniger
doch eine Illusion war,
ist heute möglich und wir können
eine Radtour von 53 km Länge bewältigen
und sie geniessen.
Wir sind wieder stark!

Wir haben es geschafft, den Krebs zu bezwingen
oder damit weiter zu leben.

Wir haben es geschafft,
die Hoffnung ins Leben hinüber zu retten.
Mit den Jahren ist sie mehr und mehr gewachsen
und heute ist sie tatsächlich gross und stark,
viel, viel stärker und grösser als die Angst!

Ladina, Freitag, 22.September 2000
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Doch ist es nicht verlorene Zeit?
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"Doch ist es nicht verlorene Zeit, Ihr wiedergewonnenes Leben
den psychisch Kranken zu widmen, die doch an ihrem Leid selber schuld sind und sowieso alles Memmen sind?" - dieser
Satz aus einem Leserbrief an eine Freundin von mir,
welche in einem Buch von ihren Kontakten zu Psychiatriepatienten berichtete, nachdem sie selbst gerade den Krebs besiegt hatte,
dieser Satz macht mir Gänsehaut
und ich schlucke zig Mal leer
um meine Entrüstung und Bestürzung
nicht lauthals vor allem Leuten kund zu tun.

Lydia und ich beschliessen,
dieser Leserbrief-Schreiberin unsere Meinung zu sagen.
In unseren Köpfen tummeln sich bereits
die schlagkräftigsten Argumente und Formulierungen,
doch kurz bevor wir uns dran machen,
diesen Brief auf dem Picknickplatz der Petersinsel
wirklich zu schreiben,
stellt sich uns gleichzeitig die Frage:
"Doch ist das nicht verlorene Zeit?"
und wir zerreissen den Leserbrief in tausend Fetzen
und widmen unsere Aufmerksamkeit
wieder den Naturschönheiten um uns herum
und vielen weiteren sinnvollen und erfreulichen Seiten
unseres neu geschenkten Lebens.

Ladina, 22.Sept. 2000
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Die gleiche Diagnose
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Frühzeitig machten es uns die Onkologen klar,
als sie sagten: "Jede Krebserkrankung ist anders,
stellt deshalb keine Vergleiche an.
Was dem einen hilft, kann bei einem andern erfolglos sein
und umgekehrt und nochmals anders!"

Trotzdem stellen viele am Anfang doch Vergleiche an
und interpretieren manches falsch.
Stirbt einer mit der gleichen Krankheit
und derselben Therapie wie man selber hat,
so wacht die Angst erst richtig auf.
Aber mit der Zeit versteht fast jeder,
dass die Ärzte doch irgendwo recht hatten mit ihren
vernünftigen Ratschlägen.

Auch ich habe das längst begriffen.

Dennoch, als unsere Gespräche heute auf Pierre kommen
und seinen schlechten Zustand
und dem Verdacht auf einen Leukämie-Rückfall
nach über 15 Jahren,
da vermeide ich es bewusst, dass Manja mithört.
Manja, die auch ALL hatte, Induktions- und Erhaltungs-Chemo
genau wie Pierre bekam und die danach bis heute
schon 8 Jahre rückfallfrei lebt,
sie verschone ich mit meiner Besorgnis um Pierre,
weil ich nicht möchte,
dass sie die Parallelen wahrnimmt,
weil ich befürchte,
ihr neue Ängste einzujagen,
Ängste, die sie nach 8 Jahren ohne Rückfall
gewiss nicht mehr so intensiv verspürt.

Wenn auch jeder Tumorpatient anders ist,
in einem sind wir alle gleich:
Wir erschrecken, wenn einer mit der gleichen Diagnose stirbt
und wir fühlen uns stärker in unserer eigenen Existenz
bedroht

Ladina, 22.September 2000
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Im Gedenken an meinen langjährigen Freund Pierre Parlier (4.1.75-24.9.2000

Ein Freund im Hintergrund warst du für mich,
einer, der mir aus der Ferne den Rücken stärkte
und mir Zuversicht schenkte durch sein Dasein.

Ich sah dich nicht oft, aber regelmässig, 2-3 Mal pro Jahr
aber immer bist du in meinem Herzen geblieben als besonderer Freund
und als eine beruhigende Sicherheit.
Stark kamst du mir vor
damals schon, als ich dich kennenlernte im CHUV
auf der Kinderkrebsstation(Du warst 10 und ich 18)
Manche haben mich belächelt und spöttisch gefragt:
"Was findest du bloss an diesem Knirps?"
Ich konnte es nicht erklären, ich habe dich einfach sehr gemocht
und gestaunt wie selbstverständlich du alles nahmst,
gelacht über deinen unvergleichlichen Humor und Deine Komik

Als du kein einziges Haar mehr auf dem Kopf hattest,
wollte ich dich fotografieren
aber du warst eitel und hast geseufzt: "Non, pas maintenant
Regarde donc, je ne suis pas peigné!"
Und alle im Raum haben Tränen gelacht,
sogar Rico, der spastisch gelähmte Bub gluckste vergnügt.

Wir wurden fast gleichzeitig fertig mit der Induktion
und blieben auch nach der Stationären Therapie in Kontakt.
Als Du 17 warst, feierten wir zusammen, dass du 5 Jahre ohne Rückfall warst.

In meinem Herzen warst du immer ein Sieger.
Als du 20 warst, sagten sie dir, du könntest nie Kinder zeugen, aber du hast nur gemeint: Nicht so schlimm, es gibt noch mehr zu tun für mich in meinem Leben und auf dieser Welt" und du hast begonnen, dich für Terres des Hommes einzusetzen.

Wir konnten prima miteinander reden.
Der Jahresunterschied von 8 Jahren war überhaupt kein Problem.
Irgendwann ist das Körperliche nicht mehr relevant, auch nicht das Alter.
Irgendwann zählt nur noch, wie weit man seelisch/geistig gekommen ist
und da war unsere Verbindung
durch gemeinsam Erlebtes und Überstandenes, Freud und Leid!

Du warst für mich all die Jahre der Inbegriff von Stärke
ich erlebte dich als einen Sieger und sah es dich bleiben, ein Leben lang.
Ich sah dich als einen Sieger,
der nicht die Spur von Überheblichkeit ausstrahlte
der immer korrekt, natürlich und offen war.

15 Jahre lang, Pierre, warst mir du ein treuer Begleiter und Freund
und es hätten gerne noch viele Jahre mehr werden können,
manchmal phantasierten wir sogar, wies wäre, ein Ehepaar zu werden...
Aber es kam anders.

Vor 3 Wochen sahen wir uns nochmal kurz in Lausanne.
Du hattest das Treffen vorgeschlagen.
Du hast wohl gespürt, was dir, was uns bevorstand.
Ich war tief erschüttert, als ich dich endlich erkannte dort am Bahnsteig

So klein und winzig kamst du mir plötzlich vor
so zerbrechlich, Du mein immer starker Pierre
der immer so von Kraft strotzte.
Du zerbrichst immer mehr und niemand kann den Verfall aufhalten.

Du, den ich nie klagen hörte, sagst mir:
"Ich hab bei der Sache kein gutes Gefühl,
ich glaub, wir müssen Abschied nehmen. Danke für die jahrelange
Freundschaft und Deinen Beistand, auch jetzt;"

Du, der mir selber immer so geholfen hat!

Du, der 15 Jahre lang ohne Leukämie-Rückfall lebte

Du, der alle Hoffnungen, die man haben kann geweckt und genährt hat!

Du, der für mich immer einer war, der es schafft!

Du, der so von Kraft sprühte und der voller guter Ideen war!

Du, dessen Leben so sinnvoll war!

Du, der in Kürze zu Terre des Hommes wechseln wollte!

Du, der immer für mich da war, wenn ich einen Rat brauchte!

Du, kleiner, grosser Freund sprichst vom Sterben!

Ich wollte es nicht glauben und musste es doch!
Und wenn ich mich danach auch gedanklich damit auseinandersetzte,
dass du sterben könntest,
so kam die Nachricht von deinem Tod für mich doch wie ein Schock!

Da ist nichts, womit ich mich selbst trösten könnte oder deine Schwester Janine oder deinen Vater.
Du warst so ein lebensfroher, positiver Mensch
Warum musstest du gehen? Warum??
Warum so plötzlich, so brutal, einfach aus dem Leben gerissen!

Wie kein anderer bisher
lässt mich dein Tod
fassungslos zurück
und ich habe den Eindruck, dass ich niemals eine Antwort finden werde
auf die Frage: WARUM?!

Ladina, 25. September 2000
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Wolkentage
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Es gibt Tage im Leben
die sind wie ein grauer, von schweren Wolken bedeckter Himmel,
Tage, an denen die Sonne allein
keinen Weg zu einem finden kann
weil die Trauer zu gross und der Schmerz zu tief ist.
Tage, an denen nur noch Tränen fliessen.

Wenn dann ein Mensch zu einem tritt,
der Verständnis hat für die Tränen, die fliessen müssen,
der nicht sagt: "Hör auf zu weinen"
sondern einem still die Hand auf die Schulter legt
oder einem Rückhalt gibt,
dann fühlt man sich aufgehoben,
getragen und geborgen, selbst im Leid,
dann mildert sich die Schwere im Herzen,
dann wohnt in diesem Wolkentag
doch auch ein Hauch von Sonne
und macht Hoffnung spürbar

Ladina, September 2000

gewidmet an Barbara B. und Ursula Schellenberg
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Miteinander gehen
+++++++++++++++

Nicht schweigen,
wenn die Seele reden möchte.
Nicht abseits stehen,
wenn Nähe nötig ist.
Nicht Gelassenheit mimen,
wenn im Innern Ängste nagen.
Nicht für andere den Clown spielen,
wenn es einem zum Weinen zumute ist.
Nicht Heldin sein wollen und alleine tragen
was kein Mensch ohne einen andern verkraften kann.

Sich mitteilen
einem offenen, liebenden Gegenüber.
Sich zeigen, wie es wirklich ist.
Sich ausdrücken, Gefühle zeigen.

Miteinander aushalten
miteinander teilen
miteinander tragen
miteinander gehen in Freud und Leid
in Lebens - und in Sterbenszeit

Ladina, Oktober 2000
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
An Fabios Grab
******************
Wieder einmal bin ich hier auf dem Friedhof
und stehe vor deinem kleinen Grab.
Es sieht wieder so verlassen aus
mein sorgfältig für dich ausgesuchtes Hamsterfigürchen,
das ich letztes Mal herbrachte, ist weg
und auch das bunte Windrädchen ist verschwunden.
Ich hoffe, sie stehen bei Dir daheim
an einem Gedenkplätzchen,
das ich nie sehen werde,
weil ich auf deinem Weg
für deine Eltern zu wenig bedeutungsvoll war.

Meine Gedanken wandern zurück zu jener Zeit,
wo Du als kleiner Krauskopf auf der B-West
noch ein Exot warst für kurze Zeit.
Dann zu der Zeit,
wo du mit kahlem Kopf und deinem übergrossen Schnupfituch,
mich an der Haustür fragtest,
ob du denn auch Heli fliegen dürftest mit dem Pfnüsel.

Ich sehe Dich noch heute vor mir,
in deinen Augen standen freudige Erwartung
und zugleich grosse Besorgnis.
Allzu oft schon hattest Du wegen deiner Krankheit
zurückstehen müssen.
Doch den Heliflug, den konntest Du erleben!

Ich denke an den Tag zurück,
an dem der glücklichste Fabio, den ich je sah,
im Freudentaumel aus dem Heli stieg.
Wir, die wir auf Dich warteten, hatten alle den Fotoapparat dabei, doch vor lauter Freudentränen
und dem gleichzeitigen Wissen
um den baldigen Abschied für immer,
misslangen die Bilder
doch die Erinnerung bleibt.

Noch oft werde ich Dein Grab besuchen,
nicht etwa, weil ich dich nur hier finden kann.
Ich spüre und weiss, Dein Wesensteil, den ich so liebte,
liegt nicht hier.

Aber Dein Grab ist für mich Raststätte und Sammelplatz zugleich,
wo ich mir all die Stunden mit Dir vergegenwärtige
und dich einfach auf meinem Weg in die Zukunft
in meinem Herzen lebendig halten kann.

Ladina, 12.Okt. 2000
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Aus meinem 7. Gedichteband - Am Ende bleibt die Dankbarkeit - Teil 3

Beitragvon Ladina » Sa 6 Okt 2007 18:04

Aus meinem 7. Gedichteband - Am Ende bleibt die Dankbarkeit - Teil 3

Unfall
********
Vor ca. einem Monat, am Freitag, den 13. Oktober
hatte ich unverschuldet einen Unfall,
der mir etliche Schmerzen und Prellungen verursachte
und ein demoliertes Fahrrad noch dazu,
der aber sehr viel schlimmer hätte ausgehen können.
Dennoch hatte ich das Gefühl danach,
ich war halt einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.

Die Bilanz, die ich heute daraus ziehen kann
verblüfft und überrascht wohl alle.
Ich bin bei der neurologischen Prüfung
zwar hintendrein wie immer,
doch wegen der Schmerzen spüre ich mein linkes Bein
und kann darum sicherer gehen und gar rennen!

Die Ärzte belächeln zwar meine These,
dass der Unfall meine Tiefensensibilität aufgeweckt habe
wie der Kuss des Prinzen das Dornröschen
und reden davon, es sei wohl einfach zusammen gekommen.

Aber ich werde wohl diesem Unfall gegenüber
für immer ein gutes Gefühl haben
und mit Dankbarkeit daran zurück denken.

So absurd es tönt, ich denke heute,
ich war damals einfach zur rechten Zeit am rechten Ort.

Ladina, November 2000
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Wende
********
In gewissen Zeiten oder an speziellen Tagen
suche ich in Gedanken die Vergangenheit,
erinnere mich bewusst, was war vor einem Jahr oder zwei.
Zu Beginn meiner Neuerkrankung
waren diese Gedanken oft mit Leid verbunden
es war schwer und schmerzlich zu wissen:
Heute vor einem Jahr war ich noch gesund, machte das grosse Alpentbrevet und ich konnte draussen sein.
Es war schwer zu realisieren, was nun war:
wieder mit Krebs im Spital sein, auf lange Zeit hinaus keine unbelastete Zukunft zu haben,
von einer Chemo zu nächsten zu stolpern.

Im Laufe der nächsten Monate oder Jahre wurde die
Wahrscheinlichkeit, gesund zu werden immer etwas geringer
und so waren die Gedankenreisen in die Vergangenheit
immer ein Rückblick auf eine bessere Zeit,
der mit Traurigkeit verbunden war.

Heute zum Jahresende blicke ich wieder mal zurück
und zum 1.Mal seit über 10 Jahren
schaue ich auf eine schlechtere Vergangenheit zurück.
Zum 1.Mal geht es mir wieder besser als ein Jahr zuvor.
Zum 1.Mal ist da kein Schmerz,
keine unendliche Leere beim Gedanken an morgen,
dafür etwas Vertrauen in die Zukunft.

Es ist ein unbeschreibliches Glücksgefühl in mir,
etwas Überwältigendes, für das mir die richtigen Worte fehlen,
ein Gefühl des Aufgehobenseins in der Gegenwart,
das Wort Hoffnung hat wieder Inhalt.

Es ist, als habe sich die Welt um 180 Grad gedreht.

Ladina, Dezember 2000

Ganz viel Liebe
******************
Kaum war ich ein paar Tage auf der Welt
gab mich meine leibliche Mama fort
weil sie sehr krank war und bald darauf starb.
Als ich 7 Monate alt war,
musste ich wieder weg in ein Spital,
war wieder räumlich getrennt von meiner neuen Mama.
Bis ich 8 Jahre alt war, konnte ich dann mit der Familie sein,
dann entdeckte man den Tumor in meinem Bauch
und ich musste wieder ins Spital.
Eine Tante umsorgte mich liebevoll.
Nie hatte ich Heimweh, schon immer war so ein Gefühl in mir,
dass ich nicht richtig in die Familie hineingehöre.
Dennoch war schon damals eine grosse Liebe in mir
und ich verschenkte sie innig der Tante, meiner Lieblingskrankenschwester, meinem Freund Urs und weiteren mir lieben Menschen.

Ganz viel Liebe ist in mir und ich frage mich oft,
wer sie mir gegeben hat.
Ich sage nicht, dass ich lieblos aufgewachsen bin,
oh nein, aber halt doch eher reserviert, distanziert,
ohne viel Zärtlichkeiten oder Nähe,
die sicher auch wegen der Krankheit
und den Narben erschwert worden sind.

Zwischen den Tagen zu Hause
muss es einen Menschen gegeben haben,
der mich sehr liebgehalten hat,
der mir das Gefühl und die Fähigkeit dazu einpflanzte.
Es muss wohl sehr früh in meinem Leben gewesen sein,
zu einer Zeit, an die ich mich nicht erinnern kann.

Diesem unbekannten Menschen
bin ich stets in Dankbarkeit verbunden,
doch manchmal betrübt es mich doch sehr,
nicht einmal zu wissen, wer es war…

Ladina, Dezember 2000
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Kein Telefonat mehr
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Es ist Abend an diesem 4.Januar 2001
und ich spüre eine grosse Leere in mir,
weil mir mehr und mehr bewusst wird,
dass es an diesem Datum, das Pierres Geburtstag war,
nie mehr ein Telefonat zwischen uns geben wird.
Nie mehr Französisch reden,
nie mehr lachen miteinander,
nie mehr Pläne schmieden und Ideen verwirklichen.
Ich denke an Dich und spüre, wie mir alles fehlt
und wie ich Dich vermisse.
Immer wieder versuche ich zu ergründen,
ob Du auch noch an mich "denkst",
ob Du da, wo Du jetzt bist,
dich an mich erinnerst, mich vermisst,
ob eine Ahnung an unsere Freundschaft
bei Dir geblieben ist
oder ob alles Irdische nicht mehr wichtig ist?
Und ich weiss nicht, was mir lieber wäre.
Einerseits wünschte ich, dass Du mich nicht vergisst,
aber ich wünsche Dir nicht den Schmerz, den ich spüre,
weil ich Dich vermisse.
Ich wünsche Dir nicht, dass Du dich ebenso fühlst
weil ich Dir fehle.

Manchmal denke ich wirklich, ich höre Deine Stimme
und ich sehe Dein Gesicht vor mir.
In meinem Herzen bist Du noch da
und wie jeden 4.Januar
werde ich in Gedanken mit Dir verbunden sein

Ladina, Januar 2001
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Augenblicke
°°°°°°°°°°°°°°
In jedem Leben, egal wie viele Jahre es dauert,
gibt es bedeutsame, ergreifende
und kostbare Augenblicke.
Es können Gefühle, Worte, Gesten oder Melodien sein,
die zu Herzen gehen, ganz tief hinein
oder schöne Anblicke, die sich einprägen,
an die man sich so oft man möchte, erinnern kann.

Doch viele Menschen sind voll Gram,
sie denken eher an die schlechten Augenblicke
und lassen die guten ins Vergessen rücken
oder gar verkümmern.

Sie wissen nicht, wie wertvoll und tröstlich
die guten Augenblicke im Leben sind,
selbst wenn sie längst vorbei sind und vorüber.
Sie machen im Grunde das Leben aus.
Sie sind das, woran man am Ende nochmals denkt,
wenn die Erinnerungen daran nicht erstickt worden sind
durch vergrämte Gedanken.

Es ist so wichtig,
die guten Erinnerungen am Leben zu erhalten,
sie immer wieder hervor zu holen
und voll Dankbarkeit zu betrachten.

Gib den guten Augenblicken Nahrung,
damit sie noch da sind,
wenn Du vom Leben Abschied nimmst.

Ladina, Januar 2001
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Verschiedene Welten
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Seit etwa 2 Monaten weiss ich,
dass ich an diesem 9.Januar in die Genetische Beratung
ins Kantonsspital Basel muss.
Fast genauso lange freue ich mich schon
auf die Adventskalenderausstellung,
die dem sterilen Kliniktag einen Gegenakzent setzt,
der mir gut tun wird,

Dass ich meine Kollegin Susanne dazu einlade,
weil ihre Umstände äusserlich gleich scheinen wie meine,
dies ist mir auch schon lange klar.

Doch Susanne sagt nein, sie möchte nicht mitkommen,
keine weitere neue Welt sehen an diesem Tag.

Für Susanne ist schon dieser 2-stündige Spitaltermin
ein schwerer Eingriff in ihren Alltag,
den sie wieder gesund,
weit weg von allen Erinnerungen lebt.

Ich selber verkehre dagegen nach wie vor in der Klinik.
In einem neuen Spital zu sein,
bringt für mich etwas Abwechslung mit
vom eingeübten Trott,
jedoch sicher kein traumatisches Erlebnis.

Und so gehen wir nach dem Untersuch
wieder verschiedene Wege in verschiedene Welten
in stetem Bemühen uns wohl zu fühlen
dort wo wir sind.

Ladina, Januar 2001

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Für Susanne
***************
Wir wohnen nicht weit voneinander entfernt
und arbeiten sogar im gleichen Stadtteil von St.Gallen.
Trotzdem sehen wir uns zumeist nur im Genetischen Beratungsdienst.
Du und ich, wir haben dasselbe seltene Syndrom.
Dr. Müller sagte Dir, Dein Syndrom nähme wohl einen milden Verlauf,
bei mir sprach er von einem hartnäckigen Verlauf.
Mit Deinem Bruder Roger haben wir beide einen Menschen verloren, dem gegen seinen schweren Verlauf des Syndroms
keine Chance gegeben war.
Wir müssen keine langen Erklärungen liefern,
denn wir wissen beide Bescheid.
Wir haben abgemacht,
immer ehrlich zueinander zu sein,
auch wenn es schwerfällt.
Du erzählst mir fröhlich, wie es Dir ergangen ist
in den letzten 2 Jahren: Spitze, keine Spur von einer Neuerkrankung.
Auch ich kann das erfolgreiche Jubiläum eines Jahres ohne Chemo vermelden, muss aber weitere Einbussen in Kauf nehmen.

Dir zuzuhören macht mir Mut,
mir zuzuhören aber bereitet Dir Angst vor dem,
was auch auf Dich mal zukommen könnte.
Ich sehe es an Deinen Augen
und es tut mir so leid
um Deinen Optimismus
und meine Ehrlichkeit.

Ladina, Januar 2001
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Im Wissen um einen früheren Tod
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Eine kleine Ansammlung von 5 jungen Leuten
sitzt schon im Wartebereich der Genetischen Beratung,
als Susanne und ich ankommen
und obwohl ich nur zwei Leute richtig kenne
stecken wir schon bald inmitten angeregter Gespräche.

Die sich hier treffen, wissen wie ich alle,
dass wir in eher jungen Jahren sterben werden.
Wir wissen natürlich nicht genau wann,
ob mit 30, 40 oder um die 50
aber das Pensionsalter erreichen wir wohl nicht.

Wie viele Menschen sterben früh
durch Unfall oder plötzliche Krankheit
und wussten noch einen Tag zuvor nichts davon?
Wie viele von ihnen haben ihre Träume nie gelebt,
sie immer auf später verschoben
und dieses Später nicht mehr erlebt?

Wir, die wir uns hier treffen,
wir wissen, dass unsere Zeit zu leben begrenzt ist
und wir richten uns soweit als möglich danach ein
und denken doch auch über die Zukunft nach.
Wir wissen um den früheren Tod.

Vielleicht gehen wir gerade dadurch,
trotz vielseitigen Belastungen,
so intensiv, so gerne, so dankbar
jedem neuen Lebens-Tag entgegen.

Ladina, Januar 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Gedanken an die Vergangenheit
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
In den letzten zwei Wochen,
je näher der Termin der Nachkontrolle heranrückt
stellen sich trotz meines positiven Grundgefühls
massive Ängste ein.
Ängste, vor allem,
was bald wieder Gewissheit sein könnte,
Ängste vor einem Rückfall.
Sinnlose Ängste eigentlich,
Ängste, die gar nichts verhindern in Zukunft,
die nur die Gegenwart behindern.

Nicht immer gelingt es mir, sie weg zu stossen,
Das Erleben der Gegenwart ist vom Gedanken
an die Zukunft voller Schrecken überschattet
und so suche ich in meinen Träumen immer mehr
die reale Vergangenheit,
die Erlebnisse, die ich geniessen durfte.

Ich denke an die vielen wundervollen Tage da und dort.
Ich halte mich an all diesen Erlebnissen fest
und bin dann voller Dankbarkeit,
weil ich weiss,
was immer nun wieder auf mich zukommt,
ich blicke auf eine schöne Zeit zurück.

Eine Zeit, die für immer zu mir gehört
und die mir keiner mehr wegnehmen kann!

Ladina, Februar 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Besuch bei Hans
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Von Lina, meiner 74jährigen, ehemaligen Krankenschwester
habe ich erfahren, dass ihr Mann Hans
vor einer Woche eine Notoperation hatte,
um sein Leben noch für kurze Zeit zu verlängern.
Neue Verdauungsgänge seien verlegt worden,
sonst wäre Hans wegen dem Gallenblasenkrebs verstorben.
Aber es ist nur Hilfe auf Aufschub.
Lina, die selbst seit 1998 wegen Brustkrebs behandelt wird,
weiss, dass Hans jetzt wohl doch vor ihr stirbt.
Sein Klatskin-Tumor spricht auf Chemo gar nicht an
und ist inoperabel.
Hans weiss das auch.
Ich beschliesse, ihn zu besuchen.

Er liegt im Bett, halb grau im Gesicht
und hat seit unserem letzten Zusammentreffen
sicher 20 kg verloren.
Er freut sich über den Besuch.
Hans weiss, dass ich eine, wie er sagt, ähnliche Sache
wie er sie jetzt hat, überlebt habe
und das mache ihm Mut.
Mir ist unwohl dabei.
Seit Jahren schon, versuche ich ihm beizubringen,
dass zwischen Kinderkrebs und Erwachsenenkrebs
ganz erhebliche Unterschiede bestehen,
aber er will das einfach nicht begreifen.

Die Tür geht auf, ein älterer Herr auch von der Station
kommt auf Besuch.
Hans stellt mich ihm vor: "Lueg Köbi, sie hät z'Glieche
gha wien ich, isch ganz schlächt zwäg gsi
und jetzt gohts ihra scho lang wieder guet!"

Nein, möchte ich schreien.
Da werden falsche Hoffnungen geweckt,
Ich verabscheue solches zutiefst!
Aber mir gelingt nur ein sanftes "Nein, Köbi, nicht ganz das Gleiche"
Zuletzt geändert von Ladina am Sa 8 Aug 2009 21:39, insgesamt 1-mal geändert.
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Als Clown im Spital
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In Verkleidung eines Clowns
bringe ich am Schmutzigen Donnerstag
ein weiteres Müsterchen (Urin-Probe) von mir ins Spital-Labor.
Wo ich auch hinkomme, begegnen mir freundliche Gesichter,
einfach herrlich!

Unten am Lift dann,
steht versammelt eine möglicherweise
verirrte Truppe des Int. Brustkrebskongresses,
wie es scheint, ratlos vor einer Hinweistafel.
Kopfschütteln und ernste Mienen ist, was mir auffällt an ihnen
und was mich dazu verleitet,
mich bei ihnen bemerkbar zu machen,
ist vielleicht eine Spur von Übermut.

"Hello!" piepse ich, und schon drehen sich einige um.
Plötzlich ist da ein Lachen, alle drehen sich zu mir,
erst Staunen und Fragen im Blick,
als sei ich ein Wesen vom anderen Stern,
aber dann grinsen sie alle,
keiner blickt noch ernst drein wie Minuten zuvor.
Alle lächeln.
Es ist, als hätten sie alle bloss darauf gewartet,
einen Clown zu treffen.

Was würden sie wohl sagen, wenn sie wüssten,
dass ich eine Onkologiepatientin bin?
Ich sage nichts davon,
geniesse nur für Augenblicke
ihre offensichtliche Sympathie für mich.
Nie zuvor haben mich wildfremde Ärzte
auch nur halb so freundlich angeschaut.
Es ist das reine Vergnügen für alle.

Dann muss ich gehen, ich winke
und sage: "Bye, bye and have a nice day!"
und wie im Chor wünschen sie es lachend auch mir.

Könnten sie doch auch bei normalen Patienten
die ernsten Mienen für ein Lächeln tauschen
um den Druck in deren Seelen zu mindern.
Es wäre für alle leichter…

Ladina, 22.Feb. 2001
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Clowngesichter
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Clowngesichter
verwandeln das Leiden und den Kummer
der Kinder im Krankenhaus
in Lachen und Freude.

Clowngesichter
bringen alten, kranken Menschen
Farbe und Abwechslung, Spiel und Spass
auf die Abteilung im Pflegeheim
und scheuchen den weissen Alltag fort.

Clowngesichter
als Therapie von Ärzten für Kranke verordnet
sollten auch die Doktoren und das Pflegepersonal
selbst besuchen und behandeln,
ihre verkniffenen Münder lockern
und sie wieder lehren zu lachen,
ihren Augen den Glanz zurück geben,
der bei vielen längst stumpf und erloschen ist,
durch den Stress, die Hektik, den Leistungsdruck.

Ich wünsche jedem Arzt und jeder Krankenschwester,
allen Pflegerinnen und Pflegern,
die erfrischende Begegnung mit einem Clown
damit eine Spur von jedem Clowngesicht
all jenen entgegen leuchtet,
die sich so sehnen
nach einem echten Lächeln von Mensch zu Mensch
inmitten der ganzen Ernsthaftigkeit
von Krankheit und Spitalbetrieb!

Ladina, 22. Februar 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Über das Leiden hinaus
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Beim Reinschreiben meiner Gedichte
fällt mir Erschreckendes auf:
die allermeisten beschreiben leidvolle Erfahrungen,
die ich machte und so verarbeite,
doch wo sind alle guten Tage dazwischen, die ich erlebte?

Ich frage mich, brauche ich denn den Schmerz
um Schreibaktivität zu entwickeln?
Weckt Kummer und Leid alleine meine Kreativität?
Brauch ich Nöte, um dagegen anschrei(b)en zu können,
fordert solches erst meinen Gestaltungstrieb heraus?
Heizt denn bei mir nur solches noch dem Bedürfnis ein,
auszudrücken und mitzuteilen, was mich berührt???

Ich habe so sehr für ein schönes, unbelasteteres Leben gekämpft
und möchte die Zeit, die mir mit ihm bleibt
auch von der schönen Seite her beschreiben.
Ich möchte so gerne, dass Schönes mich ebenso tief berührt
wie ein Kummer,
damit ich jubelnd schreiben kann,
damit das Leben ausserhalb des Spitals
endlich auch Raum erhält in meinen Gedichten.

Ich denke an die vielen hundert Leid- und Kummergedichte,
die ich schon geschrieben habe
und es betrübt mich irgendwie
aber dann denke ich auch
an meine paar frohen Gedichte, die Blumentexte und Schnitzelbanken
und ich glaube daran, dass ich doch weiterkommen kann
über das Leid hinaus…

Ladina, Februar 2001
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Fragen nach dem Sinn
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Schon drei Wochen habe ich nach der LP vom 2.März
eine partielle Lähmung im rechten Bein,
von der zwar die Mediziner einhellig glauben,
dass sie sich wieder davonstiehlt in naher Zukunft,
die mir aber in der schon 3-wöchigen Anwesenheit
mit jedem neuen Tag unheimlicher wird.

Ich versuche dennoch, nicht zu hadern,
nicht nach dem Sinn zu fragen hinter dem allem,
doch in mir drin
formulieren sich wie von selbst
diese Fragen nach dem Warum
und je mehr ich sie zu verscheuchen versuche
umso mehr drängen sie sich mir auf.

Hilflos und verzweifelt
lasse ich sie schliesslich aufkommen,
in mir herumwühlen, ihre Bahnen ziehen in meinem Gemüt,
solange, bis sich Tränen lösen
und wie ein reinigender Frühlingsregen
alle Not wegwaschen,
solange, bis ich nur noch leer schlucken
und meine Situation akzeptieren kann
im stillen, innerlichen Wissen,
dass der Sinn hinter allem in der Zukunft liegt,
in jedem neuen Tag, der folgt und seinen Lauf nimmt.

Ich darf nicht fragen und drängen,
denn der Sinn zeigt sich erst zu seiner eigenen Zeit.
Ich muss einfach Geduld haben und warten können
bis er sich von selbst herauskristallisiert.

(Tief in mir drinnen weiss ich das, doch manchmal wird es mir so schwer und Tränen voller Ungeduld und Verzweiflung fliessen,
bis ich wieder beginnen kann zu hoffen!)

