Auch im Tal blühen Blumen - Erfahrungsgedichte von Ladina


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Ladina
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Beitragvon Ladina » Sa 2 Feb 2008 18:06

Hallo zusammen

Ich habe da gerade eine alte Mail ausgegraben, die ich im März 2012 an eine befreundete Person schrieb. Obwohl es kein Gedicht ist, enthält es einiges an, wie ich meine, passenden Formulierungen - und am Ende schildere ich ein Erlebnis, das mir noch jetzt vor Lachen Bauchweh macht - und vielleicht ja noch jemandem. Daher stelle ich es hier mal ein: (ACHTUNG, das Ende ist in Schwizerdütsch)
LG
Ladina

Liebe S.

Danke vielmals für die lieben Worte auf der so beruhigend schönen Monet-Karte und die Steine. Die Steine gebe ich an Isabelle weiter, da sie sie sammelt. Die guten Wünsche und das befreiende Bild werde ich praktisch ein bisschen inhallieren.

Die Strapazen der vergangenen Wochen forderten ihren Tribut, mit einer Streptokokken-Infektion, die dann aber behandelt wurde. Trotzdem machte sich in mir so eine Schwere breit, dass ich dachte, jetzt hast Du ein Burnout und das machte mir höllische Angst. Denn alle Kraft, die ich mir für mein Leben holen musste und konnte, hatte immer mit dem Fühlen und Empfinden von etwas zu tun. Wenn ich das in mir nicht mehr finde, da glaube ich, bin ich echt fast verloren.
Und jetzt ist es nicht ganz so schlimm, wenigstens für mich nicht.
Ich möchte Dir jetzt die frohe Botschaft doch per Mail bekannt geben, für mich ist sie froh, weil jedes andere Leiden für mich einfacher ist zu nehmen, als das seelische.
Die Beklemmung, die ich als furchtbar bedrängten Zustand wahrnahm, hat nun mal in erster Linie und prioritär damit zu tun, dass ich leider gegen das erste, verabreichte Antibiotikum gegen die Streptokokken-Infektion, damals noch auf den Hals beschränkt, resistent war und bin. Die Konsequenzen davon kennst Du. Da es kein Fieber machte nach aussen, sondern nur nach innen, wo ich es nicht messen, aber fühlen konnte, blieb es verborgen und die Streptos liefen da innen in ihrer "Party* zur Höchstform auf und sie suchten noch einen anderen Saal, um noch mehr zu feiern. Und sie fanden ihn in der Lunge und machten noch einen Pleuraerguss, dieser ist nun schon punktiert, aber daher rührte wohl ein grosser Teil der inneren Bedrängnis und verschob mir gefühlsmässig das Herz nach rechts und drückte, ebenfalls gefühlmässig jede Dehnkraft aus der Lunge und überhaupt aus mir. Und das ist nicht ganz so lustig, jetzt, wie ich es schreibe, aber es hilft mir gerade, etwas die Angst loszulassen und zu vertrauen, dass es schon noch gut kommt und die Therapie sich die Chaoten da innen greift und sie unschädlich macht, jetzt mit dem neuen Antibiotikum, das himmlischerweise nicht nochmals metallisch schmeckt, sondern nach Banane - die ja glücklich machen soll.

Und die Musik im Ohr ist was neues, das ich nicht kannte und von dem ich nicht wusste, dass man es auf diese Weise tatsächlich haben kann. Ein sogenanntes Gehörtrauma. Da ich das Glück habe, das es ja wirklich nur ganz leise ist und es mir ein an sich schönes Stück in mehreren Bläserstimmen vorjubiliert, kann ich mir, so sehr der Wunsch da ist, wieder Ruhe im Ohr zu haben, überhaupt Ruhe zu finden im Leben mit mir, dennoch weit schlimmere Traumen vorstellen. Und das meine ich so und ich muss es nicht humoristisch beschönigen, um es besser zu ertragen.

Also hoffe ich, dass ich damit leben und WEITERLEBEN kann und darf. Und dass ich bald selber wieder Party machen kann oder es gemäss meinem Naturell mehr still feiern und mit jenen teilen kann, das Glück, das ich wieder einmal davongekommen bin und leben darf.

Und wenn die Therapie jetzt greift, und das wird engmaschig kontrolliert, mit täglichen Strepto-Abstrichen, dann sollte die Ansteckungsgefahr bis spätestens Mittwoch gebannt sein.

So wünsche ich Dir ein sonniges Wochenende mit kleinen, wunderbar bunten Boten des Frühlings. Jeder für sich ein Überlebenskämpfer.

Ladina

PS:
Und weil ich nicht raus kann, ohne Mundschutz, werde ich heute den Frühling anders in mich nehmen - mit Antonio Vivaldis himmlischen "4 Jahreszeiten" die mir schon früher sehr halfen, als ich vertrauen und einem Wechsel von Auf und Ab standhalten lernen musste - im Life Island war das, in Seattle. Das jährt sich bald zum 23, Mal und ich tue alles, was ich vermag, damit ich diesen Geburtstag wieder feiern kann. Auf dass die HOFFNUNG weiterlebe!

Und dann zum Schluss noch dies, am Freitagabend 2.3.12, live erlebt. Eine Situationskomik vom Schicksal präsentiert, möglicherweise mit einem falsch verbundenen Wüterich, der mir trotzdem sehr sympathisch wurde und dessen Gezeter mir das Lachen, ja, das schallend Lachen in die Seele und jede Faser zurückbrachte, sodass ich heute sogar schon wieder etwas selber "singen" kann. Und die dazu führte, dass ich gestern Abend, schlussendlich die Schmerzen wegen dem Muskelkater vom Lachen mehr genoss, als dass ich unter jenen der Pleurapunktion litt.
ich gebe es mit kleinem Vorspann auf Schweizerdeutsch wieder und ich hoffe, es zaubert auch bei dir ein kleines oder grosses Lachen. Lachen kann sehr heilsam sein. Für vieles:

Ich han leider jo fascht kei Schtimm,
am Telefon verschtoht mer mii nüme,
oder no besser, mer merkt gar nöd, dass ich do bii.
Ha das hüt Obig grad gha und chan jetzt no lache (und lache lööst de bösi Schliiim, de zächi Wüeschtling.
S'schälet und ich nimm, well susch niemert ume isch, s'Telefon ab und säg, dur de Mundschutz dure, so luut ich chan, isch äbe eifach nur e Flüschtere, "Pfischter" und de ander brüelt: Hallo? HalloHalloHallo? und ich säg wieder, jo, do isch Pfischter, und wer sind Sii? und er grad sofort: Maarti, Maarty!" und ich: Jo grüezi Herr Marty, was möchted denn Sie? Er i einer Verröckti: "Marty!, jetzt chum emol, Jo gopferdelli, das huere Telefon vo Cablecom isch scho wieder kaputt" - Päng, uufgleit.


Und s'Luschtige dra, wenn ich wieder z'Wort cho bin und öpis chan säge, denn isch er schtill, und sobald ich uufhöre, toobet er wieter und git mir irgendwie en Antwort, dass ich wieder denke, er ghört mi gliech. Es isch en Dialog gsi, aber irgendwie total am Ziel verbii. Doch ich bi wäg dem jetzt eifach besser uufgleit und de Schliem chan besser us de Lunge weg und de Druck druf vielleicht au.

Und ich überleg mir jetzt, öbi nöd doch i dene Täg wieder mol söll es Telefon abneh und mich nomol chli chan amüsiere.
Doch ich glaube, das hüt, und ich weiss immer no nöd, wär er würkli gsii isch, das isch e Gschenk vom Himmel gsi, damit ich eifach wieder mol chan lache. Gescht und hüt und ich hoffe no lang.

Mit einem lieben und weit aufgestellteren Gruss, als ich es gestern um diese Zeit noch für möglich gehalten hätte....


Ladina
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Ladina
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in Bearbeitung

Beitragvon Ladina » Sa 2 Feb 2008 18:16

Gedichte aus meinem 8.Gedichteband: Der Krebs


Kahl
°°°°°

Von einer halben Stunde auf die andere
ist mein Kopf wieder kahl
wegen eines Haarschneidefehlers,
der den radikalen Entschluss nach sich zog:
Jetzt schneiden wir besser alles ab.

Nach dem ersten abgrundtiefen Entsetzen
über diese Frisur, die mich an die Chemo erinnert
und Gänsehaut entstehen lässt,
freunde ich mich notgedrungen wieder an mit der Tatsache: Kahlkopf.
Zumindest für 2 Wochen werde ich im Geschäft die Perücke tragen müssen,
die schon länger arbeitslos im Schrank rumhängt.
Der Gedanke ist wie eine saure Gurke für mich
und löscht mir fast ab,
aber ein Siebentage-Regenwetter-Gesicht mache ich nicht,
denn ich kenne Schlimmeres:
z.B. 8 Monate die Perücke tragen, unfreiwillig
und nie wissen, ob und wann die Haare wieder wachsen.

Nun bin ich zum 1.Mal praktisch kahl,
ohne dass eine Therapie dafür verantwortlich ist.
Das ist so ein ganz anderes Gefühl.

Wenn mich jemand fragt, kann ich mit einem Grinsen
von Beeris Lapsus erzählen,
mit einer Warnung an alle:
Wendet Euch zum Haareschneiden nie an einen Laien -
ihr seht, was dabei herauskommt
und grinsende Menschen sind um mich herum.

Zum 1.Mal ist der Grund nicht bedrückend,
die Leute ziehen vergnügt ihrer Wege,
auch nachdem sie mir begegnet sind.

Ich fange an, mich über diese Erfahrung zu freuen
und trage diese Glatze mit einem Lächeln im Gesicht.

Ladina, Samstag, 11. August 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Unerwarteter Befund
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Ich hatte so grosse Angst, dass der neue Befund lauten könnte:
Der Tumor ist leider gewachsen
und hoffte so sehr auf den Befund: Der Tumor ist gleich geblieben.
Doch weder das eine noch das andere trifft nun zu,
denn der Befund lautet tatsächlich: der Tumor ist um ca. ¼ kleiner geworden!!!
Ein Ergebnis, das unter Therapie oft von mir ersehnt wurde,
mir aber jetzt, ohne bewusstes Zutun und Handeln
äusserst unheimlich ist.

Wirkliche Erleichterung kommt nicht auf.
Die Bedrohung ist geschrumpft,
hat an Grösse und Umfang abgenommen
und ist gefühlsmässig für mich doch gewachsen.

Es war leichter, mit scheinbar totem, inaktivem Gewebe im Kopf zu leben,
als mit solchem, das sich nun plötzlich wieder regt.

Ich bin innerlich zutiefst beunruhigt,
so wie ich es nicht war, solange sich der Tumor nicht regte
und sich von Kontrolle zu Kontrolle niemals veränderte.

Nun ist es für mich so, als habe der Tumorrest wieder Leben eingehaucht bekommen - auf geheimnisvolle, unerklärliche Weise
und auch wenn er jetzt kleiner wurde,
wer kann mir versichern, dass er nicht plötzlich wieder wächst?

Dieser Tumorrest, der so lange, 21 Jahre lang still stand,
ich hatte die Angst vor ihm vor ihm fast verloren im Laufe der Zeit.

Es wäre schön gewesen, so fort zu fahren,
quasi im gegenseitigen Leben und Lebenlassen.
Ich dachte manchmal schon, jetzt steht die Krebsuhr still,
aber nun,
ganz plötzlich,
tickt die Zeitbombe wieder

Ladina, August 2001
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Blumen an der Grenze
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Ein Ausflug weit, weit fort sollte es werden,
doch die körperlichen Beschwerden
setzten mir eine unüberwindbare Grenze,
die zu akzeptieren mir auch seelische Schmerzen bereitet.
Ich muss einhalten, rasten
und kann auch dann nicht weiter.
Die Grenze bleibt schmerzhaft bestehen,
messerscharf ins Bewusstsein eingraviert.

Aber dann, wie ein Hoffnungsschimmer,
leuchten mir Farben vom Rande der Grenze entgegen.
Blumen sind da und meine Augen weiden sich satt an ihnen.
Eine spezielle Dankbarkeit steigt in meinem Herzen auf dafür,
gerade hierher zum Rasten gelenkt worden zu sein,
Freude zu empfinden am Rande der Grenze.
Mit vielen guten Gedanken
pflücke ich einige der bunten Boten der Natur
und bringe dieses Sträusslein meiner Lebenshelferin
als Dank für ihre besondere Freundschaft und Begleitung.

So steht als Erinnerung an diesen Tag
am Ende nicht die schmerzvolle Erfahrung einer Grenze
sondern die Freude
über eine Handvoll Blumen an ihrem Lauf

Ladina, Biberist, September 2001
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Traum-Erkenntnis
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Ich sass gestern allein auf einer Bank in Gerlafingen,
der Boden schwankte, alles drehte sich
und es wurde mir so elend,
dass ich brechen und unweigerlich an den Tod denken musste.
Gleichzeitig flehte ich Hilferufe ans Leben: "Bleib da, bleib da, bitte bleibe noch ein Weilchen!"

In der Nacht im Traum,
wiederholen sich die Schrecken des vergangenen Tages,
der Menière-Schwindel,
die Übelkeit,
das Sterbenselend-Sein.

Der Fluss ist nah,
die Verzweiflung tief,
die Strömung stark genug
um es schnell hinter mich zu bringen.

Entschlossen gehe ich im Traum auf den Fluss zu,
taste schon mit ersten Schritten das Ufer ab und will grad hinein,
da vernehme ich ein verzweifeltes Rufen,
das Leben selbst ruft mich an und fleht: "Bleib da, bleib da, bleib bitte da!"

Am Morgen weiss ich,
das Leben und ich, wir sind noch immer eine Einheit
und ich hoffe,
das wird noch lange so sein

Ladina, September 2001

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Zeit für Hosen? -Erinnerungs-Spuren
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Irgendein Tag im Sommer 1986,
wunderbares Sonnenwetter: Zum ersten Mal nach Wochen spürte ich keine Übelkeit, war mir leicht zumute und in einem Anflug von Romantik
zog ich mein Dirndl mal wieder an und entschloss mich spontan
zu einem Ausflug ins Appenzellerland.
Doch in der Tür stand meine Mutter, sie starrte mich entsetzt an,
fragte: "Wo willst du denn so hin?" deutete auf meine Glatze und das Dirndl und schimpfte: "So nicht, jetzt ist Hosenzeit für Dich, so sieht das nicht gut aus!"
"Aber es fühlt sich gut an!" erwiderte ich und huschte an ihr vorbei, ehe sie es verhindern konnte.
Ich genoss einen zauberhaften Tag, fernab von jeglichem Publikum beim Leuenfall in Weissbad, ich war mir selbst genug,
spürte den lauen Wind und feinste Wassertröpfchen,
die meine Haut umschmeichelten überall dort,
wo vor kurzem noch Infusionen steckten und schwere Spital-Duvets drauflagen.
Ich öffnete mich all den herrlichen Empfindungen.
Erfrischte und erfreute so Körper und Seele.
Zuhause empfing mit Mutter mit mürrischem Gesicht, warf mir Provokation der Leute vor, sass dann den ganzen Abend schmollend und wortlos am Tisch.
Sie konnte meine Empfindungen nicht verstehen.

Heute sind über 15 Jahre seitdem vergangen. Meine Mutter ist auf dem Entwicklungsstand von damals stehen geblieben.
Ich bin aus dem Dirndl herausgewachsen.
Manchmal halte ich in Schaufenstern Ausschau nach einem neuen.
Mutters Gesicht von damals vor Augen und jenes einer Verkäuferin,
die mir abriet vom Kauf eines Dirndls mit den Worten:
"Sie haben nicht das Aussehen für so ein edles Kleid!"
verunmöglichen es mir seitdem,
wieder ein solches Geschäft zu betreten.
Vielleicht ist es besser so?

Ladina, September 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Bewältigungs-Wege
¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦¦
¦

Keine andere Patientengruppe hat so viele Selbsterfahrungsberichte und Bücher geschrieben wie wir Krebskranken.
Die einen erzählen ihren ganz persönlichen Weg durch die
konventionelle Behandlung mit der Schulmedizin,
andere wollen ihre Erfahrungen mit Hyperthermie, Mistel oder anderen alternativen Behandlungsformen weitergeben,
oder sie sind voller Optimismus und wollen andern Mut machen.

Jeder Art von Erlebnisberichten in Buchform liegt wohl auch der Wunsch zugrunde, sich selbst und andern weiter zu helfen.
Und wer von uns hat nicht schon etliche dieser Titel zur Hand genommen,
überflogen oder regelrecht verschlungen, in der Hoffnung,
Bewältigungswege zu entdecken,
Siegerwege auszumachen und zu ergründen?

Doch wer in diesen Bücher DIE Lösung zu finden erhofft,
den genauen Beschrieb des EINZIGEN richtigen Weges mit Erfolgsaussicht,
der wird enttäuscht von seinen eigenen Erwartungen.

Bewältigungswege sind so unterschiedlich wie wir Betroffenen.
Was dem einen nützt, ist für jemand anderen Fehlanzeige.
Erfahrungsberichte enthalten keine jederzeit gültigen Rezepte,
wie was wann angegangen werden muss, damit es gelingt.
Keiner kann den Bewältigungsweg des einen so wie dieser gehen.
Jeder geht seinen eigenen persönlichen Weg.

Trotzdem sind die Bücher wichtig und oft hilfreich.
Beim einen Bericht ist es eine Idee oder ein beschriebener Traum,
beim andern vielleicht nur ein Gedanke,
den man für sich herauspickt, der einen anspricht
und zum Weiterdenken ermutigt.
Oder ein Impuls, den man wichtig findet und bei sich behalten möchte,
wie einen Notproviant für die eigene Seele.
Manchmal spricht so ein Buch Themen an,
die bislang für uns (noch) keine Rolle spielten,
über die wir aber mal nachdenken möchten,
denen wir uns so ganz behutsam annähern können.