Ladina, Ende März 2001
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Wenn Zeit fehlt
******************
Schon ein paar Mal in meinem Leben
habe ich Zeit ohne Bewusstsein verbracht.
Meist waren es Stunden, die ich unter Narkose war,
vor, während oder etwas nach einer Operation
oder während der Hyperthermie.
Auch nach dem Hirnschlag fehlte mir die Erinnerung
an die Stunden zuvor
und ich erfuhr länger nichts konkretes,
weil meine Sprache weg war und keiner merkte,
dass ich nicht nur deswegen in Panik war.

Es ist ein beunruhigendes Gefühl,
Zeit verloren zu haben
und nicht zu wissen, wie sie verstrichen ist,
aber immer, wenn es mir im Spital passiert
ist es in der Regel eingeplant,
ich werden von Menschen und Geräten überwacht
und kann hinterher nachfragen,
wie alles war, als ich weg war.

Obwohl ich keine Erinnerung an die Zeit ohne Bewusstsein habe,
weiss ich doch, wo sie geblieben ist
und das gibt eine grosse Sicherheit.
Selbst als ich anno 1994 am 22.Dezember ambulant ins Spital ging
und am 31.Dezember auf der Intensiv erwachte,
nach über einer Woche im künstlichen Koma,
da fühlte ich inmitten des Schreckens
doch schon eine Art von Aufgehobensein
in einer Umgebung, die mir helfen würde,
die verlorenen bewussten Lebenstage
im Nachhinein zu beleben und zu rekonstruieren
und damit zu gestalten, die Leere auszuschmücken,
sodass sie doch Teil meines ERLEBENS werden konnten.

Ganz anders fühlte ich mich am 26.März 2001,
wo ich, wie leider schon öfter,
in einer völlig fremden Ortschaft zu mir kam,
an irgendeinem Ort, nachmittags um 15.30h
und nicht wusste, wo ich bin,
nicht wusste, wie ich dahin gekommen war,
nicht wusste, wie ich die Zeit verbracht habe,
nicht wusste, wer bei mir war,
wer mich gesehen oder beobachtet hat,
nicht wusste, was ich gemacht habe und was nicht.

All diese Fragen stürzten auf mich ein
verunsicherten und bedrängten mich
und erschwerten oder verunmöglichten logische Überlegungen.
Anhand von Schildern, die zu Bahnhof führten
fand ich schliesslich heraus, dass ich in Solothurn war
und eine Frage bekam ihre ersehnte Antwort.

Alle andern aber haben bis heute keine Antwort erbracht,
die verlorene Zeit bleibt verschollen
und ich wüsste nicht, wen fragen.
Die Verunsicherung hält an,
das Misstrauen in mich nimmt zu,
irgendwie werde ich mir fremd.
Es ist, als habe ein anderer die Zeit für mich verlebt,
es aber versäumt, mich ganz auszuschalten.

Mein Körper verbleibt in der Gegenwart,
während meine Seele zeitweilig abtaucht
und wenn sie wieder in mich schlüpft,
schicke ich sie wieder fort
um für mich den Inhalt der fehlenden Zeit zu ergründen.
Sie sucht stundenlang und kommt ohne je eine Antwort gefunden zu haben, wieder zurück

Ladina,28. März 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Perspektive
**************
Erst

liegt am Morgen

noch

die Dunkelheit

vor mir

doch sobald

ich

den ersten Schritt

in sie wage

bin ich

auf dem Weg

ins Licht!

Ladina, März 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Entscheidung
****************
Ich liege waagrecht im Bett
und geniesse mein Wohlbehagen
schaue mich im Zimmer um
und freue mich, ein wohlvertrautes Gesicht zu sehen
und die ersten zaghaften Sonnenstrahlen
dieses neu erwachenden Tages.

Aber ich sehe auch mit Schrecken die Übelkeit vor mir,
diese Übelkeit, die allmorgendlich erwacht,
sobald ich aufrecht sitze, senkrecht stehe und gehe,
diese Übelkeit, die immer wieder
einen grossen Schatten auf den Morgen wirft,
dem ich begegnen muss,
dem ich mich stellen muss
um den Tag dahinter zu erleben.
Nur wenn ich liegen bliebe,
könnte ich diesem Schrecken ausweichen,
doch wäre ich dann auch vom realen Leben ausgeschlossen,
und von der Gelegenheit
anderswo Freude zu geben und zu empfinden.

Ich habe es ein wenig wie die Blumen,
die sich im Winter für ein neues Erwachen rüsten.
Sie stehen immer wieder vor der Entscheidung
ob sie leben oder verenden wollen;
Leben hiesse, zuerst den kalten Frostnächten
des Frühlings begegnen,
ehe warmer Sonnenstrahl an ihre Stelle tritt
und Verenden hiesse,
nichts mehr zu erleben, auch keine Sonnentage.

Und ich halte es wie die Blumen,
die sich entscheiden zu leben,
die sich den Unannehmlichkeiten stellen
um hinterher aber ganz gewiss
auch den Sonnenschein zu spüren,
Freude zu geben und zu empfinden.

Ladina, 29.März 2001 bei Barbara
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Gegen den Strom
*********************
Heute, zum Jahrestag meiner KMT
wünschte ich mir, zu einem Fluss oder Bach zu gehen.
Schon in der Vorbereitungszeit zur KMT
hatten Flüsse und Bäche eine grosse Anziehung auf mich
und ich sass stundenlang an deren Ufer
oder wanderte an ihnen entlang,
liess das gleichmässige Fliessen,
das muntere Sprudeln,
das warme Gurgeln auf mich wirken.

Der Verlauf meines Lebens glich damals
einem traurigen Rinnsal,
das immer weniger wurde,
verseucht durch die Krankheit,
dem Austrocknen nahe.
Die Transplantation war die einzige Chance,
dem sicheren Tod zu entkommen.
Mit dem Entschluss sie zu wagen,
hatte ich mich entschieden,
fortan gegen den Strom zu schwimmen.

Es hat ungeheuer viel Kraft gebraucht,
dieses Jahr vor und nach der Transplantation.
Auch danach war das unbeschwerte Leben
noch in weiter Ferne
aber der Anfang war gemacht dazu,
der Grundstein gelegt,
das Bachbett ebnete sich immer mehr,
auch wenn es bisweilen noch verengte Stellen gab,
die mich zurück drängten und anstehen liessen.

Heute sprudelt mein Lebensfluss wieder und im Moment bin ich sehr glücklich.
Hier am Dolderbach in Zürich bin ich voller Dankbarkeit für das Leben
und ich weiss ganz sicher, dass alle Strapazen sich gelohnt haben,
dass es damals die richtige Entscheidung war,
gegen den Strom zu schwimmen

Ladina, März 2001
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Aus meinem 7. Gedichteband - Am Ende bleibt die Dankbarkeit - Teil 4

Beitragvon Ladina » Sa 13 Okt 2007 18:45

Aus meinem 7. Gedichteband - Am Ende bleibt die Dankbarkeit - Teil 4

Spärliche Hoffnung
**********************
Nach einer gewöhnlichen Lumbalpunktion
blieb mein rechtes Bein ohne Gefühl.
Einen Tag darauf, am 3.März im Spital
redeten sie überzeugend von grosser Hoffnung
und befristeten den Zustand auf höchstens 14 Tage,
dann sei es sicher wieder gut.
Und ich klammerte mich an die Hoffnung.
Am 16. März in der nächsten Kontrolle
aber erschien ich noch immer mit lahmem Bein,
das keinerlei gesunde Reflexe zeigte.
Jetzt sagten sie, vielleicht brauche die Sache
mehr Zeit als vermutet, aber bessern werde es bestimmt.
Wieder sprachen sie von Hoffnung
und ich liess mich darauf ein.
Jetzt haben wir schon den 2. April
und ich schleppe mich noch immer mit dem lahmen Bein dahin.
Ich habe nicht resigniert,
aber die Hoffnung auf Besserung ist nicht mehr sehr gross.
Ich habe es mit Schonung versucht
und mit erhöhter Aktivität, mit Massagen und Wickeln.
Die Lähmung liess sich weder mit dem einen noch
dem andern bezwingen oder bezähmen.
Immer mehr denke ich,
dass die Ärzte die Hoffnung allein deswegen erwähnen,
damit ich als Patientin mich unbelasteter
in eine Situation einleben kann
aus der es kein Entkommen (mehr) gibt

Ladina, 2. April 2001
(die Lähmung besserte sich dann schliesslich doch noch, nach insgesamt 2 Monaten)
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Unsere Blumen
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Sie erblühten bei uns im Garten jedes Jahr von neuem,
rote und gelbe Tulpen, weisse Narzissen und gelb-orange Märzensterne.
Sie erfreuten mit ihren bunten Farben
uns und die Anwohner,
selbst jeden Fremden, der vorüberging.

Mir jedoch gaben sie mehr als reine Freude.
Wenn es mir zu Hause so trostlos vorkam,
tröstete mich ihr Anblick.
Wenn ich das Weisse und Sterile im Spital über hatte,
konnten ihre Farben Hoffnungsträger für mich sein.
Wenn sich alle von mir wegdrehten, weil ich eklig aussah,
schauten sie mich nach wie vor offen an.

Sie zu hüten und zu pflegen
war von Kindesbeinen an
eine wichtige und schöne Aufgabe für mich
und ich erfüllte sie mit grossem Pflichtbewusstsein.
Hunderte von Schnecken hinderte ich daran,
sich an ihnen satt zu fressen
und immer, wenn ich diese Blumen betrachtete
spürte ich ihre und meine Lebensfreude ganz intensiv.

Vor dem, was letzten Freitag, am 4.Mai geschah
vermochte ich sie nicht zu schützen.
Ein heftiges Hagelgewitter metzelte innert Sekunden alles dahin,
schlug kurz und klein, was eben noch erblühte.
Zurück bleibt ein Schlachtfeld,
das erschüttert und unendlich traurig macht,
das mir weh tut bei seinem blossen Anblick,
dass die Endgültigkeit der Tragödie voll bewusst macht
und dem man hilflos gegenüber steht.

Ich fühle mich innerlich so furchtbar verlassen,
halte 2 Nächte Trauerwache bei den verwesenden Teilchen,
die da nieder gemäht liegen.
Erleichterung oder Befreiung fühle ich trotzdem nicht,
ich bin noch nicht reif um Abschied zu nehmen.

Die anderen nehmen es jetzt einfach hin,
verstehen meine Trauer nicht,
begreifen nicht die Bedeutung, die diese Blumen für mich hatten.
Sie sagen: "Gott sei Dank, uns geht es ja gut
und die überschwemmten Keller und Waschküchen
geben wir der Versicherung an. Es waren ja nur Blumen.
Ihr Verlust bedroht unsere Existenz nicht!"

Vom Verstand her weiss ich, dass sie vermutlich recht haben,
dass ich dankbar sein muss,
dass uns bei dem Unwetter nicht mehr passiert ist.
Dennoch spüre ich grosse Trauer in mir
um den Verlust all unserer Blumen,
denn sie waren wie langjährige Freunde für mich

Ladina, 7.Mai 2001
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Abschied nehmen
*********************
Oft geschieht es,
dass ich längere Zeit,
nachdem die Beerdigung stattgefunden hat
an das Grab eines verstorbenen Freundes oder Bekannten trete.
Bei wenigen war es mir möglich
direkt zur Bestattung zu gehen,
meist hat es die Krankheit selbst unmöglich gemacht.
Doch ich habe das Bedürfnis Abschied zu nehmen
von dem Menschen selbst,
nicht von den gemeinsamen Erlebnissen.
An diese denke ich oft zurück.
Abschied nehmen heisst nicht vergessen,
doch es heisst vielleicht, etwas vollenden,
was bislang angebrochen und unfertig war,
so wie einer fortgeht, ohne Adieu zu sagen
als habe es nie eine Verbundenheit gegeben.
Für mich heisst Abschied nehmen hier auch,
die Verbundenheit bestätigen zu dürfen,
ein Gefühl der Nähe noch ein letztes Mal zu spüren
und dann bewusst los zu lassen

Ladina, 9.Juni 2001
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Passiv sein
°°°°°°°°°°°°°
In einer Phase intensivstem Aktivsein
ermahnt mich mein Körper zur Ruhe
mit einer leichten Schwäche in den Gliedern
und dumpfem Druckgefühl im Kopf.
Ich höre auf das Warnsignal,
nehme Abschied von den Plänen für heute,
fahre nach Hause und lege mich hin.

Passiv sein,
das heisst nicht, faul sein,
sondern zurück lehnen, zu sich selber kommen können
innerste Grundbedürfnisse wahrnehmen,
still stehen, wenn alle vorwärts preschen
um im In-Sich-Lauschen neue Energien auf zu spüren
für den Weg, der noch vor einem liegt.

Es ist so wichtig,
die Notrufe des Körpers nach Pause ernst zu nehmen
und wenn es sich jemand nicht gestattete,
so fordert der Körper seine Pause mit Mitteln ein,
die nicht übergangen und überspielt werden können.

Jede Maschine braucht eine Ruhepause,
um nicht heiss zu laufen, keinen Kurzschluss zu verursachen.
Wie viel komplexer ist das mit den Menschen?
Ich nehme die Notsignale ernst,
auch wenn andere schief gucken.

Ich lebe gerne und möchte es noch ein Weilchen.
Ich habe viel gekämpft fürs Leben
und es wäre schade, wenn ich zu früh abtreten muss,
bloss weil ich nicht auf mich selbst gehört habe
oder keine Zeit dazu zu haben glaubte.

Passiv sein
heisst mehr, als bloss Herumliegen und Nichtstun.
Es heisst vor allem,
sich Ruhe gönnen und Kräfte zu tanken
damit es morgen
mit neuer Energie
weitergeht!

Ladina, Juni 2001
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Jenny
*******
Nach mehreren Monaten treffe ich heute Jenny
per Zufall im Spital oben an
Jenny eine Kundin aus dem Geschäft
eine zierliche, dunkelhäutige Amerikanerin
eine Patientin mit multipler Persönlichkeitsstörung oder Schizophrenie, die manchmal monatelang wieder stationär in die Psychiatrie muss, wenn ihre Schübe zu heftig werden
Jenny ein Name, den bei uns im Geschäft jeder kennt
Jenny die bei manchen spöttisches Grinsen, Erheiterung oder betroffenes Schweigen auslöst, je nachdem, wie man ihr Auftreten deutet:
- Mit Cowboy-Hut und mehreren Handschellenpaaren am
Hosengurt der Nietenhose ist sie der Sheriff oder Privat-
Detektiv vom Dienst, resolut und bestimmt im Auftreten.
- Mit knappem Mini aus mehreren Strängen, silbrigem Top
und Ohrenringen bis zur Schulter ist sie ein Girl von der
Strasse auf der Suche nach Männern.
- Mit bunten Rock, der fast bis zum Boden geht, Kopftuch
und einem Schrubber in der Hand ist sie Fürsprecherin
für das Putzpersonal und spricht ohne Berührungsängste
Kunden im Konsum an mit: "Gälled Sie, ä Putzfrau isch au
en Mensch?!"
- Mit laut aufgedrehtem Radio, knallrotem Lederrock,
hochhackigen Stiefeln und schwarzer Schirmmütze aus
Leder ist sie Animatorin zum Tanzen.
Und ihre Stimmungen können von Minute zu Minute ändern
oder bleiben tagelang gleich.
Ja, so kenne ich Jenny seit Jahren.

Als ich sie heute treffe, ist sie ganz ruhig
fast zu still, finde ich, wenn man sie sonst erlebt.
Trotzdem angenehm.
Wahrscheinlich Medikamente?

Aber was sie sagt, wirkt gut nachvollziehbar, nicht verwirrt.
Auch ihre Stimme ist nicht mehr so schrill,
sondern besonnen und gefestigt.

Es ist ehrliche Freude, denke ich, auch von ihrer Seite
mich zu sehen.
Sie sagt: "Denk nie, das passiert mir nicht oder da gehe ich
sicher nie arbeiten, so minderwertige Arbeit mache ich
nicht. Du weißt nicht, was im Leben noch kommt und eines
Tages stehst Du da, wo Du nie sein wolltest und es ist
wichtig, dann noch Achtung vor Dir selbst zu haben,
sonst krepierst Du gleich."

Es ist ein eindrückliches Gespräch, das wir führen, vor
allem, wegen ihren Gedanken, die sie ausspricht.

Ist das die wirkliche Jenny, ausserhalb ihrer Krankheit?
Das, was sie in Wirklichkeit ist?
Oder sind es die Medikamente, die zwar die Störungen
ausschalten aber eine verfälschte Wirklichkeit zutage
fördern, eine gedämpfte, ruhigere als Jenny wäre
in der Realität.

Ist ihr eigenes Wesen von der Krankheit und den Medis
vielleicht bereits zerquetscht worden
mit Druck von beiden Seiten?
Ein furchtbarer Gedanke!

Oder kann ihr Wesen sich erholen, ist es stark genug,
sich wieder aufzubauen?

Habe ich heute vielleicht das seltene Glück genossen,
die wirkliche Jenny zu treffen,
Durfte ich ihr Vertrauen geniessen, ihren eigenen
Gedanken zuhören?

Eines ist sicher,
wenn sie wieder einmal ins Geschäft kommt
in einem ihrer Schübe
wird meine Betroffenheit
eine andere sein
als bisher

Ladina, Juni 2001
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Für Sulamith
***************
Wie ein warmer Sonnenstrahl
kamst Du in unser Leben
hast graue Arbeitstage
und traurige Gemüter
mit Deiner Herzlichkeit erhellt.
Wo Du warst
spürte man die Lebensfreude
und die Arbeit hat mehr Spass gemacht.

Seit Du fort bist
sind die Tage öfter wieder grau,
den Gemütern fehlt das Licht aus der Vergangenheit
und keiner kann es aussenden, so wie Du.

Aber immer, wenn wir von Dir sprechen
immer, wenn wir voller Dankbarkeit und Freude an Dich denken
ist Dein Sonnenstrahl
als besondere Erinnerung bei uns
und seine Wärme ist zu Gast in unserem Herzen

Ladina, Juni 2001
(Sulamith ist eine ehemalige Arbeitskollegin mit einem wundervollen Charakter, die Person, die an ihrer Stelle kurze Zeit darauf in mein Arbeitsleben trat, war in ihrer Bösartigkeit das krasseste Gegenteil von Sulamith, das es überhaupt gibt, ein Schock für alle und das Schlimmste, diese miese Person ist heute die Chefin in diesem Laden und ist dafür verantwortlich, dass ich meine Stelle verlor)
Dass Herzlichkeit allgemein aus den Selbstbedienungsläden mehr und mehr verbannt wird, erscheint mir persönlich eine sehr grosse Tragödie zu sein, die zum menschlichen Verarmungsprozess wesentlich beiträgt.
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Unverhofftes Wiedersehen
*******************************
Im Säntis-Restaurant bin ich heute,
nur um die ungewohnte Aussicht zu geniessen.
Eine grosse Gruppe wird zu Mittag erwartet,
viele Tische sind reserviert
und ich plane, den Abgang zu machen, wenn die kommen.

Noch versonnen schaue ich aus dem Fenster,
als eine Stimme an mein Ohr kommt, dazu eine andere,
die ruft: Carola
und beides zusammen ruft Erinnerungen wach:
Carola - sie war von 1983 bis 1990 meine fast allgegenwärtige
Trainingspartnerin bei und für Velorennen, 3 Jahre älter als ich und auch ausserhalb des Trainings radelten wir oft gemeinsam.
Meine Krankheit war dabei nie ein Thema gewesen.

Nach den Sommerferien 1990 konnte ich nicht mehr zum Training, da ich den Hirnschlag erlitten hatte.
Man teilte das dem Club mit und ich nehme an, es wurde auch weiter geleitet.
Ich hörte wenig vom Club, einzig die Clubzeitung informierte mich ein bisschen. Wahrscheinlich hatte man mich abgeschrieben.

Im Oktober dann, ich kam gerade aus der 1.Reha in Zihlschlacht noch immer im Rollstuhl und mit erheblichen Sprachschwierigkeiten, da rief mich Carola an und fragte, ob ich in den Herbstferien mit ihr radeln käme im Wallis.
Ich war ziemlich verblüfft und weil ich Schwierigkeiten hatte zu reden, sagte ich nur das Nötigste und das war:
"Kann nicht, ich sitze seit 3 Monaten!" (im Rollstuhl sagte ich nicht, für mich war das logisch)
doch Carola, sonst gewiss nicht dämlich, fragte nicht "Wo?" sondern "WARUM?"
"Hirnschlag" antwortete ich kurz und knapp.

Es muss sich für sie wie Totschlag angehört haben, denn sie fragte nicht wann oder warum,
sondern ganz erschrocken: "Ja sag, wem hast denn Du so auf den Kopf geschlagen?"
Es war für Carola so abwegig, dass ich von einer Krankheit betroffen sein könnte, die man laienhaft nur älteren Menschen zutraut, dass sie eher glaubte, ich sässe im Kittchen:
Dabei war ich in Zihlschlacht nicht mal die Jüngste.

"Ich sitze im Rollstuhl", sagte ich, worauf sie betreten schwieg.
"Räder am Füdli sind immerhin besser als Hämorrhoiden!", wagte ich zu scherzen, wobei mir dieser Satz grösste Schwierigkeiten bereitete.
Endlich ein Lachen für Sekunden, dann ein betroffenes: Das ist ja furchtbar und dann "Ja, aber Du scheinst das ja locker zu nehmen, Du ich seh grad, es ist schon 17.00h. Ich muss jetzt los. Tschüss dann, bis zum nächsten Mal!..."

Das nächste Mal kam und kam nicht, obwohl ich noch hoffte.
Ich rief Dutzende Male selber an, doch ich sprach bestenfalls mit ihrer Mutter: "Oh, Carola ist leider eben weg gegangen mit ihrem Schatz. Kann spät werden (Ich kannte das Lied schon bald in- und auswendig)
"Ja, es geht Carola molto bene. Ich sag ihr auf jeden Fall, dass Sie angerufen haben. Adieu!"
Keine Möglichkeit zu antworten.
Sie siezte mich wieder, obwohl sie vorher immer du gesagt hatte. Es kam mir vor, als wollte sie sich von mir distanzieren, als wollte sie mir signalisieren: Bleiben Sie mir bloss weg mit Ihrer Krankheit.

Und jetzt, Jahre später, sehe ich genau diese Carola wieder.
Sie steht in der Schlange vor dem Damen-WC, etwas vor mir,
mein Herz pocht bis zum Hals,
aber ich nehme all meinen Mut zusammen und wage ein leises:
"Hoi, Carola."

Sie fährt herum, ich sehe in ihre erschrockenen, erstaunten Augen.
"Du kannst wieder laufen?!"
"Ja, schon lange wieder - Gott sei Dank."
"Und Du gehst in die Berge?"
"Sieht so aus"
"Das ist ja super!" Zum ersten Mal sind wir wieder derselben Meinung.

Sie feiern Verlobung und ich soll an den Tisch kommen, die Mutter erschrecken, wie Carola es ausdrückt.
Die kommt auch wirklich fast "zum Hüüsli uus" als Carola und ich an den Tisch kommen.
Sie kennt mich sofort und duzt mich wieder, macht ihre Spässe wie früher und spricht eine Einladung aus: "Besuch uns doch mal wieder"

Es könnte fast gemütlich werden,
wäre da nicht die Erinnerung an die Jahre dazwischen,
an ihr aller Schweigen, ans Verlassensein,
als ich am nötigsten Freunde gebraucht hätte.

Ich möchte nicht nachtragend sein,
bin auch bereit zu verzeihen,
aber ich kann nicht dort anknüpfen, wo es endete,
so als wäre nichts dazwischen gewesen,
was schmerzlich war.
Ich kann es nicht vergessen und denken "Schwamm drüber"

Die Zeit der Besuche ist unwiederbringlich vorüber!

Ladina, Juli 2001
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Meine Hände

Ein als Querulant bekannter Kunde
beobachtete mich heute lange bei meiner Arbeit am Kunden-
dienst.
Er sah, wie ich die Fingerspitzen befeuchtete,
um Noten zu zählen oder Gutscheine zu sortieren.
Er beobachtete argwöhnisch, wie ich höchstens
2 Flaschen pro Hand halten und weiter befördern konnte.
Er bemerkte, dass ich langsamer tippe als andere
und dass meine Hände leicht zittern.
Und plötzlich keifte er mich an: "Sie sind ja total ungeschickt
und hier völlig fehlplatziert mit Ihren kleinen Krüppelhänden!"

Es hat mich sehr verletzt, mit welchen Worten er meine Hände beschrieb.
Es stimmt schon, dass meine Hände klein, etwas unbeholfen,
gefühlsarm und zittrig sind,
aber ich kann viel mit ihnen tun.
Sie reichen aus um ein weinendes Kind zu seiner Mama zu führen,
um fehlerlos zu tippen,
um den Kopierer zu bedienen und Fehler zu beheben
um übers Telefon Hilfe zu organisieren
um einen Blumenstrauss einzupacken
um Gestelle aufzufüllen
um die Tresorbestellung zu machen
um Belege auszufüllen
um Kohlrabiblätter zu entfernen.
Sie reichen aus
um etwas aufzuschreiben
um etwas aufzuputzen
um etwas mit Kreuzstich zu sticken
um ein Fahrrad zu lenken
um jemanden zu streicheln,
um Wertstoffe zu sammeln,
um etwas aufzuheben,
um einen verletzten Igel zur Station zu bringen
um ein Geschenk zu überreichen
um ein Blumensträusschen zu pflücken
um Handorgel oder Klavier zu spielen.

Meine Hände sind klein und gefühlsarm,
zittrig und etwas ungeschickt
aber sie reichen aus
um Gutes zu tun und Schönes
während er mit seinen gesunden Augen
wie es scheint
stets nur das Schlechte zu sehen vermag

Ladina, Juli 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Die Helferin
°°°°°°°°°°°°°°
Sie wacht heute Nacht an meinem Bett
und scheint doch weit entfernt.
Ich habe Schmerzen,
mir entweicht ein Stöhnen,
ehe mein Verstand es bremsen kann.
Ich hoffe sehr, sie hat mich nicht gehört,
denn ich möchte, dass sie ruhen kann,
mich nicht als strenge Patientin empfindet
und zugleich wünschte ich, sie hätte mich gehört,
denn ich sehne mich nach Trost.
Wieder ereilen mich in Wellen die Schmerzen
immer heftiger.
Es kommt jetzt drauf an,
wen ich wichtiger nehme
sie oder mich.
Ich tauche ab unter die Decke
und schreie leise Schreie
unter die schützende Hülle aus Stoff

Ladina, Juli 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
ANGST
""""""""""
Schwindel, so heftig, dass ich taumle und falle,
dazu starke Übelkeit und Brechreiz noch am Mittag.
Ein lange bekanntes Symptom, besiegt geglaubt,
ist urplötzlich wieder da, den 2. Tag schon
von jetzt auf sofort, ohne Vorwarnung.
Es schlägt zu wie ein Blitz aus heiterem Himmel,
wirft mich aus einen Hochgefühl heraus buchstäblich
zu Boden,
löst erst bloss Verwirrung aus ob der Heftigkeit
und während ich mich überrascht aufrapple
schiessen mir Gedanken in den Kopf, Erinnerungen mehr,
an die schreckliche Zeit davor,
an die schreckliche Ursache dieser Beschwerden damals als Kind.
Gehirntumor!
Dieses eine Wort dröhnt in meinem Gedächtnis,
hallt richtig nach, verspottet mich
und dann ANGST, nackte Angst.
Angst vor der Ahnung, die da heranpoltert
ehe ich mich in Sicherheit zu wiegen vermag.
Angst, die die innere Ruhe nicht mehr aufkommen lässt.
Angst vor dem Jetzt, Angst vor dem Morgen, Angst vor morgen.
Angst, welche die Geborgenheit von Gestern
nicht mehr spüren lässt,
Angst, die alles überschattet,
jeden Atemzug so schwer macht, als stände ich unter Smog.
Angst, die Panik auslöst, die innerlich beben lässt.
ein Gefühl, als stände mein Herz im nächsten Moment still.
Angst vor dieser Diagnose,
die mehr ist als nur ein Wort,
die alle Schrecken, alle Not und alle Qual in sich trägt,
die ein Wort nur haben kann

Ladina, Juli 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Neue Diagnose
""""""""""""""""""""
Nach einer schrecklichen Nacht voller Angst
und Beschwerden gleich denen eines Gehirntumors
bin ich nur noch ein klägliches Nervenbündel.
Falle acht Mal hin auf dem Weg zur Arbeit,
verzweifle schier.
Der Chef erkennt meine Not,
ohne dass ich viel zu sagen brauche.

Dann geht alles schnell.
Anruf beim Onkologen, Schildern der Symptome,
Anweisung sofort zu kommen mit einem Taxi.
Ernstgenommen in der Panik, aber dennoch beruhigt
"Es kann auch etwas im Innenohr sein…"
"Wir schauen das an"

Und sie schauen es an. Ganz genau
HNO, Neurologie, Labor, zur allerletzten Sicherheit dann doch noch ein Cranio-CT
Viele helfen auf dem Weg zur Diagnose.
Am 12. wird die Diagnose eröffnet.
Die Symptome erhalten einen Namen,
einen neuen Namen,
nicht den befürchteten.
Vermutete Diagnose bestätigt, Irrtum ausgeschlossen.
Eine Erkrankung des Innenohrs
Ursache unbekannt, Otosklerose keine vorhanden.
Der Name: Morbus Menière,
als Sonderform Lermoyez-Syndrom
Leider unheilbar
Nein, nein, nicht tödlich, aber rezidivierend vermutlich

Mir fällt ein Felsbrocken vom Herzen.
Vor dem Verdacht auf Krebs ist jede anders lautetende Diagnose erstmal eine Bagatelle im eigenen Empfinden.
Morbus Menière. Kein Todesurteil.
Damit lässt es sich leben!

Ladina, Juli 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Bereitschaftsdienst
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Jeden Mittwochabend um 20.00h
läuft bei uns im Fernsehen eine Krankenhaus-Serie.
Jeden Mittwochabend stellt sich meine Mutter
einem neuen schweren Schicksal
tritt als Zuschauerin in den OP,
auf den Notfall, auf die Intensiv,
lebt und leidet mit den Kranken
und bewundert den Arzt, der so fürsorglich ist.
Keine Sendung möchte sie verpassen,
bei keiner Folge möchte sie fehlen.
Bereitwillig nehme ich sie ihr auf Video auf
wenn sie live nicht gucken kann.
Was tut man nicht alles für seine Mutter!

Muss ich selbst ins Krankenhaus, zur OP, in den Notfall
oder sonst wohin, begleitet sie mich nie
im Gegenteil, sie drückt sich schon seit Jahren immerzu davor
mit den Worten: "Ich kann das nicht sehen, mir wird schlecht,
ich kann Dir keine Hilfe sein.

Bin ich doch mal tief gekränkt und wage vor dem Fernseher
den ironischen Kommentar: "Dass Du das hier verkraften kannst?!"
heisst es: "Du kannst das gut alleine, und Du bist ja jetzt erwachsen und ach ja, man kann nicht immer alles tun
für seine Tochter…"

Ladina, Juli 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Zwischenfall im Nirgendwo
*******************************
Ein Bild in meiner umnachteten Erinnerung
ist alles, was mir blieb:
Der Blick von weit oben auf einen blauen See,
der von Bergen umringt
und von der Sonne angestrahlt wurde
und auf dem ein weisser Dampfer herumfuhr.

Das Davor und Dazwischen ist verschollen, als ich,
wahrscheinlich Stunden später,
in Brienz am Seeufer bei Regen
wieder richtig zu mir komme.

Wieder die altbekannten Fragen, die ich mir stelle,
Fragen, die ohne Antwort bleiben.
Wie kam ich hier her?
Wozu?
Was wollte ich? Wo war ich? was habe ich erlebt?

Fragen, die gespenstisch sind, wenn keine Antwort möglich ist.

Ich wünschte, nur einmal würde mich ein vertrauter Mensch
neben mir auffinden,
der mir hinterher all die Fragen,
die mir so auf der Seele brennen, beantworten könnte,
damit sie und ich dazu Frieden fänden-

Ich bin nicht wirklich aus der Welt gewesen,
war aber auch nicht wirklich da.
Ich habe vielleicht gelacht, geweint, gestaunt, gezittert
aber ich weiss das alles nicht.
Es ist ein furchtbar verlassenes Gefühl in mir,
eine Einsamkeit in der Seele

Als ob eine Welt vor mir geflohen wäre…..