Immer wieder finden wir Parallelen zu unseren eigenen Empfindungen,
aber auch Dinge, die sich deutlich von unserem Erleben unterscheiden,
die vielleicht sogar ein Kopfschütteln auslösen
oder Widerspruch herausfordern.
Zu manchem kann man vorbehaltslos JA sagen
und zu anderem bloss: Nein, das kommt für mich nicht in Frage!

Dennoch ist es wichtig und hilfreich für den eigenen Weg
auch Einblick zu erhalten,
wie andere mit der Diagnose "Krebs" zurechtgekommen sind,
zu erfahren, wir sind nicht allein mit unseren ganzen Nöten.

Millionen von Menschen haben den Weg durch die Krebserkrankung
schon meistern müssen.
Manche haben die Krankheit besiegt, andere nicht.
Einige von ihnen zeigten uns in ihren Büchern
ihren Krankheitsverlauf auf,
und die Entwicklungen,
die sich für sie daraus ergeben haben.

Aber wie viel wir auch von Gleichbetroffenen als Hilfe mit auf diese Reise bekommen,
es bleibt trotz allem unser eigener, ganz persönlicher Weg.
Wir bleiben auch in der Krebsdiagnose und danach Individien.
Wir bleiben uns selbst.
Auch jetzt!

Ladina, Glovelier, September 2001

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Sterbens-Gedanken
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Manchmal
in guten Tagen
wo ich mich rundum wohl fühle
mache ich mir ganz intensive Gedanken
über mein eigenes Sterben.
Doch meine Sehnsucht
bleibt dabei ganz deutlich
dem Leben
zugewandt.

An Tagen aber
wo sich die Schmerzen
durch meinen Schädel fressen,
wo sie unaufhörlich pochen
und niemand mir helfen kann, sie zu lindern
da werden
die Gedanken ans Sterben
zu meiner Sehnsucht

Ladina, September 2001
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Diagnose: Unheilbarer Gen-Defekt (Li-Fraumeni-Syndrom)
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Schon als ich mit 8 Jahren erstmals an Krebs erkrankte
gab mein Fall den Ärzten Rätsel auf.
Es gab in ganz Europa zu jener Zeit nicht mal 10 Kinder
mit dem Burkitt-Lymphom.
Trotz der eher schlechten Prognose, hatte ich das Glück, wieder gesund zu werden und ich weiss heute noch nicht, wem ich dafür danken kann.
Leider trat nach 4 Jahren ein anderer, bei Kindern ebenfalls ungewöhnlicher Tumor bei mir auf, ein Fibrilläres Astrozytom, kein wirklicher Krebs zwar, da als gutartig eingestuft, aber er rezidivierte nach der Operation und so bekam ich wieder Bestrahlung.
Und wieder knapp 4 Jahre darauf erkrankte ich an Leukämie.
Damit wurde ich endgültig zur Sensation erklärt, eine Bezeichnung auf die ich gerne verzichtet hätte.
Für mich war das alles wie ein Schlag ins Gesicht. Was hatte ich denn nur getan? Ich fühlte mich schlecht und hatte Schuldgefühle, die auch teils vom Umfeld noch unterstützt wurden mit so Äusserungen: Du hast wohl einfach falsche Gedanken, sonst etwas falsch gemacht, dass das immer wieder kommt - das ist ja schon nicht normal."
Und dabei habe ich doch gesund gelebt, nicht geraucht und trotzdem war ich wieder ausgebremst worden. Ich empfand es als Strafe und wusste einfach nicht wofür!
Aber ich wollte kämpfen fürs Leben und wieder habe ich es gepackt.
Aber nur ein halbes Jahr nach der offiziellen Genesung ging es wieder los, wieder eine neue Tumorart, diesmal ein Sarkom.
Die Ärzte waren mit ihrem Latein am Ende und ich fast mit den Nerven, nein eigentlich ganz.
In diese Ratlosigkeit hinein kam ein Arzt auf den Gedanken, mich auf einen Genetischen Defekt hin prüfen zu lassen und ich willigte ein.

Die bestätigte Diagnose: Li-Fraumeni-Syndrom löste blankes Entsetzen bei mir aus,
denn sie prophezeite mir ein lebenslanges Gefangen-Sein in diesem Krebs-Kreislauf, sie bedeutet letztendlich die immer neue grössere Wahrscheinlichkeit auf eine bösartige Tumorerkrankung
und doch war in meinem Innern auch eine grosse Erleichterung ,
denn diese Diagnose bedeutete zugleich
den bis ans Ende gültigen Freispruch von Schuld…

Ladina, September 2001
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Mehr als meine Krankheit
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Ich weiss noch gut, wie es war, als ich mit 9 ½ Jahren
nach der monatelangen Therapie zurück in die Schule kam.
Ich war das Schulkind mit dem Krebs,
von dem alle Distanz wahrten.
Ich war das Schulkind mit dem Krebs,
das keine Haare hatte und dafür so eine Perücke trug.
Ich war das Schulkind mit dem Krebs,
das beim Turnen abseits sass
und oft für sich alleine blieb.

Ich war das Schulkind mit dem Krebs und wollte es nicht bleiben.
Ich wusste mehr als andere Kinder über Afrika und konnte Französisch und die lustige Sprache Mooré (Sprache des Stammes Mossi im damaligen Obervolta/ heute Burkina Faso)
ein toller Aufsatz brachte mir die Bewunderung der Kameraden ein.
Als der Zoo mit Riesenschlangen kam, hatte ich allein den "Mut"
mir eine um den Hals legen zu lassen.
Und einmal im Turnen, als die anderen Purzelbäume machten,
vergass ich meine Dispensierung und die Narbe am Bauch
und schlug vor aller Augen einen doppelten Flic-Flac rückwärts.

Ich wollte nicht bluffen, aber zeigen, dass ich mehr kann als nur krank sein,
ich wollte ihnen Gesprächsstoff ausserhalb meiner Krankheit geben,
ich wollte auch das Schweigen brechen, das mich so bedrückte und isolierte,
Schon damals wollte ich nicht nur auf meine Krankheit reduziert werden.

Vielleicht hätte ich diese Ziele auch erreicht,
wären da nicht die Erwachsenen und Eltern gewesen,
die ihren Kindern stets neue Ängste einpflanzten.

Ich blieb ein isoliertes Kind
entwickelte eine grosse Liebe zur Natur
und eine intensive Lebensfreude - trotzdem.

Dann kam mit 16 der Krebs zurück,
gerade als die Berufswahl bevorstand.
Wieder fiel ich lange aus wegen der Behandlung, war danach wieder für alle als schwerkrank erkennbar.
Lachte ich, fanden es die grossen Leute voll daneben und wieder war da die Distanz von andern und das Mitleid, das mich wütend machte.

Ich war die Jugendliche mit dem Krebs und wollte es nicht bleiben,
ich wollte in den Gesichtern anderer Leute
fortan nicht mehr nur meiner Krankheit begegnen.
Ich wollte von mir reden machen,
ohne dass der Krebs ein Thema war.
Ich fuhr an einem Radrennen mit und gewann sogar.
Ich liess es nicht in die Zeitung setzen, wie es die 2.und 3.platzierten Schüler taten, aber eine Nachbarin schwatzte es herum auf diese furchtbare Mitleidstour, die ich so hasste.
Der Krebs war immer noch Hauptthema: Es hiess:" Sie hat die Tannenbergrundfahrt gewonnen, bedenke man, mit Krebs!"

Das grosse gefürchtete Wort,
die schreckliche Realität dieser Krankheit
sie haben mich jahrelang beschäftigt und in Trab gehalten
und ganz los werde ich das wohl nie.
Aber sie soll nicht mein Lebenszentrum werden,
ich bin weit mehr als meine Krankheit.
Ich möchte meine vielfältigen Interessen unbefangen ausleben,
fortan mehr mit Gesunden unternehmen,
etwas Wertvolles für die Natur tun, die mir in den schweren Zeiten so oft sehr geholfen hat.
Ich arbeite als Lektorin einer Bibliothek, bin engagiert bei Kind&Spital und dem Kindernetzwerk, wo ich mit Freude mitarbeite.
Ich habe dieses Krebssyndrom, aber ich habe auch ein Leben,
das gelebt werden möchte.
Und ich wünsche mir, dass die Leute sich nach meinem Tod an mehr von mir erinnern, als nur an meine Krankheit.
Dass auch Positives bleibt von mir.

Ich bin die junge Frau mit Krebs und möchte das nicht bleiben!

Ladina, September 2001
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Andere Werte
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Bis vor etwa 1 ½ Jahren
war ich bei vielen Vortragsveranstaltungen
über Krebs bei Kindern
mit von der Partie
- manchmal auf dem Podium
- hie und da als Vorzeige-Patientin
- oder als Hoffnungsträgerin
Oder einfach unter den Zuhörern,
weil ein Stück von solcher Vergangenheit
auch immer mit in die Zukunft geht.

Heute halte ich wieder eine Einladung zu einer solchen Veranstaltung
in den Händen,
interessante Aspekte sollen angesprochen werden,
interessant gewiss auch für mich.
Aber ich entscheide mich ganz bewusst dagegen
- nicht weil es mir zu belastend ist
- nicht weil zu viele Erinnerungen wachgerüttelt würden
- nicht weil ich meine Vergangenheit leugnen möchte
- nicht weil die Kraft für Auseinandersetzung fehlte
sondern einfach,
weil endlich auch wieder anderes zählt
in meinem Leben!

Ladina, September 2001
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Veränderte Einstellung
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Wegen einem im Oktober in München stattfindenden Neurologen-Kongress
kontaktiert mich mein hierauf spezialisierter Arzt,
der schon lange mit mir zu tun hat,
der meine Hochs und Tiefs in diesem Bereich miterlebte,
der mich schon 2 mal live seinen Kollegen vorgestellt hatte
und der fest damit rechnet,
dass ich ihn in München nicht im Stich lasse.
Bereits kongressgewohnt scheine ich geeignet mitzufahren,
ausserdem sei ich ein interessanter Fall.

Aber ich habe es satt, von allen beglotzt zu werden,
als wäre ich ein Vieh von einem andern Stern.
Ich habe es satt, meine neurologischen Daten und Pannen
vor aller Welt ausgebreitet zu wissen, selbst dann,
wenn es anderen ebenfalls hilft.
Ich habe es satt, immer die gleichen Bewegungen zu wiederholen vor denen, die beobachten und wohlwissend nicken!

Beim 1.Mal war das ganze Ehrensache, erfüllte mich auch mit Freude, irgendwie.
Beim 2.Mal war es so etwas wie ein Akt der Dankbarkeit, auch der Gedanke, andern damit zu helfen, war Triebfeder zur Teilnahme.
Aber nun ist schon der Gedanke daran nahezu unerträglich für mich,
ich möchte nicht mit, auch wenn es ein Luxus-Hotel ist,
auch wenn ich Taschengeld bekomme und nichts zahlen muss,
alles sträubt sich und meine Antwort ist: Nein!

Die Enttäuschung des Arztes ist gross,
ich blicke in ein Gesicht voller Fragezeichen.
Die Absage hat nichts mit einem Vertrauensverlust zu tun,
nur mit einer veränderten Einstellung zu solchen Veranstaltungen
und vielleicht meinem Hunger nach normalerem Leben.

Dennoch sind meine Daten in München dabei.
Ich gebe dem Arzt die Erlaubnis von mir und meinen Testergebnissen zu berichten unter einer anonymen Fall-Nummer…

Ladina, September 2001
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Wieder im Spital
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Eine Horrorzahl von 150'000 Leukos
steht auf meinem rosa Zettelchen mit den aktuellen Blut- und Urinwerten
eine Zahl, die ca. 37 mal so hoch ist wie normal.
Ich starre sie an und sie mich!
Noch am Lift mache ich kehrt, gehe zurück ins Labor und sage dort:
"Diese Zahl kann doch nicht stimmen", eine vage Hoffnung in mir,
dass sie dort den Irrtum einsehen und die Zahl des Schreckens ändern,
doch die Tatsache bleibt, die Zahl 150'000 ist leider richtig
und ich erzittere buchstäblich
unter dem Bewusstsein des Verdachtes,
den sie unweigerlich mit sich bringt.

Habe ich einen Rückfall oder wieder was Neues?
Ist darum das Fieber so hartnäckig.
Sind die Gelenkschmerzen Vorboten der Bedrohung gewesen,
die ich nur als Muskelkater missverstanden habe oder als Rheuma.
Die zwei nächsten Stationen zeichnen sich ab,
ich kenne sie, ehe der Arzt sie mir eröffnet, bereits in- und auswendig.
Und ich möchte hinrennen um den schrecklichen Verdacht
schleunigst ausräumen zu lassen
und habe gleichzeitig so riesengrosse Angst,
dass sich dieser Verdacht bestätigen könnte.
Was sonst könnte denn so grosse Zahlen auslösen?
Ich kenne nur Leukämie
und das ist eine der scheusslichsten Bekanntschaften, die ich je machen musste!

Ich möchte Hoffnung und Vertrauen haben können,
aber in mir hat sich der schreckliche Verdacht
schon zur Gewissheit geformt
und der Blick der Laborantin war auch irgendwie voll Mitgefühl.

Es ist 11.00h und erst um 15.30h bin ich bestellt für die KMP, je nach Befund dann noch LP.
4 Stunden Zeit.
Wartezeit.
Zeit zu ruhen, doch die Ruhe ist dahin,
voller Chaos ist die Gegenwart.
Stress - ein Wort, das mit körperlicher Überbeanspruchung verbunden ist,
verspüre ich auch jetzt im tatenlosen Sitzen.
Zeit zu schreiben, etwas von den Gefühlen verarbeiten,
ich versuche es mit zittriger Schrift.
Zeit zu telefonieren, mit vertrauten Menschen sprechen,
doch keiner dieser Menschen ist daheim.
Es ist Ferienzeit, Erholungszeit.
Ich werde Wochen brauchen,
um mich allein von diesen Stunden jetzt ein wenig zu erholen.
Mein Herz rast.
Bleiben mir überhaupt noch Wochen?
Ich denke an "mein" Konzert am 13. von den Original Jungen Oberkrainern und ich nehme mir vor,
dafür zu kämpfen.

Im Botanischen Garten setze ich mich auf eine Bank im milden Sonnenschein, lasse meine Blicke wandern,
über die Farben,
fort von dem Schrecken
und ich denke an den zauberhaften Sommer, den ich verleben durfte,
an die vielen Traumziele, die ich erreichen konnte,
an die Tage bei Barbara.
An all das Glück, das ich empfand!

Auf 15.00h kehre ich ins Spital zurück,
die Angst ist nicht verschwunden,
aber neben ihr sitzt die Dankbarkeit
wieder unbeirrt auf ihrem bescheidenen Plätzchen.
Sie kann die Angst nicht wirklich besiegen,
doch sie vermag die Gedanken zu mildern
zu verlieren

Ladina, 8.Oktober 2001
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KMP und LP - früher und heute
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Ich gehörte zu den seltenen Kindern im Spital,
denen Spritzen keine Angst einjagten,
die, als wäre nichts, den Arm, die Hand oder den Fuss hinstreckten
um sich ohne einen Mucks stechen zu lassen.
Kam aber das Wort Lumbalpunktion auf,
drehte ich vor Panik beinahe durch,
ich litt unter Alpträumen und machte ins Bett
und während der Punktion bedurfte es mehrerer kräftiger Hände,
die mich in Katzenbuckelstellung festzuhalten vermochten,
denn ich wehrte mich mit Händen, Füssen und Zähnen
und ohrenbetäubendem Gebrüll
gegen die unheimlichen und heimtückischen Nadelattacken
in meinen Rücken.
Die LP ist meine schlimmste Kindheitserinnerung,
nichts war schlimmer und schmerzhafter für mich.
Die KMP liess mich dagegen meistens kalt, denn dazu wurde ich oft
in Kurznarkose versetzt und merkte darum von Hauptschmerz nichts.

Meine Unempfindlichkeit gegenüber i.V. - und Subcutan-Injektionen
ist bis heute geblieben,
aber meine Gefühle zu den Punktionen sind ganz anders.
Heute ist für mich eine LP nichts Furchtbares mehr,
wenngleich sie nach wie vor etwas buchstäblich hinterhältiges und irgendwie gemeines für mich darstellt,
doch die KMP ist mir ein Greuel,
die Schmerzen sind, nun nicht mehr durch Narkose eingeschläfert,
kaum auszuhalten für mich, zumal die Verknöcherung an gewissen Stellen Fehlversuche mit sich bringt.
Angst und innere Anspannung verstärken die Schmerzen
möglicherweise noch zusätzlich.

Doch während ich als Kind meinen Schmerz ausdrücken und rausbrüllen konnte
und dann getröstet wurde,
wird mir nun weder das eine noch das andere noch zugestanden,
und ich bleibe isoliert und ohne Verständnis mit diesen Nöten.

Ladina, Oktober 2001
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Meine im Krebsforum.ch verfassten Beiträge und Gedichte (Urheberrecht) dürfen in anderen Foren, oder HP’s nicht ohne meine persönliche Zustimmung kopiert oder veröffentlicht werden.

Pneumonie
°°°°°°°°°°°

Nach den gestrigen Untersuchungen,
dem aufkommenden Verdacht,
der furchtbaren Nacht voller Ängste
und zwei weiterer Untersuchungen
kam heute Vormittag gottlob die Entwarnung:
"Es liegt mit Sicherheit keine Leukämie vor!"
Aber es gibt zugleich den sicheren Befund
einer bakteriellen Pneumonie und Periostitis in zwei Wirbeln.
Trotzdem irrsinnige Erleichterung, fast juble ich.
Absurd.
Pneumonie- das klingt vergleichsweise geradezu harmlos
im Gegensatz zur befürchteten Leukämie.
Zwar erfordert auch die diagnostizierte Erkrankung
eine stationäre Weiterbehandlung mit schwerem Antibiotika-Geschütz,
doch die Angst fällt augenblicklich ab von mir,
macht dem Vertrauen und der Hoffnung Platz,
kehrt keine Sekunde in alter Heftigkeit zurück,
dafür tauchen Mut und Sicherheit auf, das schaffen zu können.
Ich stelle mich aufs Kämpfen ein
beruhigt und zugleich bestärkt durch das Wissen,
sehr gute Chancen zu haben
diese Krankheit zu besiegen!