Ladina, Juli 2001
(einen Tag, nachdem es wieder passierte)
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Kleine Reisen
*****************
Velotour am Vierwaldstättersee, Aareschluchtwanderung
und eine Besichtigung der Reichenbachfälle -
kleine Reisen,
die grosser Schritte bedürfen
nach einer Krise, nach so einem Anfall.
Kleine Reisen,
begleitet von der Hoffnung,
dass es nicht wieder zum Erliegen kommt,
kleine Reisen,
die Mut erfordern,
wieder alleine etwas zu unternehmen
im Bewusstsein um das Risiko,
das solches in sich birgt
aber auch mit Zuversicht im Gepäck.

Kleine Reisen,
die ich erst mit Wachsamkeit begehe
und bei denen ich zaghaft aber doch bestimmt
die Kontrolle nach und nach loslassen muss
um wirklich geniessen zu können.
Kleine Reisen,
die so wichtig sind für mich,
wie eine Bestätigung für mein Selbstwertgefühl.

Nach einer Krise wie diesen Anfällen
wirkt jeder gelungene Katzensprung
wie eine Weltreise
und ich stelle erleichtert fest,
dass ich noch nicht ganz am Ende bin,
ich erhalte Gewissheit,
dass es mit mir auch positiv noch weiter gehen kann.

Ladina, Juli 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Vertrauen wächst anders
++++++++++++++++++++

Ein Kind, das wächst,
wird stetig grösser, kann immer mehr erreichen,
kommt immer weiter auf seinen Beinen
erobert kleine und grosse Welten.
Eine Blume, die wächst
kommt immer näher dem Himmel
und ihre Blätter greifen immer weiter hinaus
in andere Welten hinein.
Ein Baum, der wächst,
zieht Ringe um den eigentlichen Kern
und kommt in der Höhe immer weiter weg
von der Wurzel.

Vertrauen wächst anders.
Es geht in die Tiefe.
Erst vertraut man einem andern vielleicht
Erlebnisse einer eigenen Reise an,
vielleicht auch etwas von der Arbeit, von den Nachbarn.
Ist das Vertrauen noch stärker geworden
können die Inhalte der Offenheit schon die Familie betreffen.

Wenn Vertrauen ganz gross und tief geworden ist,
kann auch das persönlichste ausgesprochen werden.
Das, was einen selbst betrifft, das Wesentliche von einem,
auch die negativen Seiten, die Schwächen,
auch Dinge, die bedrücken.
Dann braucht es keine Ringe mehr
sein Innerstes auszuschmücken,
keine unendlichen Weiten, in die man ausholen muss.
Dann ist man so weit,
dass man bei sich selbst bleiben kann

Ladina, Juli 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Vereinsamtes Kind
**********************
Heute auf der Heimfahrt im Zug,
sass im Abteil neben mir ein Mann
mit einem dunkelhäutigen Buben, ca. 9 oder 10 Jahre alt.
Der Junge schaukelte
und stiess monotone, fremdartige Laute
und Lippengeräusche aus. Er wirkte ruhelos.
Erst dachte ich, es ist ein autistisches Kind,
aber dafür nahm er zu sehr an seiner Umwelt teil,
er sprach zwischendurch auch ganz normal,
verfiel aber immer neu in seine Stereotypen,
schaukelte und zischte.

Der Mann, vielleicht der Adoptivvater,
ermahnte ihn zur Ruhe, schimpfte, aber es nützte nichts.
Boris machte seine Geräusche und schaukelte
- ein offensichtlich schwer gestörtes Kind,
das alle Leute rundherum verständnislos machte -
nur mich nicht.

Ich konnte den Buben verstehen,
seine Gefühle und Signale nachvollziehen.

Boris schaukelte mit überdehnten Knien vor und zurück
und blubberte,
der Mann zeigte eine Spur von Mitgefühl und fragte den Buben,
ob seine Knie denn nicht schmerzen.
"Nein Papi, die tun mir nicht weh", sagte Boris
Der Vater berührte kurz die Knie des Kindes mit seinen Fingern,
da - die Hände von Boris versuchten seine zu erhaschen,
doch schon entzog sie ihm der Vater und schimpfte:
"Jetzt bis doch emol ruhig, Boris!"

Vergeblich,
schon schaukelte der wieder hin und her, vor und zurück.
Ich wollte aufspringen und sagen: "Geben Sie dem Buben doch ihre Hand, dann fühlt er sich geborgen, dann hat der Junge Halt
und er hört auf zu schaukeln."
aber ich blieb stumm,
ungebetene Kommentare mögen Leute nicht,
der Vater war sowieso schon sehr gereizt.
Die beiden verliessen den Zug in Winterthur.

Ich blieb zurück und hoffte, der Mann würde baldigst verstehen,
was sein Junge ihm unbewusst mitteilt,
mit seinen auffälligen Gebärden

Ladina, Juli 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
In Erinnerung an Daniel Oesch (1991 - 1999)
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Du hast in Deinem kurzen Leben
so manchen Menschen viel gegeben
hast in der Krankheit noch Grosses vollbracht
vielen andern Mut und Hoffnung gemacht.
Dein eigenes Leben verlosch viel zu früh,
doch ganz viele Menschen vergessen Dich nie.
In ihnen wirst Du weiterleben
und all das Kostbare, was Du ihnen und uns hast gegeben

Danke Daniel
(für den leukämiekranken Daniel wurde in der Schweiz eine grosse Knochenmarkspender-Aktion lanciert, die viele neue Spender motivierte)
**********************************************************************************
Ziemlich genau 2 Jahre bevor der Knochenmarkspender-Aufruf für Daniel und andere Leukämiebetroffene im Fernsehen ausgestrahlt wurde, zeigten diverse Fernsehstationen das Melodrama: "Mutter, ich will nicht sterben" Eine Schnulze ohne jeglichen Bezug zur Realität, dessen mehrfache Ausstrahlung ich nicht unkommentiert lassen konnte.

Folgenden Brief schrieb ich an alle beteiligten Fernsehsender sowie an die Zeitschrift TELE und HÖRZU welche meinen Leserbrief in der Nr. 18/1997 abdruckte:

Lügen, nichts als Lügen

Ich kann es kaum fassen, dass dieser schreckliche, absolut unrealistische Film schon wieder ausgestrahlt wurde!
Dieser miserabel oder gar nicht recherchierte Film verbreitet verantwortungslos Lügen mit verhängnisvollen Folgen für real an Leukämie erkrankte Menschen, da er Leute, die zur freiwilligen Knochenmarkspende bereit wären, abschreckt, sich zu melden.
Als sehr gut informierte Zuschauerin möchte ich festhalten, dass vor einer operativen Knochenmarksentnahme der Gesundheitszustand des Spenders aufs Sorgfältigste abgeklärt wird (inklusive EKG und Thoraxaufnahme)
Die schwer asthmatische Mutter im Film wäre in der Praxis NIE als Spenderin zugelassen worden, da beim geringsten Risiko, dass der Spender den für Gesunde harmlosen Eingriff nicht überleben könnte, die Entnahme NICHT durchgeführt wird.
Menschen werden nie und nimmer geopfert.

Ich plädiere dafür, diesen unmöglichen Film ab sofort vom Bildschirm zu verbannen.
Jede weitere Ausstrahlung werte ich als verantwortungsloses Handeln, das einem Todesurteil für manchen Leukämiekranken gleichkommt!

(Bis heute scheint es genützt zu haben, falls der Film doch irgendwo wieder auftaucht, bitte nicht ernst nehmen.
Danke ,
Ladina.
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Aus dem 5. Band: Wie eine Feder so leicht II

Beitragvon Ladina » Sa 13 Okt 2007 19:24

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Beitragvon Ladina » Do 1 Nov 2007 17:26

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Beitragvon Ladina » Do 1 Nov 2007 21:26

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Beitragvon Ladina » So 2 Dez 2007 21:33

Gute Ärgernisse
°°°°°°°°°°°°°°°°
Früher war ich manchmal unzufrieden mit meinem Leben
und ich regte mich über Kleinigkeiten auf,
die seit meiner Krankheit so banal,
so unwichtig, so lächerlich geworden sind.
Was ist schon ein Schlechtwetter-Tag?
Was ist schon ein verpasstes Tram?
Was ist schon ein Pickel auf der Nase ,ein Riss in der Lieblingshose
oder ein schlechtes Passfoto?
Nichts als eine Kleinigkeit.

Doch es wäre gelogen,
würde ich behaupten,
mich wirklich nie mehr
über Banalitäten aufzuregen.

Die geschieht in den wenigen Momenten,
wo ich absolut nicht an meine Krankheit denke
sondern nur an das versäumte Konzert,
nur an die misslungene Video-Aufzeichnung,
nur an die fehlgeschlagene Wanderung.

Dann kann ich rasend werden vor Wut,
mich niedergeschmettert fühlen,
jammern über diese Ungerechtigkeit.

Dann ist mein Leben für einmal nicht
von schwerer Krankheit beherrscht
sondern nur von den Belanglosigkeiten,
wie sie jedes Leben dann und wann durchstreifen.
Und das ist dann, denke ich, auch gut so.

Ladina, Nov. 1994
-----------------------------------------------------------------------------------

Keine falschen Hoffnungen
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Wieder einmal
ist meine Seele erstarrt
durch die neue Tumordiagnose.
Wieder einmal
ist sie wie erfroren
weil der Tod seine eiskalte Hand nach mir ausstreckt
und meine Möglichkeiten, ihn nochmals abzuschütteln
so beschränkt sind.
Erinnerungen sind es,
die meine Seele zu erwärmen vermögen
und Träume, Hoffnungen und menschliche Kontakte.
Sie geben mir wieder neue Kraft.
Kraft zum Kämpfen. Kraft zum Leben, trotz allem.
Sie bereiten mir wieder Freude,
bei ihnen tanke ich auf oder finde ich Trost,
sie lösen die innerliche Erstarrung
oder machen sie erträglicher.
Doch bitte,
weckt in mir keine falschen Hoffnungen!
Auch sie vermögen mir zwar auf Zeit Kraft zu spenden,
aber sie halten Belastungen nicht stand
und wenn ich das merke,
erstarrt meine Seele erneut.
Geschieht das zu oft,
wird sie eines Tages nie mehr auftauen,
dann ist mein Vertrauen für immer gebrochen
und ich muss sterben.

Ladina, Juni 1993
----------------------------------------------------------------------------

Auch dann noch
°°°°°°°°°°°°°°°°

Es ist sicher
dass ich meinen Krebs
im Endeffekt nicht wirklich besiegen kann.
Es scheint klar,
dass er doch stärker ist als ich,
selbst wenn ich immer neue Teilsiege erringe,
selbst wenn ich bereit bin,
aggressivste Chemos mitzumachen.
Irgendwann
beim nächsten oder übernächsten Rückfall
wird er sein Ziel,
mich zu töten,
erreichen.
Aber selbst wenn es dann so scheint,
als wär’ er stärker gewesen als ich,
auch wenn die Leute sagen:
„ Sie hat den Kampf gegen den Krebs verloren.“
Irgendwie habe ich auch dann noch gewonnen,
irgendwie werde ich auch dann noch Siegerin sein.

Ladina, Juni 1993
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Gedichte

Beitragvon Ladina » Sa 8 Dez 2007 21:11

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Gemischtes

Beitragvon Ladina » Mi 19 Dez 2007 18:52

Vergangenheitsbewältigung
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Die Hälfte meines Lebens ist von einer Krankheit bestimmt.
Unzählige Tränen habe ich deswegen geweint
vor Verzweiflung, vor Schmerz
und mir oft gewünscht, alles wäre nur ein böser Traum.
Und doch, solllte ich das Glück haben, einmal wieder ganz gesund zu werden,
so werde ich dennoch an die Zeit meiner Krankheit zurückdenken.
Nicht im Gram werde ich das tun,
nicht trauern um die verlorene Zeit.
Es wird einfach Erleichterung sein, dass ich es überstanden habe,
Es wird Hilfe sein, wenn mir etwas Schweres bevorsteht.

Ein solcher Rückblick muss die Sicht in die Zukunft nicht trüben,
er vertieft vielmehr die Eindrücke,
macht Ausblicke deutlicher,
rückt Distanzen näher.

Ich kenne einige junge Leute,
die die Tage ihrer Krankheit um jeden Preis vergessen wollen,
die sich keine Sekunde mehr daran erinnern möchten, dass sie einmal
im Tal der Tränen gingen.
Sie leben sorglos in den Tag,
manche rauchen, saufen und hängen herum
andere vergeuden die Lebenszeit, um die sie so kämpften in sinnloser Weise.

Vergessen sind die Vorsätze, die sie während der Chemo machten,
sehnsüchtig ein Stückchen Freiheit erhoffend
um das kostbarste wieder einmal voll zu geniessen.
Indem sie sich von der Erinnerung an den Krebs und die dunklen Stunden
befreiten,
gaben sie dem eintönigen Alltag wieder die Möglichkeit,
sie gefangen zu nehmen.

Vergangenheitsbewältigung
muss nicht heissen
alles Schwere von früher zu vergessen oder zu verdrängen.
Es heisst vielmehr
mit dem Bewusstsein an die dunkle Zeit weiterzuleben,
die Erinnerung daran
mithineinzunehmen
in eine umso lebenswertere Zukunft!

Ladina, März 1997

--------------------------------------------------------------------------
Rauchende Jugendliche
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Manchmal
wenn ich junge Menschen rauchen sehe
werde ich abgrundtief böse
und unbeschreiblich traurig.
Nicht, weil ich neidisch auf sie wär’,
nicht weil ich es auch tun wollte,
sondern weil sie Gesundheit haben
und sie nicht wollen!

Ladina, Sommer 1994

--------------------------------------------------------------------------------

Spuren von hilfreichen Schritten
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Ich sitze im Bett
umgeben von Zeichen von Menschen
die mir vor kurzem oder langem
einmal nahe standen,
die sagten, sie wären meine Freunde
es auch einige Zeit waren,
doch sich dann wieder zurückzogen von mir,
mich zurückliessen mit der quälenden Frage: Was habe ich bloss falsch gemacht?
All diese Zeichen, Briefe und Kartengrüsse
vor kurzem oder langem
liebevoll in eine edle Schatulle gelegt
als schöne Erinnerung
liegen jetzt verstreut auf meinem Bett.
Ich sollte mich von einigen trennen,
denn der Stauraum meines Zimmers wird knapp
und neue liebe Menschen
schenken mir Zeichen, die ich mir aufbewahren möchte
in dieser edlen Schatulle.
Doch
es fällt mir unendlich schwer, mich zu entscheiden,
welche ich weggeben soll.
An vielem hängt mein Herz noch immer
auch wenn der betreffende Mensch seine Freundschaft
längst jemand anderem schenkte.

Irgendwie sind die Zeichen für mich noch immer das geblieben
was sie einst waren:
SPUREN
von hilfreichen Schritten an meiner Seite.

Ladina, April 1998

------------------------------------------------------------------------------

Lebenszeit
°°°°°°°°°°
Mit dem momentanen Krebsstillstand
habe ich Lebenszeit geschenkt bekommen.
Lebenszeit, jahrelang erträumt und erkämpft
steht erwartungsvoll vor mir,
offen für mich.
Und wie sie mir willkommen ist.
In meiner Gedankenwelt gab es sie schon lange,
ich füllte sie mit Wünschen, Träumen und Erwartungen,
hatte dies und jenes mit ihr vor.
Oft war es nur sie, die meinen Lebenswillen nährte,
auch wenn das Ziel noch so weit weg war.

Und jetzt ist sie tatsächlich da,
aber den kühnen Träumen und Wünschen
vermag sie nicht zu entsprechen.

Ich fühle mich zu Anfang noch enttäuscht,
enttäuscht, wie ein Kind, dessen geschenkte Puppe
ganz anders aussieht und anderes kann, als die gewünschte.

Aber ich begreife auch, dass es ein Trugschluss ist zu glauben,
dass, weil ich die Krankheit nun im Griff habe
auch alles andere so verlaufen müsste,
wie ich es mir wünschte oder erträumte.

Diese Lebenszeit ist kostbar
zu schade, sie zu versauern
und Träumen hinterher zu trauern
die schon existierten, bevor die Zeit kam in Realität.

Es gilt jetzt einfach
ein wenig anders zu leben, als zuvor erträumt,
offen zu sein,
für das,
was diese Lebenszeit bietet.
Spontan das zu tun, was möglich ist
die Gegebenheiten zu akzeptieren und auch die Schranken.

Ich beginne
im abgegrenzten Raum
die Freiheit zu spüren
und neue gerechtere Träume zu gebären….

Ladina, Juni 2002


Der neue Arzt
°°°°°°°°°°°°°
Eine mehrere hundert Seiten dicke Krankenakte
liegt vor ihm auf dem Pult.
Eine Akte mit Therapieberichten, Krankheitsverlauf, CT- und MRI-Aufnahmen, Szintigrammen, Laborbefunden, Tumormarkern, TNF-Faktoren…
Stundenlang hat er sie studiert und nun glaubt er,
mich genau zu kennen, alles Wichtige von mir erfahren zu haben.
Er denkt bestimmt, ich würde nur aus Krebs bestehen.
Er fragt nicht danach, wie es mir geht.
Er erzählt von sich, er sei eine Kapazität auf diesem gebiet, seit über 20 Jahren.
Ob ihm bewusst ist, dass ich,
während er noch Theorie über Krebs büffelte,
bereits die ersten körperlichen Auswirkungen der Krankheit und
der Therapie zu spüren bekam?
Er habe „Erfahrung“ mit solchen Erkrankungen.
Trotzdem sieht er keine realen Chancen mehr für mich, möchte ehrlich sein,
kann es sich nicht erklären, wie ich so lange durchhalten konnte.
Die Akte sagt nichts darüber aus,
die grossen und kleinen menschlichen und natürlichen Helfershelfer
finden darin keine Erwähnung.
Er könnte mich jetzt fragen, aber er tut es nicht.
Er könnte meine Gedichte und die Bilder kennenlernen,
die auf ca. 500 A4-Seiten mehr über mich aussagen,
als die ganze dicke Akte.
Nein, es tue ihm leid, dass er mir nicht helfen könne.
Er gibt mir die Hand, aber man könne wirklich nichts mehr tun.

Er weiss nicht, dass mir dies schon anno 1988 gesagt worden ist.
Er weiss nichts von der Hoffnung,
die jahrelang stärker war als der Tod

Ladina, Dezember 1996
Zuletzt geändert von Ladina am Mi 22 Mai 2019 22:18, insgesamt 3-mal geändert.

Ladina
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Gedichte aus dem 6.Band: Mit dem Krebs kam das NEIN

Beitragvon Ladina » Mi 19 Dez 2007 19:07

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Fragen über Fragen II
¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦

Jahrelang erträumt, erhofft und herbei gesehnt
ist der Moment, wo mir gesagt würde,
ich brauche nicht mehr her zu kommen ins Spital,
jede Woche, jeden Monat.

Jahrelang habe ich ihn mir ausgemalt in den schönsten Farben,
den Tag, wo ich ausser Therapie bin und frei werde,
den Jubel darüber in mir.
Und nun?

Jetzt ist da diese haltlose Leere in mir,
als wäre ich aufgegeben worden
und ich kann sie nicht wirklich verscheuchen
auch wenn ich mir wieder und wieder bewusst mache
dass das Entlassensein bedeutet,
dass ich ans Leben abgegeben worden bin.

Kurzfristig kommt Freude in mein Herz,
aber die Unsicherheit verdrängt sie,
wie eine schwere, graue Wolke den ersten zaghaften Sonnenstrahl
und diese Wolke wird gross und grösser.

Ich weiss nicht mehr, wie das geht,
gesund zu sein oder gesünder.
Ich frage mich: Muss ich mich nun ändern,
muss ich jetzt anders sein?
Stabiler? Cooler?

Begreifen es meine Freunde,
wenn ich nach wie vor Halt suche und Nähe brauche.
Darf ich weiter Begebenheiten während der Krankheit
in Gedichten ansprechen und verarbeiten
oder muss ich alle Gedanken daran, alle Erinnerungen
künftig totschweigen?

Wie kann ich mit den Beeinträchtigungen je normal werden
und mich gesund fühlen?
Und wo sind die Grenzen des Wohlbefindens?

Ich denke zurück, wie es war, als ich neu erkrankte,
wie ich meine kleine, heile Welt von jetzt auf sofort verlor
und in Schutt und Asche liegen sah.

Oft fühlte ich mich als Gefangene im Spital.
Jetzt merke ich, dass das Gefängnis doch auch Sicherheit bedeutete,
dass es Halt gegeben hat zu wissen,
nächste Woche bin ich wieder in der Klinik
und wenn Beschwerden auftauchen,
klärt man sie sofort ab.

Es ist zu lange her, als dass ich dort anknüpfen könnte,
wo mich die Krankheit gestoppt hatte.
Ich bin eine ganz andere Person geworden,
die Welt da draussen ist mir fremd,
die Probleme der Leute sind nicht meine,
viele davon kommen mir lächerlich vor.

Ich brauche Lebenshilfe für den gewöhnlichen Alltag,
den sie alle in- und auswendig kennen,
den sie wie im Schlaf bewältigen.

Ich rede den gleichen Dialekt
und spreche ich eine ganz andere Sprache
als meine Altersgenossen.
Ich habe Dinge erlebt,
die viele von ihnen nie erleben werden
und das prägt mein ganzes Leben,
das macht mich anders
und ich möchte es eigentlich nicht vergessen,
was für ein Wunder es ist, dass ich leben kann,
auch wenn ich dadurch anders bleibe für immer.

Aber ob ich das kann,
ob ich mich nicht doch der Oberflächlichkeit anpassen muss,
um irgendwo ausserhalb meines Freundeskreises
für voll genommen zu werden?
Um nicht ewig anzuecken
und ausgegrenzt zu werden??

Fragen über Fragen,
die mir keiner beantworten kann
ausser mein neues Leben

Ladina, Januar 2000
-------------------------------------------------------------------

Geschenk des Lebens
*******************
Im Moment zeigen sich im Verlauf meiner Krankheit
unerwartete Erfolge
und auch mein operierter Fuss heilt gut trotz Chemo.
Ich bin verblüfft und staune.
Manche sagen mir: "Du hast so lange darum kämpfen müssen,
das ist das, was Du schon längst verdient hättest!"
Aber für mich hat Wohlbefinden
nichts mit Verdienst zu tun.

Ich nehme es einfach
überglücklich und dankbar an
als ein Geschenk des Lebens!

Ladina, Januar 2000
--------------------------------------------------------------

Glücksmomente
*******************
Jeder noch so kurze Glücksmoment
geht als Besonderheit in meine Erinnerungen ein,
wird gehegt und gepflegt von mir,
damit er auch ja nicht in Vergessenheit gerät,
wird wieder und wieder von mir hervorgeholt und aufgearbeitet,
und so immer neu als Glücksmoment empfunden.

So, wie die Kuh einen Haufen feines Gras
genüsslich frisst und diesen ewig wiederkäut,
sodass eventuelle Beobachter denken,
sie frässe immens viel,
so ähnlich geht das mit meinen Erinnerungen
an glückliche Momente, Tage und Erlebnisse.

Vielleicht ist mein Leben nicht reicher
als dasjenige der meisten anderen Menschen,
aber ich empfinde es so!

Ladina, Januar 2000
-----------------------------------------------------------------------

Auseinandersetzung mit dem Sterben
========================
Ganz bewusst
habe ich mich schon zu Beginn meiner Wiedererkrankung
mit dem Sterben auseinander gesetzt.
Es sollte nicht kommen wie ein Sturm.

Ich habe mich den Gedanken daran ausgesetzt
und doch immer neu auf die Hoffnung gesetzt.
Ich habe den Weg der Zuversicht eingeschlagen
und es zwischendurch gewagt,
in die andere Richtung zu schauen und zu denken.
So ist das eigene Sterben immer eine Möglichkeit geblieben,
die mir bewusst war.

Ich habe die Gefühle und die Gedanken daran nicht verdrängt,
ich habe sie zugelassen
und sie aufgeschrieben, wann immer sie bewusst in mir waren
auch mitten in der Zuversicht
auch mitten in einer Remission
auch mitten im Warten auf den neusten Befund.

Diese bewusste Auseinandersetzung
mit meinem eigenen Sterben
irgendwann
gehörte stets zu meinem Leben mit dazu

und sie gehört es auch weiterhin…

Ladina, Januar 2000
----------------------------------------------------------------------------

Ausser der Regel
+++++++++++++++
Eine heftige Blutung verbunden mit Unterleibsschmerzen
zwang mich zurück ins Krankenhaus.
Beunruhigte Gesichter schauten besorgt auf mich herab,
eigene Ängste brachten mich an den Rand der Verzweiflung.

Manuelle Untersuchung in der Gyn,
der Mimik der mir fremden Ärztin kann ich nichts entnehmen,
sie nickt und schüttelt dann wieder leicht den Kopf.
Sie fragt, ob ich das Orgametril noch nehme
und ich bejahe, das ist ja der Grund meiner Beunruhigung,
es fühlt sich genauso wie eine Regelblutung an
und kann doch keine sein unter Orgametril,
das die Blutung in der plättchenarmen Zeit verhindert.

Dann Sono,
die Muster auf dem Bildschirm sind undurchschaubar für mich,
die Angst droht übermächtig zu werden, da auch die Schmerzen zunehmen,
doch der Arzt mit seiner beruhigenden Stimme
nimmt mir von Sekunde zu Sekunde die Panik im Innern.
Er kommentiert in verständlicher Sprache seine Entdeckungen für mich
und sie erschrecken mich nicht weiter.

Trotz Orgametril ist diese Blutung ausser der Regel
eben doch die Regel,
es ist ein kleines Rätsel wie das kommen konnte,
aber ich kann ohne seine Lösung weiter gehen
hinaus ins Leben,
hinein in die normalen, monatlichen Tage einer jeden Frau.

Ladina, Januar 2000
---------------------------------------------------------------------------------

Reflektionen
°°°°°°°°°°°°°°
In manchen Gedichten habe ich geschrieben,
meine Krankheit habe mich verändert
und heute überlege ich,
ob das wirklich so ist.
Weiss ich denn,
wie ich ohne diese Krankheit geworden wäre?
Ich bin doch damit gross geworden!

Ich lese Briefe, die Lehrerinnen von mir
an meine Mutter schrieben,
darin steht, sie bewunderten meinen Mut
und seien tief berührt von meiner Lebensfreude,
die ich ausstrahlte und vom starken Willen,
vom sozialen Wesen und dem Talent,
sinnvolle Kompromisse zu finden.
Das war zu einer Zeit,
wo ich zwar schon Krebs hatte,
es aber nicht wirklich wusste.

Vielleicht hat mich die Krankheit gar nicht verändert,

vielleicht bin ich einfach so…

Ladina, Januar 2000
----------------------------------------------------------------------------------
Zusammenbruch in Luzern
"""""""""""""""""""""""""""""""""""
Einmal mehr versagte mir mein Körper den Dienst.
In der Hoffnung, vergriffene Bücher zu finden reiste ich an,
in der Gewissheit, wieder alle Leistungsfähigkeit verloren zu haben,
blieb ich am Bahnhof für die nächsten 5 Stunden.
Erbrechen mitten auf dem Perron,
böse angeekelte Blicke,
Sägemehl, das gebracht wird -
das kriege ich noch mit.
Dann zwei orange Gleisarbeiter,
die sich vielsagend zublinzeln, einer links, einer rechts
und mich grinsend abschleppen auf die nächste Bank,
das ist das Letzte,
was mir im Gedächtnis noch haften bleibt
von diesem unglückseligen Morgen.
Ich muss sie dankbar anlächeln
und möchte doch schluchzen vor Verzweiflung,
es nicht ohne Hilfe zu schaffen,
zur nächsten Sitzbank zu gelangen.
Dann sitze ich wohl einfach da.
Als ich dann wieder "klar" bin, ist es wie ein Blinzeln
in einen neuen, unbegreiflichen Morgen,
dabei ist es schon Nachmittag.
Langsam fällt es mir wieder ein,
wo ich bin und was ich wollte,
doch es ist zu spät,
ich kann nur mit dem Zug wieder heim fahren
unverrichteter Dinge.
Die letzte Empfindung vor dem Zusammenbruch ist jene,
die mir zuerst wieder einfällt
und die mich nicht mehr loslässt,
die mich nachhaltig erschüttert und kränkt
noch viele bewusste Stunden danach.
Für ein liebloses Abschleppen dankbar lächeln müssen
und doch schluchzen mögen vor Verzweiflung
mich wildfremden Menschen in meiner Unzulänglichkeit
preiszugeben

Ladina, Februar 2000
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Gedanken ans Sterben
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Vielleicht ist es seltsam,
doch es hilft mir,
in gesunden, freien Tagen
Gedanken ans Sterben zuzulassen und zu verarbeiten.

Sie trüben den guten Tag nicht,
sie vertiefen nur das Gefühl der Dankbarkeit
für den unbeschwerten Moment.

Es hilft mir,
Gedanken ans Sterben
schon im Leben aufzuarbeiten
und nicht erst in den unmittelbaren Stunden davor.
Es hilft mir und auch andern,
die dann eventuell um mich sind.
Die Gedanken, die ich mir heute mache
sind gewiss auch dann noch verlässlich,
es würden wohl keine anderen sein.

Sie sind wohl dann noch genauso wie heute in mir,
doch kann ich sie vielleicht dann nicht mehr finden,
ich werde ihnen evtl. keinen Ausdruck mehr verschaffen können,
weil mir vielleicht die Kraft zu sprechen fehlt
oder die Worte nicht mehr in mich finden.

Und deshalb ist es wichtig für mich
alles herauszulassen, was an Gedanken in mir ist,
sie aufzuschreiben, sobald ich es kann
auch dann
wenn das Thema
fehl am Platze scheint.

Ladina, Feb. 00
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Überraschung statt Enttäuschung
++++++++++++++++++++++++++
Weitläufige Pläne,
hochtrabende Ziele in weiter Ferne
sind nicht mehr für mich gedacht.
Ich nehme nur noch Tag für Tag in Angriff,
schaue, was im Augenblick möglich ist
und arrangiere mich entsprechend.

Konkrete Pläne für das kommende Wochenende
mache ich keine mehr,
zu oft traf mich die Enttäuschung,
wenn die Kräfte es nicht mehr zuliessen.

Ich lege mich nicht mehr fest darauf, was ich tun will,
sondern beziehe immer verschiedene Varianten
in meine Überlegungen mit ein.

So habe ich für jedes Befinden einen Plan oder ein Ziel
und die Enttäuschung über einen Kräfteabfall
wiegt nicht mehr so schwer.

Ich richte mich dann häuslich ein,
und verlebe den Tag dann eben daheim.
Und wenn die Kräfte ausreichen,
wenn ich mich wohlfühle und Energien spüre,
dann ist das immer wie eine schöne Überraschung,
ein unverhofftes Glücksgefühl
und der Tag wird schön.

Vom Wetter unabhängig
erfülle ich mir einen der vielen Träume
die in mir wachsen
in den Tagen daheim

Ladina, Feb. 2000
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Zwischenfall im MRT
"""""""""""""""""""""""""""
Eine ganz gewöhnliche MRT-Untersuchung der Hüfte.
Ich liege schon in der Röhre,
bestens informiert und ohne jegliche Angst,
längst sind mir die Geräusche des Kernspins,
die an Synthesizer oder Street Parade erinnern, vertraut.
Der Schwall Mageninhalt, der so plötzlich
und ohne wahrnehmbare Vorwarnung aus mir raus
an die Decke der Röhre schwappt und von dort zurücktropft
auf mein Gesicht,
setzt allem ein jähes Ende.

Abrupt verstummen die Geräusche,
die Bahre fährt aus der Röhre raus,
selbst ohne Brille kann ich
das verärgerte Gesicht der MTRA erspüren
und ihr Vorwurf lässt sich nicht lange bitten: "Aber Sie hätten doch sagen müssen, dass Ihnen schlecht ist!",
fährt sie mich an,
"jetzt können wir alle heimschicken, bis das sauber ist,
desinfiziert und es wieder menschenwürdig riecht darin - das kann Tage dauern. Oh Gott, warum haben Sie nicht geläutet oder den Mund aufgemacht?!!!"