Ladina, Oktober 2001
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Das Sterben
°°°°°°°°°°°°

Es ist in den Gedanken aller Betroffener
immer wieder ein Hauptthema, das Sterben,
aber im Gespräch mit onkologischen Stations-Mitarbeitern
ein fast ständiges Tabu.
Das Sterben, das eigene Sterben
rückt einem mit der Diagnose Krebs
buchstäblich auf den Leib
und mit ihm auch Ängste, Unbehagen, Fragen.
Erst ist das alles durch den Schock der Diagnose in sich verschlossen,
erst zaghaft kann man sich dem neuen Leben
und den neuen Empfindungen öffnen.
"Wie stirbt man an Krebs?"
wagte ich eines Tages die mir liebste Krankenschwester auf der Onko zu fragen, kurz vor der Chemotherapie.
"Aber, aber, wir wollen doch jetzt nicht ans Sterben denken!" meinte sie entrüstet und blieb mir jegliche weitere Antwort schuldig.
Und ich blieb allein mit meinen Ängsten,
auch später, als ich diese Frage an andere richtete.

Inzwischen ist es so, dass ich mich auf "meiner" Station
durchaus gut aufgehoben und geachtet fühle,
doch zum Sterben möchte ich nicht dorthin zurückkehren.
Wie sollte ich auch an einem Ort getrost loslassen können,
wo schon das blosse Gespräch über das Sterben
keinen Platz bekommen hat?

Ladina, November 2001
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Trockenbrot-Theorie
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In meinen Kindertagen hatte ich ein Erlebnis,
welches mich nun,
in Verbindung mit meinem Sterben gebracht,
sehr verunsichert und Fragen aufwirbelt.
Meine Cousins und ich hatten ein hartes Brot im Hühnerstall gefunden.
Es war steinhart und federleicht,
sodass wir dachten, es sei innen sicher hohl.
Wir wollten das Geheimnis des trockenen Brotes lüften
und warfen es zu Boden, traten heftig auf es ein,
es klang hohl, aber das Brot verlor nicht eine Krume.
Schliesslich kletterten wir auf das Tenn hinauf
und warfen es mit aller Kraft vom Heustock hinunter auf den Vorplatz.
Endlich brach es auseinander und wir rannten hin
um zu sehen, was drinnen in dem Brot war.
Es war seltsam, nicht so wie erwartet.
Das Brot war nicht hohl, aber steinhart, auch im Innern.
Nur ganz in der Mitte, auf einem Fleckchen von ca. 1cm Durchmesser,
da war es noch ganz weich - wie lebendig - so wie es ist, wenn man es essen kann.
Aber aussenrum war alles vertrocknet.
Ich hatte damals als 8-jährige Mitleid mit dem Brot,
ich dachte, wir hätten es gequält und umgebracht.
Heute habe ich dahingehend Gedanken und Ängste,
dass es beim Sterben ebenso sein könnte,
dass äusserlich alles tot und ohne Wesen erscheinen könnte
aber ganz tief innen, vielleicht im Gehirn noch lebendige Zellen sind,
zu denen die Nachricht noch nicht vorgedrungen ist
und deren Leben von aussen nicht erkennbar ist,
aber noch spürbar in mir.
Ich habe Ängste, dass ich mein Fühlen nicht mehr mitteilen kann
und meine Hilferufe ungehört bleiben…

Ladina, November 2001
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Unterricht für die Zukunft
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Jeden Tag übe ich einige Minuten
Fingerfertigkeiten oder Handgriffe mit einer Hand auszuführen,
welche ich gewohnterweise sonst mit beiden Händen tue
oder ich versuche, Dinge mit links zu machen,
die ich gewöhnlich rechts ausführe.
So schreibe ich links,
mache einhändig Knöpfe an meiner Jacke zu
oder ziehe so eine Mütze über.
Nicht alles geht schon gut und elegant von der Hand,
aber das Üben zeigt bereits Erfolge,
welche Wochen zuvor noch irreal schienen.
Wenn etwas gar nicht klappt,
kann ich die 2. Hand zu Hilfe nehmen.
Noch ist das alles wie ein Spiel
aber eines Tages gilt es ernst.
Um an diesem Tag
nicht vor einer unüberwindbaren Mauer zu stehen
und keine Zukunft mehr zu sehen,
gebe ich schon heute meinen Händen Unterricht,
damit es weiter gehen kann

Ladina, November 2001
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RAUMFORDERUNG
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Zwei sauber abgegrenzte Flecken
sind auf den CT-Bildern
an Sieb- und Keilbeinhöhle ersichtlich.
Ihrer Struktur nach zu schliessen sind sie kaum bösartig
doch Gewissheit bringt nur die PE.

"RAUMFORDERUNG unklarer Genese"
das sind die Stichworte,
die mir auf dem Krankenblatt entgegen springen
und obwohl ich die beruhigenden Worte des Onkologen
noch in Erinnerung habe,
läuten alle Alarmglocken in mir beim Wort Raumforderung.

Zu oft hat dieses Wort
für mich schon Krebs bedeutet!
Es hat einen aggressiven Charakter
und es ist aufdringlich wie kaum ein anderes Wort im Medizinerlatein.
Raumforderung bedrängt,
wie ein Räuber, der Wohnraum für sich beansprucht,
ohne wirklich Aufenthaltsrecht zu haben.

Es ist nicht nur ein harmloses Wort.

Es fordert Raum
auch in meinen Gedanken…

Ladina, November 2001 (eine Woche nach der Kontrolle)
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Am Tag der OP
°°°°°°°°°°°°°°°

8 Stunden vor der geplanten Operation
gehe ich spazieren
beschreite bedächtig den Weg,
die Augen weit offen
in der Hoffnung
dem Tag der OP
einen freundlichen Eindruck
zu geben.

Um nichts in der Welt wollte ich
jetzt am Tag der OP
lange ausschlafen
und dann mit dem Fahrdienst des Roten Kreuzes ins Spital gebracht werden - ganz bequem,
scheinbar ohne viel zu denken
- genau das würde mir zu denken geben.

Dieser Tag der OP ist ein Tag mit schwerem Inhalt
2 semimaligne Tumore werden links von der Schamlippe entfernt,
ein Tag, mit einer dunklen Erinnerung verbunden
und mit Schmerzen.

Doch soll der Tag nicht nur traurig sein,
nicht nur voller Schatten.
Ich möchte ihm einfach die Chance geben
als sehr wohl lebenswerter Tag
in meine Erinnerung einzugehen.

Ich möchte etwas Freude spüren
jetzt vor der OP
um danach
wenn vielleicht Tränen fliessen
mit der Erinnerung an die Freude davor
diesen Tropfen einen Sonnenstrahl entgegen zu setzen,
sodass ein Regenbogen entstehen mag,
der von der Düsterkeit des Himmels
ins Morgen leuchtet

Ladina, Dezember 2001
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Der Weg zum Leben mit Krebs
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Mit der Diagnose Krebs geht Hand in Hand
auch der Gedanke an den Tod.
Erst ist da die nackte Angst und das blanke Entsetzen,
doch meistens wächst daraus dann die Kraft und der Wille zu kämpfen
gegen die beiden Widersacher des Lebens,
gegen den Krebs und gegen den Tod.

Das Leben bekommt einen ganz anderen Stellenwert,
ist nicht mehr so wie früher einfach selbstverständlich.

Irgendwann stellt sich vielleicht eine Besserung ein,
der Tumor hat sich zurückgebildet oder er ist kleiner,
der Gedanke an den Tod ist wieder unaufdringlicher,
aber er verschwindet kaum mehr ganz.
Kommt die Krankheit wieder, sind die Gedanken meist noch stärker da.

Dann gilt es, sich damit auseinander zu setzen,
sowohl mit der Krankheit als auch mit dem Tod.
Es gilt die Möglichkeiten zu erforschen,
das, was Angst macht, zu ergründen
aber auch die Hoffnung nicht zu vergessen.
Es gilt, den Gefühlen standzuhalten,
nicht davor wegzulaufen.
Es gilt,
unter dem Schatten einen Weg zu suchen.

So kann das Leben weiter gehen,
auch mit der unheilbaren Krankheit,
auch mit dem Wissen um den Tod.

Einfach Tag für Tag annehmen, das Beste aus ihm herausholen.
Ich erlebe es nicht als verpfuscht, mein Leben,
das Hand in Hand mit dem Wissen um die Unheilbarkeit meiner Krankheit geht.
Es kann sogar spontaner, reicher und intensiver sein.
Es braucht nicht der Weltuntergang in sich selber zu sein.
Es hat noch Zukunft
im Hier, im Jetzt und im Morgen!

Leben mit Krebs -
Aussenstehenden ist der Gedanke daran vielleicht ein Horror.
Betroffene selbst finden auch nicht sofort einen Weg.

Aber er zeigt sich
im täglichen Leben
im Weitergehen jeden Tag von Neuem.
Er gestaltet sich nicht bei allen gleich,
selbst er zeigt sich in einer faszinierenden Vielfalt.
Doch wer ihn sucht und ihm eine Chance gibt, der findet ihn:
seinen oder ihren ganz individuellen Weg
zum Leben
mit Krebs

Ladina, Februar 2002
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Bedenkzeit
°°°°°°°°°°°

Ohne einen wesentlichen neuen Tumorbefund
nimmt die 9.Kontrolle innerhalb von 2 Jahren
mit der PET-Untersuchung ihr vorläufiges Ende.
Mein Körper war tatsächlich imstande
neues, bösartiges Tumorwachstum zu verhindern.
Er ist stärker als jemals zuvor.
Nie hätte ich gedacht, dass ich noch einmal so weit komme,
dass nicht in jedem Jahr irgendwo ein Tumor wächst.

Aber es ist wahr
und nun ist die Zeit reif dafür
die Kontroll-Termine zu lockern
ihre jährliche Anzahl von High Risk 4
auf 3 oder gar 2 zu kürzen.

So sehr ich mir solches oft wünschte,
so sehr fürchte ich mich jetzt davor, die Kontrollen zu kürzen.
Es fällt mir schwer zu glauben, dass diese langen 2 Jahre
"rückfall-freien" Daseins eine Fortsetzung auf weitere Monate
oder gar Jahre haben können.

Der Zustand meines Körpers jedoch erlaubt ganz klar die Beschränkung,
die Ärzte sagen alle: Es ist so weit.
Nach allem, was war, ist dies ein Meilenstein,
ein grosser Schritt nach vorn
von dem kaum einer mehr zu träumen wagte.
Die Krankenkasse ist sowieso mit allem einverstanden, was die Kosten senkt und auch mein Verstand hat es eigentlich begriffen.
Doch mein Gefühl tief innen zittert
und ich bitte mir Bedenkzeit aus.

Ladina, Februar 2002
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Alltags-Glück
°°°°°°°°°°°°

Wie oft in den vergangenen Jahren
habe ich mich gesehnt
nach einem ganz gewöhnlichen Alltag
wie ihn viele in meinem Umfeld erlebten.
Nach einer längeren Zeitspanne von Tagen ohne Bangen ums Leben,
ohne Kämpfen gegen den Krebs oder mit Nebenwirkungen der Therapie,
ohne das Gefühl, eingeengt und gefangen zu sein.
Nach Unbekümmertheit und der Möglichkeit,
meine Tage so zu gestalten
wie sie mir Freude machten.

Doch oft wartete ich vergeblich
und oft war ich nahe dran aufzugeben-
Nur eine leise Hoffnung liess mich weiterleben.

Ein einziger, solcher ersehnter Tag
brachte Licht in die Dunkelheit.

2 oder 3 Tage in Folge
haben die Zuversicht genährt und mir Kraft gegeben.

30 davon erschienen wie ein Traum, so schön.

730 solche Tage
kommen einem Wunder gleich!

Ladina, 17. März 2002 (2 ganze Jahre frei und ohne Chemo)
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(K)ein verlorener Tag
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Konzentrationsschwäche, Müdigkeit und Atemprobleme
sie bleiben mir auf den Fersen, seit Tagen schon.
Egal ob ich Fahrrad fahre, arbeite oder spazieren gehe,
egal, ob ich ein langes Mittagsschläfchen halte oder keines.
Das Wetter ist so schön,
mich zieht es nach draussen,
etwas neues entdecken, das ist mein Ziel
doch mich lähmt nur das schon Gehabte,
diese Müdigkeit und die Atemprobleme,
der Konzentrationsmangel, der mich soooo langsam macht.
Alles zieht irgendwie an mir vorbei.

Und zwei Stimmen kämpfen in mir:
eine, die mir sagt: Ich muss jetzt zum Arzt, das ist nicht normal, so schlapp zu sein!

Und eine andere, die meint: Ach was, wird schon nicht so schlimm sein. Nur nicht locker lassen. Bleib zäh und beiss es durch.

Und ich schaue auf das Wetter, das einlädt zum draussen sein
und ich bin versucht, auf die 2. verharmlosende Stimme zu hören.

Doch die Vernunft wird lauter
im leisen Ruhen im Zug.
Ich telefoniere per Handy dem Spital
kriege gleichen Abends noch einen Termin,
halte 1 ¼ Stunden später
einen bedenklichen Hb-Wert von 6 in den Händen
und mit ihm eine Erklärung für die Beschwerden.

Bekomme einen Transfusionstermin für Ostermontag,
weiss, den Tag kann ich abschreiben,
da ist kein Draussensein und Bewegen mehr drin,
nur noch Ruhen.

so gesehen ist Ostermontag
ein verlorener Tag
doch zugleich ist er doch auch
der erste Schritt zum Sieg.

Ladina, 1.April 2002


(Jetzt im Wohlbefinden des darauffolgenden Dienstags weiss ich,
dass es gut war, den Montag zu opfern
denn erst jetzt kann ich wieder richtig geniessen.
Ladina, 2. April 02 Stadtgärtnerei Zürich)
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Andere Gesetze
°°°°°°°°°°°°°°°

Mit dem Ende der intensiven Nachsorgekontrollen
bricht für mich eine neue Zeit an.
Zeit, etwas mehr Normalität zu leben.

Aber
eine längere Abgeschlagenheit oder Müdigkeit,
zwei Tage Fieber ohne Grund, vermehrt blaue Flecken
oder geschwollene Drüsen irgendwo
bleiben für mich Alarmzeichen,
die ich nicht übergehen und übersehen darf,
die für mich ein Zeichen sind
zurück zu gehen zu den Ärzten.

Manche schimpfen mich zimperlich, ohne jegliche Substanz, lächerlich,
sagen: Ach, jeder ist mal müde, dramatisier nicht, steigere dich da nicht rein!
Und ich will nicht zimperlich wirken
und bleibe noch ein Weilchen tapfer,
lehne mich noch mal zurück
warte noch ein wenig zu,
aber es bessert sich nicht.

Schliesslich gebe ich auf, gehe zum Arzt,
höre von ihm: "Gut, dass Sie kommen!"
schwindle etwas, wenn er fragt, wie lange es mir schon so geht,
kann mich nicht richtig gut fühlen,
wenn er mich dann rühmt: "Gut, dass Sie so SCHNELL gekommen sind!

Ich muss noch viel lernen,
lernen zu handeln im rechten Moment
lernen zu deuten, was kritisch ist
und zu übergehen, was es nicht wert ist.

Ich muss das oberflächlich vorhandene Wissen
erst noch ganz tief in mich hineinsaugen,
es kapieren, auch wenn andere maulen, mich verlachen,
mir weh tun mit ihren Bemerkungen.

Ich muss es einfach glauben,
was die Ärzte und der Onkologe sagten
und es total verstehen,
es notfalls auch verteidigen
und damit verantwortungsvoll und vernünftig umgehen lernen,
dass andere Gesetze gelten
in meinem Körper.

Ladina, 2.April 2002
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Zukunftsaussicht
°°°°°°°°°°°°°°°°°

Ohne an Übersinnliches zu glauben,
kenne ich ein Stück meiner Zukunft.
Der Verlauf meiner Krankheit im Endstadium
ist bei allen gleich,
nur wann es anfängt, weiss ich nicht.
Meist macht dieses Wissen
meine Gegenwart umso lebendiger. umso freudvoller
umso intensiver erlebbar,
doch manchmal, meist im Winter
schleicht die Angst sich an
wird fratzenhaft und riesengross
und ich kann nicht vor ihr fliehen
und gehe fast zugrunde an ihr.
Diese Angst vor dieser Zukunft verhindert nicht deren Auswirkung,
betäubt und verdunkelt nur die Gegenwart.
Sie lähmt die Lebensgeister und frisst die Hoffnung auf,
bringt an ihrer Stelle einen Vorgeschmack auf diese Zukunft
mitten in die Gegenwart.
Einen Vorgeschmack der bitter ist,
dessen Eindruck ich nicht einfach übergehen kann,
der so unendlich lange im Gedächtnis haften bleibt
länger als alle Träume
von unbeschwerter Lebenszeit

Ladina, 2. April 2002
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Veränderte Einstellung
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Mit der Lockerung meiner Nachsorgekontrollen
und der viel besseren Lebensqualität
hat sich etwas ganz Entscheidendes
in meinem Leben verändert:
Der Tod ist für mich nun wieder
am Ende des Lebens
und nicht mehr wie vorher
mittendrin im Leben

Ladina, 7.April 2002
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Am letzten Tag meines Lebens
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Eines Nachts im Traum
trat eine Gestalt auf mich zu und sagte: Du wirst ewig leben!
Ich bekam mit dieser Botschaft endlich
eine Perspektive von der Zukunft ohne Krankheit
und ich nahm mir vor,
zu all meinen Traumzielen in der Welt zu reisen
und ihre Wunder zu entdecken.
Ich fing mit Feuereifer an, die Reisen vorzubereiten, voller Vorfreude,
sah mich in Gedanken schon auf Madeira, in Schweden, in Peru, in Norwegen, Neuseeland, Australien, Brasilien, Island und in den Nationalparks in Amerika, in Slowenien, in der Wüste, der Bretagne und in Cornwall.

Doch mitten in die Vorbereitungen trat plötzlich wieder die Gestalt
und sagte zu mir: Ich habe mich getäuscht. Du wirst morgen sterben!

Und schlagartig erschienen mir all meine Reisepläne so nichtig
und unwichtig und ich verwarf sie ohne einen Moment von Gram.
Ich wollte nun nicht mehr in die Fremde,
sondern einzig zu jenem Menschen,
bei dem es mir immer schon so wohl gewesen ist.
Dort wollte ich meinen letzten Tag verleben.

Wenn es zu Ende geht,
findet man zum Wesentlichen zurück
und eine vertraute Freundschaft
ist so viel mehr wert
als alle Reisen in die Fremde.

Nach dem Aufwachen
war und ist der Traum noch lang in mir präsent,
seine Botschaft ist tief in mein Innerstes eingegangen.

In mir leben zwar noch immer
ganz leise Träume von Reisen, da und dort hin
doch ein Tag mit und bei diesem Menschen
wird mir immer wichtiger sein
als ein Flug
hinaus in die Welt!

Ladina, 23. April 2002
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
2 oder 3?
°°°°°°°°°

Zwei Zahlen stehen zur Diskussion
und mir allein ist es überlassen
mich für eine von ihnen zu entscheiden.
2 oder 3?

Zwei Zahlen,
die einen Rattenschwanz von Inhalten haben,
die zugleich Gewinn und Verlust bedeuten,
die Hauptgewinn sein können, aber vielleicht auch Todesstoss.

Welche von beiden möchte ich lieber,
welche Konsequenzen vermag ich zu verkraften?
Wie oft lasse ich meinen Körper auf neues Tumorwachstum prüfen?
Wie oft mag ich mich dieser Nervenzerreissprobe aussetzten?
2 mal oder 3 mal?
2 mal reicht!

Wie oft will ich meinem Körper die Chance geben,
seine unliebsamen Krebs-Gäste für andere erkenntlich
und damit vielleicht vernichtbar zu machen?
Halte ich auch selber eine längere Zeit der Ungewissheit aus?
Gehe ich 2 mal oder 3 mal im Jahr in die Nachkontrolle?
Jetzt ist mir wieder 3 mal lieber.

Es ist, egal wie ich mich entscheide
eine folgenschwere Entscheidung.
Zugleich Zusage und Absage,
zugleich positiv und negativ.

Die Frage, in weniger als einer Minute gestellt,
braucht 2 Monate bis sie,
nach reiflichem Hin- und Herüberlegen,
nach ausdauerndem Abwägen dafür und dagegen
von mir beantwortet wird
und ich die definitive Antwort gebe
und voll dahinterstehe,
3 mal pro Jahr zur Kontrolle zu gehen

Ladina, April 2002
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Mückenstiche
°°°°°°°°°°°°°

Mückenstiche an Armen und Beinen
teilweise juckende Pusteln
sind seit einigen Tagen
auch wieder an meinem Körper sicht- und fühlbar.
Vorbei ist die Zeit,
wo ich inmitten eines Mückenschwarmes
am Ufer des Bodensees liegend
nicht einen ihrer Stiche abbekam.
Vorbei ist die Zeit,
wo dieser Umstand Menschen um mich herum
zum Staunen und Wundern veranlasste.
Eine neue Zeit ist angebrochen,
eine Zeit, die mir Hoffnung schenkt.
So lästig diese Mückenstiche auch sein können,
so sehr stellt mich dennoch die Tatsache auf,
dass ich für die Mücken wieder existiere.
Nicht der Akt des Gestochenwerdens freut mich,
aber der Hintergrund.
Es ist ein sicheres Zeichen dafür,
dass sie mich wieder attraktiv finden,
dass ich nicht mehr wie der Tod auf sie wirke,
dass kein Chemoschweiss mehr aus meinen Poren dringt,
dass ich ihnen nicht mehr stinke,
dass sie mich wieder als gewöhnlichen Menschen wahrnehmen
und mich am Leben wähnen

Ladina, Juni 2002
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Der Schmerz in der Seele
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Furunkel auf der Kopfhaut
verunmöglichen mir ein schmerzfreies Liegen
und wecken mich immer wieder auf,
bevor ich richtig in Tiefschlaf falle.
Erst ist das noch nicht so tragisch,
aber nach einigen ruhelosen Nächten
wächst meine Verzweiflung,
ich bin empfindlich wie ein rohes Ei,
die Anklage wird laut,
die Frage: Warum denn immer ich?
dreht in meinem Kopf Kreise
bis mir richtig schwindlig wird
und ich mich dem allem ausgeliefert fühle.

Mein Kopf sagt mir: Ach was ist denn schon dabei, hast schon Schlimmeres mitgemacht!
Mein Kopf sagt mir: Ist ja nicht bösartig, sind ja nur Furunkel!
Mein Kopf sagt mir: Daran stirbst du nicht, das geht vorbei!
Ich versuche mich zusammenzureissen, nicht im Selbstmitleid zu versinken.

Doch der Schmerz in der Seele bleibt.

Ladina, Juni 2002
Zuletzt geändert von Ladina am Mo 20 Mai 2019 16:37, insgesamt 3-mal geändert.

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Gedichte aus meinem 8.Gedichteband: Der Krebs

Beitragvon Ladina » Sa 2 Feb 2008 18:19

Weitere Gedichte aus meinem 8.Gedichteband: Der Krebs

Krebs gehabt
***********


Heute auf der Fahrt auf den Rocher du Naye
hörte ich, wie eine Frau von ihrer Freundin erzählte,
die seit 3 Wochen Brustkrebs habe und der es psychisch und auch körperlich durch die Chemo schlecht gehe.
Spontan schrieb ich daraufhin aus dem Gedächtnis
mein Gedicht "Überlebensträume" auf ein Blatt
und übergab es der fremden Frau mit den Worten:" Ich habe auch Krebs gehabt und weiss, wie sich Ihre Freundin fühlt. Vielleicht helfen ihr meine Zeilen ein wenig."
Es kam so aus meinem Innersten heraus,
dass ich erst etwas später begriff, was ich da gesagt hatte.
KREBS GEHABT , als wenn's vorbei und vergessen wär,
als wenn die Gefahr nicht mehr existierte.
KREBS GEHABT, weils mir grade so gut geht
und ich mich wohlfühle, nicht todkrank
KREBS GEHABT, weils mir heute keiner mehr ansieht,
was ich hinter mir hab
KREBS GEHABT, weils so schön ist, gefühlsmässig drüber zu stehen

"Krebs gehabt", darf ich das sagen, ohne mich schuldig zu machen?
Weil es so schön ist, mich zu fühlen, als wärs vorbei?

Ich möchte nicht lügen, aber ich fühle mich so, als hätte ich Krebs GEHABT
und dieses Gefühl geniessen zu dürfen, solange es geht
und ohne schlechtes Gewissen
wäre für mich gleich bedeutungsvoll
wie eine Heilung

Ladina, 22. Juli 2002

(eine Heilung ist in meinem Fall sozusagen unmöglich, da ein Gendefekt meine Erkrankung begünstigt)

Die Verbindung von Leben und Krebs
*******************************


Noch vor wenigen Jahren
wenn ich meine Gedanken in Gedichten formulierte,
brachte ich die Verbindung von Leben und Krebs
stets mit dem Wort "trotz" zum Ausdruck.
-Leben TROTZ Krebs
-Glücklichsein TROTZ Krebs
Es erschien mir und auch Aussenstehenden immer eine Sensation zu sein,
überhaupt zu leben, überhaupt so leben zu können
17 lange Jahre schon,
doch dieses Bestreben, das Aussergewöhnliche Leben weiter zu erhalten,
brachte ein grosses Stück Verkrampftheit,
fast einen selbstauferlegten Leistungsdruck und versteckte Aggression
gegen den bösen Krebs
in mein Dasein.
Ständig hatte ich das Gefühl, mir und der halben Welt
etwas beweisen zu müssen.
ich fühlte mich nie wirklich frei.

Seit einiger Zeit formuliere ich die Verbindung von Leben und Krebs
spontan mit dem Wort "MIT"
Leben MIT Krebs
Glücklichsein MIT Krebs.
Ich habe die Trotzhaltung abgelegt
dafür die Tatsache Krebs akzeptiert
ohne mich ihr zu unterwerfen.

Im Moment sind ich und der Krebs ebenbürtige Partner
wir können miteinander existieren
ohne ständigen Kampf, ohne ewiges Kräftemessen.

Nach wie vor bin ich mir der Aussergewöhnlichkeit meines Lebens bewusst,
doch ich möchte sie nicht mehr von allen verstanden wissen,
ihr nicht länger in den Augen und Worten aller, sogar fast fremder Menschen begegnen,
sondern sie einfach still mit meinen engsten Freunden feiern.

Allmählich, ganz behutsam,
stellt sich ein neues Lebensgefühl ein,
eine Art Entspannung und Gelöstsein des Selbstverständlichen,
das mein Leben aufwertet.

Ladina, August 2002
Zuletzt geändert von Ladina am Fr 4 Nov 2022 21:00, insgesamt 8-mal geändert.

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Fortsetzung Band 8: Der Krebs

Beitragvon Ladina » Sa 2 Feb 2008 18:23

Fortsetzung Band 8: Der Krebs
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Am Berg
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Jetzt während der Tour de Suisse
tauchen in mir Erinnerungen auf
an die Zeit, als ich selber im Velosattel Rennen fuhr.
Ich verfolge die Tour und weiss genau,
wo ich Gewinnchancen gehabt hätte und wo nicht.
Sicher nicht beim Prolog in Luzern
und auch nicht beim Zeitfahren.
Da schlugen mich immer fast alle.
Aber am Berg drehte ich auf.
Dann, wenn die meisten an ihr Limit kamen,
da wuchs ich über mich hinaus,
da trat ich in die Pedale,
da war mir die Ankunft auf dem Gipfel als Erste oft gewiss.
Kurzstrecken bis 40 km lagen mir nicht,
ab 70 km begann ich mich wohl zu fühlen
bei 120 km war ich im Element.

Und wenn ich mir das so überlege,
war das auch sonst bei mir so ähnlich.
Diktate schrieb ich zwar fehlerfrei, aber ich kam nie mit, weil ich zu
langsam war.
In der Handarbeit war ich am Schwanz
und brachte nicht mal den obligatorischen Strumpf zu Ende.
Es lag nicht daran, dass ich faul gewesen wäre.
Ich brauchte einfach mehr Zeit.

Aber überall, wo die Liebe zu Detail zählte
in Aufsätzen oder bei Projekten,
da war ich nicht zu bremsen und nicht zu schlagen,
da setzte ich alle meine Energien frei
und gehörte zu den Favoriten.

Meine Schwester war gerade umgekehrt,
bei ihr musste es immer wie der Blitz gehen.
Sie ist von uns beiden, rein äusserlich gesehen, die Erfolgreichere,
sie wird bald Schulleiterin sein
und sie geht als Siegerin aus allem, was sie tut hervor.

Von mir kann man das so nicht sagen,
ich bin abgeschlagen
und zähle in der Normalbevölkerung sicher nicht zu den Gefragtesten,
bin nicht mehr voll integrierbar als Folge der Erkrankung
sowie durch eine schwere Sehbehinderung.

Aber mir Ausdauer und Durchhaltewillen
bin ich zu einer Arbeitsstelle gekommen.
Ausdauer und Durchhaltewillen zeichnen mich aus
und die Qualitäten meiner Leistung.
Ausdauer und Durchhaltewillen
waren einfach schon immer meine Stärke
ob in der Schule, beim Sport
oder wahrscheinlich auch im Leben mit der Krankheit
Ich war nie eine Sprinterin.

Und doch gehöre auch ich zu den Siegern
- auf einer anderen Ebene

Ladina, Juni 2002
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Eine Erkältung?! - Das ist doch nichts!
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Als mir vor bald 16 Jahren kurz vor der Transplantation erklärt wurde,
dass als Folge der Immunsuppression
ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht
und ich wohl künftig öfter mit Erkältungen und Pilzen zu tun haben würde,
da habe ich lauthals gelacht.
Eine Erkältung, was ist das schon, wenn man Leukämie hat?
Eine Erkältung - das ist doch nichts!
Pilzbefall? - Nun ja, nicht gerade angenehm
aber sicher immer noch besser als Leukämie.
Man bekommt als Krebspatient
eine Art Überheblichkeit,
die den normalen Krankheiten manchmal ziemlich unsensibel begegnet,
vor allem, wenn Leute wegen Schnupfen jammern.

Natürlich unterschrieb ich den Zettel mit den Risiken
und wurde transplantiert, nahm 10 Jahre lang Sandimmun
und schlich es schliesslich aus.
In diesen Jahren machte ich auch wahrlich Hunderte von Infekten durch.
Angenehm war es nicht, aber ganz klar besser als Leukämie.

5 Jahre bin ich nun clean - clean vom Sandimmun,
dem Abwehrdämpfer-Medikament,
Mein Immunsystem aber ist kaum aktiver geworden,
Infektionen und Infekte geben sich bei mir quasi die Hand
- trotz stärkenden Massnahmen wie kalte Güsse, Zungenbürsten, Nasenspülungen mit Salz, Ecomucil, Ecchinacea und vitaminreicher Kost,
kaum eine Woche kann ich ohne irgendeine Entzündung begehen:
Periostitis, Sinusitis, Stomatitis, Augenentzündung, Gingivitis, Glossitis, Otitis, Brustwandentzündung, Sehnenscheidenentzündung und wie die Diagnosen alle heissen.
Glücklicherweise blieb ich von Lungenentzündungen bis auf 2 mal verschont.
Aber es bleiben Schmerzen, die wie Feuer brennen, allgemeine Schwäche,
schreckliche Druckschmerzen.

Ich habe aufgehört zu zählen,
wie oft pro Jahr ich Infekte habe.
Wenn man bis März schon auf 35 kommt,
weiss man eh, woran man ist.

Es ist nicht schlimmer, vor allem nicht bedrohlicher als Leukämie,
aber je öfter ich an solchen Infekten neu erkranke
umso schwerer wiegt es für mich
umso belasteter fühle ich mich.

Ich bereue es heute, über jene Leute gelacht zu haben,
die an einem simplen Schnupfen litten.
Ich merke, wie mich diese Infekte mehr und mehr ermüden,
wie es auch an mir zehrt, immer wieder zum Arzt zu gehen,
weil es alleine einfach überhaupt nicht besser wird.

Und ich merke, dass es mir auch Angst vor der Zukunft schürt,
wenn ich mir bewusst darüber werde,
dass es wohl immer so weiter geht

Ladina, Juni 2002
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Diese SCHLAPPEN Zeiten
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"Erstaunlich, wie du dem Krebs trotzen kannst, wo dir doch schon die kleinste Krankheit immer derart zu schaffen macht!"
- ein Satz, der nicht aus dem Mund eines Menschen im Umfeld stammt, obwohl ich mir vorstellen kann, dass recht viele auch so denken,
eher ein Satz, den mir mein Unterbewusstsein
in mein inneres Gedankenleben pflanzte.
Dieser Satz wird gross wie eine Palme,
nun, da ich mit bakterieller Magen-Darm-Infektion mal wieder flachliege,
wo die Übelkeit jene der Chemo praktisch übersteigt,
wo Antibiotika das Restliche dazu geben,
wo die axilär und rektal gemessenen Temperaturen und der CRP am 3.Tag anzeigen, dass ich nicht zu den 98% gehören werde, die diesen Infekt innert 2-4 Tagen besiegen und in den gewohnten Alltag zurück kehren.

Früher, wenn ich nach jeder Neuerkrankung die Kraft hatte,
Ja zu sagen zur Therapie, die Nebenwirkungen auszuhalten
und lange Zeit später
ganz langsam, in kleinen Schritten
zurück in ein normales Leben fand,
so dachte ich anerkennend von mir: Ich bin schon sehr stark!
Und ich fühlte mich unverwüstlich.
Das war ein gutes Gefühl.

Ähnlich war es auch vor der Krankheit, wenn ich ein Rennen gewann.
Ich fühlte mich stark und war es wohl auch!

Meine robusten Waden erinnern noch heute an die kraftvollen Zeiten,
doch jetzt, wo ich so schlaff im Bett liege,
fühle ich nichts mehr davon.

Und doch ist es so, dass ich dem Krebs trotze
seit 17 Jahren schon und 2 ½ davon ohne jegliche Therapie.
Irgendwo muss etwas sein, in oder an mir,
das mir hilft zu bestehen,
auch wenn die momentane Schwäche in mir Zweifel züchtet.

Und dann denke ich,
dass diese schlappen Zeiten
in so läppischen Krankheiten
wohl irgendwie doch wichtig sind.
Das dies die Zeiten sind,
wo sich die Kraft oder was auch immer es ist,
sich aus mir zurückzieht an den Ort ihres Ursprungs,
um sich dort zu nähren und sich auszuruhen,
sich aufzubauen und neue Energien zu tanken
um dann in Zeiten wirklicher Not
wieder voll für mich da zu sein

Ladina, Juni 2002
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POLYNEUROPATHIE
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2 ½ Jahre lang habe ich nun schon keinen Fuss mehr zur Chemo ins Spital gesetzt und trotzdem spüre ich meine Füsse immer noch nicht wieder,
trotzdem ist das Gefühl in ihnen nicht zurückgekehrt,
obwohl mir noch Hoffnung gemacht worden war.

Aus den zaghaft und schlurfend gesetzten Schritten der ersten Monate
ist sichereres Auftreten geworden,
doch mein Gang ist nicht stabil, ich schwanke oft
den Boden unter den Füssen spüre ich nicht.