Ich kann mich nicht mehr wehren oder verteidigen,
fühle mich wie ein unmündiges Kleinkind
und zittere am ganzen Leib.
Wenn sie wüsste, wie gerne ich es gemeldet hätte,
wenn ich es nur gespürt hätte,
aber mir ist doch IMMER übel.
Ich könnte pausenlos jammern,
aber ich musste mich dran gewöhnen,
ich spüre nicht mehr wo normale Übelkeit aufhört und Brechreiz beginnt,
im wahrsten Sinne des Wortes
habe ich wohl oder übel,
dieses ständige Missempfinden als Bestandteil
meines Daseins akzeptieren müssen
um einigermassen funktionstüchtig zu bleiben
- doch nichts davon spreche ich aus,
ich bin zu sehr beschämt
und in meiner Würde von ihr verletzt.
Sie müsste doch wissen, dass man so was nicht mit Absicht macht.
Meine leise Entschuldigung geht unter
in ihrer Aufregung.

Draussen schleust sie mich an den anderen Wartenden vorbei und sagt: "da gab es eine unliebsame Überraschung, Sie werden noch warten müssen!"
Ich bekomme noch mit, wie sie in den umliegenden Kliniken
die Kapazitäten vom Kernspin abklären und anfragen, ob man Patienten überweisen könne,
weil man hier quasi nur noch in die Röhre gucke,
es habe eine reingekotzt!

Ich habe den Eindruck, sie redet noch extra laut,
als wenn es mir nicht schon so klar wäre,
was ich anrichtete ohne es zu wollen.

Mit Schrecken denke ich daran,
für diese Untersuchung wieder herkommen zu müssen
und schon schneidet sie das Thema an:
"Sie kriegen Bescheid, wenn wir wieder Zeit für Sie haben und dann kommen Sie doch bitte nüchtern!"

Das ist zuviel für mich!
Ich möchte sie anschreien und sagen, sie soll da zurücknehmen, aber ich weiss, es hätte keinen Sinn.

Ich gehe grusslos weg, kontaktiere daheim telefonisch
meinen Onkologen und bitte ihn, mich für die Wiederholung der Untersuchung in der Privatklinik anzumelden

Und obwohl das absolut unüblich ist,
er versucht nicht, mich umzustimmen,
er versteht mich, ohne dass ich all das Erniedrigen schildern muss und meldet mich umgehend
bei der Konkurrenz an.

Ladina, Februar 2000
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In Erinnerung an den 10. Jahrestag meiner KMT
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Wenige Monate, nachdem ich von der Transplantation zurückgekehrt war,
hörte ich mit meiner ehemaligen Gastmutter Cécile
einem öffentlichen Blasmusikkonzert am Kantonsspital zu
und war beseelt von den festlichen Tönen.
In einer Pause vertraute ich ihr an:
"So ein Konzert wünsche ich mir zu meinem 10. Jahrestag der KMT!"
Und dabei war es der Prognose gemäss schon unwahrscheinlich, dass ich die folgenden 2 Jahre ohne Rückfall überstehen könnte.
Ich wusste das und sie als Krankenschwester wusste es auch.
Aber sie sagte nichts,
schlug es mir nicht aus dem Kopf,
liess mich mit diesem besonderen Traum am Leben bleiben.
Die Jahre zogen dahin, mit diesem und jenem, einer Neuerkrankung, aber keinem Leukämie-Rückfall.

Am 10. Jahrestag meiner KMT arbeitete ich 100%, bekam als besondere Überraschung eine mit 10 rosa Kerzen geschmückte
köstliche Schokoladentorte von einer Kundin und Freundin überreicht und ass abends genüsslich davon,
als das Telefon läutete:
Es war Cécile, meine Gastmutter, und sie fragte:
"Hast Du Zeit? Komm doch schnell zu mir rüber!"

Sie empfing mich nicht allein. Eine ganze Formation Bläser
war vor ihrem Haus und sie spielten für mich
50 Minuten lang.

Diesen Abend voller Freude
vergesse ich mein Leben lang nicht wieder.
Nie mehr seit jenem Novemberabend
habe ich das Konzert Cécile gegenüber nochmals erwähnt,
aber sie hat es sich behalten,
es nicht als wirres Geschwafel abgetan und vergessen,
sondern sie hat daran gedacht,
zum rechten Zeitpunkt zu organisieren begonnen,
trotz ihrer angeschlagenen Gesundheit
und mir dieses Konzert ermöglicht,
als besonderes Geschenk von einer,
die an mich geglaubt hat
10 Jahre lang und mehr

Ladina, Februar 2000
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Empathie
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Ich lese einen Erlebnisbericht einer Jugendlichen,
die an Leukämie erkrankt war.
Von Behandlungen, Gefühlen und Ängsten ist die Rede,
die ich alle kenne, vom eigenen Kampf gegen diese Krankheit.
Gesunde Jugendliche sagten aus,
das Buch sei für sie trotz der einfachen Sprache
sehr anspruchsvoll und anstrengend zu lesen gewesen.
Für mich selbst ist die Lektüre leicht,
obwohl jede Zeile fast,
eigene schwere Erinnerungen birgt
und ins Bewusstsein zurückruft.
Warum??
Vielleicht weil es einfacher ist,
etwas direkt mit- und nachzufühlen,
als sich etwas Unbekanntes vorzustellen
und es zu verstehen versuchen.

Ladina, Februar 2000
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MAITAGE (oder wenn der Kopf Umwege denkt…)
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MAITAGE - ein Wort in einem Jugendbuch,
dessen Sprache ich bis dahin tadellos verstand.
Plötzlich ein Rätsel wegen diesem Wort "Maitage - Mätaasch", klingt französisch, schlage nach im französischen Wörterbuch und finde es nicht.
Durchschaue und begreife nichts,
schiebe es auf die Müdigkeit und lege mich schlafen,
doch ich komme nicht los von diesem seltsamen Wort,
grüble, schlage das Buch wieder auf,
versuche im Zusammenhang die Bedeutung des Wortes
zu ergründen, aber vergebens.
Ich schlage nochmals voll konzentriert im Wörterbuch nach
und im Duden - das Wort ist gar nicht existent.
Kneife mich, weil ich langsam glaube, das ist ein Alptraum.
Aber ich bin wach, voll da und doch nicht,
lege mich wieder hin,
bis ca. 2 Stunden später,
nach vielen Überlegungen darum herum,
endlich Licht ins Dunkel kommt und kapiere,
dass das vermeintlich französische Wort
ein simples Deutsches ist und nichts weiter bedeutet als
Tage im Mai.

Schlafen kann ich auch nach der "Erleuchtung" nicht,
zu tief bin ich erschüttert über das, was aus mir geworden ist.
Wie können mich die Leute intelligent empfinden,
wenn mir doch so was passiert?

Ich lehne mich an die Wand, die Beine angezogen
den Kopf müde drauf gelegt und schützend um alles
die Arme verschlungen.
So bleibe ich sitzen bis zum andern Morgen,
als ob ich so verhindern könnte,
dass noch mehr von mir verloren geht:
dass immer mehr Alltäglichkeiten
für mich zum Rätsel werden
und vieles davon unlösbar bleibt.

Ladina, März 2000
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Zweifel
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Früher habe ich mir das Lesen selber beigebracht,
in der ersten Klasse Bücher für 12 jährige gelesen und bewiesen, dass ich den Inhalt verstand,
die Sekundarschule problemlos gemeistert, und es hiess, ich sei intelligent - das war eben früher.

Heute ist so vieles anders.
Ich weiss nicht, liegt es an der Chemo oder der Kopfoperation, dass ich es oft nicht kapiere und auch Alltägliches für mich undurchschaubar ist.

Erst vor wenigen Tagen im Warteraum des Spitals.
Der 12jährige André und seine Eltern spielen "Die Siedler von Catan", ein Spiel, das von der Logik her
für Kinder ab 10 angepriesen wird,
wie ich auf der Anleitung lese, nachdem sie mich einluden,
der 4.Siedler in ihrem Bunde zu sein.

Ich verstehe zwar die Worte, aber nicht den Sinn,
kann nichts davon ins Spiel einbringen,
nichts nachvollziehen,
weder eigene noch fremde Spielzüge durchschauen und verwerten.
Glückt mir mal ein guter Zug, so ist es Zufall
und ich weiss nicht, wie ich vorgegangen bin
um einen weiteren erfolgversprechenden Part zu lancieren.
Ich bin zu blöd für das Spiel und meide es künftig,
aber es ist nur ein Spiel, ich brauche es nicht im Leben.

Anders die Sache mit dem gelben Postpaket.
Kinderleicht sei es zusammen zu setzen,
erklärte mir die Dame am Schalter,
aber ich komme nicht dahinter, wie es geht.
Seit mehr als 2 Wochen probiere ich es,
aus den beiden Kartonteilen ein stabiles Paket zu falten,
und immer endet es damit, dass ich verzweifelt aufgebe
und alles an mir anzweifle.

Ich habe 2 Augen, 10 bewegliche Finger und doch ist es mir zunehmend unmöglich, gewisse Vorgänge zu durchschauen
und zu begreifen.

Ladina, März 2000
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Gefühle eines entwurzelten Baumes
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Wie fühlt sich ein Baum,
der vom Sturm
entwurzelt
unter ungeheurer Spannung
fiel
und nun
am Boden liegt
scheinbar reglos?

Er spürt in seinem Innern
Verzweiflung
doch er will es nicht wahrhaben
dass er verloren ist.

Erst wenn ihn jemand
am Wurzelballen berührt
begreift er
was geschah
und
wie ein sterbender Mensch
bäumt er sich
ein letztes Mal auf

Ladina, März 2000
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Wie ein Schatten
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Wie ein Schatten
liegt das Wissen um meinen Gendefekt
auf mir
und mit ihm die Angst vor einem neuen Rückfall
und doch habe ich unter dem Schatten
wieder frei atmen und leben gelernt.
Erst nur so von Tag zu Tag,
aber langsam wage ich mich wieder
über das Heute hinaus
und beginne zu träumen
von so etwas wie Zukunft.
Der Schatten meines Wissens
ist nach wie vor da,
doch immer häufiger
gelingt es mir
mich darüber
hinwegzudenken

Ladina, März 2000
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Teil des Alltags
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Führte ich Ahnungslose
zu meinem Pflegeprodukte-Schrank
so dächten sie,
er gehörte einer alten Frau.

Perückenshampoo + Balsam gibt es darin,
Hepathrombinsalbe zur Venenpflege,
Kukident-Tabletten für die Zahnprothese,
Pharyngor-Spray als Speichelersatz,
Wacholdergeist, Blutstillende Watte und
Inkontinenz-Schutz.

Das, woran viele junge Menschen mit Schaudern denken,
das, was gemeinhin mit dem Altern verbunden wird,
ist für mich
schon jetzt
Teil des Alltags.

Es ist gewöhnungsbedürftig
und nicht jeden Tag ertrage ich es gut.

Aber Angst habe ich davor keine mehr.

Ich kann mit den Jahren
eigentlich nur noch gewinnen
an Reife und Sicherheit
mit solchen Dingen umzugehen…

Ladina, März 2000
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Baum-Bilder
""""""""""""""""
Ich sah vor einigen Monaten
eine Fläche voller vom Sturm geknickter junger Bäume.
Alle waren zur gleichen Seite mit ihrer Krone
zu Boden geneigt
bis auf einen einzigen,
der genau zur entgegen gesetzten Richtung
gebrochen war.
Es sah aus,
als hätte er sich heftigst zur Wehr gesetzt,
als hätte er seine ganze Kraft verwendet im Versuch,
dem Sturm zu trotzen und zu überleben.
Doch er hat es nicht geschafft,
er fiel dem Sturm zum Opfer
wie alle anderen auch.

Dieses Bild beschäftigt mich immer wieder,
sogar bis in die nächtlichen Träume hinein.
Ich frage mich,
für welchen der Bäume es wohl leichter war,
das geliebte Leben zu verlieren?

Für den Kämpfer,
der sein Bestes gegeben hat
oder für jene,
die sich dem Sturm ohne Widerstand beugten?

Und immer öfter denke ich,
dass der Kämpfer zum Ende sehr enttäuscht,
vielleicht sogar verbittert war
und ohne Frieden im Innern ging.

Heute vor 11 Jahren
stand ich selbst unmittelbar vor der Entscheidung
zu kämpfen
oder doch lieber das Sterben anzunehmen.
Ich entschied mich zu kämpfen,
weil ich irgendwie das Gefühl hatte,
es lohnt sich noch
und ich habe es geschafft, aus diesem
und danach folgenden Kämpfen als Siegerin hervorzugehen.

Manche halten mich für sehr stark und sagen:
"Du überlebst uns noch alle mit Deinem starken Willen!"
aber ich weiss es besser.
Ich weiss, eines Tages,
werde auch ich keine Chance mehr haben.
Eines Tages
wird mir alle Kraft, alle Verzweiflung
und aller Überlebenswille
nichts mehr nützen.

Wenn dieser Tag da ist,
hoffe und wünsche ich mir,
dass ich es tief in mir spüre,
dass es nun Zeit ist, das Sterben anzunehmen
und dass ich das Kämpfen sein lassen kann
im Vertrauen darauf,
dass alles, wirklich alles
nun in der Hand eines andern liegt…

Ladina, März 2000
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Rinderwahnsinn
*******************
Vor ziemlich genau einem Jahr
begann ich eine Physiotherapie in der Hoffnung,
durch das Kräftigen meiner Beine
das unsicher schwankende Gangbild
erheblich zu verbessern.
Dieses Gangbild, das manche veranlasst,
mich für betrunken zu halten
und das andere gar spotten lässt:
"Ui, schau die da hat Rinderwahnsinn!"
Dieses Gangbild, das mir auch jegliche Eleganz
im Schritt verwehrt
und flinkes Vorwärtskommen verunmöglicht.

Keinen Tag habe ich seitdem meine Übungen ausgelassen,
diszipliniert habe ich viele Stunden geopfert
für die grosse Hoffnung,
es dadurch künftig wieder besser mit dem Gehen zu haben
und zu verhindern, dass Leute sich nach mir umdrehen
und manche "Rinderwahnsinn" sagen.

Nach meinem heutigen Termin aber,
wo die Therapeutin lange mit mir sprach,
ist diese Hoffnung jäh zerbrochen
und es gelingt mir nicht mehr,
die Scherben wieder zu einem Ganzen zu fügen.

Meine Beine zu stärken
hat unbefriedigend wenig gebracht für mein Gangbild.

Ich kann jetzt wohl nur noch
mein Selbstbewusstsein stärken,
um leichter und unverletzter damit umzugehen,
dass Leute mich für betrunken halten
und manche "Rinderwahnsinn" sagen.

Ladina, Mai 2000
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Der wirkliche Lebensretter
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Als ich 12 Jahre alt war
kam der Tod von neuem in mein Leben
und bedrohte mich in meiner Existenz.
Ein guter Hirnchirurg bewahrte mich davor zu sterben.
Der wirkliche Lebensretter aber
ist im Nachhinein gesehen doch der Tod,
das Bewusstsein um ihn
und die Auseinandersetzung mit ihm.
Erst er hat meinem Leben
die Freude und die Tiefe geschenkt,
die ich nie mehr missen möchte.

Ewig leben? Nie! Die Kostbarkeit des Augenblicks
könnte nicht empfunden werden.

Ladina, 11.Juni 2000 (Eintrag ins Gästebuch der Ausstellung Last minute/ Stapferhaus Lenzburg)
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Traum
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Einen Traum aussprechen
so, als würde er bald wahr
das bedeutet,
ihm ein wenig Existenz zu geben
im Herzen eines anderen

Ladina, Beinwil, Juni 2000
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Mitgenommen
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Bin wieder mal zu sehr mitgenommen
und geschwächt
um mitfahren zu können.
Wieder nur dazu da,
allein im Bett zurück gelassen zu werden.

Eines Tages
möchte ich wieder mitgenommen werden können
und mitfahren dürfen
und die Schwäche ganz allein
im Bett zurück lassen

Ladina, 18.Juni 2000 ( nachdem die Teilnahme an der Brückenwanderung wegen 3 versch. Bakterienstämmen im Hals und einem Virus für mich ins Wasser fiel)
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Abhängig
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Tropfen für Tropfen
fliesst Nährlösung durch ein Schläuchlein in meinen Körper.
Wieder bin ich abhängig
von der Hilfe aus dem Krankenhaus,
wieder habe ich es nicht geschafft,
mich allein mit dem zu versorgen,
was ich nötig habe.

Ich sitze da im Sessel
und lasse meine Gedanken fliegen
während ich an der Infusion hänge
wie schon viele Male zuvor.

Ich weiss,
nach der Prozedur
werde ich mich körperlich wohler fühlen,
werde ich neue Kraft in den Gliedern spüren,
werde ich gehen können
und nicht mehr im Rollstuhl gefahren werden müssen,
werde ich dem Leben wieder näher sein.

Doch innerlich ist dieses unstillbare Gefühl
versagt und verloren zu haben,
bleibt die aufdringliche Ahnung,
die so sehr erhoffte Unabhängigkeit vom Spital
wohl nie wirklich zu erlangen
höchstens phasenweise.

Ich fühle mich als Taugenichts,
habe Angst, als willensschwach zu gelten
bei den Starken da im Krankenhaus.

Ich weiss, zu helfen ist ihr Beruf
und viele tun es gern.
Dennoch bleibt da dieses Gefühl
einmal mehr versagt zu haben
im Versuch
mich in der Selbständigkeit
zu bewähren

Ladina, Juli 2000
( zu den Mangelernährungszuständen kam es wiederholt, weil ich wegen Entzündungen des Verdauungstraktes nur wenig essen konnte und ausserdem nicht verwerten konnte)
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Doppelt
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Jeder Infekt trifft mich
doppelt so schnell
doppelt so heftig
doppelt so lange

Medikamente dagegen müssen hoch dosiert werden
haben oft
doppelt so viele Nebenwirkungen
doppelt so starke Nebenwirkungen

Doch jeden Schritt der Besserung
empfinde ich
doppelt so gross

Jede Freude danach fühle ich mindestens
doppelt so tief
doppelt so intensiv

So macht ein Schatten
auf der einen Seite des Lebens
die andere
umso heller
und Optimismus und Dankbarkeit
sind stets von neuem angebracht

Ladina, Juli 2000
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Chronisch krank
**************
Das Leiden ist
unheilbar

Die Bedrohung ist
unfassbar

Die Angst ist
spürbar

Die Belastung ist
greifbar

Die Zukunft ist
unklar

Das Ende ist
erahnbar

Die Hoffnung bleibt TROTZDEM
unzerstörbar
dem Leben zugewandt

Ladina, Juli 2000
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PEDRO
+++++++
Er lag zur gleichen Zeit wie ich
auf der Isolierstation
Pedro, ca. 40 Jahre alt,
weitgereist aus Valencia in Spanien,
allein, ohne Familie,
bepackt mit all der Hoffnung auf die Hochdosis
im Kampf gegen sein NHL.
Ihm ging es furchtbar schlecht
und mir ziemlich genauso
doch für ihn war es das 1. Mal
ich dagegen hatte Erfahrung.
Noch höre ich ihn stöhnen, so laut,
dass ich es bis zu mir vernahm
und irgendwann hielt ich es nicht mehr aus
trotz wundem Mund teilte ich ihm über die Gegensprechanlage mit, was ich ganz sicher wusste,
dass dieses Elend irgendwann vorübergeht
und er sich wieder wohler fühlen würde.
Durch die Glaswand gab ich ihm etwas Hoffnung an die Hand,
und vielleicht auch etwas Kraft, durchzuhalten.
Wieder und wieder sprach ich die Worte durch die Anlage,
voll überzeugt, dass auch für ihn eintreffen würde,
was bei mir bislang immer neu geschah.
Ich sprach für ihn und irgendwie auch für mich:
"Halt durch, es geht vorüber!"

Gewöhnliche Worte, die durch die Situation
etwas Magisches ausstrahlten.

Er wurde einige Tage vor mir entlassen
und ich sah ihn nicht mehr.
Vergessen habe ich ihn nicht.
Oft hab ich an ihn gedacht in den vergangenen 1 ½ Jahren.
Bei meinen Telefonaten mit der Klinik fragte ich immer nach ihm,
doch die verbohrte Schweigepflicht der Beteiligten
verwehrte mir als Mitpatientin jegliche Auskunft.

Seit dem 13. Juni weiss ich es,
ich erhielt eine Todesanzeige von seiner Frau oder Freundin,
abgeschickt im April. PEDRO ist tot!
"Er starb nach langem Leiden" stand da in Spanisch.
Eine Bekannte hat es übersetzt für mich.

Ich habe weiss Gott schon Dutzende solcher Anzeigen,
amtliche wie private erhalten.
Sie alle lösten Trauer und Bestürzung aus,
doch hier war es mehr.

Obwohl nichts und niemand meinen Namen in der Anzeige erwähnte, empfinde ich sie wie eine Anklage.
Es ist die erste Anzeige, die ich weg geworfen habe nach wenigen Tagen
und nun plagt mich deswegen wieder das schlechte Gewissen
und ich möchte sie wieder haben.
Aber es ist zu spät.

Wieder und wieder denke ich an PEDRO,
dieser Text soll mein Gedächtnis für ihn sein
und mir eine Verarbeitungshilfe.

Ich kann nichts mehr ungeschehen machen,
kein Wort der Zuversicht zurück nehmen,
doch ich hoffe so sehr,
dass er sich durch mich nicht getäuscht,
belogen und betrogen fühlte in der Zeit,
wo es ihm immer schlechter ging.

Ich hoffe so sehr,
dass es für ihn
auch in der langen Zeit des Leidens,
Momente oder Tage gab,
die ihm noch lebenswert erschienen
oder ihm Freude bereitet haben…

Ladina, Juli 2000
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Tagtraumzeit
°°°°°°°°°°°°°°°°
Ich fühle mich vogelfrei und gelöst,
als würde es mir gelingen zu singen
doch es singen nur alle andern
während ich bloss konzentriert zuhöre,
die Melodien in mich aufnehme
und mir vorstelle, mitzusingen.

Ich überlege mir jetzt,
ob es vielleicht so ähnlich auch gelingen könnte,
allein durch die tiefe Vorstellung von Stille
diese trotz des Pfeifens im Ohr
wieder in mir aufzuspüren.

Ob das Glücksgefühl zu singen ohne Stimme,
nicht auch andersherum empfunden werden könnte,
dass ich erholsame Stille finden könnte
inmitten des Lärms,
irgendwo tief in mir,
wo nicht mehr das Ohr und seine Wahrnehmung
von Bedeutung sind,
sondern nur noch die kostbare Fähigkeit
sich zu entspannen,
sich zu (er-)lösen von Lärm und Hektik
und tief in sich selber zu ruhen
und abzuschalten
für eine kleine, aber heilsame Tagtraumzeit

Ladina, Juli 2000 Insel Ufnau
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In mir ist ein Vogel ganz frei
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In mir ist ein Vogel,
der jubiliert vor lauter Freude
über diese besonderen Stunden
die Du mir heute geschenkt hast.

In mir ist ein Vogel,
der seine Flügel wieder spürt
und doch keine Minute daran denkt,
fortzufliegen.

In mir ist ein Vogel,
der ab sofort weiss,
dass Phantasiereisen nicht immer schöner sind
als die Wirklichkeit.

In mir ist ein Vogel,
dem heute der jahrelange Traum von Unbeschwertheit
erfüllt wurde
und der Dir ewig dankbar ist dafür.

Ladina, Freitag, 7.Juli 2000, Tierpark Langenberg
Gewidmet an einen besonderen Menschen in tiefer Dankbarkeit für einen der schönsten Tage in meinem ganzen Leben.
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IV-Dossier
°°°°°°°°°°°°
Da liegt es vor mir, mein IV-Dossier,
ein grosser Brocken zusammen gehefteter bunter und weisser Papiere,
aus ärztlichen Zeugnissen, Gutachten, medizinischen Fakten, aus Beschlüssen, von Kostenerstattungen und Befunden.
Vor allem die Gutachten interessieren mich,
doch nichts ermutigendes oder erbauendes kann ich
darin entdecken.
Worte, eines vernichtender und abwertender als das andere:
labil, tolpatschig, kindlich, unbeholfen in der Bewegung
Zwischenberichte, ohne Hintergrundinfos und alles negativ.
L., Absolventin des PKP-Kurses fällt in übertriebener Hilfsbereitschaft auf, die bisweilen bis zur Distanzlosigkeit ausartete" - dieser Satz kränkt mich am meisten.
Er wirft ein falsches Licht auf mein Engagement seinerzeit
für eine MS-kranke Frau, eine durch und durch ehrlich gemeinte und seriöse Hilfe zur Lebensqualitätsverbesserung der jungen Patientin.
Lauter Gutachten, bei denen kein gutes Haar an mir gelassen wird,
von wildfremden Leuten über mich verfasst,
die mich noch nie gesehen haben,
jedes vernichtende Wort ist noch extra mit Leuchtstift markiert,
damit es auch ja von allen gelesen und zur Kenntnis genommen wird
und dies ist gewiss kein Vorteil für mich.
Es kommt mir vor, wie bei den Scientologen,
sogar noch schlimmer,
denn mir wird kein Kurs angeboten
um mich zu verbessern.
Für einen Moment wünschte ich mir,
ich wäre geistig nicht imstande zu verstehen,
was die Aussage all der Worte ist,
ich müsste den Schmerz über soviel Negatives nicht spüren,
könnte einfach weitermachen,
weiter lachen wie bisher
und müsste nichts davon wissen,
wie schlecht mich diese Leute beurteilt
und damit verurteilt haben.

Ladina, 10. Juli 2000
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Im Zoo
*********
Mit vielen Kindern und Erwachsenen
bin ich heute im Zürizoo,
um die grosse Attraktion, das Elefantenbaby Aischu zu sehen.
Doch auch hier falle ich auf,
argwöhnisch schauen mich die Kinder an,
ihre ganze Haltung verrät, dass ich ihnen nicht geheuer bin
mit den roboterähnlichen Bewegungen.

Aber ich lasse mich davon nicht allzu sehr betrüben,
freue mich aufrichtig an den bunten Fischen
und am Pinguin, der, wie um mich zu begrüssen,
mit dem Schnabel an die Glaswand pocht.
Mir entfährt ob allem plötzlich ein entzückter kurzer Jauchzer.

Dann steht er plötzlich neben mir,
ein Junge, 9 oder 10 Jahre alt.
Offen schaut er zu mir auf und beginnt zu erzählen,
zu erläutern mehr, was er über diesen Pingu weiss.
Er zeigt mir seine Lieblingsfische, die Zitteraale
und ich gehe voller Freude auf ihn ein.
Er sagt: "Komm, ich zeige Dir meine Lieblingsschlange!"
und er wartet geduldig auf mich,
bis ich die Treppe bewältigt habe.
Er fragt nicht mal, warum ich so seltsam gehe,
er nimmt es einfach als gegeben hin
und erkennt mich wohl als seinesgleichen an,
als jemand, der Tiere genauso gern hat wie er selbst.
Meine spontane Bezeichnung "Samichläuse"
für kleine bärtige Äffchen,
nimmt er begeistert auf
und wir grinsen uns an wie Lausbuben.

Für eine Weile gehen wir getrennte Wege,
dann ist er plötzlich wieder neben mir,
als ob er mich gesucht hätte
und wir amüsieren uns beide über die lausigen Affen
und über die Pfauenmama, die mit 4 Küken
auf den Fusswegen unterwegs ist.

Dieser Bub hat etwas Behutsames
in seinem ganzen Auftreten,
der Pfauenmama gegenüber wie auch mir.
Er ist sensibel, aber nicht überfürsorglich
und er macht mir mit der Selbstverständlichkeit,
mit der er mir begegnet,
soviel Mut.

Ich weiss nur wenig über ihn,
habe es sogar versäumt, nach seinem Namen zu fragen,
aber er wird mir in Erinnerung bleiben
als ganz besonderer Bub
der mir zu einem Hoffnungsträger wurde

Ladina, 17.Juli 2000

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Zuletzt geändert von Ladina am Sa 8 Aug 2009 21:37, insgesamt 1-mal geändert.

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Gedichte aus Band 7 "Am Ende bleibt die Dankbarkeit"

Beitragvon Ladina » So 6 Jan 2008 0:17

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Am Ende bleibt die Dankbarkeit
************************************
Am Anfang ist es wie ein Todesurteil,
wie die schlimmste Strafe, die es gibt
und die keine Rücksicht nimmt
auf Zukunftspläne und Träume.
Die Krebsdiagnose ist wie ein Tornado,
der alles Bestehende über den Haufen wirft
und dem Erdboden gleich macht,
und welcher Zerstörung, Chaos, Verzweiflung
Schrecken und Not zurücklässt
und einem allein die Last aufbürdet,
mit allem fertig zu werden.

Mit der Therapie beginnt erst recht
die Zeit der Hölle,
mit vielen Monaten,
in denen der Kampf im Vordergrund steht,
um eine winzige Verbesserung,
die lange auf sich warten lässt.

Es folgen leid- und schmerzvolle Tage,
die nicht nur 24 Stunden sondern weit länger zu dauern scheinen,
und nur die Hoffnung, mühsam aufrecht erhalten
wie ein Segel ohne Wind,
gibt noch Antrieb weiter zu kämpfen.

Es ist wie ein wandeln in finsterer Schlucht
und immer donnern neue Felsbrocken nieder,
die zu überwinden sind.

Beim steilen Weg hinauf,
hinaus aus der Dunkelheit dieses Tals der Krankheit,
erfreut einen jeder noch so kleine helle Schimmer,
berührt einen jede Blume im Geröll.

Wer den Weg hinaus zu meistern vermag,
wer entkommt aus der dunklen Schlucht
ist um eine wichtige Erfahrung
und um viele Freuden reicher.
Alles Schwere ist eines Tages nur noch Erinnerung,
die ihren Schrecken zwar nie ganz verliert,
aber Positives fürs weitere Leben bewirkt

Am Ende bleibt die Dankbarkeit

Ladina, Vallorbe, 21. Juli 2000

Optimismus
**************
Neben dem Glück, das ich fühle,
seit mein Geruchsempfinden wieder zurück ist,
steckt auch die Frage in mir,
ob mein positives Denken und der Optimismus
zu diesem Zurückkommen beigetragen haben,
oder anders, ob es auch wieder gekommen wäre
ohne diesen Glauben oder diese Hoffnung?

Doch niemand kann das sicher beantworten,
niemand kann das wirklich wissen.
Sicher aber weiss ich,
dass positives Denken und Hoffen
die Zeit des Wartens für mich erleichterte
und hilfreicher war als ewiges Trübsalblasen.

Diese ferne Hoffnung,
von der niemand sicher wusste,
ob und wann sie sich erfüllen würde,
war für mich wie das Licht am Ende des Tunnels.
Es erhellte zwar nicht den Weg darin,
der blieb dunkel wie zuvor,
aber es erleichterte die Schritte auf diesem Weg,
gab mir einen Hinweis auf die Richtung,
schenkte mir ein Stück weit Orientierung
und war einfach da als ein Glanz der Zuversicht.

In vielem habe ich schon Optimismus bewahrt
und manche nennen mich naiv deswegen,

Aber diese Leute wissen nur noch nicht,
dass Optimismus auch dann noch trägt,
wenn alle Stricke reissen
und jede Brücke ins Wohlbefinden
vom gegenwärtigen Schicksal fortgespült wurde.

Vielleicht erst,
wenn sie in eine gleiche Lage geraten wie ich,
werden solche Menschen begreifen,
dass der Glaube an eine positive Zukunft
der Grundstein ist
für den Lebensmut
trotz schwerem Los

Ladina, Juli 2000

Ver(w)irrt
::::::::::::::::
Verirrt im Nirgendwo einer grossen Stadt,
da, wo mir nichts mehr bekannt vorkommt,
wo kein Strassenname, kein Haus, kein Geschäft
meine Erinnerung wachkitzelt,
wo die Orientierung auf der Strecke bleibt.
Keine Telefonzelle und kein Mensch, der mich offen anschaut,
den ich nach dem Weg (wohin?) zu fragen wagte.

Hin und Her, auf und ab laufen wie ein Tier,
das einen Ausweg sucht aus seinem Käfig.
Eingesperrt in meiner eigenen Schwerfälligkeit,
nicht mehr kombinieren und logisch denken können,
eingesperrt in der Unfähigkeit,
Stadtpläne zu durchschauen und umsetzen zu können.

Verwirrt. Verirrt!

Kirchturmuhren zeigen mir, wie die Zeit vergeht,
ohne dass ich dem Ziel näher komme,
mehrmals laufe ich wohl im Kreis,
ohne dass ich es merke und mein Tun beende.
Ich fühle mich immer verlorener,
preisgegeben der Willkür unseriöser Leute,
die jetzt höhnisch hinter mir her pfeifen.

Ich schwitze, bin voll Panik, falle hin.
Erschöpft, atemlos, ohne eine Idee, wie ich herausfinde
aus diesem Irrgarten.
Alles um mich gibt mir Rätsel auf
und ich finde nicht eine einzige richtige Antwort.

Es hört sich an wie die Schilderung eines bösen Alptraums,
doch es ist immer wieder bittere Realität!

Ladina, Juli 2000 (Verwirrungszustände sind hier die Folge einer Hirnverletzung, bzw. einer vorübergehenden Überforderung meiner Wahrnehmung)

Wunsch zu Vergessen

Bisweilen passiert es mir,
dass ich nachts, wenn ich endlich mal schlafe
von Empfindungen aufgeschreckt werde,
die der wahre Horror sind.
Empfindungen, deren Ursachen in Wirklichkeit
längst behoben sind,
deren Auslöser jetzt nicht mehr existieren
aber deren Schrecken mich nach wie vor beschäftigen
tief innen in der Seele.
Gar manches davon hängt mit der Hirntumor-Op zusammen,
dem nahezu dunkelsten Kapitel in meiner Krankenakte
und immer wieder steigt das alles in mir auf.
Die langen Tage und Nächte auf der IPS.
der höllische Durst und tagelang nichts trinken dürfen,
wegen der Gefahr der Wasseransammlungen im Gehirn,
aufgesprungene Lippen und wie die Zunge, die anklebt,
mir Brechreiz und Erstickungsangst auslöste.
Ich erlebe das Grauen so nah,
wenn ich spüre, wie das Hirnwasser aus dem
Bohrloch am Schädel sickert, das lange nicht zuwachsen wollte.
Ich erlebe die Pein, wenn dieses Loch wieder und wieder
aufgekratzt wird um Infektionsherde anzugehen.
Ich erlebe den Schauer, wenn ohne Vorwarnung
hinterrücks so ein Angriff vorbereitet wurde und höre die Geräusche der Instrumente, deren Klang mir fast den Atem rauben, mich Stunden vor Schreck wie gelähmt zurücklassen.
Ich fühle den Ekel über all das Unappetitliche,
das an mir ist und an mir geschieht.

Vieles, was ich hinter mir habe,
schrieb ich mir von der Seele, immer wieder,
doch dies alles noch nie,
weil es einfach zu schrecklich war, es zu tun
es mir und anderen zuzumuten.

Und jetzt tue ich es doch,
im Wunsch, es hoffentlich danach zu vergessen,
weil ich spüre, dass es mich nicht loslässt,
wenn ich es verschweige und weiter verdränge
und weil ich endlich wieder ruhig und ohne Angst schlafen will,
so wie früher, bevor dies alles war.

Ich weiss, dieser Eingriff in mein Gehirn war nötig
um mein Leben zu retten
und ich bin dem Mann, der das tat, auch lebenslang dankbar,
doch ich wünschte,
er hätte mitsamt dem Tumor
auch die traumatisierenden Erinnerungen entfernen können,
die mir die Schrecken dieser OP stets
überdeutlich zurückrufen.

Auf dem Krankenblatt steht irgendwo,
dass seit dieser Operation 19 Jahre vergangen sind,
dass sie nach 2 jährigen Schwierigkeiten
mit einem Bohrloch
letztendlich als durchwegs gelungen erachtet werden kann.
Es stehen Auskünfte dort über den Tumortyp, welche Medikamente ich wie lange nahm
und wie sich mein physischer und psychischer Zustand
seitdem präsentierte und veränderte.

Was ein Mensch, in meinem Fall ein Kind
aber seelisch erlebt
und nach seiner Genesung davon trägt
das steht in keinem Befund
- und hat zu jener Zeit auch keinen interessiert.

In diesen Berichten werden nur objektive Tatsachen vermerkt,
subjektive Gefühle aber können nicht auch noch
berücksichtigt werden.

Sie bleiben darum oft unerkannt und unbenannt
wie Marterpfähle
in der Seele verborgen…

Ladina, Juli 2000

Doppelt sehen
°°°°°°°°°°°°°°°°°
Mit Doppeltsehen, Gangstörungen und
motorischen Ausfällen hat es damals begonnen
bevor zum "guten" Schluss
der Hirntumor in meinem Kopf gefunden wurde.

Während der Therapie blieben die Symptome bestehen
und schränkten mich enorm ein.
Nicht einmal mein Hobby Kuchenbacken
konnte ich weiter pflegen,
ich war ungeschickt geworden und wenn ein Ei auf der Ablage war, sah ich deren 2 oder 2 ½ und griff ewig daneben.
Doppelt sehen, dass hiess damals,
alles verwackelt und unscharf wahrnehmen,
keine Sache mehr fixieren zu können,
oft anecken oder stolpern.

Nach der Operation verschwand der Schwindel allmählich, die motorische Unsicherheit wurde in der Krankengymnastik verbessert, das Doppelt sehen konnte mit einer Augenbinde langsam aber sicher zum Verschwinden gebracht werden
und so lebe ich 19 Jahre nach der Operation
noch immer und immer noch gerne.

Heute sehe ich in anderer Weise wieder doppelt
oder besser, ich sehe doppelt hin.
Liegt heute auf der Küchenablage ein Ei,
so sehe ich auch nur eines
und ich schaue es lange an und bin einfach fasziniert,
dass ich es wirklich sehen kann so, wie es ist
und es auch andere sehen.
Nicht verschwommen, nicht verzerrt, nicht doppelt,
eben einfach so, wie es jeder sieht
und eben doch etwas anders!

Ladina, Juli 2000

GEDANKEN
***************
Es gibt Gedanken um Dinge, die veränderbar sind,
Gedanken, die man weiterdenken kann,
die einen weiterbringen oder beflügeln,
die lange genug überdacht und bearbeitet
eine Lösung herbeiführen,
etwas zum Guten wenden
oder Befreiendes bewirken können.
Das sind die wertvollen Gedanken.

Aber es gibt auch Gedanken um Dinge,
die sich nicht ändern lassen.
Gedanken, die unfruchtbar sind,
die sich stets im Kreise drehen
und an Ort und Stelle bleiben.
Gedanken, die niemals aus dem dunklen Loch herausführen,
sondern einen sogar noch tiefer hinein manövrieren
und die einem das ganze Schlammassel
und die Aussichtslosigkeit zu entkommen
erst recht bewusst machen.
Das sind die sinnlosen Gedanken.

Beide tauchen in meinem Kopf bisweilen auf,
aber ich sorge dafür,
dass die sinnlosen nicht allen Raum und alle Tage ausfüllen.
Die Verzweiflung, die Fragen, auf die es keine Antwort gibt,
sie kehren immer wieder bei mir ein
aber ich rufe sie nicht,
ich fordere ihr Kommen nicht heraus.
Ich verzichte darauf, sie tagtäglich zu bearbeiten,
sie durchzukauen, ohne sie verdauen zu können,
ich will nicht nur um sie herum existieren.

Es zieht mich fort,
weit weg von diesen Fragen,
irgendwohin, wo nur noch das Leben
in der Gegenwart zählt,
und auch das Vergnügen daran.
Ohne leichtsinniges Verhalten zu üben
oder zuviel zu riskieren
gehe ich immer ein paar Schritte über diese Grenze hinaus,
die meine Lebensweise einengt.

Trotzdem scheue ich die Auseinandersetzung
mit den sinnlosen Fragen nicht,
wenn sie von sich aus aufsteigen.
Ich kann sie akzeptieren, als einen Teil von mir,
der von Zeit zu Zeit ganz natürlich zu jedem kommt,
der wie ich eine Erbkrankheit hat.

Doch freiwillig suche ich sie nicht,
weil sie eine Folter sind,
mit der man sich selbst nur quält
und die das Leben erschwert.

Schritt für Schritt übe ich mich stattdessen darin,
meine Erbkrankheit selbst
als einen Teil von mir zu akzeptieren
und die Fixpunkte,
die unser Schöpfer in meinen Lebensplan geschrieben hat
nicht anzuzweifeln oder Gott dafür anzuklagen,
sondern ihm zu danken dafür,
mein Leben, so schön es immer wieder ist
leben zu dürfen.

Ladina, Juli 2000

Traumsequenzen
**********************
Mit einer inneren Beunruhigung vor der angekündigten PE,
doch nicht wirklich voller Angst
so ging ich gestern abend zu Bett.
Noch ein paar Gedanken,
die das Bevorstehende streifen,
aber dann Abschweifen in Erinnerungen an schöne Tage,
bis dann der Schlaf mich vom Bewusstsein wegträgt.
Und plötzlich sind sie wieder da -
die Bilder und Ereignisse aus der Zeit der Hölle.
Die NADELN, mit denen ich hundertfach gestochen wurde,
die TROPFS, und ihr Schrillen alle 3 Sekunden, das sowohl
Panne wie Ende der Infusion anzeigte und schlaflose Nächte
unter Anspannung zur Regel machte.
Die Chemo ist zurück, die grün und rot leuchtenden Zahlen am Monitor,
die Schmerzen im Beckenkamm, wenn eine Punktion wegen der Verknöcherung nicht problemlos möglich war.
All diese Nöte, all die Angst und all die Schmerzen sind zurück
doch ich schreie nicht -
Es ist in diesem Alptraum nicht anders als in der Realität-
man hält es aus, mit zusammengebissenen Zähnen und
verkniffenen Lippen,
weil man weiss, diese Eingriffe ermöglichen das Leben.
Nur ganz tief innen lösen sich Tränen,
wie ein kleines Geheimnis, das davor schützt,
von ihnen noch mehr verletzt zu werden
und einem gleichzeitig dazu verhilft,
dennoch ein eigenes Gefühl zuzulassen

Ladina, August 2000

Gestreifte Gedanken
¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦

Seit Tagen kreisen in meinem Kopf gestreifte Gedanken,
weiss-schwarz gestreifte Gedanken
um diesen neuen Knoten in meinem Körper,
der noch keinen Namen hat und allen unheimlich ist.

Die weissen Gedanken sind jene der Hoffnung,
der Hoffnung, dass das Gewebe gutartig ist
und sie mich wieder frei lassen nach der Operation.

Die schwarzen Gedanken aber fürchten zu Recht,
dass es bösartig ist, dass es wieder Krebs ist,
dass all die Schrecken
schon wieder Bestandteil meiner Gegenwart werden.

Die weissen und die schwarzen Gedanken wechseln sich ab.
Hoffnung hilft, das Warten zu ertragen,
doch ich möchte auch auf das "Schlechte" vorbereitet sein,
soweit das überhaupt möglich ist,
möchte mir klarer werden,
was ich im negativen Falle zu tun habe.

Bevor mir die schwarzen Gedanken aber zu viel werden,
betrete ich die Brücke hinüber ins weisse Areal,
diese Brücke, die mir vermittelt: "Es kann auch anders sein"
und dann flaniere ich eine Weile im Sektor der Hoffnung
und denke: "Es ist sicher nichts!"

Aber der Angst kann ich nicht entkommen.
Plötzlich stehe ich wieder auf der Brücke,
die mir ihre Botschaft ins Gedächtnis prägt
und mir klar macht: "Es kann auch anders sein"
und schon bin ich zurück auf der schwarzen Seite
und weiss, es kann bösartig sein!

Leicht ist es, die Brücke zu betreten
wenn sie in die Hoffnung führt.
Schwer aber, wenn sie ins Verderben leitet…
Und doch ist diese Auseinandersetzung
mit beiden Möglichkeiten wichtig.

Noch kann ich um ein Gleichgewicht kämpfen
um Balance zwischen den weissen
und den schwarzen Gedanken,
aber wenn der Knoten unten in der Scheide
einen Namen bekommt in wenigen Stunden,
wird es nur eine Gewissheit geben:
Entweder jene, die ich erhoffte
oder die, welche ich befürchtete.

Die Brücke, die sagt: "Es kann auch anders sein"
die gibt es dann nicht mehr.

Am Ende bleibt nur noch
Lachen
oder
Weinen

Ladina, August 2000

Es müsste Lachen sein
***************************
Soeben wurde mir das Ergebnis der Gewebeprobe
durch den Arzt mitgeteilt
mit allen dazugehörigen Nebeninfos,
die von Bedeutung sind.
Ich nehme es ohne äussere Reaktionen auf,
weil es einfach noch zu viel ist,
was da an Gefühlen auf mich einstürzt.
Erst als ich wieder alleine im Raum bin,
folgt die Reaktion unerwartet heftig.

Es müsste Lachen sein,
denn der Tumor ist gutartig, ein sog. Angiolipom.
Es müsste Lachen sein,
denn das Leben geht weiter.
Es müsste Lachen sein,
denn ich muss nicht stationär im Spital bleiben.
Es müsste Lachen sein,
denn die Natur und ihre Freuden liegt direkt vor meiner Tür.

Es müsste Lachen sein,
aber es ist Weinen.
Weinen wegen der Belastungen,
die mir stets neu aufgebürdet werden.
Weinen, weil die ausgestandenen Ängste
auch im Nachhinein noch heftig schmerzen.
Weinen, das kein Anwesender nachvollziehen kann,
dessen Auslöser man nicht sehen kann.

Es wird alsbald ein Lächeln werden,
doch zuerst muss sich die Spannung
in meinem Innern lösen

Ladina, August 2000
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Ein fürchterlicher Schmerz
*******************************
Ein fürchterlicher Schmerz durchfährt mich
beim Drainageziehen aus meiner Wunde.
Ein Schmerz,
der förmlich ausschlägt in viele Regionen meines Körpers
und der noch anhält, lange, lange Tage danach.

Für jedes Wehwehchen
gibt es doch sonst heute ein Schmerzmittel,
für jedes Hühnerauge-Herausschneiden,
für jedes Loch-Flicken beim Zahnarzt.

Dieser grässliche Schmerz beim Redon ziehen aber,
erfährt nie eine Linderung,
dieser grässliche Schmerz, den so viele beschreiben
und erleiden,
der sich anfühlt, als würde einem die Haut abgezogen
oder so, als dränge ein Messer ins Fleisch.

Ausgerechnet dieser wirklich heftige Schmerz
ist es offenbar keinem Forscher wert,
eine Substanz zu suchen, die erschwinglich und rentabel ist
und dieses Schmerzempfinden kurzfristig betäuben könnte.

"Jetzt gibt es einen kleinen Ruck
und dann ist es auch schon vorbei!"
das ist der verharmlosende Satz, den man vorher zu hören kriegt,
aber vorbei ist es danach nur für den, der das Redon
gezogen hat.

Für uns Patienten bleibt dieser Schmerz und
seine Nachwehen noch lange fühlbar
und kein Trost und keine Aufmunterung,
keine Wärme und keine Kälte
können ihn noch wirklich lindern danach.

Ladina, August 2000

Sooo lange Haare
**********************
Wer meine Frisur sieht und nichts von mir weiss,
denkt oder sagt von mir: Sie trägt ihre Haare kurz!

Wenn ich selber über meine weichen, welligen Haare fahre,
so denke ich: Es sind so viele und sie sind so lang.

Heute am Flughafen, wo ich meine Schwester abholte,
bestätigte sich meine Ahnung,
denn gleich nach der Begrüssung
stellte sie freudestrahlend fest:
"Soo lange Haare hast Du schon lang nicht mehr gehabt!"

Die umstehenden Unwissenden aus ihrer Gruppe
sehen mich an und denken sicher: es war ein Scherz

Die aber, die Bescheid wissen
freuen sich alle

Ladina, August 2000

Braucht Lebensfreude Drogen?
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
"Lebensfreude in Reinkultur" sei die Street-Parade in Zürich,
so formuliert es die Nachrichten-Sprecherin im Fernsehen
mit leuchtenden Augen und einem Lächeln
und berichtet im gleichen Moment von Drogen,
Extasy- und Thaitablettenkonsum,
um auszuflippen und sich in Trance tanzen zu können.
Sie berichtet ebenso von dröhnender Musik,
die ohne Ohrenstöpsel das Gehör zu schädigen vermag.

Und ich höre das alles
und begehre ob ihren Worten innerlich auf.

Braucht echte Lebensfreude Drogen?
Ist es nicht vielmehr die Flucht vor dem Leben
und die empfundene Sinn- und Lustlosigkeit,
die das Verlangen nach Drogen weckt?
Nach Drogen, die die Sinne vernebeln
und die natürliche Wahrnehmung verändern?

Lebensfreude in Reinkultur, das heisst für mich:
Das Leben an- und wahrnehmen und schätzen,
so wie es ist,
mit vertrauten Menschen zusammen sein
oder irgendwo in der Natur sein,
fernab von jedem Rummel.
Einfach, mich und das Leben in mir spüren
und schwelgen im Glück
noch da zu sein

Ladina, 13.August 2000

Block
*******
Block - ein alltägliches Wort für viele,
ein Wort, bei dem die meisten Leute
an ein Mehrfamilienhaus
oder an einen Schreibblock denken.

Block - für mich hatte dieses Wort über Jahre hinweg
stets von neuem
einen Zusammenhang mit Chemotherapie

Vom 1. bis zum 15. Block
bedeutete es vor allem Hoffen und Bangen,
Brechen, Haare verlieren, tagelang am Tropf hängen,
alleinsein, abmagern, Kraft verlieren, Schmerzen haben,
keine Privatsphäre mehr haben, immer aufs Klo müssen,
kaum zur Ruhe kommen und manchmal dem Tod näher sein als dem Leben.

Und ganz egal, wo und wann ich dieses Wort heute höre,
steigen all diese Erinnerungen daraus auf in mir,
wie eine dunkle schwere Wolke,
die sich vor die Sonne schiebt
und sie eine Weile hinter sich versteckt.

Werde ich jemals wieder ein normales Verhältnis
zu diesem Wort haben können?
Wird es mir möglich sein, zu vergessen,
was dieses Wort über Jahre für mich bedeutete?

Ladina, August 2000

Sehnsucht
*************
Da kommt sie strahlend, braun gebrannt und gesund
aus ihren 3-wöchigen Veloferien zurück,
sprudelt vor Glück,
erzählt und erzählt begeistert,
nimmt mich so im Nachhinein ein wenig mit
auf ihre Fahrradtour durch Frankreich.
Und ich bin dankbar und neidisch zugleich.

DANKBAR, dass ich als ihre Schwester
als erste ihre frischesten Ferienerlebnisse hören
und später gewiss auch ihre Fotos anschauen darf
und NEIDISCH, weil meine eigenen Möglichkeiten
nicht über die Rolle der Zuhörerin und Betrachterin
hinausgehen,
weil ich bloss immer dazu verdonnert bin,
die Ferienerlebnisse und Erinnerungen anderer zu teilen.

So schön auch dies oft ist für mich,
so schwer ist es auch
immer zurückbleiben zu müssen,
wenn andere wegfliegen oder wegfahren
in ein anderes Land.

Gerade in der Ferienzeit
wird meine Sehnsucht oft übergross
es all den vielen gleich zu tun,
meine Krankheit einfach abstreifen zu können
sie gegen die Gesundheit tauschen
und alle Möglichkeiten vor mir zu haben,
die Länder meiner kühnsten Träume zu bereisen.

Ladina , August 2000

Schwestern

Wir sind Schwestern,
jede von uns beiden nimmt Anteil am Leben der anderen.
Aber wir sind grundverschieden.
Sie ist kerngesund
und ich bin chronisch krank,
sie geht als Siegerin durchs Leben,
ich hinke immer hintendrein,
sie kommt problemlos vorwärts,
mir werden ewig Steine in den Weg gelegt
sie spricht mehrere Fremdsprachen fliessend
und ich (im Moment) nicht mal meine Muttersprache
sie ist tüchtig
ich bin hinfällig
sie hat Erfolg im Beruf und eine gutbezahlte Stelle
ich bin IV-Halbrentnerin, werde unter dem Existenzminimum entlöhnt und muss sehr froh sein, meine Stelle halten zu können,
sie kann reisen, wohin sie will,
ich kann das schon lange nicht mehr
sie plagt mir gegenüber manchmal das schlechte Gewissen
und ich bin manchmal neidisch auf sie und ihre Gesundheit, obwohl ich weiss, dass sie genauso wenig für ihr Befinden kann wie ich für meines.
Sie hat einen festen Freund
und ich bin schon lange solo.

Trotzdem,
wer denkt, nur ich würde unter all dem leiden,
der irrt.
Es ist für uns beide schwer,
nicht in derselben Art und Weise
aber es ist schwer.

Wir sind Schwestern und wir sind uns nicht egal.

Ladina, August 2000

Sinnsuche
************
Es gibt Menschen, die kilometerweit rennen können
oder solche, die über mehrere Wochen mit dem Fahrrad
in der Weltgeschichte rumstrampeln
und hinterher immer noch fit sind
und wenn ich mir auch manchmal wünsche,
dies auch so zu können,
richtig tauschen möchte ich nicht mit ihnen.
Ich habe nicht den Wunsch, jemandem meine Krankheit anzuhängen und stattdessen seine Gesundheit zu übernehmen,
aber zuweilen stelle ich mir vor,
dass es schön wäre,
meine Krankheit für eine Zeit lang
in einem Schrank zu deponieren,
diesen fest verriegeln zu können
und solange gesund zu sein,
bis wieder genug Kraft da ist,
das Leben als kranker, junger Mensch vertragen zu können.

Doch vielleicht wächst diese Kraft,
auch wenn ich nicht immer davon überzeugt bin,
ja letztendlich doch gerade
im täglichen Leben mit der Krankheit heran?

Ladina, August 2000


Notwendigkeiten
*******************
Ein bleischweres Gefühl sitzt seit 8 Tagen auf meinem Brustkorb,
ein beklemmendes Gefühl, ähnlich der Todesangst,
ein Gefühl, als stünde der Weltuntergang bevor.
Ein Gefühl, als seien alle Fenster und Türen verschlossen,
durch die ein Freudenstrahl oder Hoffnungsschimmer
in mein Innerstes vordringen könnte
um die Starre zu lösen und das Dunkel in der Seele
zu erhellen.
Und ich weiss nicht mal, warum,
ich habe doch gute Neuigkeiten,
ich muss mich doch freuen und jubeln
doch ich kann es nicht.

Ich komme mir so undankbar vor in diesem Zustand
und möchte doch so gern lebensfroh und dankbar sein.
Aber die Starre bleibt in mir
und die eingeklemmte Luft, die meine Sprache
so abgehackt tönen lässt,
dass alle erschrecken, sogar ich,
sie findet nicht den Weg zurück.

Ich verstehe mich psychisch nicht mehr
und sprachlich nur, weil ich weiss, was es heissen soll,
die anderen Leute finden es mühsam,
mich zu verstehen und gehen mir aus dem Weg.
Eigentlich gehe auch ich.

Aber ein Mensch bleibt da,
setzt sich zu mir ins Dunkle und bringt eine Kerze mit,
die warmes Licht verströmt.
Dieser Mensch schenkt mir Halt, Nähe, Geborgenheit, Zeit,
Ruhe, ein offenes Herz und Ohr und flöst mir
Vertrauen ein.

Notwendigkeiten, die die innere Not wenden
und Ängste lindern.
Notwendigkeiten, die das wichtigste sind in schwerer Zeit
und gleichzeitig das Letzte,
was man im Normalfall,
von seinen Mitmenschen erwarten kann.

Umso kostbarer sind einen die wenigen,
die solches noch zu geben vermögen

Ladina, August 2000

Ein besonderes Erbe
*************************
Ich erbte etwas, das niemand wollte
könnte man wählen
und ich kann es nicht einmal fortgeben
oder wegwerfen.
Ich erbte eine unheilbare Krankheit
und sie ist und bleibt mein ganzes Leben in mir,
bedroht und zerstört dieses Leben auf Raten.
Es heisst, ich werde nicht alt,
aber wie lange ich genau noch lebe,
kann niemand wissen.

Es ist ein aussergewöhnliches Erbe
und doch bin ich nicht die einzige,
viele Menschen sind gleich oder ähnlich betroffen
und wie alle andern gewöhnlichen Erben,
die ein Vermögen oder eine Liegenschaft
überschrieben bekommen,
haben auch wir Erbkranke die Aufgabe,
unser Erbe sinnvoll zu verwalten
es in unsere Existenz einzubinden,
und das Beste draus zu machen
was im LEBEN möglich ist

Ladina, August 2000
in Erinnerung an Judith Habick (30.10.1975 - 01.05.2000),
Hildegard di Chello, Roger Brändli,, Philipp Stark

Antibiotika
************
Schnelle Ermüdbarkeit
Rückenschmerzen und Verwirrtheit
das gehört zu meinem Befinden seit längerer Zeit,
ist ärztlich abgeklärt und gehört jetzt einfach dazu.
Doch dann
ein unerklärlicher Fieberschub,
Alarmstufe rot für jemand wie mich.
Ich muss sofort zum Arzt, Sputumprobe, Blut- und Urinanalyse,
danach Klarheit: Zystitis und wieder Antibiotika.
Schon wieder Antibiotika!
Anti - Gegen
bio - Leben
gegen wessen Leben??
Gegen das der Bakterien - natürlich ich weiss,
aber mir jeder nötigen Einnahme fühle ich mich so,
als würden die Antibiotika mich bekämpfen,
mein Leben auslöschen wollen.
Bauchweh, Durchfall, Übelkeit, Geschmacksveränderungen, Schwindel, Müdigkeit, Juckreiz……..
alle Nebenwirkungen folgen auf Kommando,
jedes Mal aggressiver,
erschöpfen mich total
und das Leben erscheint so schwer und freudlos.

Die Infekte, die ich erleide, werden immer häufiger,
die Intervalle zwischen den Medikationen immer kürzer,
die Abneigung gegen diese Antibiotika immer heftiger,
die Hoffnung, ohne sie leben zu können, immer weniger
der Wunsch, sie nie mehr nehmen zu müssen, immer grösser

Ladina, August 2000

Einsicht
*********
Wie hatte ich mich gefreut am Tag meiner Abschlussuntersuchung
und der Entlassung aus dem Spital und der
Langzeitbehandlung.

Endlich die Sonderstellung abwerfen,
wie alle andern sein,
nichts stets am Zügel der Ärzte traben,
mehr Zeit für eigene Bedürfnisse haben
und vielleicht vergessen,
die Zeit des Krankseins als alte Geschichte abhaken
und offen sein können für Neues.

Jetzt, nach mehr als einem halben Jahr, sehe ich ein,
dass vieles Illusionen sind:
Die Sonderstellung werde ich nicht los
und wie alle andern sein, überfordert mich,
immer wieder treten Beschwerden auf,
die den vorübergehenden "Besuch" im Spital erforderlich machen.
Die Zeit des Krankseins ist immer noch nicht abgehakt,
eigene Bedürfnisse sind oft genug auf Eis gelegt
und manchmal erfrieren sie dabei.

Viel Neues darf ich wohl nicht erwarten.
Ich glaube, ich muss verstärkt lernen
offen zu bleiben
für Altes, schon Dagewesenes
immer Wiederkehrendes…

Ladina, August 2000

Mir ist Zeit geschenkt
*************************
Mir ist Zeit geschenkt,
Zeit, die vielen andern fehlt,
die andern knapp wird,
ob so vielen Beschäftigungen und Pflichten.

Mir ist Zeit geschenkt,
Lebenszeit, wie sehr hatte ich sie mir gewünscht,
doch nun entspricht sie so gar nicht meinen Vorstellungen,
die Enttäuschung ist gross,
verhasstes Selbstmitleid macht alles noch schlimmer.

Mir ist Zeit geschenkt,
Zeit, die ich nicht nutzen kann,
die ich nicht sinnvoll füllen kann,
die nichts von dem enthält, was ich mir erträumte.

Mir ist Zeit geschenkt,
Zeit, in der ich nichts tun kann, ausser im Bett zu liegen,
zu hoffen und zu beten,
dass das Fieber sich senkt, die Entzündung abheilt,
die Schmerzen vergehen, die Traurigkeit weicht,
die Einsamkeit dem Gefühl des Geborgenseins Platz macht.

Mir ist Zeit geschenkt,
ein Übermass von 24 Stunden pro Tag,
die praktisch ohne Inhalt bleiben.

Ich sehne mich nach einem Gespräch,
es dürfte Stunden dauern,
doch ich störe nur die Betriebsamkeit der meisten
und mein Stottern verunmöglicht ein entspanntes Reden.

Ich sehne mich so sehr danach,
irgendwo gebraucht zu werden,
irgendwo als Glücksfall betrachtet zu werden
mit meiner Verfügbarkeit.

Ich wünsche mir,
meine langsam verkümmernde Kraft und Energie
irgendwo zu investieren, wo es Sinn macht,
wo meine lange Zeit Sinn macht
und mein Leben.

Ladina, September 2000

Ferien
********
Obwohl ich eine reguläre Arbeitsstelle habe
bin ich nur wenige Wochen im Jahr wirklich dort
und obwohl ich insgesamt nur wenige Wochen
dort arbeite,
darf ich noch Ferien beziehen.
Manche im Geschäft denken,
dass ich ein angenehmes Leben habe
und der Bequemste machte heute seinem Ärger Luft
und sagte zu mir: Tja, ich wollte auch, ich hätte Krebs,
dann hätte ich es so schön wie Du!"
Er hat ja keine Ahnung und um ein Haar hätte ich ihm empört eine geknallt, doch ich war zu geschockt,
Ich kann ihm nichts erklären, ohne dass mir vor Erschütterung
die Sprache zittert.
So herrlich, wie es scheint nach aussen, ist es nicht,
denn fast immer wenn ich nicht beruflich arbeiten kann,
laboriere ich mit meiner Krankheit,
oder verarbeite den Stress mit ihr, ihre Folgen, ihre Last
oder ich bin im Spital oder permanenter Arztbehandlung,
erhalte Therapie, kämpfe gegen die Nebenwirkungen,
habe irgendeine Entzündung oder einen Ausfall.
Von Pause, Erholung, Flonerleben und Gemütlichkeit
kann keine Rede sein
und ich brauche die Ferien so dringend,
wie jeder andere im Full-Time-Job.
Und wenn auch die Krankheit
in den Ferientagen keine Pause macht,
so kann ich doch die etwas besseren Tage
ohne schlechtes Gewissen
wieder einmal nur für mich selber nutzen,
mir vielleicht einen Traum erfüllen
und dafür sorgen,
dass mein Notproviant-Säckchen für die Seele
neuen Inhalt bekommt.

Ladina, September 2000
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Am Brunnenrand
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Ich sitze da am Brunnen bei der Ref. Kirche in ZH Altstetten,
der mich durch sein munteres Sprudeln
geradezu magisch angezogen hatte.
Ich sitze am Rande und schaue ins Wasser,
wo neben herbstlich verfärbten Blättchen
auch Insekten vor sich hintreiben.

Manche von ihnen sind schon tot, andere zappeln noch.
Ohne zu zögern, mache ich mit dem Finger Bergungsversuche,
überlege erst kaum,
aber dann beginne ich dennoch zu selektionieren.

Im Wasser sind eine Hummel, 2 Ameisen,
2 Mücken und eine Fliege und all deren Beine
ringen verzweifelt um Hilfe,
manche zucken nur noch schwach,
die Ameisen und die Hummel zappeln schnell, noch voller Energie.

Doch wer ist es wert, gerettet zu werden,
welchem Tierchen helfe ich dabei,
dem in seiner Lage todbringenden Element
noch zu entkommen?
Ich rette erst die Hummel und die beiden Ameisen.
Aber soll ich auch die Mücken , die einen immer grauenhaft stechen und die lästige Fliege?

Viel Zeit darf ich nicht mehr verlieren, zu überlegen,
ob ja oder nein,
was vernünftig und was leichtsinnig ist
und um der Gerechtigkeit willen, rette ich sie letztlich alle.
Eine kleine Hilfsaktion, die da am Brunnen
Realität werden konnte.

Im Leben draussen sieht es anders aus.
Tagtäglich müssen Leute entscheiden,
wem sie helfen wollen oder können und wem nicht.

Die Krankenkassen, das Arbeitsamt, die IV-Ausgleichskasse, das Einwohneramt, das Ausländeramt, die Ärzte
sind nur einige von vielen,
die sich diese Frage Tag für Tag neu stellen
und einen Entschluss fassen müssen,
der über Tod und Leben entscheiden kann,
der Zuflucht oder Abgeschobensein bedeutet,
Arbeit oder Erwerbslosigkeit,
Rente oder Armut,
Unterstützung oder Ausgeliefertsein.