Und keiner verliert ein Wort darüber,
in all den Krebsratgebern wird die POLYNEUROPATHIE
höchstens am Rande erwähnt, als vorübergehende Nebenwirkung bezeichnet und als selten,
dabei kenne ich schon etliche Leute, die es länger haben wie ich.

Wir alle leiden darunter, denn POLYNEUROPATHIE ist quälend.
Da, wo andere etwas spüren - ist bei uns nur Dumpfheit oder Kribbeln,
und dort, wo andere nichts fühlen, haben wir ein Stechen, Brennen und einfach Schmerzen ohne äussere Einwirkung.

Durch dieses Totschweigen überall
fühlt man sich als Betroffene weder wahr- noch ernstgenommen,
es ist, als ob man gar nicht existierte mit diesem Problem,
als ob das Problem selber nicht AN-ERKANNT würde.

Selbst wenn niemand hilfreiche Tipps zur Beseitigung der Polyneuropathie geben kann, so glaube ich, wäre es wichtig, das Thema anzusprechen
und sei es auch nur, um zu zeigen,
dass wir nicht vergessen sind

Ladina, Juli 2002
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CHEMO
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Bis vor drei Jahren stets wiederkehrender Alltag,
das Wort Chemo war fast im Dauergebrauch,
durchgemacht und immer wieder erklärt, da und dort.
Dann der Abschluss der Behandlung: Out off Chemo, Chemo ade.
Nur noch erinnernd dachte ich ab dann an sie,
wenn Nebenwirkungen oder Spätfolgen plagten.
Noch später sprach ich nur noch erwähnend davon,
wenn ein Bekannter behandelt wurde.
Lange Zeit noch blieben Emotionen wach in mir um dieses Wort,
doch eines Tages, ich weiss nicht wann,
verblassten sie zusehends.
Plötzlich wieder da! Mit dem Befund Hamartom.
Nun, nach 3 Jahren ohne Chemo
steht das grauenhafte Wort mit seiner furchtbaren Wirklichkeit
wieder vor mir wie ein Gespenst.
Nie hätte ich gedacht, dass ich es so vergessen könnte,
dass es wie ein Fremdwort ist im Wortschatz der Gegenwart.
Nie hätte ich gedacht, dass ich es als solche Bedrohung wahrnehmen würde,
wo ich doch die Strapazen der Behandlung schon so oft bestanden habe.
Nie hätte ich solches gedacht und doch ist es so,
dass ich jetzt fassungslos dastehe, alles wäre alles neu
als wüsste ich nichts über diese Therapie.

Ladina, Juli 2002
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Aussen vor (Fragen an die Angehörigen)
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In St.Gallen noch besuchte ich Hamp öfters,
war für seine Fragen da
und auch für seine Wutausbrüche und Ängste,
mit denen seine Eltern Mühe hatten.
Bevor er nach Bern zur Operation kam
bat er mich noch, meine Adresse in seine Agenda zu schreiben
und ich tat es in gelungener Schönschrift,
auch um ihm zu demonstrieren,
man kann wieder schön schreiben lernen nach einer Gehirn-OP.
Ich habe ihm Mut dazu gemacht,
doch mir blieb ein kleines Detail seines Befundes verborgen,
ein kleines Detail, das ungeheuer viel Gewicht auf meine Seele legte,
als ich davon erfuhr.
Mir ist es im Nachhinein ein Trost,
dass auch seine Eltern die Operation befürworteten.
Dann war diese OP in Bern, sie galt als gelungen,
aber als Hamp erwachte, konnte er nichts mehr sehen, nicht mehr sprechen, sich nicht mehr richtig bewegen.
Als ich dies erfuhr, war ich erschüttert
und ich brauchte einige Tage, bis ich den Mut in mir spürte,
Hamp zu besuchen.
Letzten Freitag, am 26.Juli fuhr ich ins Inselspital Bern,
fragte mich bis zur Neurochirurgischen durch
und erfuhr von einer Schwester, dass Hamp nicht mehr da ist,
also, nach einem Herumdrucksen,
dass er doch verstorben sei, schon am 11.Juli.

Für mich war das entsetzlich, denn ich habe es nicht gewusst,
keine Anzeige, keine Meldung und kein Telefon der Angehörigen bekommen, obwohl sie mich doch kannten
und sie meine Adresse in Hamps Agenda sahen.
Mir blieb keine Chance zu Hamps Begräbnis zu fahren.

Warum?
Warum liess man mich aussen vor?
Wieso geben manche Angehörige uns Mitpatienten keinen Bericht,
keine Meldung, senden manchmal keine Todesanzeige,
wieso verwehren sie einem die Möglichkeit,
Abschied zu nehmen von Freund?

Ist es die Angst uns zu begegnen,
die Angst, uns trösten zu müssen, wo sie doch selber gerade untröstlich sind?

Ist es vielleicht, weil sie auf eine Art böse auf uns sind, da wir noch leben
und ihr Liebstes nicht?

Oder ist es, weil sie uns schonen möchten,
uns nicht an unseren eigenen möglichen Tod erinnern wollen?
Wissen sie nicht, dass wir ohnehin oft darüber nachdenken?

Ich komme mir abgeschoben vor, ausgeschlossen,
wie nicht zugehörig und unerwünscht.
Ich weiss nicht, was ich machen soll:
SCHREIBEN, SCHWEIGEN oder SCHREIEN?
Ich bin in dieser Sache wie betäubt
und zugleich so sehr aufgewühlt.

Es ist nicht das erste Mal,
dass ich es erst spät von jemand anderem erfahren habe,
wenn ein Bekannter oder Freund gestorben ist,
aber das Plus an solchen Erfahrungen
macht mich nicht geübter im Umgang
mit den daraus resultierenden Gefühlen,
sondern verunsichert mich nur mehr und mehr und mehr…

Ladina, 2.August 2002
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Fragen über Fragen III
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Schmerzen im Bereich des Rückens und des linken Beines,
die auch nach einer Cortisonspritze nicht abflauen
lassen mich aus dem Wohlbefinden heraus überfallartig
wieder den Schrecken der Angst vor Metastasen spüren
und Panik beginnt sich auszubreiten,
obwohl die letzte Kontrolle gerade mal 6 Wochen zurückliegt.

Und schon beginnen sich wieder Fragen zu formen.
Fragen wie: Was tue ich, wenn der Krebs zurück kehrt?
Was bin ich bereit, ihm oder der Therapie zu opfern?
Und wo sind die Grenzen, die ich nicht überschreiten will?

In Anlehnung an Hamp Krankheitsverlauf,
welcher durch die Operation am Gehirnstamm
seine Fähigkeit zu sehen, zu sprechen und sich zu bewegen verlor,
weiss ich bestimmt, dass ich das nie möchte,
dass ich dann lieber mein ganzes Leben hergeben möchte,
als alle diese Fähigkeiten.
Ich denke, ich würde mir ein Bein abnehmen lassen,
wenn eine Chance darin läge, ebenso eine Brust,
der Gedanken an den Verlust eines Armes aber ist mir ein Greuel,
doch ich habe da Gottseidank auch keine Beschwerden.

Aber wenn es wie bei Hamp am Stamm sein sollte, irgendwann,
dann weiss ich, dass ich lieber ganz gehen möchte.
Ich habe die Möglichkeit, eine OP zu verweigern,
aber dürfte ich überhaupt nein sagen
zu einem Hilfsangebot?

Ich denke an die Menschen,
die durch einen Unfall zu Tetraplegikern werden,
durch Kopfverletzungen vielleicht weitere Fähigkeiten verlieren
wie sehen oder sprechen.

Sie haben keine Wahl, müssen so weiterleben,
müssen es nehmen, wie es gekommen ist,
mit all dem Kummer innen zurechtkommen.

Ich frage mich, würde Gott mein Nein denn verstehen,
oder mich als feige oder undankbar empfinden,
weil ich seinen Plänen für mein weiteres Leben absage?

Würden es die Ärzte verstehen,
dass meine Ängste von einem "toten" Leben
grösser sind
als jene vor dem wirklichen Tod?

Und ich habe Bedenken,
ob ich wirklich ganz aus mir entscheiden könnte
wie es für mich stimmt,
ohne darüber nachzudenken
oder zu verzweifeln,
dass andere mein Entschluss
verletzt…

Ladina, August 2002
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Angst-Gefängnis
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Angst wegen diesen Schmerzen und dem Tinnitus
erst ist noch Kraft da sie erfolgreich zu verscheuchen,
sie zu verdrängen,
ihr Hoffnung entgegenzusetzen,
doch sie wird stark und stärker,
verdrängt alle andern Gefühle,
bis nichts mehr da ist,
was ich der Angst entgegensetzen kann
bis sie allen Raum in mir ausfüllt
und alle Gedanken nur noch um sie herum kreisen.

Angst ist lähmend
und sie hat mich ausser Gefecht gesetzt,
ich kann gar nichts mehr tun.
Vor kurzem noch machte ich einer Bekannten Hoffnung,
hisste für sie die Flagge der Zuversicht,
so ehrlich, wie ich sie empfand.
Und nun?
Wo sind sie nur geblieben,
diese starken Gefühle und die hoffnungsvollen Perspektiven?
Ich kann sie nicht mehr finden in mir.
Da ist jetzt nur noch Angst!
Ich kann keine neuen Hoffnungen mehr züchten und aufziehen.

Doch ich kann schreiben und ich kann noch gehen,
Schritte wagen aus dem Angst-Gefängnis
Ich kann zu jemandem gehen, der fähig ist
neue Hoffnung in mich zu pflanzen,
der mein Klima innen wieder belebt und heilen kann,
sodass positive Gedanken wieder spriessen mögen

Ladina, August 2002
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Das alte Lied
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Tinnitus-Terror im Ohr und Schmerzen im Rücken.
Nacht für Nacht das gleiche Lied.
Lärm und Schmerzen bis früh am Morgen.

Bis sie sich langsam verabschieden,
begrüssen die Vögel schon den Tag,
erwacht draussen schon das Leben
und mir möchten die Augen zufallen vor Erschöpfung,
doch ein neuer Arbeitstag ist da.
Streng, manchmal auch locker,
abwechslungsreich, doch niemals gleich
voller Überraschungen, guten oder bösen,
doch immer auch ein Neubeginn,
eine Geburt zur Hoffnung.

In der Nacht aber,
wieder das gleiche Lied,
Lärm, Terror im Ohr und diese Schmerzen.
Schlaflos, rastlos sein,
gelangweilt, weil die Nacht sich nie was Neues einfallen lässt
als das alte Lied von Terror im Ohr und Schmerzen.

Harren auf den beginnenden Morgen
und doch auch wünschen,
es wär noch lang dahin
es gäbe noch Zeit zu ruhen,
es gäbe endlich ein Verstummen
des Terrors im Ohr, der Schmerzen,
aber der da drin denkt nicht daran,
seinen Krach zu unterbinden, die Schmerzen fortzunehmen,
egal, wie sehr ich mich auch sehne
egal wie sehr ich es mir wünsche.

Dann Morgen,
alle Kräfte zusammenbündeln
um den neuen Tag zu bestehen.
Diesen, den nächsten und alle!
Alle, die aus ungeruhter Nacht hervor gehen.

Immer neue Tage erleben,
doch immer alte Nächte durchleiden,
die mir kein Schlaflied gönnen,
sondern ein Straflied dröhnen
dessen Grund mir stets verborgen bleibt.

Ich habe noch Träume zu leben,
viele neue Tage lang,
doch meine Lebenskräfte schwinden
in den alten langen Nächten der Schlaflosigkeit…

Ladina, August 2002
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In einem neuen Land
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Ich hatte immer Glück bisher.
Der Krebs war ein Krebs,
ein einziger Tumor, den es zu bekämpfen galt
auf den allein ich mich konzentrieren konnte.
Ein bedrohlich schwarzer Berg
der sich vor mir aufgetürmt hatte,
den ich Stein für Stein abtragen konnte,
bis die Aussicht ins Leben wieder offen war.
Und ich habe es immer wieder geschafft
mit Hilfe von vielen,
den Krebstumor zu vernichten.

Plötzlich eine neue Wirklichkeit,
viele bedrohlich schwarze Berge wachsen wie aus dem Nichts,
überall um mich her aus dem eben noch grünen Boden
und ragen bis in den Himmel,
verdunkeln meine ganze Landschaft,
meine Aussicht rundum ist versperrt
und ich fühle mich ausgeliefert, gefangen und hilflos.
Verstört blicke ich mich um.
Was ist denn nur geschehen??

Der Arzt sagt: Sie haben Metastasen, nicht eine, nein viele, unzählige!
Ich will kämpfen,
doch ich weiss nicht wie und wo ich beginnen soll.
Welchen der vielen Berge muss ich als erstes aus dem Weg räumen,
gegen welchen mental angehen?
Welche der vorgeschlagenen Therapien wählen?
Ich habe keine Ahnung, keine Erfahrung,
befinde mich in einem neuen Land,
auf neuem Territorium, das viele Metastasen birgt.
Ich habe schon fast 20 Jahre Krebserfahrung,
doch niemals hatte ich mehr als eine solitäre Metastase,
die es zu besiegen galt.

Ich fühle Panik und Stress in mir, bin überfordert,
mein Herz schlägt wild und Schweiss tritt auf meine Stirn,
ich zittere am ganzen Körper
und ich weiss nicht, in welche Richtung ich mich bewegen soll.

Die Berge um mich werden immer mächtiger und grösser.
Es gilt zu handeln, sagt der Arzt- schnell
doch entscheiden muss ich,
abwägen, Pro-Kontra, eine Therapie oder die andere?

Ich kann nicht! Ich weiss nicht!
Was jetzt???

Ich erwache schweissüberströmt und zitternd.
Völlig ausser mir und doch wie gelähmt.
Was war?
Habe ich bloss schlecht geträumt,
oder schon im Traum verarbeitet, was mir bevorsteht?

Ladina, August 2002
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Wieder Periostitis
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Mit der neuen Diagnose sind die Ängste vor Metastasen verstummt
und ich bin wieder beruhigt,
kann mich aufs Wesentliche konzentrieren,
z.B. darauf, die Antibiotika-Therapie mit positiven Gedanken zu begleiten
und den Spitalaufenthalt als Chance zu rasten anzuerkennen.

Es ist noch einmal gut gegangen,
ich kann die folgenden 3 Monate bis zur Kontrolle
vorerst wieder ohne Angst erleben.

Doch was wird sein
beim nächsten Mal,
wenn wieder irgendwo neue Schmerzen auftauchen,
wenn sie wieder Ängste aufbauen wie Wolkenkratzer so hoch,
explosiv und zerstörerisch wie Bomben,
wenn wieder Krieg in meinem Innern ist?

Was wird sein,
wenn Ängste wieder alles tyrannisieren
und die Unterdrückung innen fühlbar wird,
sodass ich glauben muss, es hätte auf alles übergegriffen,
als wären längst alle natürlichen Grenzen zerstört,
wenn Magen, Darm und Gehirn
von selben Schmerz erfasst werden?

Ich kann nicht immer, so wie diesmal ins Spital
und eigentlich will ich das ja auch nicht

Irgendwie muss es mir gelingen,
die Ängste künftig allein zu entschärfen,
ihnen ihren vernichtenden Inhalt zu nehmen
ohne sie zu verleugnen.

Ich muss mit diesen Ängsten und Gefühlen leben lernen,
ich darf und muss sie mir eingestehen,
doch nicht mehr zu ernst nehmen.
Sie dürfen nicht mehr über die Gedanken
ins Handeln übergreifen
und alles lahmlegen.

Ich muss lernen zu funktionieren
die Ängste ruhig zu empfinden
nicht in totale Panik auszubrechen.

Vertrauen wird mein bester Lehrmeister sein auf diesem Weg,
das Morgen, ganz wie es kommt, zu bejahen…

Ladina, August 2002
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Mut hat viele Gesichter
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Mut hat viele Gesichter
manchmal heisst er reden
manchmal Schweigen,
manchmal heisst er einem andern helfen
und manchmal sich selbst helfen lassen
manchmal heisst er Lachen
und manches Mal auch Weinen.

Manchmal ist er gross
und manchmal eher klein - aber er bleibt der Mut,
der Mut, etwas anzunehmen oder etwas zu ändern.

Manchmal ist er höflich
und manchmal ziemlich unverschämt,
manchmal heisst er Sich Zurückziehen
und manchmal ERST RECHT vorwärtspreschen.
Manchmal ist er leise
manchmal wankt er
manchmal muss er Kräfte sammeln
und manchmal hat er zuviel davon um wirken zu können.

Manchmal heisst Mut
Ja zu sagen
und manchmal Nein.

Manchmal ist Mut sogar zu petzen um Unheil zu verhindern
und manchmal ist Mut, ein Geheimnis zu bewahren.

Und wer in einem Moment,
wo Du weißt: Ich hab Mut
behauptet, du wärst feige
der hat eine wichtige Lektion im Leben noch nicht gelernt:

Mut hat viele Gesichter,
er besteht nicht nur im Kampf, in der Stärke.

So wie jeder Mensch ein anderer ist,
anders ausschaut,
anders fühlt
so ist auch der Mut
nicht bei allen das Gleiche.
So drückt sich auch der Mut
ganz anders aus
bei Dir
und bei mir.

Aber, wenn jeder für sich spürt: Es ist Mut
- dann ist es richtig
egal, was wir tun!

Ladina, Oktober 2002 für ks-schnecke
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Der Alptraum eines Morgens
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Langsames Auftauchen aus einem tiefen Schlaf,
es kribbelt im Gesicht,
es piekt, als wenn da Haare wären auf den Kopfkissen.
Erinnert mich daran, wie es war nach der Chemo,
genauso ein Gefühl.
Kann ja nicht sein. Wahrscheinlich träume ich noch.
Minuten später bin ich richtig wach,
doch das Gefühl der piekenden Haare bleibt,
greife mir rasch ins Haar um den Traum endgültig zu verscheuchen,
doch ich spüre ein kahles Stück Haut auf dem Kopf
Haare kleben an meinen Fingern,
ich drehe beinahe durch!!!
Was ist los? Warum verliere ich meine Haare?
Meine Haare, drei Jahre lang schön gewachsen seit der letzten Chemo,
sie fallen einfach so aus.
Das ist das Grauenhafteste Gefühl - dieses Unerklärliche.
Es ist nicht wie nach einer Chemo - es ist noch viel schlimmer.
Ich war nicht darauf vorbereitet,
niemand sagte mir, dass das passieren würde.
Es war nicht wie ein Handel oder wie ein Tausch,
wie bei der Chemo unter dem Motto: Gut kannst meine Haare haben,
wenn du mir dafür den Tumor nimmst!
Es kam so aus dem Hinterhalt,
es ist wie ein Raub und innert 3 Stunden stehe ich vor dem Nichts,
auf dem Schädel ist kaum ein Haar mehr übrig.
Sie liegen wie gefallene Soldaten nach einem Krieg im Zimmer herum,
und ich kenne den Gegner nicht,
weiss nicht, wer angegriffen hat und warum?!
Tausend Fragen in meinem Kopf,
Versuche das Unerklärliche zu erklären,
überhaupt zu begreifen
was da passierte - einfach so.
Die Kälte zieht am kahlen Schädel hoch
von jetzt auf sofort fühle ich mich todkrank und verloren.
Verloren in der Welt jener, die Haare haben
und ebenso verloren auch in der Welt der Chemoglatzen.
Nirgends gehöre ich jetzt mehr dazu mit meiner grundlosen Glatze,
überall fragende und entsetzte Blicke
und die dürftigen Erklärung des konsultierten Hautarztes
beruhigen die Ängste nicht,
lassen die Fragen nicht verstummen,
verunsichern fast noch mehr.
Kreisrunder Haarausfall lautet die Diagnose, als Sonderform Totale Alopezie, dazu hochtoxische Aluminiumwerte
keiner weiss wieso, Mangelernährung wird ausgeschlossen.
Haarbodenanalyse ergibt hohe Entzündungswerte und Eiteransammlungen.
Die geschwollenen Lymphknoten am Hals erhärten dies zusätzlich.
Lauter Fakten,
die dennoch keine Erklärung sind,
die den Grund nicht verraten
warum mir
ein solch grauenhaftes, schmerzvolles Verlieren meiner Haare
überhaupt
geschehen ist!!!

Ladina, 7.01.2003, einen Monat danach
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Enttäuscht von mir
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Im Normalfall stellt es für mich längst kein Problem mehr dar,
über meine Tumor-Vergangenheit zu sprechen.
Es ist ein Teil meiner Biographie,
den ich nicht leugnen kann
und auch nicht muss,
weil ich mich doch an sich mutig
diesem Schicksal gestellt
und es besiegt habe,
wenigstens auf Zeit.

Doch vergangenen Dienstag,
einem Tag vor DEM Tag,
an dem ich in Basel die Ergebnisse der Untersuchungen
mitgeteilt bekommen sollte,
war das Unterfangen, über meine Krebsgeschichte zu sprechen
eine buchstäblich furchtbare Angelegenheit für mich.

Es fiel mir so unendlich schwer, davon zu erzählen,
mich an alle Tumore zu erinnern,
die schon mein Leben bedroht haben
und sie beim Namen zu nennen
gegenüber meiner neuen Atemtherapeutin.
Ich konnte und wollte mir diese Tumore in diesem Moment nicht bewusster machen,
als sie es ohnehin schon sind.
Ich wollte sie mir nicht näher kommen lassen,
wollte sie nicht auf den Plan rufen.

Doch ich konnte meine Aussagen dennoch nicht verweigern,
nicht das Thema wechseln,
nicht fliehen vor der grausamen Wahrheit,
die ich zugleich aussprechen und anhören musste
und die mir somit noch näher trat
als all das normale Wissen in mir.

Ich sprach es aus
mit einem Lächeln auf den Lippen, das den Tränen verbot, auszuströmen
um den Schmerz lindern zu können.
Ich sprach es aus
als beträfe es mich kaum,
als sei es die Geschichte eines anderen oder eines Niemands.

Ich sprach die Wahrheit und kam mir trotzdem wie eine Lügnerin vor,
weil ich es so, wie ich es sagte, nicht wirklich empfand,
weil ich Stärke vortäuschte
um die Schwäche nicht zu spüren,
um den totalen Zusammenbruch zu verhindern
und weil ich wahrscheinlich in diesem Auftritt so schwach und schäbig wirkte
und vermutlich auch unglaubwürdig.

Und wenn ich auch weiss,
dass es die Notlösung meiner Seele war
solche Reaktionen zu erzeugen
so fühle ich mich doch seither
so sehr enttäuscht von mir selber…

Ladina, 29.Februar 2004

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Wenn ich mir einst ein Grab aussuche
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Schon lange steht für mich fest,
dass ich mich kremieren lasse
aber ebenso lange weiss ich,
dass ich trotzdem ein Grab mit Blumen haben möchte
an einem hübschen Ort.
Wenn ich mir einst ein Grab aussuche
so möchte ich eines,
das an einem wohltuenden Platz liegt,
nicht gleich angrenzend an eine Mauer oder eine Strasse
vielleicht unter einem grossen Baum, auch welchem Vögel singen.
Wenn ich mir einst ein Grab aussuche
an einem schönen Ort,
so tue ich das nicht für mich,
so habe ich noch ein letztes Mal vielleicht die Möglichkeit,
eine wohlwollende Geste für meine Freunde und Angehörigen zu machen,
indem ich mir ein Grab aussuche
an einem guten Ort
wohin man gerne kommt
und getröstet wieder geht…

Ladina, August 2004
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Silbermantel
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Einmal
an einem düsteren Regentag,
wo ich schon glaubte, es würde nie mehr aufhören zu giessen,
schaute ich zum Himmel hoch und ich entdeckte,
dass jede dieser dunklen Wolken
einen Silberrand besass,
der wie ein Trost wirkte
und der eine Art Leichtigkeit oder Erleichterung in mein Herz brachte.
Und oft habe ich seitdem zu den Regenwolken aufgeschaut
und von jeder leuchtete mir ein Silberrand entgegen,
egal wie dunkel die Wolke auch war.

Auch auf der Erde bei den Menschen gibt es Wolken,
schwere dunkle Wolken aus Verleumdungen, Streitereien, Krieg, Unglücken, Krankheit, Schmerzen, Trauer und Leid.
Wolken, die dunkler nicht sein könnten,
an denen Existenzen zerbrechen
und manchmal das Leben.
Diese Wolken haben meist keinen Silberrand -
sie sind schwarz und bedrohlich, lassen keinen Ausweg erkennen,
manchmal kann Regen in Form von Tränen sich aus ihnen lösen,
oft aber bleibt nur Starre und Verständnislosigkeit
und Dunkelheit und Leid in der Seele
und viele sind durch solche Wolken
regelrecht aus dem Leben gescheucht worden.

Auch mein Tag war heute voller dunkler Wolken,
schwarzer, schwerer, vernichtender und unheilvoller Wolken,
an denen ich zu zerbrechen drohte und auch mein Leben.

Aber ich lebe noch weil ich Zuflucht gefunden habe
und meine Wolken dadurch einen Silberrand erhielten.
Einen Silberrand durch einen verstehenden, mittragenden
liebevollen und fürsorglichen Menschen,
der den Tränen Raum liess,
den Fragen ein Ohr schenkte
und dem Körper den äusseren Frieden.
In allem Leid leuchtete dennoch ein Licht,
die dunklen Erdenwolken haben einen Silbermantel umgelegt bekommen
behutsam und voller Wärme
und mit einem Hauch von Zuversicht.

Auch so kann Palliativ-Pflege verstanden werden,
kann psychisches Leid ummantelt werden
durch Aushalten, Mittragen, Lindern
ohne grossen Aufwand, ohne teure Auslagen
einfach im Dasein und Dableiben
damit das Sein und das Bleiben, also das Leben
für den leidenden Menschen wieder einen Sinn und ein Licht bekommt
welche hindurchtragen
durch all die schweren Tage.

(Liebe Frau S., ich kann Ihnen nicht mit Worten sagen, wie sehr Sie mir heute geholfen haben, wie viel mir das auch für das Morgen noch wert ist. Für immer in tiefer Dankbarkeit an meine Atemtherapeutin, die, zusammen mit Barbara und Reni wesentlich dazu beitrug, dass ich die Mobbing-Attacken meiner Chefin lebend überstand)

Ladina, 10. September 2004
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Von der Last, sich nicht vorbereiten zu können
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Lange Zeit war die dunkle Seite meines Lebens meine schwere Erkrankung, bzw. die Veranlagung zu Krebs.
Schon das Bestehen der jeweiligen Situation,
sei es eine Therapie gewesen oder eine Untersuchung
kostete mich enorm viel Kraft.
Die helle Seite war der Gedanke wieder an die Arbeitsstelle zurück zu kehren,
zu all den Mitarbeiterinnen und Kunden,
die sich immer freuten, mich wieder zu sehen.
Das gab mir Kraft und Durchhaltewillen.

Heute denke ich oft, wozu habe ich nur so gekämpft,
denn die Situation auf der Arbeit wird mehr und mehr zur Hölle.
Was die ganze Krankheit nicht fertigbrachte in all den Jahren,
schaffte das Verhalten meiner neuen Chefin in wenigen Monaten.
Ich drohe zu zerbrechen,
und habe Angst vor dem Morgen.

Auch die Krankheit hat, wenn sie fortschreitet gewiss ihre Schrecken,
an die ich nicht ganz gelassen denken kann.
Doch ich kann mich dennoch gedanklich annähern
an all die Möglichkeiten und überlegen oder schriftlich festlegen,
was dann noch für mich in Frage kommt.
So habe ich mit dem Gedanken an Hirn- und Lungenmetastasen
ebenso auseinandergesetzt,
wie mit der Möglichkeit, eine Brust oder einen Arm zu verlieren.
Durch all die intensiven Gedanken ist mir jede dieser Situationen
irgendwie vertraut geworden,
manchmal halfen mir Gleichbetroffene.
Ich bin darauf, soweit man das kann, vorbereitet.
Es ist kein echter Schrecken mehr.

Was mir aber bei der Arbeit passiert
lässt sich nicht vorwegdenken.
Ich weiss von keinem, dem es gleich gegangen ist
alles drischt unvorbereitet auf mich ein
es übersteigt mein Vorstellungsvermögen,
es verletzt mich weitaus schwerer als der Krebs
und es hat den Lebenswillen geschwächt.

Der Gedanke, dass mir gesagt würde, da ist wieder ein Tumor,
der ist nicht mehr so grauenhaft wie jahrelang davor.
Ich will nicht sagen, die Arbeitsseite sei jetzt dunkel und die Krankheitsseite hell,
aber sie haben nun in etwa die gleiche Farbe
und was die Krankheit am Körper vollzieht,
machen meine Chefin und die Personalchefin mit meiner Seele und meiner Zukunft.
Bösartig und vernichtend sind sie nun alle beide.

Ladina, 11.September 2004
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
SCHWEIGEN
°°°°°°°°°°°°

Dort, wo Schweigen
Bände spricht
wo stumm mehr gesagt wird
als mit tausend Worten,
dort hat das Hören keinen Platz,
dort braucht es Menschen,
die HORCHEN können,
damit eine zerbrochene Seele
Zuflucht findet

Ladina, Dezember 2004
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Traum-Bilder
°°°°°°°°°°°°

Meine Träume in der Nacht
verkünden derweil Krieg.
Bomben
Kampf
Feuerroten Himmel
Rauch aus Ruinen
aber auch
körperlichen Schmerz
Wunden an mir
inneren Druck
Infusionen und Übelkeit

Erinnerungsträume
oder
Zukunftsträume?

Ladina, Dezember 2004

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Draussen vor der Tagi
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Auf einer winterlichen Stadtwanderung
führte mich heute der mehr oder weniger zufällig gewählte Weg
direkt zum Eingang der Tagesklinik am Kantonspital.
Bis vor 2 Jahren ging ich hier wöchentlich 1-2Mal rein und raus,
ich kannte all das Personal,
hatte bald raus, ob Arbeitsplan A oder B in Kraft war,
wusste oft sogar, an welchen Tagen ich welches Personal antreffen würde.
Und nun bin ich tatsächlich draussen.
Ich lebe ein praktisch normales Leben ohne Tagi,
ohne wöchentliches Blutbild, ohne ambulante Chemo, ohne Medi-Spiegel, ohne Port-Spülen.
Ich stehe draussen und muss nicht rein,
nicht heute, nicht morgen, nicht in absehbarer Zeit,
längst weiss ich nicht mehr, wer dort noch arbeitet.
Ich bin tatsächlich draussen,
abgenabelt von der Tagi.
Dieses Glücksgefühl und Bewusstsein
verleiht mir buchstäblich Flügel in der Seele.
Ich schwelge in dieser Euphorie.
Wenngleich ich auch nicht geheilt bin,
so fühle ich mich praktisch gesund und ganz weit oben,
so, als hätte ich die Krankheit hinter mir
und sie ganz alleine im Schlammassel sitzen lassen.

Ladina, Dezember 2004
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Ich bin da
°°°°°°°°°°

Nichts ist mehr so, wie ich es verlassen habe, als ich ging
in die jahrelange Behandlung
mit Chemo, Bestrahlung, OP und KMT
mit all ihren Beschwerden
aber auch mit all den Hoffnungen.
Nichts ist mehr so wie es war,
die Leute sehen mich nun anders,
die Freunde von damals sind fort,
alles, was damals Halt gab, ist verschwunden
nur ich
ich bin noch da,
neue Freunde sind da,
das Leben ist da und mir wieder wohler gestimmt
- all dies nährt Hoffnung
inmitten der Sinnlosigkeit einer unheilbaren Krankheit
- all dies schenkt Mut
für jeden neuen Tag.

Ich bin zwar angeschlagen an Leib und Seele
aber dennoch nicht ganz zerbrochen.
Ich bin noch da und lebe noch gerne
trotz allem.

Ich bin tatsächlich noch da
und ich bin nicht allein!

Ladina, Dezember 2004
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Man trennt sich nicht so leicht
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Man trennt sich nicht so leicht von dem Ort,
an dem man 15 Jahre lang mit Leib und Seele tätig war.
Ich habe hier viel Schönes erfahren
stets ein gutes Verhältnis zu Arbeitskollegen und Kunden gehabt
ich sah Kinder heranwachsen
vom Baby zum Jugendlichen
vom Kind zum Erwachsenen
Ich habe manches Schicksal miterlebt und manchmal Kummer lindern können.

Man trennt sich nicht so leicht von dem Ort,
an dem man 15 Jahre lang mit Leib und Seele tätig war.
Ich war hier tief verwurzelt.
Wenn es mit schlecht ging, haben mir die Gedanken an die Menschen hier
wieder neue Kraft gegeben.

Doch jetzt ist es anders,
trotz allem Trost und Beistand,
trotz allem Mitgefühl von den Kollegen
in mir ist dunkle Nacht, ein grosses schwarzes Loch
ich kann einfach nicht mehr.
Ich muss gehen.

Der Hass eines einzigen Menschen hier hat alles zerbrochen
was ich bis jetzt noch glauben konnte,
an was ich mich bis jetzt noch halten konnte.
Mobbing - ich habe dieses Wort nie benutzt bis heute.
Ich habe abgewiegelt, wenn andere schon längst davon sprachen.

Seit dem 22.12.05 hat sich das verändert.
2 Tage vor Weihnachten habe ich das Messer an den Hals gesetzt bekommen,
mit Hinterlist hat mich diese Chefin in eine Falle gelockt.
Mir wurde Angst in die Seele gepflanzt, pünktlich zum Fest der Liebe.
Ich kann nicht mehr lachen,
nur manchmal rinnen leise Tränen

Ich trauere um den Ort, der 15 Jahre lang meine 2.Heimat war

Ladina, 25.12.2005
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Gekündigt
+++++++

Wer etwas wirklich will
sucht Wege
und schafft Auswege.
Wer etwas nicht will
sucht Gründe
und schafft Abgründe!