Gerechtigkeit gibt es da kaum.
Was zählt ist die Rendite.

Bis jetzt gehöre ich gottlob noch zu den Nutzniessern,
die sowohl bei den Ärzten, als auch bei der Krankenkasse und der IV auf Gnade und Hilfe bauen können.

Doch nicht selten drängt sich mir die Frage auf:
"Wie lange noch?"
und ich weiss, dass die Antwort nicht überall
"Für immer!" lautet.

Ladina, September 2000
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Früher und heute
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Früher gab es in meinem Umfeld etliche Menschen,
die sagten, ich wäre ihr Vorbild
und sie bewunderten mich
für die Hoffnung, die ich bewahrte
für die Kraft, die ich ausstrahlte
für den Mut, mit dem ich gegen den Krebs kämpfte.
Doch keiner von denen war je wirklich für mich da,
wenn es mir schlecht ging und ich nicht
stark sein konnte.

Sie blockten die leiseste Bemerkung meinerseits
in Gesprächen ab und sagten mir am Telefon:
"Halt die Ohren steif" oder "Bleib nur weiter wacker!"
und sie taten aufgestellt, lachten immerzu und sagten wieder,
wie sehr sie mich doch bewunderten.
Wahrscheinlich waren diese Phrasen nur ein
Schutzschild für sie, mich abzuwehren,
damit ich nicht näher komme,
nicht vertrauter werde,
nicht wesentlicher werde.

Ihre Bewunderung war nur oberflächlich,
keiner davon wollte wirklich wissen,
wie es in mir drin aussieht.
Nach und nach verloren sich all diese Kontakte
und ich trauere ihnen nicht hinterher.
Ich habe nichts Wertvolles verloren mit ihnen.

Heute ist es so ganz anders.
Heute habe ich Menschen an meiner Seite,
die nicht ausweichen, wenn ich Halt brauche.
Menschen, die mich nicht bewundern,
mit denen ich dafür aber Freud und Leid teilen kann.
Menschen, die nicht beleidigt sind oder den Kasper für mich machen, wenn ich nicht stark sein mang.
Menschen, die wirkliche Freunde sind.

Freunde, die mich nicht zum Übermenschen stempeln
oder bewundern,
sondern die mich einfach Mensch sein lassen
und mich an- und aufnehmen
in guten und in schlechten Tagen

Ladina, September 2000
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Ersterkrankung oder Rückfall
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Es ist eine viel diskutierte Frage in Onko-Kreisen:
"Was ist schlimmer, Ersterkrankung oder Rückfall?
Was löst grösseren seelischen und körperlichen Stress aus?
Was flöst mehr Angst ein?
Was erschüttert einen tiefer?

Die Ersterkrankung bedeutet
den schlagartigen Verlust von Sicherheit,
der Rückfall reisst einen wieder
aus neu gewonnener Sicherheit heraus.
Was ist jetzt schlimmer?

Bei der Ersterkrankung fallen viele Ausdrücke,
die man nicht recht versteht,
beim Rückfall hat man viel eher schon den Durchblick.
Was ist nun schlimmer?

Bei der Ersterkrankung liest man
die Nebenwirkungen der Chemo.
Grässliche Wörter, die Verzweiflung auslösen
und den Wunsch zu fliehen.
Beim Rückfall steht hinter all diesen grässlichen Wörtern
bereits die Erinnerung an die durchgemachten Gefühle
und das reale Leiden. Auch hier ist man verzweifelt,
hat den Wunsch zu fliehen.
Was ist da schlimmer?

Bei der Ersterkrankung klammert man sich
an die schnell erwähnte Hoffnung auf Heilung,
hat aber gleichzeitig viele fremde Leute im Kopf,
die an Krebs gestorben sind.
Beim 2. oder 3. Rückfall erwähnt keiner mehr
die Hoffnung auf Heilung
und man hat all die Bekannten im Kopf,
die schon daran gestorben sind.
Was ist hier schlimmer?

Was ist schlimmer?
Betroffen werden oder schon einmal vorher
betroffen gewesen zu sein?
Keine Ahnung haben oder wissen, was kommt?
Horrorvorstellungen haben oder die qualvolle
Realität kennen?

Ich kann keine klare Antwort geben,
vermag es nicht zu sagen, was schlimmer ist,
schlimmer war für mich.

Ich weiss nur,
es ist in jedem Fall,
eine grosse persönliche Katastrophe,
eine ganz massive Bedrohung
nicht nur von einer Krebserkrankung zu hören
sondern eine zu haben!

Ladina, September 2000
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Geduld
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Findet eine Kundin das angekündigte Kleingeld nicht sofort,
oder ein Mann vor mir kann nicht so schnell
wie andere aus dem Zug hopsen,
oder ein Ausländer sucht lange nach dem geeigneten Wort,
oder eine Kundin hat lange beim Einpacken,
das ist alles kein Problem für mich, ich kann warten
und die Menschen freundlich anlächeln.

Wo auch immer Menschen in meiner Gegenwart
irgendein körperliches oder organisatorisches Problem haben,
tritt meine Geduld zutage.
Ich bin nachsichtig und sage: Lassen Sie sich nur Zeit,
immer mit der Ruhe!"
und meist ernte ich ein dankbares Lächeln dafür.

Nur bei mir selber
klappt das mit dem Geduld-Haben nicht oder nur selten.
Immer habe ich das Gefühl, ich müsste schneller sein,
etwas besser begreifen in kurzer Zeit.
Viele mögliche Momente der Freude
verrauchen so im Frust über die vermeintliche Unzulänglichkeit
oder im Traurigsein.

Ich möchte das ändern,
mir selber die nötige Zeit lassen,
die ich brauche, etwas zu tun, ohne selbstauferlegte Hektik.

Ich möchte soweit kommen,
dass ich wieder mehr mit einem Lächeln tun kann,
selbst dann, wenn mancher andere stresst.

Ich möchte auch zu mir selber wieder freundlich sein.

Ladina, September 2000
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Radtour der Hoffnung
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Ich erinnere mich noch so genau, als ob es gestern erst
gewesen wäre.
Anno 1992 sassen wir sechs dort in der Wiese der Kurklinik,
wo wir uns von den Strapazen der Chemos erholen konnten.
Wir, Silke, 22 Jahre, erkrankt am Dysgerminom,
Lydia, 18, erkrankt an Morbus Hodgkin,
Mona, 19, erkrankt an AML, Manja, 19, erkrankt an ALL
Livia, 23, erkrankt an Rhabdomyosarkom genau wie ich.
Es war die letzte gemeinsame Woche und wir schmiedeten Pläne für ein Wiedersehen in der Schweiz, irgendwann mal.

Wir sassen da, Hoffnung und Angst nah beieinander,
versuchten lautstark die Hoffnung auszusprechen
und stärker präsent scheinen zu lassen,
als die Angst zu sterben,
die sich immer neu breit machte in unseren Köpfen.

Und heute, 8 Jahre danach,
wird unser damaliger Wunschtraum tatsächlich wahr
und wir sehen uns alle zusammen zum 1.Mal wieder
bei einer Radtour um den Bielersee.
Sofort ist die Verbundenheit wieder da,
die auf gemeinsam Erlebtem und Erlittenen gewachsen ist.

Wir haben jetzt alle wieder eigene Haare
und eine gesunde Hautfarbe
und wir können kaum aufhören,
einander zu bestaunen wie das 8.Weltwunder.

Während wir radeln,
wird uns richtig bewusst
welch mächtig weiten Weg wir hinter uns haben.
Und was vor 8 Jahren noch mehr oder weniger
doch eine Illusion war,
ist heute möglich und wir können
eine Radtour von 53 km Länge bewältigen
und sie geniessen.
Wir sind wieder stark!

Wir haben es geschafft, den Krebs zu bezwingen
oder damit weiter zu leben.

Wir haben es geschafft,
die Hoffnung ins Leben hinüber zu retten.
Mit den Jahren ist sie mehr und mehr gewachsen
und heute ist sie tatsächlich gross und stark,
viel, viel stärker und grösser als die Angst!

Ladina, Freitag, 22.September 2000
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Doch ist es nicht verlorene Zeit?
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"Doch ist es nicht verlorene Zeit, Ihr wiedergewonnenes Leben
den psychisch Kranken zu widmen, die doch an ihrem Leid selber schuld sind und sowieso alles Memmen sind?" - dieser
Satz aus einem Leserbrief an eine Freundin von mir,
welche in einem Buch von ihren Kontakten zu Psychiatriepatienten berichtete, nachdem sie selbst gerade den Krebs besiegt hatte,
dieser Satz macht mir Gänsehaut
und ich schlucke zig Mal leer
um meine Entrüstung und Bestürzung
nicht lauthals vor allem Leuten kund zu tun.

Lydia und ich beschliessen,
dieser Leserbrief-Schreiberin unsere Meinung zu sagen.
In unseren Köpfen tummeln sich bereits
die schlagkräftigsten Argumente und Formulierungen,
doch kurz bevor wir uns dran machen,
diesen Brief auf dem Picknickplatz der Petersinsel
wirklich zu schreiben,
stellt sich uns gleichzeitig die Frage:
"Doch ist das nicht verlorene Zeit?"
und wir zerreissen den Leserbrief in tausend Fetzen
und widmen unsere Aufmerksamkeit
wieder den Naturschönheiten um uns herum
und vielen weiteren sinnvollen und erfreulichen Seiten
unseres neu geschenkten Lebens.

Ladina, 22.Sept. 2000
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Die gleiche Diagnose
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Frühzeitig machten es uns die Onkologen klar,
als sie sagten: "Jede Krebserkrankung ist anders,
stellt deshalb keine Vergleiche an.
Was dem einen hilft, kann bei einem andern erfolglos sein
und umgekehrt und nochmals anders!"

Trotzdem stellen viele am Anfang doch Vergleiche an
und interpretieren manches falsch.
Stirbt einer mit der gleichen Krankheit
und derselben Therapie wie man selber hat,
so wacht die Angst erst richtig auf.
Aber mit der Zeit versteht fast jeder,
dass die Ärzte doch irgendwo recht hatten mit ihren
vernünftigen Ratschlägen.

Auch ich habe das längst begriffen.

Dennoch, als unsere Gespräche heute auf Pierre kommen
und seinen schlechten Zustand
und dem Verdacht auf einen Leukämie-Rückfall
nach über 15 Jahren,
da vermeide ich es bewusst, dass Manja mithört.
Manja, die auch ALL hatte, Induktions- und Erhaltungs-Chemo
genau wie Pierre bekam und die danach bis heute
schon 8 Jahre rückfallfrei lebt,
sie verschone ich mit meiner Besorgnis um Pierre,
weil ich nicht möchte,
dass sie die Parallelen wahrnimmt,
weil ich befürchte,
ihr neue Ängste einzujagen,
Ängste, die sie nach 8 Jahren ohne Rückfall
gewiss nicht mehr so intensiv verspürt.

Wenn auch jeder Tumorpatient anders ist,
in einem sind wir alle gleich:
Wir erschrecken, wenn einer mit der gleichen Diagnose stirbt
und wir fühlen uns stärker in unserer eigenen Existenz
bedrohnt

Ladina, 22.September 2000
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Im Gedenken an meinen langjährigen Freund Pierre Parlier (4.1.75-24.9.2000

Ein Freund im Hintergrund warst du für mich,
einer, der mir aus der Ferne den Rücken stärkte
und mir Zuversicht schenkte durch sein Dasein.

Ich sah dich nicht oft, aber regelmässig, 2-3 Mal pro Jahr
aber immer bist du in meinem Herzen geblieben als besonderer Freund
und als eine beruhigende Sicherheit.
Stark kamst du mir vor
damals schon, als ich dich kennenlernte im CHUV
auf der Kinderkrebsstation(Du warst 10 und ich 18)
Manche haben mich belächelt und spöttisch gefragt:
"Was findest du bloss an diesem Knirps?"
Ich konnte es nicht erklären, ich habe dich einfach sehr gemocht
und gestaunt wie selbstverständlich du alles nahmst,
gelacht über deinen unvergleichlichen Humor und Deine Komik

Als du kein einziges Haar mehr auf dem Kopf hattest,
wollte ich dich fotografieren
aber du warst eitel und hast geseufzt: "Non, pas maintenant
Recarde donc, je ne suis pas peigné!"
Und alle im Raum haben Tränen gelacht,
sogar Rico, der spastisch gelähmte Bub gluckste vergnügt.

Wir wurden fast gleichzeitig fertig mit der Induktion
und blieben auch nach der Stationären Therapie in Kontakt.
Als Du 17 warst, feierten wir zusammen, dass du 5 Jahre ohne Rückfall warst.

In meinem Herzen warst du immer ein Sieger.
Als du 20 warst, sagten sie dir, du könntest nie Kinder zeugen, aber du hast nur gemeint: Nicht so schlimm, es gibt noch mehr zu tun für mich in meinem Leben und auf dieser Welt" und du hast begonnen, dich für Terres des Hommes einzusetzen.

Wir konnten prima miteinander reden.
Der Jahresunterschied von 8 Jahren war überhaupt kein Problem.
Irgendwann ist das Körperliche nicht mehr relevant, auch nicht das Alter.
Irgendwann zählt nur noch, wie weit man seelisch/geistig gekommen ist
und da war unsere Verbindung
durch gemeinsam Erlebtes und Überstandenes, Freud und Leid!

Du warst für mich all die Jahre der Inbegriff von Stärke
ich erlebte dich als einen Sieger und sah es dich bleiben, ein Leben lang.
Ich sah dich als einen Sieger,
der nicht die Spur von Überheblichkeit ausstrahlte
der immer korrekt, natürlich und offen war.

15 Jahre lang, Pierre, warst mir du ein treuer Begleiter und Freund
und es hätten gerne noch viele Jahre mehr werden können,
manchmal phantasierten wir sogar, wies wäre, ein Ehepaar zu werden...
Aber es kam anders.

Vor 3 Wochen sahen wir uns nochmal kurz in Lausanne.
Du hattest das Treffen vorgeschlagen.
Du hast wohl gespürt, was dir, was uns bevorstand.
Ich war tief erschüttert, als ich dich endlich erkannte dort am Bahnsteig

So klein und winzig kamst du mir plötzlich vor
so zerbrechlich, Du mein immer starker Pierre
der immer so von Kraft strotzte.
Du zerbrichst immer mehr und niemand kann den Verfall aufhalten.

Du, den ich nie klagen hörte, sagst mir:
"Ich hab bei der Sache kein gutes Gefühl,
ich glaub, wir müssen Abschied nehmen. Danke für die jahrelange
Freundschaft und Deinen Beistand, auch jetzt;"

Du, der mir selber immer so geholfen hat!

Du, der 15 Jahre lang ohne Leukämie-Rückfall lebte

Du, der alle Hoffnungen, die man haben kann geweckt und genährt hat!

Du, der für mich immer einer war, der es schafft!

Du, der so von Kraft sprühte und der voller guter Ideen war!

Du, dessen Leben so sinnvoll war!

Du, der in Kürze zu Terre des Hommes wechseln wollte!

Du, der immer für mich da war, wenn ich einen Rat brauchte!

Du, kleiner, grosser Freund sprichst vom Sterben!

Ich wollte es nicht glauben und musste es doch!
Und wenn ich mich danach auch gedanklich damit auseinandersetzte,
dass du sterben könntest,
so kam die Nachricht von deinem Tod für mich doch wie ein Schock!

Da ist nichts, womit ich mich selbst trösten könnte oder deine Schwester Janine oder deinen Vater.
Du warst so ein lebensfroher, positiver Mensch
Warum musstest du gehen? Warum??
Warum so plötzlich, so brutal, einfach aus dem Leben gerissen!

Wie kein anderer bisher
lässt mich dein Tod
fassungslos zurück
und ich habe den Eindruck, dass ich niemals eine Antwort finden werde
auf die Frage: WARUM?!

Ladina, 25. September 2000
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Wolkentage
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Es gibt Tage im Leben
die sind wie ein grauer, von schweren Wolken bedeckter Himmel,
Tage, an denen die Sonne allein
keinen Weg zu einem finden kann
weil die Trauer zu gross und der Schmerz zu tief ist.
Tage, an denen nur noch Tränen fliessen.

Wenn dann ein Mensch zu einem tritt,
der Verständnis hat für die Tränen, die fliessen müssen,
der nicht sagt: "Hör auf zu weinen"
sondern einem still die Hand auf die Schulter legt
oder einem Rückhalt gibt,
dann fühlt man sich aufgehoben,
getragen und geborgen, selbst im Leid,
dann mildert sich die Schwere im Herzen,
dann wohnt in diesem Wolkentag
doch auch ein Hauch von Sonne
und macht Hoffnung spürbar

Ladina, September 2000

gewidmet an Barbara B. und Ursula Schellenberg
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Miteinander gehen
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Nicht schweigen,
wenn die Seele reden möchte.
Nicht abseits stehen,
wenn Nähe nötig ist.
Nicht Gelassenheit mimen,
wenn im Innern Ängste nagen.
Nicht für andere den Clown spielen,
wenn es einem zum Weinen zumute ist.
Nicht Heldin sein wollen und alleine tragen
was kein Mensch ohne einen andern verkraften kann.

Sich mitteilen
einem offenen, liebenden Gegenüber.
Sich zeigen, wie es wirklich ist.
Sich ausdrücken, Gefühle zeigen.

Miteinander aushalten
miteinander teilen
miteinander tragen
miteinander gehen in Freud und Leid
in Lebens - und in Sterbenszeit

Ladina, Oktober 2000
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An Fabios Grab
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Wieder einmal bin ich hier auf dem Friedhof
und stehe vor deinem kleinen Grab.
Es sieht wieder so verlassen aus
mein sorgfältig für dich ausgesuchtes Hamsterfigürchen,
das ich letztes Mal herbrachte, ist weg
und auch das bunte Windrädchen ist verschwunden.
Ich hoffe, sie stehen bei Dir daheim
an einem Gedenkplätzchen,
das ich nie sehen werde,
weil ich auf deinem Weg
für deine Eltern zu wenig bedeutungsvoll war.

Meine Gedanken wandern zurück zu jener Zeit,
wo Du als kleiner Krauskopf auf der B-West
noch ein Exot warst für kurze Zeit.
Dann zu der Zeit,
wo du mit kahlem Kopf und deinem übergrossen Schnupfituch,
mich an der Haustür fragtest,
ob du denn auch Heli fliegen dürftest mit dem Pfnüsel.

Ich sehe Dich noch heute vor mir,
in deinen Augen standen freudige Erwartung
und zugleich grosse Besorgnis.
Allzuoft schon hattest Du wegen deiner Krankheit
zurückstehen müssen.
Doch den Heliflug, den konntest Du erleben!

Ich denke an den Tag zurück,
an dem der glücklichste Fabio, den ich je sah,
im Freudentaumel aus dem Heli stieg.
Wir, die wir auf Dich warteten, hatten alle den Fotoapparat dabei, doch vor lauter Freudentränen
und dem gleichzeitigen Wissen
um den baldigen Abschied für immer,
misslangen die Bilder
doch die Erinnerung bleibt.

Noch oft werde ich Dein Grab besuchen,
nicht etwa, weil ich dich nur hier finden kann.
Ich spüre und weiss, Dein Wesensteil, den ich so liebte,
liegt nicht hier.

Aber Dein Grab ist für mich Raststätte und Sammelplatz zugleich,
wo ich mir all die Stunden mit Dir vergegenwärtige
und dich einfach auf meinem Weg in die Zukunft
in meinem Herzen lebendig halten kann.

Ladina, 12.Okt. 2000
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Unfall
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Vor ca. einem Monat, am Freitag, den 13. Oktober
hatte ich unverschuldet einen Unfall,
der mir etliche Schmerzen und Prellungen verursachte
und ein demoliertes Fahrrad noch dazu,
der aber sehr viel schlimmer hätte ausgehen können.
Dennoch hatte ich das Gefühl danach,
ich war halt einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.

Die Bilanz, die ich heute daraus ziehen kann
verblüfft und überrascht wohl alle.
Ich bin bei der neurologischen Prüfung
zwar hintendrein wie immer,
doch wegen der Schmerzen spüre ich mein linkes Bein
und kann darum sicherer gehen und gar rennen!

Die Ärzte belächeln zwar meine These,
dass der Unfall meine Tiefensensibilität aufgeweckt habe
wie der Kuss des Prinzen das Dornröschen
und reden davon, es sei wohl einfach zusammen gekommen.

Aber ich werde wohl diesem Unfall gegenüber
für immer ein gutes Gefühl haben
und mit Dankbarkeit daran zurück denken.

So absurd es tönt, ich denke heute,
ich war damals einfach zur rechten Zeit am rechten Ort.

Ladina, November 2000
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Wende
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In gewissen Zeiten oder an speziellen Tagen
suche ich in Gedanken die Vergangenheit,
erinnere mich bewusst, was war vor einem Jahr oder zwei.
Zu Beginn meiner Neuerkrankung
waren diese Gedanken oft mit Leid verbunden
es war schwer und schmerzlich zu wissen:
Heute vor einem Jahr war ich noch gesund, machte das grosse Alpentbrevet und ich konnte draussen sein.
Es war schwer zu realisieren, was nun war:
wieder mit Krebs im Spital sein, auf lange Zeit hinaus keine unbelastete Zukunft zu haben,
von einer Chemo zu nächsten zu stolpern.

Im Laufe der nächsten Monate oder Jahre wurde die
Wahrscheinlichkeit, gesund zu werden immer etwas geringer
und so waren die Gedankenreisen in die Vergangenheit
immer ein Rückblick auf eine bessere Zeit,
der mit Traurigkeit verbunden war.

Heute zum Jahresende blicke ich wieder mal zurück
und zum 1.Mal seit über 10 Jahren
schaue ich auf eine schlechtere Vergangenheit zurück.
Zum 1.Mal geht es mir wieder besser als ein Jahr zuvor.
Zum 1.Mal ist da kein Schmerz,
keine unendliche Leere beim Gedanken an morgen,
dafür etwas Vertrauen in die Zukunft.

Es ist ein unbeschreibliches Glücksgefühl in mir,
etwas Überwältigendes, für das mir die richtigen Worte fehlen,
ein Gefühl des Aufgehobenseins in der Gegenwart,
das Wort Hoffnung hat wieder Inhalt.

Es ist, als habe sich die Welt um 180 Grad gedreht.

Ladina, Dezember 2000

Ganz viel Liebe
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Kaum war ich ein paar Tage auf der Welt
gab mich meine leibliche Mama fort
weil sie sehr krank war und bald darauf starb.
Als ich 7 Monate alt war,
musste ich wieder weg in ein Spital,
war wieder räumlich getrennt von meiner neuen Mama.
Bis ich 8 Jahre alt war, konnte ich dann mit der Familie sein,
dann entdeckte man den Tumor in meinem Bauch
und ich musste wieder ins Spital.
Eine Tante umsorgte mich liebevoll.
Nie hatte ich Heimweh, schon immer war so ein Gefühl in mir,
dass ich nicht richtig in die Familie hineingehöre.
Dennoch war schon damals eine grosse Liebe in mir
und ich verschenkte sie innig der Tante, meiner Lieblingskrankenschwester, meinem Freund Urs und weiteren mir lieben Menschen.

Ganz viel Liebe ist in mir und ich frage mich oft,
wer sie mir gegeben hat.
Ich sage nicht, dass ich lieblos aufgewachsen bin,
oh nein, aber halt doch eher reserviert, distanziert,
ohne viel Zärtlichkeiten oder Nähe,
die sicher auch wegen der Krankheit
und den Narben erschwert worden sind.

Zwischen den Tagen zu Hause
muss es einen Menschen gegeben haben,
der mich sehr liebgehalten hat,
der mir das Gefühl und die Fähigkeit dazu einpflanzte.
Es muss wohl sehr früh in meinem Leben gewesen sein,
zu einer Zeit, an die ich mich nicht erinnern kann.

Diesem unbekannten Menschen
bin ich stets in Dankbarkeit verbunden,
doch manchmal betrübt es mich doch sehr,
nicht einmal zu wissen, wer es war…

Ladina, Dezember 2000
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Kein Telefonat mehr
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Es ist Abend an diesem 4.Januar 2001
und ich spüre eine grosse Leere in mir,
weil mir mehr und mehr bewusst wird,
dass es an diesem Datum, das Pierres Geburtstag war,
nie mehr ein Telefonat zwischen uns geben wird.
Nie mehr französisch reden,
nie mehr lachen miteinander,
nie mehr Pläne schmieden und Ideen verwirklichen.
Ich denke an Dich und spüre, wie mir alles fehlt
und wie ich Dich vermisse.
Immer wieder versuche ich zu ergründen,
ob Du auch noch an mich "denkst",
ob Du da, wo Du jetzt bist,
dich an mich erinnerst, mich vermisst,
ob eine Ahnung an unsere Freundschaft
bei Dir geblieben ist
oder ob alles Irdische nicht mehr wichtig ist?
Und ich weiss nicht, was mir lieber wäre.
Einerseits wünschte ich, dass Du mich nicht vergisst,
aber ich wünsche Dir nicht den Schmerz, den ich spüre,
weil ich Dich vermisse.
Ich wünsche Dir nicht, dass Du dich ebenso fühlst
weil ich Dir fehle.

Manchmal denke ich wirklich, ich höre Deine Stimme
und ich sehe Dein Gesicht vor mir.
In meinem Herzen bist Du noch da
und wie jeden 4.Januar
werde ich in Gedanken mit Dir verbunden sein

Ladina, Januar 2001
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Augenblicke
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In jedem Leben, egal wie viele Jahre es dauert,
gibt es bedeutsame, ergreifende
und kostbare Augenblicke.
Es können Gefühle, Worte, Gesten oder Melodien sein,
die zu Herzen gehen, ganz tief hinein
oder schöne Anblicke, die sich einprägen,
an die man sich so oft man möchte, erinnern kann.

Doch viele Menschen sind voll Gram,
sie denken eher an die schlechten Augenblicke
und lassen die guten ins Vergessen rücken
oder gar verkümmern.

Sie wissen nicht, wie wertvoll und tröstlich
die guten Augenblicke im Leben sind,
selbst wenn sie längst vorbei sind und vorüber.
Sie machen im Grunde das Leben aus.
Sie sind das, woran man am Ende nochmals denkt,
wenn die Erinnerungen daran nicht erstickt worden sind
durch vergrämte Gedanken.

Es ist so wichtig,
die guten Erinnerungen am Leben zu erhalten,
sie immer wieder hervor zu holen
und voll Dankbarkeit zu betrachten.

Gib den guten Augenblicken Nahrung,
damit sie noch da sind,
wenn Du vom Leben Abschied nimmst.

Ladina, Januar 2001
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Verschiedene Welten
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Seit etwa 2 Monaten weiss ich,
dass ich an diesem 9.Januar in die Genetische Beratung
ins Kantonsspital Basel muss.
Fast genauso lange freue ich mich schon
auf die Adventskalenderausstellung,
die dem sterilen Kliniktag einen Gegenakzent setzt,
der mir gut tun wird,

Dass ich meine Kollegin Susanne dazu einlade,
weil ihre Umstände äusserlich gleich scheinen wie meine,
dies ist mir auch schon lange klar.

Doch Susanne sagt nein, sie möchte nicht mitkommen,
keine weitere neue Welt sehen an diesem Tag.

Für Susanne ist schon dieser 2-stündige Spitaltermin
ein schwerer Eingriff in ihren Alltag,
den sie wieder gesund,
weit weg von allen Erinnerungen lebt.

Ich selber verkehre dagegen nach wie vor in der Klinik.
In einem neuen Spital zu sein,
bringt für mich etwas Abwechslung mit
vom eingeübten Trott,
jedoch sicher kein traumatisches Erlebnis.

Und so gehen wir nach dem Untersuch
wieder verschiedene Wege in verschiedene Welten
in stetem Bemühen uns wohl zu fühlen
dort wo wir sind.

Ladina, Januar 2001

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Für Susanne
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Wir wohnen nicht weit voneinander entfernt
und arbeiten sogar im gleichen Stadtteil von St.Gallen.
Trotzdem sehen wir uns zumeist nur im Genetischen Beratungsdienst.
Du und ich, wir haben dasselbe seltene Syndrom.
Dr. Müller sagte Dir, Dein Syndrom nähme wohl einen milden Verlauf,
bei mir sprach er von einem hartnäckigen Verlauf.
Mit Deinem Bruder Roger haben wir beide einen Menschen verloren, dem gegen seinen schweren Verlauf des Syndroms
keine Chance gegeben war.
Wir müssen keine langen Erklärungen liefern,
denn wir wissen beide Bescheid.
Wir haben abgemacht,
immer ehrlich zueinander zu sein,
auch wenn es schwerfällt.
Du erzählst mir fröhlich, wie es Dir ergangen ist
in den letzten 2 Jahren: Spitze, keine Spur von einer Neuerkrankung.
Auch ich kann das erfolgreiche Jubiläum eines Jahres ohne Chemo vermelden, muss aber weitere Einbussen in Kauf nehmen.

Dir zuzuhören macht mir Mut,
mir zuzuhören aber bereitet Dir Angst vor dem,
was auch auf Dich mal zukommen könnte.
Ich sehe es an Deinen Augen
und es tut mir so leid
um Deinen Optimismus
und meine Ehrlichkeit.

Ladina, Januar 2001
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Im Wissen um einen früheren Tod
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Eine kleine Ansammlung von 5 jungen Leuten
sitzt schon im Wartebereich der Genetischen Beratung,
als Susanne und ich ankommen
und obwohl ich nur zwei Leute richtig kenne
stecken wir schon bald inmitten angeregter Gespräche.

Die sich hier treffen, wissen wie ich alle,
dass wir in eher jungen Jahren sterben werden.
Wir wissen natürlich nicht genau wann,
ob mit 30, 40 oder um die 50
aber das Pensionsalter erreichen wir wohl nicht.

Wie viele Menschen sterben früh
durch Unfall oder plötzliche Krankheit
und wussten noch einen Tag zuvor nichts davon?
Wie viele von ihnen haben ihre Träume nie gelebt,
sie immer auf später verschoben
und dieses Später nicht mehr erlebt?

Wir, die wir uns hier treffen,
wir wissen, dass unsere Zeit zu leben begrenzt ist
und wir richten uns soweit als möglich danach ein
und denken doch auch über die Zukunft nach.
Wir wissen um den früheren Tod.

Vielleicht gehen wir gerade dadurch,
trotz vielseitigen Belastungen,
so intensiv, so gerne, so dankbar
jedem neuen Lebens-Tag entgegen.

Ladina, Januar 2001
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Gedanken an die Vergangenheit
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In den letzten zwei Wochen,
je näher der Termin der Nachkontrolle heranrückt
stellen sich trotz meines positiven Grundgefühls
massive Ängste ein.
Ängste, vor allem,
was bald wieder Gewissheit sein könnte,
Ängste vor einem Rückfall.
Sinnlose Ängste eigentlich,
Ängste, die gar nichts verhindern in Zukunft,
die nur die Gegenwart behindern.

Nicht immer gelingt es mir, sie weg zu stossen,
Das Erleben der Gegenwart ist vom Gedanken
an die Zukunft voller Schrecken überschattet
und so suche ich in meinen Träumen immer mehr
die reale Vergangenheit,
die Erlebnisse, die ich geniessen durfte.

Ich denke an die vielen wundervollen Tage da und dort.
Ich halte mich an all diesen Erlebnissen fest
und bin dann voller Dankbarkeit,
weil ich weiss,
was immer nun wieder auf mich zukommt,
ich blicke auf eine schöne Zeit zurück.

Eine Zeit, die für immer zu mir gehört
und die mir keiner mehr wegnehmen kann!

Ladina, Februar 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Besuch bei Hans
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Von Lina, meiner 74jährigen, ehemaligen Krankenschwester
habe ich erfahren, dass ihr Mann Hans
vor einer Woche eine Notoperation hatte,
um sein Leben noch für kurze Zeit zu verlängern.
Neue Verdauungsgänge seien verlegt worden,
sonst wäre Hans wegen dem Gallenblasenkrebs verstorben.
Aber es ist nur Hilfe auf Aufschub.
Lina, die selbst seit 1998 wegen Brustkrebs behandelt wird,
weiss, dass Hans jetzt wohl doch vor ihr stirbt.
Sein Klatskin-Tumor spricht auf Chemo gar nicht an
und ist inoperabel.
Hans weiss das auch.
Ich beschliesse, ihn zu besuchen.