Ladina, 26. 12. 2005
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Mitternachtsmesse
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Mein erster Kontakt damals mit der Mitternachtsmesse
war in der 4.Klasse, wo wir mit dem Kinderchor dort
Weihnachtslieder aus aller Welt sangen.
Seitdem bin ich alle Jahre immer wieder dabei, selbstverständlich
Dann die Rückkehr der Krankheit 1979,
die alles in mir und meinem gewohnten Alltag ins Wanken brachte,
auch diese Messe- inzwischen in jahrelanger Tradition von einer Bläsergruppe begleitet,
deren Spiel mich stets von neuem erfreute, vor allem Stille Nacht,
1980 durfte ich zu Weihnachten heim, aber nicht in die Messe wegen tiefen Leuko-Werten.
Weihnachten ohne Messe ist kein richtiges Weihnachten.
Ich stahl mich in die Kirche wie Aschenbrödel zum Ball,
verhüllt mit Mundschutz und Schal wohnte ich zuhinterst in der Kirche-
auf dem Sprung neben der Tür, 2 Strophen Stille Nacht bei
und huschte in der dritten wieder raus und heim ins Bett,
so als wäre nichts gewesen und ich hielt die Melodie in mir wach.
Der Wille: ich bin nächstes Jahr wieder dabei,
liess sich nicht beugen trotz der bangen Frage:
Bin ich nächstes Jahr überhaupt noch da?
1981-1986 war ich da.
1987 und 1988 leider nicht, nur in Gedanken
der Wille und die Frage blieben
1989 klappte es wieder
1990, die Umstände waren problematisch, man wollte mich partout nicht mitnehmen im Rollstuhl, mich nicht ausstellen, all die Fragen, ach nein, bleib doch zu Hause, das ist doch alles so unbequem.
Sie gingen zu Fuss ohne mich,
ich dachte, lieber ausgestellt als abgeschoben und weggesperrt und fuhr,
kaum waren sie ausser Sichtweite, an die Tür,
rief: Wer hilft mir? in die Nacht hinaus.
Ein später Nachbar war mein Helfer.
Wir blieben beide hinten, zur Kommunion bat ich ihn, mich hinauszufahren, damit mich die Eltern nicht sehen.
Nach der Kommunion holte er mich leise wieder rein UND gab mir eine Hostie!
Es war für mich so eine Geste, wie sie nur vom Himmel selbst kommen kann, es rührte mich zu Tränen und auch als Stille Nacht mit den Bläsern gesungen wurde, weinte ich.
Nach der 2.Strophe fuhr ich ab, wieder heim, die kurze Treppe schaffte ich robbend, und zog mich dann an der Türe hoch.
Nur der Rollstuhl blieb halt draussen stehen und verriet mich praktisch,
doch an Weihnachten streitet man ja nicht.
Die folgenden Jahre war ich immer offiziell dabei
in verschiedener Verfassung
oft ohne Haare, 2 mal mit Mütze, 2 mal mit Perücke
Jedes Jahr die gleiche Frage und der gleiche Wunsch, der sich zum Willen formte.
Jedes Jahr seit 1989 auch plaudern mit Karin,
auch dort dieses Versprechen: Tschüss, bis nächstes Jahr!
obwohl wir beide wissen, dass es nicht so selbstverständlich ist.
1994 lag ich auf der Intensiv,
2003 fiel ich wegen eines bronchialen Infektes aus,
aber dieses Jahr, war ich wieder da.
Bei der Kommunion sah ich förmlich Karin's Erleichterung, ihr Aufatmen und den leichten Schubs an ihre Mutter: "Da, Ladina!"
Stilles Einvernehmen im Vorübergehen
Zunicken als Zusage: Nachher draussen
Es ist schön, wenn man erwartet wird.
Die Frage und der Wille sind immer noch da.
Bleiben wohl, wie die schöne Tradition der festlichen Bläserbegleitung.
Bleiben wie die Rührung beim Stille Nacht
Und so lange sie da sind, glaube ich
hoffe ich und lebe ich - trotzdem.
Ich bin nicht ignorant geworden, ich bin nicht überheblich,
ich traue mir nicht alles zu,
doch in mir lebt der Wunsch, mehr zu erreichen.
Hier in dieser Mitternachtsmesse mit ihren festlichen Klängen
feiere ich für mich jedes Jahr das Fest der Liebe
und immer wieder den Sieg meines Lebens!

Ladina, Dezember 2004
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Ewigkeit
°°°°°°°°

Ich habe früh in meinem Leben
Endlichkeit erfahren,
das Gefühl, dem Tod schon bald preisgegeben zu sein.
Jeder neue Tag ist darum ein Sieg
und ein freundliches Augenzwinkern der Ewigkeit,
das mir zuteil wird

Ladina, Februar 2005
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Vertraute Hand
°°°°°°°°°°°°°°°

Angekommen
Angenommen
Aufgenommen
Warm und sacht umgeben
Geborgen sein

Eine vertraute Hand halten oder einen vertrauten Menschen umarmen
ist wie eine Heimat gefunden zu haben
auf Zeit

Ladina, März 2005
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Wichtig ist in allem Leid,
dass irgendwo ein Zeichen der Hoffnung
sicht- oder spürbar bleibt

Ladina, Juni 2005
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

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Ende meiner Gedichte
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Jens B
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Klasse Gedicht !

Beitragvon Jens B » Mi 4 Jun 2008 20:33

Hallo liebe LADINA ! Ich habe einige Deiner Gedichte gelesen, sie gefallen mir sehr gut ! Eines hat mich aber besonders beeindruckt / "berührt" und zwar: "Die Hoffnung findet ihren Platz" Sehr schön, macht sehr nachdenklich....
Viele liebe Grüße und alles Gute ! Jens B

negueza
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Beitragvon negueza » Mo 16 Jun 2008 23:30

Liebe Ladina, danke für Deine Antwort auf meine Frage.
Es ist zwar schon spät, aber dennnoch will ich Dir schreiben.
Vor einer guten Stunde ging das Fussbalspiel Deutschland gegen Österreich zu Ende. Die Deutschen haben gewonnen und sind nun im Viertelfinale der Euro-Meisterschaft. Nun ist hier seit über einer Stunde auf den Strassen, die unser Haus umschliessen wie ein Ring, die Hölle los. Die Wilden fahren mit ihren Autos diesen Rundkurs, betätigen die Hupen an ihren Fahrzeugen ohne Unterbrechung und johlen lautstark. Leider schreitet die Polizei da nicht ein.
Nun aber zu Deinen Gedichten, die ich jetzt schon zu einem Teil gelesen habe. Du hälst uns Betroffenen in manchen dieser Gedichte einen Spiegel vor. Man erkennt sich sehr oft wieder in den Texten. Sie geben Trost und stossen uns an, zu kämpfen oder sich mit dem Krebs zu arrangieren. Das Letztere will ich gerade nicht, weil ich dann einem Feind einen Platz an meiner Seite anbieten würde. Ich habe m ich dazu entschlossen zu kämpfen. Noch habe ich sehr viel Kraft dazu in mir. Ich hoffe, dass das noch recht lange so bleibt.
Jetzt muss ich aber doch zum Ende kommen, aber zum Schluss möchte ich Dir auch etwas mit auf den Weg geben, den wir beide ja offensichtlich ein gewisses Stück gemeinsam gehen, ohne es zu wissen.:
GLAUBE NIE, wenn etwas schwer erscheint, dass es Dir nicht möglich sei, es zu meistern! Wenn etwas irgendeinem Menschen möglich war, dann ist es auch für Dich erreichbar. Wage Dich deshalb mutig an Dinge, an deren Durchführbarkeit Du anfangs zweifelst und vertraue auf die Überlegenheit der inneren Kraft über die äusseren Dinge und Umstände. Lucius Annaeus Seneca

Und dann habe ich noch ein sehr schönes Gedicht. Geschrieben von einer Frau, die ich sehr verehre. Ich lernte sie während meines Aufenthaltes in einer Klinik für Traditionelle Chiniesische Medizin kennen. 5 1/2 Wochen sassen wir gemeinsam an einem Tisch zu den Essenzeiten. Frau Michler ist schon über 8o Jahre alt. Sie hat 20 Gedichtsbände verfasst. Eines schöner als das andere: Es trägt die Überschrift "Ich wünsche Dir Stille"
Ich wünsche Dir Stille,
denn Dein Tag ist zu laut
und sein Lärm bringt Dir Pein.
Es gelingt Dir nicht mehr, bei Dir selber zu sein.
Ich wünsche Dir Stille.
Weisst Du noch, was das ist?
Lass es nicht so weit kommen,
dass Du die Stille schon nicht mehr vermisst!
Ich wünsche Dir Stille,
um Kraft zu behalten.
Um innezuhalten, um Atem zu holen,
muss Schweigen walten.
Ich wünsche Dir Stille.
Bevor Dich das Treiben der Welt
taub und stumpf gemacht hat,
geh hinaus in den Wald
und verlasse die Stadt
oder schliesse Dich ein,
bis die Stille Dein Eigen.
Hat der Tag Dich geschunden,
hilft Dir Einkehr im Schweigen.
Nur die Stille allein lässt Dich wieder gesunden!
Elli Michler
Soviel nur noch zur Poesie. Auch Deine Gedichte haben mich beeindruckt. Sie eignen sich sehr gut dafür, anderen in diesem Forum Kraft zu geben, um gegen diesen Feind in unserem Körper anzugehen.
Es ist jetzt gleich 0.25 Uhr und die Augenlider werden schwerer. Der Lärm auf der Strasse ist verschwunden. Nun kann die Stille Einkehr halten.
Ich wünsche Dir eine gute, angenehme Nacht mit einem erholsamen, schmerzfreiem Schlaf. Und träume etwas sehr schönes.
Ich schicke Dir mehr als tausend gute Wünsche.
Dein Eugen

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Nachtrag

Beitragvon Ladina » Do 25 Dez 2008 22:33

Ich entrümple gerade meine Schreibnotizen und fand eben noch etwas, das hierher passt.
Gerade zum Jahresende finde ich, passt es gut und ausserdem ist jeder Tag geeignet, um sich bewusst zu machen, dass man ganz viel Glück gehabt hat und für dieses Glück zu danken. In Gedanken auch immer bei den Freunden, die dieses Glück leider nicht hatten, heute besonders verbunden mit Andres Gut, der 63jährig an Mandelkrebs gestorben ist. Ein mutiger, engagierter, herzensguter Mensch, dem ich das Glück, das ich hatte, so sehr auch gewünscht hatte:

Pierre und ich
++++++++++++


Vor 15 Jahren trafen wir uns im CHUV auf der Kinderonkologie
Er war damals 10, ich 17
wir wurden beide wegen B-ALL behandelt
erhielten dieselben Medikamente
hatten fast denselben Therapieplan.
Meistens, wenn es uns etwas besser ging, trafen wir uns im Spielzimmer
zu einem Plausch mit den andern von der Station
- mit Ann-Cathrin, mit Yvonne, mit Nathalie, mit Salvatore, mit Janic, mit Davide, mit Leila, mit Jérome
Wir wussten beide um die Gefährlichkeit unserer Krankheit und manchmal tauschten wir unsere Gedanken aus.
Wir blieben in Briefkontakt nach der stationären Zeit,
und trafen uns jedes Jahr ein bis zweimal zum Plaudern.
Ausserdem trafen wir uns öfter auch auf Beerdigungen unserer ehemaligen Kameraden von der Kinderonko.
Wir waren bei Ann-Cathrin, bei Jérome, bei Nathalie und bei Davide
und neben all der Trauer
beschäftigte jeden von uns die bange Frage:
"Werde ich die/der nächste sein?"

Doch das Schicksal meinte es gut mit uns. Lange, lange mit uns beiden. Dann wurde er plötzlich krank. Er dachte, es ist nur eine Grippe. Die Angst vor einem Rückfall war nach über 15 Jahren kaum noch da.
Als ihm der Gedanke doch kam, war es leider zu spät, die Therapie griff nicht mehr.

Er starb im September 2004 und ich bleibe noch am Leben.
Warum?
Weil ich stärker war als er, tapferer?
Weil ich mehr gekämpft habe?
Weil mein Krebs nicht so schlimm war wie seiner?
Nein!!!
Ich habe einfach nur Glück gehabt....

Ladina, Dezember 2004

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Jens B
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Kommentar zum Beitrag von Ladina: "Pierre und ich"

Beitragvon Jens B » Do 25 Dez 2008 23:23

Hallo,

ich habe gerade den Beitrag: "Pierre und ich" von Ladina gelesen.
Ich war zu Tränen gerührt!
Dabei ist mir (wieder) bewußt gewurden, dass nicht "nur" EISENER WILLE, Tapferkeit, Mut, Zuversicht - aber auch Vertrauen zu den Ärzten - und unendliche Kraft und Kämpfen unbedingt (!) nötig ist! Sondern, natürlich auch eine große Portion Glück ist von Nöten !!!
Ich wünsche Allen dieses Glück von Herzen!

Euch alles Gute, Jens B.

Bienli
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Eine andere Weihnachtsgeschichte.....

Beitragvon Bienli » Do 25 Dez 2008 23:27

Liebe Ladina

Wow - wieder mal ein Gedicht von dir!

Hast du schon mal daran gedacht, deine vielen Gedichte zu veröffentlichen?

Du machst den kranken Menschen mit deinen Gedichten so viel Mut.

Liebs Grüessli

Bienli

Ladina
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Danke

Beitragvon Ladina » Mi 31 Dez 2008 0:39

Machtwort¨
°°°°°°°°°°°°°


ˆˆˆˆˆBei der ersten Krebsdiagnose
fällt mit dem Wort „Krebs“
die ganze Welt in sich zusammen.
Nichts Schlimmeres kann man sich vorstellen,
stockfinster ist es rundherum.

Hatte man schon einmal Krebs
bekommt dieses Wort nicht mehr so eine Macht,
es verliert seinen ganz tiefen Schrecken
und auch wenn der Himmel
sich erneut verdunkelt mit der Diagnose
so leuchtet tief in einem drin ein Stern
der eine mögliche Heilung
verheisst^^^^^^

Dies schrieb ich mit knapp 16 Jahren,
als ich noch nicht wusste,
dass jeder Rückfall einer zuviel ist,
jede Neuerkrankung ein neues hohes Risiko birgt,
dass es einem nichts nützt,
schon Erfahrung in der Bewältigung einer Krebserkrankung zu haben,
weil jede Wiedererkrankung einen nicht stärker sondern schwächer macht.
Als ich mit 21 Jahren wieder erkrankte wusste ich das alles,
ich nahm den Kampf erneut auf
doch in mir trug ich das Wissen, dass die Sterne der Zuversicht
weit, weit weg sind,
dass alles irgendwie nicht nur in meiner Hand liegt
und auch nicht in der Hand der Ärzte allein.
Dass etwas Grösseres auch dasein muss.
In dieser Zeit lerne ich zu beten
und zu danken für die guten Tage,
die erst eher spärlich,
aber mit der Zeit wieder öfter kamen
und irgendwann blieben.
Wie durch ein Wunder.
Das Wunder hält an bis heute.
Dieses Jahr wurde ich 41 Jahre alt.
Ich bete noch heute
und danke für die guten Tage,
für all die guten Tage,
die es gab
und immer noch gibt in meinem LEBEN.
In meinem wiedergeschenkten LEBEN

Ich habe allen Grund zu danken,
Gott, dem Himmel, den Ärzten und Forschern, den Freunden und auch den Menschen hier im Forum.

Ich danke Euch allen und wünsche Euch von Herzen das Beste im neuen Jahr und all die Tage, die danach noch kommen. Dass es immer mehr gute Tage sind und dass an schlechten Tagen Menschen da sind, die freiwillig ihr Herz und ihr Gefühl in und an Euch wirken lassen, damit der Lebensmut genährt wird und wieder wachsen kann.

Ladina, im Dezember 2008


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Re: Auch im Tal blühen Blumen - Erfahrungsgedichte von Ladina

Beitragvon Ladina » Mo 20 Mai 2019 17:45

ACHTUNG - Thema In Bearbeitung - bitte hier vorderhand nichts schreiben

Bilanz
°°°°°°

Ich sitze sinnend im Park des Kantonsspitals
und denke zurück.
Genau auf der selben Bank sass ich vor 13 Jahren auch,
damals, als sie mir sagten, dass der Krebs wieder da sei.
In die anfängliche Hoffnungslosigkeit damals,
mischte sich irgendwann ein Gefühl der Zuversicht,
ich verspürte Kraft in mir und ich war so sicher, es nochmals schaffen zu können.
Die Heilung als Hauptpreis stets vor Augen,
so kämpfte ich mich durch all die Jahre,
und jetzt, 13 Jahre später ziehe ich Bilanz.
Was habe ich erreicht?
Wie weit bin ich gekommen auf dem Weg der Hoffnung?
Ich könnte entmutigt und traurig sein,
denn noch immer hält mich die Krankheit in ihren Klauen gefangen,
doch irgendwie fühle ich mich befreit und glücklich.

Den Hauptgewinn habe ich nicht geholt,
aber die vielen grossen und kleinen Trostpreise,
die mir von lieben Menschen zuteil kamen und kommen,
die sind so viel kostbarer,
als er es je hätte sein können….

Ladina, September 1998

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Entscheidung gegen die Glückspille
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Inmitten von Gefühlen des unbeschreiblichen, inneren Glücks
überfällt mich wieder die Traurigkeit
und reisst mich mit sich in die Tiefe.
Und wieder steht die Frage im Raum:“ Wollen Sie nun nicht doch Stimmungsaufheller nehmen?“
Die meisten raten mir dazu (wohl mehr zur eigenen Erleichterung),
doch ich habe Angst davor, meine Persönlichkeit dabei zu verlieren
und ebenso meine Fähigkeit zu schreiben, auch über Schweres
und ich schüttle den Kopf und sage NEIN.
Nein zu einer Tablette, die auf ewig Sonnenschein in mein Gemüt brächte
und Nein auch zum Fortbestand von Kontakten zu Menschen,
die mich nur fröhlich sehen möchten.
Gleichzeitig mit dem Nein zur Tablette
sage ich JA zum Leben mit der Krankheit.
Zum ganzen Leben mit der Krankheit,
zu dem gerade solche Stimmungen mit dazu gehören,
weil sie eine Auseinandersetzung fordern und gelebt werden möchten.

Gelebt werden MÜSSEN
um wirklich zu vergehen…….

Ladina, Willisau, im September 1998

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Auf dem Friedhof
°°°°°°°°°°°°°°°°
Jeden Monat ungefähr 4 mal
besuche ich ganz besondere Freunde.
Ihnen kann ich alle Fragen stellen
und nie sagt einer von ihnen zu mir: Sei doch still.
Bei ihnen finde ich eine Art von Trost,
die nur Freunde wie sie zu geben vermögen.
Meine Freunde sind unterschiedlich alt.
Sonja O. ist 18, Marianne St. ist 12, Bea Z. 19 und Fabio S. gerade mal 3.
Roger B. ist 26 und Hildegard di Chello ist 40.
Heute, morgen, in einem Jahr.
Sie werden nie mehr älter, denn ihre Lebensuhr ist für immer stillgestanden
und ich kann sie alle nur noch auf dem Friedhof besuchen.
Ich stehe andächtig vor den Kreuzen oder Steinen, sage leise Hallo, weine manchmal,
erzähle etwas und ich schöpfe kraft.
Viele sagen mir:“ Das tut doch nicht gut, so oft auf den Friedhof zu gehen. Du musst dich dem Leben zuwenden!“
Sie verstehen nicht, dass ich auf dem Friedhof etwas finde,
was sie alle mir nicht geben können.
Und sie wissen noch nicht,
dass es Fragen gibt,
die niemand so deutlich beantworten kann,
wie ein stummer Freund,
der lange neben mir ging und mir im Tod vorausgegangen ist.