Er liegt im Bett, halb grau im Gesicht
und hat seit unserem letzten Zusammentreffen
sicher 20 kg verloren.
Er freut sich über den Besuch.
Hans weiss, dass ich eine, wie er sagt, ähnliche Sache
wie er sie jetzt hat, überlebt habe
und das mache ihm Mut.
Mir ist unwohl dabei.
Seit Jahren schon, versuche ich ihm beizubringen,
dass zwischen Kinderkrebs und Erwachsenenkrebs
ganz erhebliche Unterschiede bestehen,
aber er will das einfach nicht begreifen.

Die Tür geht auf, ein älterer Herr auch von der Station
kommt auf Besuch.
Hans stellt mich ihm vor: "Lueg Köbi, sie hät z'Glieche
gha wien ich, isch ganz schlächt zwäg gsi
und jetzt gohts ihra scho lang wieder guet!"

Nein, möchte ich schreien.
Da werden falsche Hoffnungen geweckt,
Ich verabscheue solches zutiefst!
Aber mir gelingt nur ein san
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Fortsetzung Gedichte Band 7: Am Ende bleibt die Dankbarkeit

Beitragvon Ladina » So 6 Jan 2008 0:21

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Als Clown im Spital
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
In Verkleidung eines Clowns
bringe ich am Schmutzigen Donnerstag
ein weiteres Müsterchen (Urin-Probe) von mir ins Spital-Labor.
Wo ich auch hinkomme, begegnen mir freundliche Gesichter,
einfach herrlich!

Unten am Lift dann,
steht versammelt eine möglicherweise
verirrte Truppe des Int. Brustkrebskongresses,
wie es scheint, ratlos vor einer Hinweistafel.
Kopfschütteln und ernste Mienen ist, was mir auffällt an ihnen
und was mich dazu verleitet,
mich bei ihnen bemerkbar zu machen,
ist vielleicht eine Spur von Übermut.

"Hello!" piepse ich, und schon drehen sich einige um.
Plötzlich ist da ein Lachen, alle drehen sich zu mir,
erst Staunen und Fragen im Blick,
als sei ich ein Wesen vom anderen Stern,
aber dann grinsen sie alle,
keiner blickt noch ernst drein wie Minuten zuvor.
Alle lächeln.
Es ist, als hätten sie alle bloss darauf gewartet,
einen Clown zu treffen.

Was würden sie wohl sagen, wenn sie wüssten,
dass ich eine Onkologiepatientin bin?
Ich sage nichts davon,
geniesse nur für Augenblicke
ihre offensichtliche Sympathie für mich.
Nie zuvor haben mich wildfremde Ärzte
auch nur halb so freundlich angeschaut.
Es ist das reine Vergnügen für alle.

Dann muss ich gehen, ich winke
und sage: "Bye, bye and have a nice day!"
und wie im Chor wünschen sie es lachend auch mir.

Könnten sie doch auch bei normalen Patienten
die ernsten Mienen für ein Lächeln tauschen
um den Druck in deren Seelen zu mindern.
Es wäre für alle leichter…

Ladina, 22.Feb. 2001
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Clowngesichter
°°°°°°°°°°°°°°°°°
Clowngesichter
verwandeln das Leiden und den Kummer
der Kinder im Krankenhaus
in Lachen und Freude.

Clowngesichter
bringen alten, kranken Menschen
Farbe und Abwechslung, Spiel und Spass
auf die Abteilung im Pflegeheim
und scheuchen den weissen Alltag fort.

Clowngesichter
als Therapie von Ärzten für Kranke verordnet
sollten auch die Doktoren und das Pflegepersonal
selbst besuchen und behandeln,
ihre verkniffenen Münder lockern
und sie wieder lehren zu lachen,
ihren Augen den Glanz zurück geben,
der bei vielen längst stumpf und erloschen ist,
durch den Stress, die Hektik, den Leistungsdruck.

Ich wünsche jedem Arzt und jeder Krankenschwester,
allen Pflegerinnen und Pflegern,
die erfrischende Begegnung mit einem Clown
damit eine Spur von jedem Clowngesicht
all jenen entgegen leuchtet,
die sich so sehnen
nach einem echten Lächeln von Mensch zu Mensch
inmitten der ganzen Ernsthaftigkeit
von Krankheit und Spitalbetrieb!

Ladina, 22. Februar 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Über das Leiden hinaus
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Beim Reinschreiben meiner Gedichte
fällt mir Erschreckendes auf:
die allermeisten beschreiben leidvolle Erfahrungen,
die ich machte und so verarbeite,
doch wo sind alle guten Tage dazwischen, die ich erlebte?

Ich frage mich, brauche ich denn den Schmerz
um Schreibaktivität zu entwickeln?
Weckt Kummer und Leid alleine meine Kreativität?
Brauch ich Nöte, um dagegen anschrei(b)en zu können,
fordert solches erst meinen Gestaltungstrieb heraus?
Heizt denn bei mir nur solches noch dem Bedürfnis ein,
auszudrücken und mitzuteilen, was mich berührt???

Ich habe so sehr für ein schönes, unbelasteteres Leben gekämpft
und möchte die Zeit, die mir mit ihm bleibt
auch von der schönen Seite her beschreiben.
Ich möchte so gerne, dass Schönes mich ebenso tief berührt
wie ein Kummer,
damit ich jubelnd schreiben kann,
damit das Leben ausserhalb des Spitals
endlich auch Raum erhält in meinen Gedichten.

Ich denke an die vielen hundert Leid- und Kummergedichte,
die ich schon geschrieben habe
und es betrübt mich irgendwie
aber dann denke ich auch
an meine paar frohen Gedichte, die Blumentexte und Schnitzelbanken
und ich glaube daran, dass ich doch weiterkommen kann
über das Leid hinaus…

Ladina, Februar 2001
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Fragen nach dem Sinn
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Schon drei Wochen habe ich nach der LP vom 2.März
eine partielle Lähmung im rechten Bein,
von der zwar die Mediziner einhellig glauben,
dass sie sich wieder davonstiehlt in naher Zukunft,
die mir aber in der schon 3-wöchigen Anwesenheit
mit jedem neuen Tag unheimlicher wird.

Ich versuche dennoch, nicht zu hadern,
nicht nach dem Sinn zu fragen hinter dem allem,
doch in mir drin
formulieren sich wie von selbst
diese Fragen nach dem Warum
und je mehr ich sie zu verscheuchen versuche
umso mehr drängen sie sich mir auf.

Hilflos und verzweifelt
lasse ich sie schliesslich aufkommen,
in mir herumwühlen, ihre Bahnen ziehen in meinem Gemüt,
solange, bis sich Tränen lösen
und wie ein reinigender Frühlingsregen
alle Not wegwaschen,
solange, bis ich nur noch leer schlucken
und meine Situation akzeptieren kann
im stillen, innerlichen Wissen,
dass der Sinn hinter allem in der Zukunft liegt,
in jedem neuen Tag, der folgt und seinen Lauf nimmt.

Ich darf nicht fragen und drängen,
denn der Sinn zeigt sich erst zu seiner eigenen Zeit.
Ich muss einfach Geduld haben und warten können
bis er sich von selbst herauskristallisiert.

(Tief in mir drinnen weiss ich das, doch manchmal wird es mir so schwer und Tränen voller Ungeduld und Verzweiflung fliessen,
bis ich wieder beginnen kann zu hoffen!)

Ladina, Ende März 2001
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Wenn Zeit fehlt
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Schon ein paar Mal in meinem Leben
habe ich Zeit ohne Bewusstsein verbracht.
Meist waren es Stunden, die ich unter Narkose war,
vor, während oder etwas nach einer Operation
oder während der Hyperthermie.
Auch nach dem Hirnschlag fehlte mir die Erinnerung
an die Stunden zuvor
und ich erfuhr länger nichts konkretes,
weil meine Sprache weg war und keiner merkte,
dass ich nicht nur deswegen in Panik war.

Es ist ein beunruhigendes Gefühl,
Zeit verloren zu haben
und nicht zu wissen, wie sie verstrichen ist,
aber immer, wenn es mir im Spital passiert
ist es in der Regel eingeplant,
ich werden von Menschen und Geräten überwacht
und kann hinterher nachfragen,
wie alles war, als ich weg war.

Obwohl ich keine Erinnerung an die Zeit ohne Bewusstsein habe,
weiss ich doch, wo sie geblieben ist
und das gibt eine grosse Sicherheit.
Selbst als ich anno 1994 am 22.Dezember ambulant ins Spital ging
und am 31.Dezember auf der Intensiv erwachte,
nach über einer Woche im künstlichen Koma,
da fühlte ich inmitten des Schreckens
doch schon eine Art von Aufgehobensein
in einer Umgebung, die mir helfen würde,
die verlorenen bewussten Lebenstage
im Nachhinein zu beleben und zu rekonstruieren
und damit zu gestalten, die Leere auszuschmücken,
sodass sie doch Teil meines ERLEBENS werden konnten.

Ganz anders fühlte ich mich am 26.März 2001,
wo ich, wie leider schon öfter,
in einer völlig fremden Ortschaft zu mir kam,
an irgendeinem Ort, nachmittags um 15.30h
und nicht wusste, wo ich bin,
nicht wusste, wie ich dahin gekommen war,
nicht wusste, wie ich die Zeit verbracht habe,
nicht wusste, wer bei mir war,
wer mich gesehen oder beobachtet hat,
nicht wusste, was ich gemacht habe und was nicht.

All diese Fragen stürzten auf mich ein
verunsicherten und bedrängten mich
und erschwerten oder verunmöglichten logische Überlegungen.
Anhand von Schildern, die zu Bahnhof führten
fand ich schliesslich heraus, dass ich in Solothurn war
und eine Frage bekam ihre ersehnte Antwort.

Alle andern aber haben bis heute keine Antwort erbracht,
die verlorene Zeit bleibt verschollen
und ich wüsste nicht, wen fragen.
Die Verunsicherung hält an,
das Misstrauen in mich nimmt zu,
irgendwie werde ich mir fremd.
Es ist, als habe ein anderer die Zeit für mich verlebt,
es aber versäumt, mich ganz auszuschalten.

Mein Körper verbleibt in der Gegenwart,
während meine Seele zeitweilig abtaucht
und wenn sie wieder in mich schlüpft,
schicke ich sie wieder fort
um für mich den Inhalt der fehlenden Zeit zu ergründen.
Sie sucht stundenlang und kommt ohne je eine Antwort gefunden zu haben, wieder zurück

Ladina,28. März 2001
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Perspektive
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Erst

liegt am Morgen

noch

die Dunkelheit

vor mir

doch sobald

ich

den ersten Schritt

in sie wage

bin ich

auf dem Weg

ins Licht!

Ladina, März 2001
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Entscheidung
****************
Ich liege waagrecht im Bett
und geniesse mein Wohlbehagen
schaue mich im Zimmer um
und freue mich, ein wohlvertrautes Gesicht zu sehen
und die ersten zaghaften Sonnenstrahlen
dieses neu erwachenden Tages.

Aber ich sehe auch mit Schrecken die Übelkeit vor mir,
diese Übelkeit, die allmorgentlich erwacht,
sobald ich aufrecht sitze, senkrecht stehe und gehe,
diese Übelkeit, die immer wieder
einen grossen Schatten auf den Morgen wirft,
dem ich begegnen muss,
dem ich mich stellen muss
um den Tag dahinter zu erleben.
Nur wenn ich liegen bliebe,
könnte ich diesem Schrecken ausweichen,
doch wäre ich dann auch vom realen Leben ausgeschlossen,
und von der Gelegenheit
anderswo Freude zu geben und zu empfinden.

Ich habe es ein wenig wie die Blumen,
die sich im Winter für ein neues Erwachen rüsten.
Sie stehen immer wieder vor der Entscheidung
ob sie leben oder verenden wollen;
Leben hiesse, zuerst den kalten Frostnächten
des Frühlings begegnen,
ehe warmer Sonnenstrahl an ihre Stelle tritt
und Verenden hiesse,
nichts mehr zu erleben, auch keine Sonnentage.

Und ich halte es wie die Blumen,
die sich entscheiden zu leben,
die sich den Unannehmlichkeiten stellen
um hinterher aber ganz gewiss
auch den Sonnenschein zu spüren,
Freude zu geben und zu empfinden.

Ladina, 29.März 2001 bei Barbara
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Gegen den Strom
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Heute, zum Jahrestag meiner KMT
wünschte ich mir, zu einem Fluss oder Bach zu gehen.
Schon in der Vorbereitungszeit zur KMT
hatten Flüsse und Bäche eine grosse Anziehung auf mich
und ich sass stundenlang an deren Ufer
oder wanderte an ihnen entlang,
liess das gleichmässige Fliessen,
das muntere Sprudeln,
das warme Gurgeln auf mich wirken.

Der Verlauf meines Lebens glich damals
einem traurigen Rinnsal,
das immer weniger wurde,
verseucht durch die Krankheit,
dem Austrocknen nahe.
Die Transplantation war die einzige Chance,
dem sicheren Tod zu entkommen.
Mit dem Entschluss sie zu wagen,
hatte ich mich entschieden,
fortan gegen den Strom zu schwimmen.

Es hat ungeheuer viel Kraft gebraucht,
dieses Jahr vor und nach der Transplantation.
Auch danach war das unbeschwerte Leben
noch in weiter Ferne
aber der Anfang war gemacht dazu,
der Grundstein gelegt,
das Bachbett ebnete sich immer mehr,
auch wenn es bisweilen noch verengte Stellen gab,
die mich zurück drängten und anstehen liessen.

Heute sprudelt mein Lebensfluss wieder und im Moment bin ich sehr glücklich.
Hier am Dolderbach in Zürich bin ich voller Dankbarkeit für das Leben
und ich weiss ganz sicher, dass alle Strapazen sich gelohnt haben,
dass es damals die richtige Entscheidung war,
gegen den Strom zu schwimmen

Ladina, März 2001
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Spärliche Hoffnung
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Nach einer gewöhnlichen Lumbalpunktion
blieb mein rechtes Bein ohne Gefühl.
Einen Tag darauf, am 3.März im Spital
redeten sie überzeugend von grosser Hoffnung
und befristeten den Zustand auf höchstens 14 Tage,
dann sei es sicher wieder gut.
Und ich klammerte mich an die Hoffnung.
Am 16. März in der nächsten Kontrolle
aber erschien ich noch immer mit lahmem Bein,
das keinerlei gesunde Reflexe zeigte.
Jetzt sagten sie, vielleicht brauche die Sache
mehr Zeit als vermutet, aber bessern werde es bestimmt.
Wieder sprachen sie von Hoffnung
und ich liess mich darauf ein.
Jetzt haben wir schon den 2. April
und ich schleppe mich noch immer mit dem lahmen Bein dahin.
Ich habe nicht resigniert,
aber die Hoffnung auf Besserung ist nicht mehr sehr gross.
Ich habe es mit Schonung versucht
und mit erhöhter Aktivität, mit Massagen und Wickeln.
Die Lähmung liess sich weder mit dem einen noch
dem andern bezwingen oder bezähmen.
Immer mehr denke ich,
dass die Ärzte die Hoffnung allein deswegen erwähnen,
damit ich als Patientin mich unbelasteter
in eine Situation einleben kann
aus der es kein Entkommen (mehr) gibt

Ladina, 2. April 2001
(die Lähmung besserte sich dann schliesslich doch noch, nach insgesamt 2 Monaten)
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Unsere Blumen
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Sie erblühten bei uns im Garten jedes Jahr von neuem,
rote und gelbe Tulpen, weisse Narzissen und gelb-orange Märzensterne.
Sie erfreuten mit ihren bunten Farben
uns und die Anwohner,
selbst jeden Fremden, der vorüberging.

Mir jedoch gaben sie mehr als reine Freude.
Wenn es mir zu Hause so trostlos vorkam,
tröstete mich ihr Anblick.
Wenn ich das Weisse und Sterile im Spital über hatte,
konnten ihre Farben Hoffnungsträger für mich sein.
Wenn sich alle von mir wegdrehten, weil ich eklig aussah,
schauten sie mich nach wie vor offen an.

Sie zu hüten und zu pflegen
war von Kindesbeinen an
eine wichtige und schöne Aufgabe für mich
und ich erfüllte sie mit grossem Pflichtbewusstsein.
Hunderte von Schnecken hinderte ich daran,
sich an ihnen satt zu fressen
und immer, wenn ich diese Blumen betrachtete
spürte ich ihre und meine Lebensfreude ganz intensiv.

Vor dem, was letzten Freitag, am 4.Mai geschah
vermochte ich sie nicht zu schützen.
Ein heftiges Hagelgewitter metzelte innert Sekunden alles dahin,
schlug kurz und klein, was eben noch erblühte.
Zurück bleibt ein Schlachtfeld,
das erschüttert und unendlich traurig macht,
das mir weh tut bei seinem blossen Anblick,
dass die Endgültigkeit der Tragödie voll bewusst macht
und dem man hilflos gegenüber steht.

Ich fühle mich innerlich so furchtbar verlassen,
halte 2 Nächte Trauerwache bei den verwesenden Teilchen,
die da nieder gemäht liegen.
Erleichterung oder Befreiung fühle ich trotzdem nicht,
ich bin noch nicht reif um Abschied zu nehmen.

Die anderen nehmen es jetzt einfach hin,
verstehen meine Trauer nicht,
begreifen nicht die Bedeutung, die diese Blumen für mich hatten.
Sie sagen: "Gott sei Dank, uns geht es ja gut
und die überschwemmten Keller und Waschküchen
geben wir der Versicherung an. Es waren ja nur Blumen.
Ihr Verlust bedroht unsere Existenz nicht!"

Vom Verstand her weiss ich, dass sie vermutlich recht haben,
dass ich dankbar sein muss,
dass uns bei dem Unwetter nicht mehr passiert ist.
Dennoch spüre ich grosse Trauer in mir
um den Verlust all unserer Blumen,
denn sie waren wie langjährige Freunde für mich

Ladina, 7.Mai 2001
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Abschied nehmen
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Oft geschieht es,
dass ich längere Zeit,
nachdem die Beerdigung stattgefunden hat
an das Grab eines verstorbenen Freundes oder Bekannten trete.
Bei wenigen war es mir möglich
direkt zur Bestattung zu gehen,
meist hat es die Krankheit selbst unmöglich gemacht.
Doch ich habe das Bedürfnis Abschied zu nehmen
von dem Menschen selbst,
nicht von den gemeinsamen Erlebnissen.
An diese denke ich oft zurück.
Abschied nehmen heisst nicht vergessen,
doch es heisst vielleicht, etwas vollenden,
was bislang angebrochen und unfertig war,
so wie einer fortgeht, ohne Adieu zu sagen
als habe es nie eine Verbundenheit gegeben.
Für mich heisst Abschied nehmen hier auch,
die Verbundenheit bestätigen zu dürfen,
ein Gefühl der Nähe noch ein letztes Mal zu spüren
und dann bewusst los zu lassen

Ladina, 9.Juni 2001
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Passiv sein
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In einer Phase intensivstem Aktivsein
ermahnt mich mein Körper zur Ruhe
mit einer leichten Schwäche in den Gliedern
und dumpfem Druckgefühl im Kopf.
Ich höre auf das Warnsignal,
nehme Abschied von den Plänen für heute,
fahre nach Hause und lege mich hin.

Passiv sein,
das heisst nicht, faul sein,
sondern zurück lehnen, zu sich selber kommen können
innerste Grundbedürfnisse wahrnehmen,
still stehen, wenn alle vorwärts preschen
um im In-Sich-Lauschen neue Energien auf zu spüren
für den Weg, der noch vor einem liegt.

Es ist so wichtig,
die Notrufe des Körpers nach Pause ernst zu nehmen
und wenn es sich jemand nicht gestattete,
so fordert der Körper seine Pause mit Mitteln ein,
die nicht übergangen und überspielt werden können.

Jede Maschine braucht eine Ruhepause,
um nicht heiss zu laufen, keinen Kurzschluss zu verursachen.
Wie viel komplexer ist das mit den Menschen?
Ich nehme die Notsignale ernst,
auch wenn andere schief gucken.

Ich lebe gerne und möchte es noch ein Weilchen.
Ich habe viel gekämpft fürs Leben
und es wäre schade, wenn ich zu früh abtreten muss,
bloss weil ich nicht auf mich selbst gehört habe
oder keine Zeit dazu zu haben glaubte.

Passiv sein
heisst mehr, als bloss Herumliegen und Nichtstun.
Es heisst vor allem,
sich Ruhe gönnen und Kräfte zu tanken
damit es morgen
mit neuer Energie
weitergeht!

Ladina, Juni 2001
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Jenny
*******
Nach mehreren Monaten treffe ich heute Jenny
per Zufall im Spital oben an
Jenny eine Kundin aus dem Geschäft
eine zierliche, dunkelhäutige Amerikanerin
eine Patientin mit multipler Persönlichkeitsstörung oder Schizophrenie, die manchmal monatelang wieder stationär in die Psychiatrie muss, wenn ihre Schübe zu heftig werden
Jenny ein Name, den bei uns im Geschäft jeder kennt
Jenny die bei manchen spöttisches Grinsen, Erheiterung oder betroffenes Schweigen auslöst, je nachdem, wie man ihr Auftreten deutet:
- Mit Cowboy-Hut und mehreren Handschellenpaaren am
Hosengurt der Nietenhose ist sie der Sheriff oder Privat-
Detektiv vom Dienst, resolut und bestimmt im Auftreten.
- Mit knappem Mini aus mehreren Strängen, silbrigem Top
und Ohrenringen bis zur Schulter ist sie ein Girl von der
Strasse auf der Suche nach Männern.
- Mit bunten Rock, der fast bis zum Boden geht, Kopftuch
und einem Schrubber in der Hand ist sie Fürsprecherin
für das Putzpersonal und spricht ohne Berührungsängste
Kunden im Konsum an mit: "Gälled Sie, ä Putzfrau isch au
en Mensch?!"
- Mit laut aufgedrehtem Radio, knallrotem Lederrock,
hochhackigen Stiefeln und schwarzer Schirmmütze aus
Leder ist sie Animatorin zum Tanzen.
Und ihre Stimmungen können von Minute zu Minute ändern
oder bleiben tagelang gleich.
Ja, so kenne ich Jenny seit Jahren.

Als ich sie heute treffe, ist sie ganz ruhig
fast zu still, finde ich, wenn man sie sonst erlebt.
Trotzdem angenehm.
Wahrscheinlich Medikamente?

Aber was sie sagt, wirkt gut nachvollziehbar, nicht verwirrt.
Auch ihre Stimme ist nicht mehr so schrill,
sondern besonnen und gefestigt.

Es ist ehrliche Freude, denke ich, auch von ihrer Seite
mich zu sehen.
Sie sagt: "Denk nie, das passiert mir nicht oder da gehe ich
sicher nie arbeiten, so minderwertige Arbeit mache ich
nicht. Du weißt nicht, was im Leben noch kommt und eines
Tages stehst Du da, wo Du nie sein wolltest und es ist
wichtig, dann noch Achtung vor Dir selbst zu haben,
sonst krepierst Du gleich."

Es ist ein eindrückliches Gespräch, das wir führen, vor
allem, wegen ihren Gedanken, die sie ausspricht.

Ist das die wirkliche Jenny, ausserhalb ihrer Krankheit?
Das, was sie in Wirklichkeit ist?
Oder sind es die Medikamente, die zwar die Störungen
ausschalten aber eine verfälschte Wirklichkeit zutage
fördern, eine gedämpfte, ruhigere als Jenny wäre
in der Realität.

Ist ihr eigenes Wesen von der Krankheit und den Medis
vielleicht bereits zerquetscht worden
mit Druck von beiden Seiten?
Ein furchtbarer Gedanke!

Oder kann ihr Wesen sich erholen, ist es stark genug,
sich wieder aufzubauen?

Habe ich heute vielleicht das seltene Glück genossen,
die wirkliche Jenny zu treffen,
Durfte ich ihr Vertrauen geniessen, ihren eigenen
Gedanken zuhören?

Eines ist sicher,
wenn sie wieder einmal ins Geschäft kommt
in einem ihrer Schübe
wird meine Betroffenheit
eine andere sein
als bisher

Ladina, Juni 2001
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Für Sulamith
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Wie ein warmer Sonnenstrahl
kamst Du in unser Leben
hast graue Arbeitstage
und traurige Gemüter
mit Deiner Herzlichkeit erhellt.
Wo Du warst
spürte man die Lebensfreude
und die Arbeit hat mehr Spass gemacht.

Seit Du fort bist
sind die Tage öfter wieder grau,
den Gemütern fehlt das Licht aus der Vergangenheit
und keiner kann es aussenden, so wie Du.

Aber immer, wenn wir von Dir sprechen
immer, wenn wir voller Dankbarkeit und Freude an Dich denken
ist Dein Sonnenstrahl
als besondere Erinnerung bei uns
und seine Wärme ist zu Gast in unserem Herzen

Ladina, Juni 2001
(Sulamith ist eine ehemalige Arbeitskollegin mit einem wundervollen Charakter, die Person, die an ihrer Stelle kurze Zeit darauf in mein Arbeitsleben trat, war in ihrer Bösartigkeit das krasseste Gegenteil von Sulamith, das es überhaupt gibt, ein Schock für alle und das Schlimmste, diese miese Person ist heute die Chefin in diesem Laden und ist dafür verantwortlich, dass ich meine Stelle verlor)
Dass Herzlichkeit allgemein aus den Selbstbedienungsläden mehr und mehr verbannt wird, erscheint mir persönlich eine sehr grosse Tragödie zu sein, die zum menschlichen Verarmungsprozess wesentlich beiträgt.
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Unverhofftes Wiedersehen
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Im Säntis-Restaurant bin ich heute,
nur um die ungewohnte Aussicht zu geniessen.
Eine grosse Gruppe wird zu Mittag erwartet,
viele Tische sind reserviert
und ich plane, den Abgang zu machen, wenn die kommen.

Noch versonnen schaue ich aus dem Fenster,
als eine Stimme an mein Ohr kommt, dazu eine andere,
die ruft: Carola
und beides zusammen ruft Erinnerungen wach:
Carola - sie war von 1983 bis 1990 meine fast allgegenwärtige
Trainingspartnerin bei und für Velorennen, 3 Jahre älter als ich und auch ausserhalb des Trainings radelten wir oft gemeinsam.
Meine Krankheit war dabei nie ein Thema gewesen.

Nach den Sommerferien 1990 konnte ich nicht mehr zum Training, da ich den Hirnschlag erlitten hatte.
Man teilte das dem Club mit und ich nehme an, es wurde auch weiter geleitet.
Ich hörte wenig vom Club, einzig die Clubzeitung informierte mich ein bisschen. Wahrscheinlich hatte man mich abgeschrieben.

Im Oktober dann, ich kam gerade aus der 1.Reha in Zihlschlacht noch immer im Rollstuhl und mit erheblichen Sprachschwierigkeiten, da rief mich Carola an und fragte, ob ich in den Herbstferien mit ihr radeln käme im Wallis.
Ich war ziemlich verblüfft und weil ich Schwierigkeiten hatte zu reden, sagte ich nur das Nötigste und das war:
"Kann nicht, ich sitze seit 3 Monaten!" (im Rollstuhl sagte ich nicht, für mich war das logisch)
doch Carola, sonst gewiss nicht dämlich, fragte nicht "Wo?" sondern "WARUM?"
"Hirnschlag" antwortete ich kurz und knapp.

Es muss sich für sie wie Totschlag angehört haben, denn sie fragte nicht wann oder warum,
sondern ganz erschrocken: "Ja sag, wem hast denn Du so auf den Kopf geschlagen?"
Es war für Carola so abwegig, dass ich von einer Krankheit betroffen sein könnte, die man laienhaft nur älteren Menschen zutraut, dass sie eher glaubte, ich sässe im Kittchen:
Dabei war ich in Zihlschlacht nicht mal die Jüngste.

"Ich sitze im Rollstuhl", sagte ich, worauf sie betreten schwieg.
"Räder am Füdli sind immerhin besser als Hämorrhoiden!", wagte ich zu scherzen, wobei mir dieser Satz grösste Schwierigkeiten bereitete.
Endlich ein Lachen für Sekunden, dann ein betroffenes: Das ist ja furchtbar und dann "Ja, aber Du scheinst das ja locker zu nehmen, Du ich seh grad, es ist schon 17.00h. Ich muss jetzt los. Tschüss dann, bis zum nächsten Mal!..."

Das nächste Mal kam und kam nicht, obwohl ich noch hoffte.
Ich rief Dutzende Male selber an, doch ich sprach bestenfalls mit ihrer Mutter: "Oh, Carola ist leider eben weg gegangen mit ihrem Schatz. Kann spät werden (Ich kannte das Lied schon bald in- und auswendig)
"Ja, es geht Carola molto bene. Ich sag ihr auf jeden Fall, dass Sie angerufen haben. Adieu!"
Keine Möglichkeit zu antworten.
Sie siezte mich wieder, obwohl sie vorher immer du gesagt hatte. Es kam mir vor, als wollte sie sich von mir distanzieren, als wollte sie mir signalisieren: Bleiben Sie mir bloss weg mit Ihrer Krankheit.

Und jetzt, Jahre später, sehe ich genau diese Carola wieder.
Sie steht in der Schlange vor dem Damen-WC, etwas vor mir,
mein Herz pocht bis zum Hals,
aber ich nehme all meinen Mut zusammen und wage ein leises:
"Hoi, Carola."

Sie fährt herum, ich sehe in ihre erschrockenen, erstaunten Augen.
"Du kannst wieder laufen?!"
"Ja, schon lange wieder - Gott sei Dank."
"Und Du gehst in die Berge?"
"Sieht so aus"
"Das ist ja super!" Zum ersten Mal sind wir wieder der selben Meinung.

Sie feiern Verlobung und ich soll an den Tisch kommen, die Mutter erschrecken, wie Carola es ausdrückt.
Die kommt auch wirklich fast "zum Hüüsli uus" als Carola und ich an den Tisch kommen.
Sie kennt mich sofort und duzt mich wieder, macht ihre Spässe wie früher und spricht eine Einladung aus: "Besuch uns doch mal wieder"

Es könnte fast gemütlich werden,
wäre da nicht die Erinnerung an die Jahre dazwischen,
an ihr aller Schweigen, ans Verlassensein,
als ich am nötigsten Freunde gebraucht hätte.

Ich möchte nicht nachtragend sein,
bin auch bereit zu verzeihen,
aber ich kann nicht dort anknüpfen, wo es endete,
so als wäre nichts dazwischen gewesen,
was schmerzlich war.
Ich kann es nicht vergessen und denken "Schwamm drüber"

Die Zeit der Besuche ist unwiederbringlich vorüber!

Ladina, Juli 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Meine Hände

Ein als Querulant bekannter Kunde
beobachtete mich heute lange bei meiner Arbeit am Kunden-
dienst.
Er sah, wie ich die Fingerspitzen befeuchtete,
um Noten zu zählen oder Gutscheine zu sortieren.
Er beobachtete argwöhnisch, wie ich höchstens
2 Flaschen pro Hand halten und weiter befördern konnte.
Er bemerkte, dass ich langsamer tippe als andere
und dass meine Hände leicht zittern.
Und plötzlich keifte er mich an: "Sie sind ja total ungeschickt
und hier völlig fehlplatziert mit Ihren kleinen Krüppelhänden!"

Es hat mich sehr verletzt, mit welchen Worten er meine Hände beschrieb.
Es stimmt schon, dass meine Hände klein, etwas unbeholfen,
gefühlsarm und zittrig sind,
aber ich kann viel mit ihnen tun.
Sie reichen aus um ein weinendes Kind zu seiner Mama zu führen,
um fehlerlos zu tippen,
um den Kopierer zu bedienen und Fehler zu beheben
um übers Telefon Hilfe zu organisieren
um einen Blumenstrauss einzupacken
um Gestelle aufzufüllen
um die Tresorbestellung zu machen
um Belege auszufüllen
um Kohlrabiblätter zu entfernen.
Sie reichen aus
um etwas aufzuschreiben
um etwas aufzuputzen
um etwas mit Kreuzstich zu sticken
um ein Fahrrad zu lenken
um jemanden zu streicheln,
um Wertstoffe zu sammeln,
um etwas aufzuheben,
um einen verletzten Igel zur Station zu bringen
um ein Geschenk zu überreichen
um ein Blumensträusschen zu pflücken
um Handorgel oder Klavier zu spielen.

Meine Hände sind klein und gefühlsarm,
zittrig und etwas ungeschickt
aber sie reichen aus
um Gutes zu tun und Schönes
während er mit seinen gesunden Augen
wie es scheint
stets nur das Schlechte zu sehen vermag

Ladina, Juli 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Die Helferin
°°°°°°°°°°°°°°
Sie wacht heute nacht an meinem Bett
und scheint doch weit entfernt.
Ich habe Schmerzen,
mir entweicht ein Stöhnen,
ehe mein Verstand es bremsen kann.
Ich hoffe sehr, sie hat mich nicht gehört,
denn ich möchte, dass sie ruhen kann,
mich nicht als strenge Patientin empfindet
und zugleich wünschte ich, sie hätte mich gehört,
denn ich sehne mich nach Trost.
Wieder ereilen mich in Wellen die Schmerzen
immer heftiger.
Es kommt jetzt drauf an,
wen ich wichtiger nehme
sie oder mich.
Ich tauche ab unter die Decke
und schreie leise Schreie
unter die schützende Hülle aus Stoff

Ladina, Juli 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
ANGST
""""""""""
Schwindel, so heftig, dass ich taumle und falle,
dazu starke Übelkeit und Brechreiz noch am Mittag.
Ein lange bekanntes Symptom, besiegt geglaubt,
ist urplötzlich wieder da, den 2. Tag schon
von jetzt auf sofort, ohne Vorwarnung.
Es schlägt zu wie ein Blitz aus heiterem Himmel,
wirft mich aus einen Hochgefühl heraus buchstäblich
zu Boden,
löst erst bloss Verwirrung aus ob der Heftigkeit
und während ich mich überrascht aufrapple
schiessen mir Gedanken in den Kopf, Erinnerungen mehr,
an die schreckliche Zeit davor,
an die schreckliche Ursache dieser Beschwerden damals als Kind.
Gehirntumor!
Dieses eine Wort dröhnt in meinem Gedächtnis,
hallt richtig nach, verspottet mich
und dann ANGST, nackte Angst.
Angst vor der Ahnung, die da heranpoltert
ehe ich mich in Sicherheit zu wiegen vermag.
Angst, die die innere Ruhe nicht mehr aufkommen lässt.
Angst vor dem Jetzt, Angst vor dem Morgen, Angst vor morgen.
Angst, welche die Geborgenheit von Gestern
nicht mehr spüren lässt,
Angst, die alles überschattet,
jeden Atemzug so schwer macht, als stände ich unter Smog.
Angst, die Panik auslöst, die innerlich beben lässt.
ein Gefühl, als stände mein Herz im nächsten Moment still.
Angst vor dieser Diagnose,
die mehr ist als nur ein Wort,
die alle Schrecken, alle Not und alle Qual in sich trägt,
die ein Wort nur haben kann

Ladina, Juli 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Neue Diagnose
""""""""""""""""""""
Nach einer schrecklichen Nacht voller Angst
und Beschwerden gleich denen eines Gehirntumors
bin ich nur noch ein klägliches Nervenbündel.
Falle acht mal hin auf dem Weg zur Arbeit,
verzweifle schier.
Der Chef erkennt meine Not,
ohne dass ich viel zu sagen brauche.

Dann geht alles schnell.
Anruf beim Onkologen, Schildern der Symptome,
Anweisung sofort zu kommen mit einem Taxi.
Ernstgenommen in der Panik, aber dennoch beruhigt
"Es kann auch etwas im Innenohr sein…"
"Wir schauen das an"

Und sie schauen es an. Ganz genau
HNO, Neurologie, Labor, zur allerletzten Sicherheit dann doch noch ein Cranio-CT
Viele helfen auf dem Weg zur Diagnose.
Am 12. wird die Diagnose eröffnet.
Die Symptome erhalten einen Namen,
einen neuen Namen,
nicht den befürchteten.
Vermutete Diagnose bestätigt, Irrtum ausgeschlossen.
Eine Erkrankung des Innenohrs
Ursache unbekannt, Otosklerose keine vorhanden.
Der Name: Morbus Menière,
als Sonderform Lermoyez-Syndrom
Leider unheilbar
Nein, nein, nicht tödlich, aber rezidivierend vermutlich

Mir fällt ein Felsbrocken vom Herzen.
Vor dem Verdacht auf Krebs ist jede anders lautetende Diagnose erstmal eine Bagatelle im eigenen Empfinden.
Morbus Menière. Kein Todesurteil.
Damit lässt es sich leben!

Ladina, Juli 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Bereitschaftsdienst
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Jeden Mittwochabend um 20.00h
läuft bei uns im Fernsehen eine Krankenhaus-Serie.
Jeden Mittwochabend stellt sich meine Mutter
einem neuen schweren Schicksal
tritt als Zuschauerin in den OP,
auf den Notfall, auf die Intensiv,
lebt und leidet mit den Kranken
und bewundert den Arzt, der so fürsorglich ist.
Keine Sendung möchte sie verpassen,
bei keiner Folge möchte sie fehlen.
Bereitwillig nehme ich sie ihr auf Video auf
wenn sie live nicht gucken kann.
Was tut man nicht alles für seine Mutter!

Muss ich selbst ins Krankenhaus, zur OP, in den Notfall
oder sonst wohin, begleitet sie mich nie
im Gegenteil, sie drückt sich schon seit Jahren immrzu davor
mit den Worten: "Ich kann das nicht sehen, mir wird schlecht,
ich kann Dir keine Hilfe sein.

Bin ich doch mal tief gekränkt und wage vor dem Fernseher
den ironischen Kommentar: "Dass Du das hier verkraften kannst?!"
heisst es: "Du kannst das gut alleine, und Du bist ja jetzt erwachsen und ach ja, man kann nicht immer alles tun
für seine Tochter…"

Ladina, Juli 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Zwischenfall im Nirgendwo
*******************************
Ein Bild in meiner umnachteten Erinnerung
ist alles, was mir blieb:
Der Blick von weit oben auf einen blauen See,
der von Bergen umringt
und von der Sonne angestrahlt wurde
und auf dem ein weisser Dampfer herumfuhr.

Das Davor und Dazwischen ist verschollen, als ich,
wahrscheinlich Stunden später,
in Brienz am Seeufer bei Regen
wieder richtig zu mir komme.

Wieder die altbekannten Fragen, die ich mir stelle,
Fragen, die ohne Antwort bleiben.
Wie kam ich hier her?
Wozu?
Was wollte ich? Wo war ich? was habe ich erlebt?

Fragen, die gespenstisch sind, wenn keine Antwort möglich ist.

Ich wünschte, nur einmal würde mich ein vertrauter Mensch
neben mir auffinden,
der mir hinterher all die Fragen,
die mir so auf der Seele brennen, beantworten könnte,
damit sie und ich dazu Frieden fänden-

Ich bin nicht wirklich aus der Welt gewesen,
war aber auch nicht wirklich da.
Ich habe vielleicht gelacht, geweint, gestaunt, gezittert
aber ich weiss das alles nicht.
Es ist ein furchtbar verlassenes Gefühl in mir,
eine Einsamkeit in der Seele

Als ob eine Welt vor mir geflohen wäre…..

Ladina, Juli 2001
(einen Tag, nachdem es wieder passierte)
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Kleine Reisen
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Velotour am Vierwaldstättersee, Aareschluchtwanderung
und eine Besichtigung der Reichenbachfälle -
kleine Reisen,
die grosser Schritte bedürfen
nach einer Krise, nach so einem Anfall.
Kleine Reisen,
begleitet von der Hoffnung,
dass es nicht wieder zum Erliegen kommt,
kleine Reisen,
die Mut erfordern,
wieder alleine etwas zu unternehmen
im Bewusstsein um das Risiko,
das solches in sich birgt
aber auch mit Zuversicht im Gepäck.

Kleine Reisen,
die ich erst mit Wachsamkeit begehe
und bei denen ich zaghaft aber doch bestimmt
die Kontrolle nach und nach loslassen muss
um wirklich geniessen zu können.
Kleine Reisen,
die so wichtig sind für mich,
wie eine Bestätigung für mein Selbstwertgefühl.

Nach einer Krise wie diesen Anfällen
wirkt jeder gelungene Katzensprung
wie eine Weltreise
und ich stelle erleichtert fest,
dass ich noch nicht ganz am Ende bin,
ich erhalte Gewissheit,
dass es mit mir auch positiv noch weiter gehen kann.

Ladina, Juli 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Vertrauen wächst anders
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Ein Kind, das wächst,
wird stetig grösser, kann immer mehr erreichen,
kommt immer weiter auf seinen Beinen
erobert kleine und grosse Welten.
Eine Blume, die wächst
kommt immer näher dem Himmel
und ihre Blätter greifen immer weiter hinaus
in andere Welten hinein.
Ein Baum, der wächst,
zieht Ringe um den eigentlichen Kern
und kommt in der Höhe immer weiter weg
von der Wurzel.

Vertrauen wächst anders.
Es geht in die Tiefe.
Erst vertraut man einem andern vielleicht
Erlebnisse einer eigenen Reise an,
vielleicht auch etwas von der Arbeit, von den Nachbarn.
Ist das Vertrauen noch stärker geworden
können die Inhalte der Offenheit schon die Familie betreffen.

Wenn Vertrauen ganz gross und tief geworden ist,
kann auch das persönlichste ausgesprochen werden.
Das, was einen selbst betrifft, das Wesentliche von einem,
auch die negativen Seiten, die Schwächen,
auch Dinge, die bedrücken.
Dann braucht es keine Ringe mehr
sein Innerstes auszuschmücken,
keine unendlichen Weiten, in die man ausholen muss.
Dann ist man so weit,
dass man bei sich selbst bleiben kann

Ladina, Juli 2001
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Vereinsamtes Kind
**********************
Heute auf der Heimfahrt im Zug,
sass im Abteil neben mir ein Mann
mit einem dunkelhäutigen Buben, ca. 9 oder 10 Jahre alt.
Der Junge schaukelte
und stiess monotone, fremdartige Laute
und Lippengeräusche aus. Er wirkte ruhelos.
Erst dachte ich, es ist ein autistisches Kind,
aber dafür nahm er zu sehr an seiner Umwelt teil,
er sprach zwischendurch auch ganz normal,
verfiel aber immer neu in seine Stereotypen,
schaukelte und zischte.

Der Mann, vielleicht der Adoptivvater,
ermahnte ihn zur Ruhe, schimpfte, aber es nützte nichts.
Boris machte seine Geräusche und schaukelte
- ein offensichtlich schwer gestörtes Kind,
das alle Leute rundherum verständnislos machte -
nur mich nicht.

Ich konnte den Buben verstehen,
seine Gefühle und Signale nachvollziehen.

Boris schaukelte mit überdehnten Knien vor und zurück
und blubberte,
der Mann zeigte eine Spur von Mitgefühl und fragte den Buben,
ob seine Knie denn nicht schmerzen.
"Nein Papi, die tun mir nicht weh", sagte Boris
Der Vater berührte kurz die Knie des Kindes mit seinen Fingern,
da - die Hände von Boris versuchten seine zu erhaschen,
doch schon entzog sie ihm der Vater und schimpfte:
"Jetzt bis doch emol ruhig, Boris!"

Vergeblich,
schon schaukelte der wieder hin und her, vor und zurück.
Ich wollte aufspringen und sagen: "Geben Sie dem Buben doch ihre Hand, dann fühlt er sich geborgen, dann hat der Junge Halt
und er hört auf zu schaukeln."
aber ich blieb stumm,
ungebetene Kommentare mögen Leute nicht,
der Vater war sowieso schon sehr gereizt.
Die beiden verliessen den Zug in Winterthur.

Ich blieb zurück und hoffte, der Mann würde baldigst verstehen,
was sein Junge ihm unbewusst mitteilt,
mit seinen auffälligen Gebärden

Ladina, Juli 2001
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In Erinnerung an Daniel Oesch (1991 - 1999)
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Du hast in Deinem kurzen Leben
so manchen Menschen viel gegeben
hast in der Krankheit noch Grosses vollbracht
vielen andern Mut und Hoffnung gemacht.
Dein eigenes Leben verlosch viel zu früh,
doch ganz viele Menschen vergessen Dich nie.
In ihnen wirst Du weiterleben
und all das Kostbare, was Du ihnen und uns hast gegeben

Danke Daniel
(für den leukämiekranken Daniel wurde in der Schweiz eine grosse Knochenmarkspender-Aktion lanciert, die viele neue Spender motivierte)
**********************************************************************************
Ziemlich genau 2 Jahre bevor der Knochenmarkspender-Aufruf für Daniel und andere Leukämiebetroffene im Fernsehen ausgestrahlt wurde, zeigten diverse Fernsehstationen das Melodrama: "Mutter, ich will nicht sterben" Eine Schnulze ohne jeglichen Bezug zur Realität, dessen mehrfache Ausstrahlung ich nicht unkommentiert lassen konnte.

Folgenden Brief schrieb ich an alle beteiligten Fernsehsender sowie an die Zeitschrift TELE und HÖRZU welche meinen Leserbrief in der Nr. 18/1997 abdruckte:

Lügen, nichts als Lügen

Ich kann es kaum fassen, dass dieser schreckliche, absolut unrealistische Film schon wieder ausgestrahlt wurde!
Dieser miserabel oder gar nicht recherchierte Film verbreitet verantwortungslos Lügen mit verhängnisvollen Folgen für real an Leukämie erkrankte Menschen, da er Leute, die zur freiwilligen Knochenmarkspende bereit wären, abschreckt, sich zu melden.
Als sehr gut informierte Zuschauerin möchte ich festhalten, dass vor einer operativen Knochenmarksentnahme der Gesundheitszustand des Spenders aufs Sorgfältigste abgeklärt wird (inklusive EKG und Thoraxaufnahme)
Die schwer asthmatische Mutter im Film wäre in der Praxis NIE als Spenderin zugelassen worden, da beim geringsten Risiko, dass der Spender den für Gesunde harmlosen Eingriff nicht überleben könnte, die Entnahme NICHT durchgeführt wird.
Menschen werden nie und nimmer geopfert.

Ich plädiere dafür, diesen unmöglichen Film ab sofort vom Bildschirm zu verbannen.
Jede weitere Ausstrahlung werte ich als verantwortungsloses Handeln, das einem Todesurteil für manchen Leukämiekranken gleichkommt!

(Bis heute scheint es genützt zu haben, falls der Film doch irgendwo wieder auftaucht, bitte nicht ernst nehmen.
Danke ,
Ladina.

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Verschoben

Beitragvon Ladina » Sa 2 Feb 2008 17:39

Wahrheit?
°°°°°°°°°°

Möchten Sie die Wahrheit wissen?, fragte mich einmal ein Arzt.
"Ja sicher", antwortete ich
und er erzählte mir daraufhin alles, was Fakt war
oder was ihm Fakt zu scheinen schien.
Er erzählte, was der Pathologiebericht über meinen Tumor aussagte,
welche Behandlungen möglich sind und was sie für Nebenwirkungen hätten
und als Pünktchen auf dem i
gab er mir eine längerfristige Prognose ab für die Überlebenszeit,
die er mit zwischen 6 Monatan und maximal 2 Jahren bezifferte.
Das letzte war der grösste Schock für mich
und nur die Tatsache, dass ich als Kind schon einmal eine Krebserkrankung besiegt hatte,
half mir,
den vorgeschlagenen therapeutischen Weg trotzdem einzuschlagen.
Später ist es immer wieder passiert,
dass mir gefragt oder ungefragt,
"Wahrheiten" serviert wurden,
in verträglicher Form
oder in Überdosis, die mich erschauern liess.
Die maximalen 2 Jahre
habe ich jetzt schon 7 1/2mal überlebt,
weil manches anders verlief, als der Arzt voraussehen konnte.

Denn diese Wahrheit,
das ist in Wirklichkeit nur die momentane Gegenwart.
Alle Verlaufsprognosen, Skalen udn Berechnungen
sind Durchschnittszahlen,
variieren von Patient zu Patient.
Sie sollten mit allergrösster Sorgfalt verabreicht werden,
wenn überhaupt,
denn sie sind hochexplosiv
und können in Sekundenbruchteilen
Hoffnungen in Schutt und Asche legen.
Hoffnungen, die nötig wären,
den Kampf gegen den Krebs erfolgreich zu führen
und zu bestehen!

Ladina, September 2000

Klagelaute
°°°°°°°°°°°°

Ich erinnere mich an eine Zeit, in der Kummer mich quälte
wo ich selber Klagelaute dachte,
sie jedoch nie laut werden zu lassen gedachte,
weil das Vertrauen in die Umgebung fehlte.

Ich erinnere mich an eine Zeit, in der Schmerzen mich quälten,
wo ich selber Klagelaute wisperte, später flüsterte,
wo ich mir eine streichelnde Hand gewünscht hätte oder ein liebevolles Wort
doch das eine wie das andere fehlte an diesem Ort.

Ich erinnere mich an eine Zeit, wo innen alles vor Leiden zerbarst
wo ich Klagelaute schrie, wie zuvor noch nie
es war abgrundtief schwarz in mir, ich schrie um mein Leben,
flehte zugleich für mein Sterben, für die Erlösung von allem Leid,
es war wie ein Zwang, ich konnte nicht anders als schreien, mich selber sein,
denn da war ein Mensch, dem ich vertraute,
dem ich alles von mir zu zeigen getraute
auch das jahrelang Versteckte, nur leise Gedachte Empfinden von Leid.

Ladina, selbst erlebt im Jahr 1992
(Geschrieben in liebevoller Erinnerung an Tina und für ihre Schwester Sabine, die Tinas Klagelauten so hilflos gegenüberstand.


Wenn Heilung geschieht
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Wenn Heilung geschieht
wenn eine Wunde sich schliesst
wenn zerbrochene Knochen zusammenwachsen
wenn Schmerzen nachlassen
wenn im Innern Friede einkehrt –
kommt nach monate – oder jahrelangem Kämpfen und Leiden
nach Anspannung und Verzweiflung pur
nach Schmerzen und Kummer
die wohltuende Zeit der Rast
und es wachsen,
ganz langsam,
neue, tragfähige Gewebe,
innen wie aussen,
die den Belastungen wieder standhalten können,
die dem Alltag wieder gewachsen sind,
in deren Boden wieder Blumen der Zuversicht zu spriessen beginnen.

Ab dann singt innen ein Lied
und das Morgen ist wieder frei!

Ladina, 5. Oktober 2004

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Botschafter für die Zukunft
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Jedes meiner selbstverfassten Gedichtebücher
ist ein eindrückliches Dokument
von durchstandenen Krisen
von Hoffnungslosigkeit und Mut zum Neubeginn
von Schmerzen, von Trauer und Trost.

Es gibt Zeiten, wo ich sie kaum anschaue
und andere, in denen ich mich ihnen bewusst wieder annähere.

Ich tauche in der Lektüre wieder ganz ein in jene Zeit,
in der ich die Gedichte schrieb
und weiss doch immer: Es ist jetzt vorbei!

Bei manchen Texten tauchen Bilder auf oder Gefühle,
ich kann mich haargenau erinnern
wo ich sie schrieb, wann und oft sogar noch, wie ich aussah.
ob ich Infusion hatte oder mit wem ich das Zimmer teilte.

Trotz der belastenden Inhalte
liegt in diesen Gedichten eine grosse Kraft,
trotz der Schatten ist da hellstes Licht,
trotz des Fröstelns beim Erinnern zugleich Wärme.
In allem wird mir bewusst: Ich habe das alles überstanden,
ich habe das überlebt und ich lebe.

Meine Krebs – Gedichtebücher
versklaven mich nicht an die Vergangenheit,
sondern werden oft zu Bewährungshelfern der Gegenwart
und zu Botschaftern für die Zukunft.

Ladina , Mai 2006

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Die Hand , an der ich sterben wollte
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Als mir anno 1998 mitgeteilt wurde,
dass ich neues Tumorgewebe in der Pleura hatte
wurde mir der Boden unter den Füssen weggerissen
und ich dachte: jetzt beginnt mein Sterben.
Verzweifelt suchte ich Halt vor dem definitiven Aus
und ich fand
einen Menschen, an dessen Hand ich mich sicher fühlte,
einen Menschen, an dessen Hand ich mir vorstellen konnte zu sterben
einen Menschen, der mir diese Hand nicht entzog, die so oft Rettungsanker war,
einen Menschen, der mich nicht allein liess in meiner verzweifelten Lage.

Die Hand, an der ich sterben wollte
sie war zu jeder Zeit für mich da.
Die Hand, an der ich sterben wollte
streichelte meinen kahlen Kopf und gab mir Wärme.
Die Hand, an der ich sterben wollte
wiegte mich behutsam, wenn ich verängstigt war.
Die Hand, an der ich sterben wollte
brachte Schmerzen zum Verschwinden.
Die Hand, an der ich sterben wollte
reichte mir so manche Tasse Tee
und zauberte stets von neuem eine leckere Speise, die ich vertragen konnte.
Die Hand, an der ich sterben wollte
half mir aufzustehen, wenn ich gefallen war.
Die Hand, an der ich sterben wollte
zeigte mir im Garten bunte Blumen.
Die Hand, an der ich sterben wollte
blätterte für mich in Büchern und Alben, deren Inhalte mir Freude bereiteten.
Die Hand, an der ich sterben wollte
spielte am Klavier und an der Handorgel frohe Weisen für mich.
Die Hand, an der ich sterben wollte
pflückte mir leckere Sommerhimbeeren.
Die Hand, an der ich sterben wollte
schrieb mir mutmachende Briefe.
Die Hand, an der ich sterben wollte
war immer da zum Trösten.
Die Hand, an der ich sterben wollte
bezog immer neu ein Bett für mich.
Die Hand, an der ich sterben wollte
hielt meine Nöte aus
und wurde nicht müde.

Die Hand, an der ich sterben wollte
ich darf sie noch immer in meiner halten,
immer wieder.

Die Hand, an der ich sterben wollte
führte mich zurück in ein lebenswertes LEBEN!

Ladina, Botanischer Garten, Basel, 27. Februar 2002
(gewidmet an einen der wunderbarsten Menschen, die ich traf auf meinem Lebensweg)

In mir schreit alles NEIN!
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
In einer Situation
in der ich mir erst mal etwas Ruhe erhoffte
nach all den körperlichen Strapazen
bombardiert man mich schon wieder
mit einem weiteren Therapievorschlag.
Und in mir schreit alles: NEIN!

D.T.I.C. – das Mittel, das wie Cisplatin, das heftigste Erbrechen bei mir auslöst
und Ifosphamid, das in hoher Dosierung zu Desorientierung und Verwirrung führt und Angstzustände hervorruft
sollen mir bei vollem Bewusstsein noch einmal verabreicht werden
zur Stabilisierung der vorangegangenen Medikation.
Und in mir schreit alles: NEIN!

Dieses Vorhaben wirft alle meine Pläne über den Haufen
und mich mit ihnen.
Vielleicht stabilisiert es wirklich die Medikation,
doch es bringt mich selbst zu Fall dabei.
In mir schreit alles: NEIN!

Ich möchte mich nicht schon wieder so krank fühlen
möchte endlich leben,
nicht immer nur unter unerwünschten Wirkungen leiden.
Leiden, leiden, bis sich viel später erst die erwartete Wirkung zeigt.
Möchte nicht nur leiden und am Leben irgendwie vorbeileben.
In mir schreit alles: NEIN!

Sie sprechen von der Chance, die mein Leben retten könnte,
doch ich weiss, es ist Gift, das Lebensmut zerstören kann.
Ich bin zu lange schon krank, um das nicht zu wissen.
Ich habe erwachsene Männer unter D.T.I.C. weinen sehen
und Blicke von Besuchern von Ifo-Opfern registriert, die mich zutiefst erschütterten.
Ich müsste mich hassen, um dazu ja zu sagen, ohne zu zögern.
In mir schreit alles: NEIN!

In mir schreit einfach alles: NEIN!
doch ich kann mich kaum rühren,
mich schwer und unter Anstrengung nur verständlich machen.
Nur mein rechtes Auge vergiesst leise Tränen der Resignation und Verzweiflung.
Wann endlich bin ich frei, wann lassen sie mich los?
Sie sagen, sie sind auf meiner Seite,
wollen mein Bestes, mein Leben erhalten,
mich aus den Klauen der Krankheit befreien,
aber ich fühle mich so von ihnen gefangen, verraten,
so als wären sie dabei, mein Leben auszuschalten.
Doch sie merken es nicht, sie glauben ihr Bestes zu tun
und würden mein NEIN nicht verstehen können,
nicht so kurz vor dem „Ziel“.
Fast mechanisch nicke ich eine vorläufige Zusage.
Doch in mir schreit alles: NEIN!

Ladina, Oktober 1998
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Wissensdurst
°°°°°°°°°°°°°°
Ich wollte nicht nur meinen Arm zur Blutentnahme hinhalten,
ich wollte wissen, wozu sie gebraucht wird.

Ich wollte nicht nur die Chemo aushalten,
ich wollte alles über sie wissen.

Ich wollte nicht nur die Patienteninfo über die Zytostatika lesen,
sondern verlangte vom Onkologen auch die Fachinformation.

Ich wollte Bescheid wissen über die Chancen und Risiken der Therapie,
wollte nicht den Arzt allein abwägen lassen
in welchem „verträglichen“ Verhältnis sie zueinander stehen.

Ich wollte die Aussage von Senkungen, Blutwerten oder CRP kennen
und ihre Einflüsse verstehen.

Ich wollte auch besondere Werte wie Kreatinin oder Leberwerte begreifen
und alle Ärzte fragte ich nach ihrem Namen, bevor sie irgendetwas mit mir machten.

Meine Fragerei ist sicher so manchem furchtbar auf den Wecker gegangen und öfter musste ich um eine aufrichtige Antwort kämpfen.

Wie viele andere Patienten
hätte auch ich
ohne Hintergrundwissen
sicher hinhalten, aushalten und die Behandlung mitmachen können,
aber mir hat das Wissen dabei geholfen
durchzuhalten.

Und heute bin ich am Ziel
nicht am Ende
viel, viel weiter
als alle Fakten es vorausgesagt hatten.

Ladina, Januar 2000

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Identisch!
°°°°°°°°°°
Zwei Monate nach einer schier unendlichen Chemotortur
ging ich zur Abschlusskontrolle
mit dem sicheren Gefühl,
dass die vorangegangene Therapie, das Tumorgewebe zerstört habe.
Doch der Befund war identisch mit jenem, der 4 Monate vor der begonnen Therapie erhoben worden war.
Ich musste erfahren, dass die ganz Therapie somit nicht angeschlagen hatte.
Das war am 10. August 1999 und ich werde diesen Tag nie mehr vergessen.

Damals hat der Befund: Identisch
alle Hoffnungen zerschlagen
alle Hoffnungen auf Erfolg der Therapie alle Hoffnungen auf ein besseres Leben ohne Angst
alle Hoffnungen, bald entlassen zu werden.
Damals war es so, als habe sich mein Leben dem Tod zugewandt.

Es gab noch einen letzten Strohhalm
und den habe ich ergriffen
nochmals gekämpft.
8 weitere Blöcke gemeistert,
bei jedem gehofft, es möge der letzte sein,
trotzdem die Kraft aufgebracht
einen nächsten auszuhalten
für ein bisschen Zeit zu leben.

Am 5.Januar 2000 dann das Ende der Therapie
Out off Chemo!
Zieleinlauf nach einem Marathon,
aber 1 Jahr warten, bis der wirkliche Rang bekanntgegeben wird.
Nicht wissen, bin ich Siegerin oder bereits schon ausgeschieden
aus dem Rennen um Lebenszeit.
Hoffen, aber der Angst nicht fortlaufen können.
Vierteljährlich Nachsorgekontrollen.
5 mal Sorgen um die Zukunft.

Nun die vorläufige Abschlusskontrolle
Ein Jahr und 2 Monate nach Therapieende.
Mein Rang zeichnet sich ab
auf dem MRI, im Basislabor, im Thoraxröntgen, im Sono und weiteren Untersuchungen
Eine Woche weiterbangen, bis ich den Befund erfahre.

Dann der Tag! 1.Rangverkündigung.
61 Wochen nach Abschluss der Chemo.
Gesiegt oder Besiegt?
Was im Wort an einem Buchstaben hängt,
lastet im Gefühl auf jedem Nerv, der Empfindungen und Stimmungen auslöst und leitet.
Gereizt und überspannt harre ich aus.
Die Tür geht auf. Eine fremde Ärztin.
Auch das noch.
Kein Gefühl des leisen Geborgenseins,
wie wenn der vertraute Arzt das Zimmer betritt.

Sie hängt die Bilder auf vom MRI, Sono und Röntgen.
Ich möchte hinsehen und doch nicht.
Die Angst, falsch zu interpretieren
oder richtig, ist riesengross.
Warten, was sie sagt.

Kleines Vorgespräch um Spannung abzubauen und aufzulockern,
wenigstens äusserlich,
mein Lächeln ist nicht echt.
Ein lieber Gruss von „meinem“ Professor
eine wohltuende Spur Vertrautheit aus der Distanz.

Und dann kommts,
der Countdown beginnt zu laufen
Sie spricht langsam
und steht dann auf
zeigt auf die Bilder,
sagt hier und da.
Jetzt muss ich gucken.

Ich sehe es und sie spricht es aus.
Identisch.
Der Befund ist identisch mit jenem vom April 2000, dem ersten nach Abschluss der Chemo,
wo das Tumorgewebe im Vergleich zum 10.August 99 um über 2/3 zurückgegangen war.
Identisch auch mit jedem weiteren im Jahr 2000.

Sie hält die Bilder von damals zu denen von jetzt und ich sehe es selbst: Identisch.
Da ist kein neues Tumorgewebe hinzugekommen, auch kein weiteres weg, aber das durfte ich auch nicht erwarten.

Identisch. Auf den Millimeter identisch.
Was letztes Mal alle Hoffnungen zunichte machte,
nährt sie nun im hohen Mass.
14 Monate ohne Chemo und der Tumor ist nicht gewachsen,
das bedeutet nicht dasselbe wie,
5 Monate lang qualvolle Chemo und der Tumor ist nicht geschrumpft.

Es sind exakt die gleichen Worte, die den Befund beschreiben,
aber dazwischen liegen Welten!
Identisch und dies über 1 Jahr nach Ende der Therapie.
Dieses Kombination ist das höchste Glück,
das einem in diesem Bereich überhaupt begegnen kann.

Die anderen Befunde und Verordnungen kümmern mich nicht, im Moment:
Kleines Zwölffingerdarmgeschwür, Ernährungsberatertermin.
Das ist doch alles nur ein Klacks.

Das einzige was zählt ist: IDENTISCH,
dieses Wort, das jetzt Siegerstimmung aufkommen lässt,
mich fast schweben lässt vor Glück.
Ich tanze auf dem Weg nach Hause in Gedanken Wiener Walzer.
Es ist, als habe sich heute das Leben mit mir verlobt!

Ladina, Mittwoch, 28. Februar 2001
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Ein Dach aus grünen Blättern
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Während der Chemo
wenn ich lange und oft noch länger
im Spital gefangen war
und der Wunsch nach draussen zu gehen, unerfüllt blieb,
da genoss ich es, mit dem Tropf im Gang auf und ab zu gehen
und zu denken, ich wäre draussen,
und ich genoss es, stundenlang aus dem Fenster zu schauen,
das Grün der Bäume, das Blau oder auch Wolkengrau des Himmels oder die bunten Tupfer der Blumenrabatten glasklar vor mir zu sehen,
als wäre da keine Wand und keine Grenze.
Und ich hasste nicht mehr, als zu liegen im Bett,
und über mir nichts als die kahle, weisse Zimmerdecke,
die keinen Platz beherbergte für Phantasie und Wachträume.

Im Life Island nach der Hochdosis,
wo ich vor Schwäche kaum aufstehen konnte,
da genoss ich es, mit den Zehen zu wackeln,
mit den Augen wenigstens durch die Gegend zu tanzen,
Bücher mit Naturbildern anzuschauen,
und ich hasste nichts mehr, als zu liegen im Bett
und über mir nur ein Zelt aus Plastik.

Jetzt endlich wieder draussen,
kann ich hautnah erleben, was ich lange nur auf Bildern sah.
Ich spüre alles so intensiv
und wenn ich müde bin,
geniesse ich es jetzt zu liegen auf einer Bank im Park unter Bäumen
und über mir ein Himmel aus Blättern, so grün , wie die Hoffnung.
Ich geniesse es zu liegen, oft stundenlang zu liegen, zu ruhen
und beim Aufwachen zu sehen,
dass der Traum ins Leben zurückgefunden hat.

Ladina, Juli 2001
Zuletzt geändert von Ladina am Mi 22 Mai 2019 22:19, insgesamt 3-mal geändert.


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