Ladina, September 1998

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Fragen über Fragen
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Ganz zu Anfang, als ich als Jugendliche erneut an Krebs erkrankt war,
fragte ich jeden, der mir über den Weg lief:“ Warum passiert mir das nun wieder?“
Ein Theologe antwortete mir:“ Gott will Kämpfer haben. Er schaut von oben zu
und wenn ihm Dein Kampf gefällt, wird er Dich belohnen!“
Irgendwie habe ich daraus damals Kraft geschöpft,
Kraft, den geforderten Kampf zu führen.

Doch nun, nach so langer Zeit,
überfordert es mich immer mehr.
Ich warte schon so lange auf die verheissene Belohnung.
Was muss ich denn noch alles dafür tun?
Immer öfter frag ich mich:“ Will Gott wirklich Kämpfer haben?
Ich liebe mein Leben, aber so wird es mehr und mehr zur Qual.
Immer neue Therapien, in der Hoffnung, etwas von meinen Träumen ins Leben hinüberzuretten,
aber dafür Schmerzen, Ängste und Ungewissheit ertragen,
im festen Willen, nicht unter dieser Last zusammenzubrechen.

Wann wird mein Mut belohnt,
und bedeutet die Liebe zum Leben
wirklich immer nur Kämpfen?

Müsste ich nicht besser geschehen lassen, was geschieht?

Wird ein ständiger Kampf
der Liebe und dem Respekt zum Leben
überhaupt gerecht?

Wie weit darf die Liebe zum Leben denn gehen?
Darf sie ständig Grenzen überschreiten,
darf sie zwischen zwei Fronten existieren?

Fragen über Fragen, die ich mir oft stelle.
Fragen, die gerade jetzt nach überstandener Hyperthermie wieder in mir aufsteigen.
Fragen, die ich keinem stellen kann.

Vielleicht wartet Gott ja auch nur darauf,
dass ich aufgebe, dass ich die Waffen weglege
und es einfach geschehen lasse, was er vorhat mit mir,
auch wenn ich nicht weiss, was?

Vielleicht wartet er,
dass ich Vertrauen zu ihm fasse und daran glaube,
dass er seine Hand schützend um mich legt,
wenn Gefahr droht?

Vielleicht wünscht er sich nur das?

Ladina, Im Oktober 1998

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Morphium
°°°°°°°°°
Sie scheint in allen Gemütern verankert zu sein
wie eine ungeschriebene Weisheit:
Setzen Ärzte gegen starke Schmerzen Morphium ein,
so denken Patienten wie auch Angehörige erschrocken und verzweifelt: > Oh je, das kann nichts gutes bedeuten,
jetzt geht es mit Riesenschritten dem Ende zu <
Und die meisten wehren sich und sträuben sich innerlich wie äusserlich
eine solche Behandlung zuzulassen.

Doch wenn die Schmerzen wie eine ewige Folter sind,
wird der Leidensdruck eines Tages zu gross und man lässt sich helfen, egal wie.
Hauptsache, die Schmerzen verschwinden oder werden zumindest erträglich.

Unstillbare Schmerzen sind viel schlimmer als Morphium,
sie bedeuten viel eher das „AUS“!
Sie schwächen und rauben die Lebenskraft,
sie nagen am Überlebenswillen, bis er zusammenbricht,
sie beenden mit einem Schlag alles, wofür du vorher aktiv warst und sein wolltest.
Du kannst nichts mehr tun.
Schmerzen lassen Wünsche wach werden nach Erlösung, machen Todessehnsucht erlebbar.

Ich habe beides am eigenen Leib erfahren.
Unerträgliche Schmerzen und Morphium,
und ich habe es,
wie andere auch, überstanden.

Ich weiss nun,
dass Morphium nicht nur zum kurz bevorstehenden Lebensende zum Einsatz kommt,
dass es nicht gleichbedeutend ist mit Hoffnungslosigkeit und Resignation.

Morphium ist nur das Ende für die Schmerzen,
nicht aber für den Menschen, der es erhält.
Morphium läutet nicht in jedem Fall die Terminalphase ein
oft wir es ( vorübergehend ) gegeben,
damit die Lebenskraft sich neu aufbauen kann
und ein Weitermachen,
ein Weiterleben wieder möglich ist.

Ladina, 22.Septemer 1999

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Die Freiheit eines Kranken
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Immer wieder höre ich Angehörigen von kranken Menschen zu,
wie und was sie berichten,
was für Freuden sie haben und was die Qualen ihres Alltags sind.
Und immer wieder höre ich eine Anmerkung heraus: Aber sie/er ist halt krank!
„Sie tyrannisiert uns alle, aber sie ist halt krank!“
„er treibt mich mit seinen Launen an den Rand der Verzweiflung, aber er ist halt krank!“
„Sie mäkelt an allem rum, nichts kann ich recht machen, nie kommt ein liebes Dankschön, aber sie ist halt krank!“
Und immer ergibt dieses: “Aber sie/er ist halt krank“
die beinah logische Ergänzung – also dürfen sie das
also kann ich nichts sagen, mir geht es ja sonst gut, ich muss halt tapfer sein dabei.“
Immer wieder
macht mir diese Äusserung Angst.
Angst und Kummer, jetzt oder eines Tages auch eine Qual zu sein
für meine Betreuer,
und geduldet zu werden, bloss weil ich krank bin.

ich wünsche mir für diese Tage, wo ich vielleicht auch unleidig werde,
nichts sehnlicher,
als diese Freiheit des Kranken nie gewährt zu bekommen.
Diese Freiheit, die alles erlaubt,
Bösartigkeit, Undankbarkeit, Tyrannei.
diese Freiheit, die soviel an Verletzendem in sich trägt.
Diese Freiheit, die im Grunde ein Gefängnis ist
und in der Ernstgenommenwerden sowie tiefes gegenseitiges Vertrauen
keinen Platz mehr finden können.

Bitte gewährt mir keine kranken Sonderrechte in meinen letzten Tagen.
Ich möchte einfach Mensch bleiben,
bis am Schluss.

Ladina, September 1999

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Worte
°°°°°°
Immer wieder
in jeder noch so schwierigen Situation
helfen mir Worte
Bedürfnisse zu äussern
Gefühle auszudrücken
Ängste zu beschreiben
Dankbarkeit zu vermitteln
den Weg zu meinen Mitmenschen zu finden.

Doch wieviele Menschen verfügen nicht über Worte
können ihre Gefühle nicht ausdrücken
stehen wie hinter einer verschlossenen Tür,
brennen vor Gefühl und bekommen keine Linderung,
weil sie keinen Ausdruck dafür finden?

Wieviele werden so ewig missverstanden
wie viele finden deshalb nie ein offenes Gegenüber?
Wie viele stumme Hilfeschreie werden überhört,
überall auf der Welt, auch hier in allernächster Nähe?

Menschen Worte zu vermitteln
müsste eigentlich genauso wichtig sein
wie ihre Körper zusammenzuflicken!

Ladina, Dezember 1999
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Kleine Energie-Spur
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Zuviel Energie spüre ich noch in mir
mich einfach hinzulegen und zu sterben
mich aufzugeben, meinen Träumen abzusagen.
Doch zuwenig Energie spür’ ich in mir
um vital zu sein, um mich ins Leben zu stürzen
um an eine kraftvolle Zukunft zu denken
um meine Träume zu leben-
Zuviel zum Sterben
zu wenig zum Richtig (Auf-) Leben
doch wahrscheinlich
gerade genug
um der Gegenwart Sinn zu geben.

Ladina, Januar 1999
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Verrücktheiten
++++++++++

Ausflüge aufs Rinerhorn, auf die Jungfrau, zur Kristallhöhle Kobelwald oder in die Nozon-Schlucht,
Fahrradtouren von Arosa nach Chur, von Engelberg hinunter nach Stans, von Nyon nach Morges,
Mit dem Postauto über den Klausen + Grimsel,
mit der Dampfbahn auf die Furka,
tagelang Muskelkater nach dem Abstieg vom Brienzer Rothorn,
Besuche bei Freunden aus nah und Fern
Teilnahme am Dielsdorfer und am Walliseller Sponsorenlauf für krebskranke Kinder
bei unserem Stadtlauf 35. gewordenvon 114 Läuferinnen…

Was vielen Menschen alltäglich erscheint,
ist für mich immer mit einem Sieg verbunden,
ist eine Verrücktheit, die ich mir leiste neben dem Krankenhausalltag,
ist für mich das Salz in der Suppe,
das mir nicht selbstverständlich serviert wird.

Gerade deshalb aber hängt daran eine besonders köstliche Erinnerung.

Ladina, Dezember 1997
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Hoffnung und Freude
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Hoffnung ist ein Licht in der Dunkelheit,
sie geht oft Hand in Hand mit einem schweren Schicksal,
das ohne sie unerträglich wäre.
Hoffnung ist oft ein letzter Strohhalm,
ein Halt, ohne den zum Weitergehen keine Kraft mehr bliebe.
Wirklich tiefe Freude begleitet die Hoffnung fast nie.
Hoffnung geht mit Sehnsucht einher,
der Sehnsucht auf bessere Zeiten.
Hoffnung geht mit Mut einher,
dem Mut, einen beschwerlichen Weg zu gehen.
Hoffnung geht mit Stärke einher,
der Stärke, die Not der Gegenwart auszuhalten.
Hoffnung geht mit Glauben einher,
dem Glauben an Hilfe von irgendwoher.
Hoffnung geht mir Liebe einher,
der Liebe zu jemandem, der die eigene Zukunft sinnvoll macht.
Hoffnung geht mit Geduld einher,
der Geduld zu warten, bis der Weg sich ebnet.
Hoffnung geht mit Zuversicht einher,
der Zuversicht, dass nach dem Dunkel das Licht emporsteigt.

Wo Hoffnung und Freude gemeinsam auftreten
da ist die Bühne des Lebens
um ein Wunder reicher!

Ladina, November 2000 (voller Staunen und Dankbarkeit für die Genesung eines schwerkranken Kindes, dem nur wenig Chancen zu Überleben prophezeit worden waren. Es lebt noch heute, tollt lebhaft herum und wenn es weint, dann „nur noch“ wegen einem aufgeschürften Knien oder weil es ein Spielzeug nicht bekommt)

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Re: Auch im Tal blühen Blumen - Erfahrungsgedichte von Ladina

Beitragvon Ladina » Mo 20 Mai 2019 17:47

20
***

Wenn ältere Menschen sich über ihr gesundheitliches Wohlbefinden unterhalten,
so hört man sie manchmal wehmütig seufzen:
"Ach ja, ich bin halt nicht mehr 20!"

20 wird mit Unbeschwertheit und Unbelastetsein assoziiert,
mit Wohlbefinden, Gesundheit, 100% Leistungsfähigkeit,
mit Leichtigkeit und allen Möglichkeiten
zu tun und zu lassen, was gefällt.

Ich werde nie leichthin, oder in selbstströstender Weise sagen:
"Ach ja, ich bin halt nicht mehr 20"
Mit 20 war ich äusserst gebrechlich wegen meinem Krebsleiden
und schon früher wurde ich konfrontiert mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und ihren Konsequenzen.

Ich werde nie wehmütig an dieses Alter zurückdenken (können)
und wenn ich mich auch inzwischen
an das Leben mit meiner Krankheit gewöhnt
und sie als teil meines Lebens akzeptiert habe,
so fühle ich mich doch derweil von ihr
um meine Jugend betrogen.....

Ladina, 31. August 2000

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Mein Gedankenzug
=============

Viele meiner Lieblingsplätze oder Ausflugsziele
erreiche ich mit dem Zug
- die botanischen Gärten und Parks
- die Ausgangsorte für Wanderungen oder Velotouren
- den Wohnort meiner engsten Vetrauten
- die Austragungsorte von Konzerten
und wann immer ich kann fahre ich hinaus mit dem Zug.

Doch es gibt so Tage oder auch Zeiten in meinem Leben,
da ist die Sehnsucht zu reisen, etwas neues zu entdecken, gross,
aber die Kraft dazu reicht nicht aus,
der ganze Wille ,
hilft dann nicht
und ich muss zuhause bleiben, auch wenn die Sonne scheint.

Dann fühle ich mich wieder wie die Geisel meiner Krankheit,
gefangen im dunklen Kerker des Einsamseins.
Manchmal dringt dann Traurigkeit, Wut und Verzweiflung zu mir vor,
peinigt mich und versucht mich abzdrängen
in die Mutlosigkeit, die keinen Hoffnungsschimmer mehr sieht.

Doch das lasse ich nicht zu,
ich besteige meinen Gedankenzug,
er fährt zurück, nicht vorwärts,
er macht Halt an den Stationen der Erinnerung
- dort wo ich einmal war oder öfter.
Er bringt mich an Orte voll Freude und Wärme,
voll Farbe, Weite und Licht,
voll Musik, voller Landschaftsbilder.
voll Herzlichkeit und Vertrauen,
voll Freiheit, Hoffnung, Geborgenheit und Trost
und ich geniesse Augenblicke voller Dankbarkeit
für das Dagewesene und Erlebte.

Wenn ich zurückkehre,
von einer Reise mit dem Gedankenzug
bin ich entspannt,
gelöst und befreit von den negativen Gefühlen davor.
Ich habe dann
keine neue zauberhafte Landschaft entdeckt,
aber das Glück in mir selber
wieder gefunden.

Ladina, 4. August 2002

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Re: Auch im Tal blühen Blumen - Erfahrungsgedichte von Ladina

Beitragvon Ladina » Mo 20 Mai 2019 17:48

Nachkontrolle
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Nach und nach füllt sich der Raum,
mit teilweise bekannten Gesichtern und flüchtigen Gestalten,
denen ich zur Obhut vorübergehend überlassen bin,
die alsbald verborgenes über mich erfahren,
die gespannt sind, es zu wissen, ähnlich wie ich
und doch ganz anders.
Ich bin nicht so sicher, ob ich alles wirklich wissen will, doch ich habe keine andere Wahl.
Selbst wenn mir das nun Folgende in allen Abläufen bekannt und in gewisser Weise sogar vertraut ist, tief drinnen, da ist es immer wieder das erste Mal, da flöst das alles Angst ein, da bebt man innerlich, während man äusserlich wie erstarrt wirkt, da möchte man weit,weit weg von alledem.
All das Wissen um die Notwendigkeit solcher Untersuchungen, nützt nicht wirklich gegen diese Gefühle.
Ein Kind darf schreien und seine Angst ausdrücken. Ein älterer, vielleicht verwirrter Mensch darf die Fassung verlieren und Bedenken äussern, wenngleich sie auch nur ungern gehört werden. Von mir als mündiger Person wird nur eines erwartet. Vernünftig zu sein.
Still und ergeben, mit Routine, Abgeklärtheit und Nüchternheit,
ohne Gegenwehr – egal wies drinnen aussieht – diese Stunden zu absolvieren,
als wäre nichts dabei,
als wäre das alles ganz einfach,
ja fast so, als wäre es gar nicht mein Leben,
das von den Befunden abhängig ist.

Ladina, 31 Jahre, Sommer 2000
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Ausgelacht
+++++++

Als ich vor 10 Jahren meine neue Arbeitsstelle antrat, wollte ich erst nicht, dass alle wissen, dass ich Krebs habe. Doch da war eine Mitarbeiterin, die stark rauchte, Marlboro und Parisienne, Barclay, Marylong und Camel. Immer, wenn sie in die Pause kam, ging ich wieder raus, auch wenn ich erst eine Minute da war.
Eines Tages stellte sie mich, fragte, ob ich etwas gegen sie hätte, weil ich sie offensichtlich mied.
Sie war die Erste, der ich sagte, was ich habe.
Ich sagte ihr, dass ich den Rauch nicht vertrage, dass ich schon eine isolierte Metastase in der Lunge hatte und das Entstehen neuer Krebstumore nicht provozieren möchte.
Sie hat mich einfach nur ausgelacht!
Hat mich hysterisch genannt, zu sehr auf mich und die Krankheit fixiert sei ich , sagte sie und es käme auf die Einstellung an, ob man Krebs bekommt oder nicht. Sie bekäme das nie, sagte sie, denn sie rauche aus der Freude am Leben heraus. Krebs träffe deprimierte Menschen, nicht die optimistischen, und sie liesse sich den Spass von mir nicht verderben, sie rauche trotzdem!
Ich war wie vor den Kopf gestossen von ihrer Standpauke, verstand nicht, wie man so denken kann.
Nie, in den ganzen 10 Jahren, saßen wir zusammen in der Pause.
Heute sitzen wir nebeneinander in der Onkologie.
Beide nervös, weil wir bald unsere Befunde mitgeteilt bekommen. Wir sprechen wenig, zu gross ist die Anspannung, unsere Stimmen zittern, klingen ganz anders als im Geschäft. Zum ersten Mal kann ich ihr Empfinden und ihre Gefühle verstehen.
Jetzt sitzen wir im selben Boot.
Und sie raucht nicht.
Sie kommt früher dran als ich.
Ich wünsche ihr Glück – das ist das Grösste,
was man in einem solchen Fall wünschen kann,
sich und andern.
Ich hänge meinen Gedanken nach.
Ich habe gut gelebt, nicht geraucht, nicht getrunken, viele Früchte, dafür kaum Fettiges gegessen.
Bitte Gott, gib, dass sie keinen neuen Tumor finden, ich habe mich so sehr bemüht!
Als ich aufgerufen werde, wünsche ich auch mir Glück.
Und es wird mir zuteil. Kein neues Krebswachstum festgestellt!
Ein unbeschwerter Sommer liegt vor mir.
Zeit zu geniessen.
Aufatmen.
Draussen sehe ich sie wie versteinert sitzen. Sie wartet auf ihren Mann.
Ich muss nicht fragen, was es ist. Ich spüre es. Sie schaut mich an – nur kurz.
Ihr Blick schreit vor Verzweiflung!!!
Mein eigenes Glück verbaut mir nicht meine Sensibilität.
Ich bleibe bei ihr bis ihr Mann kommt. Sie hat ausgelacht.
Auf dem Weg zum Bahnhof kommen besondere Gefühle hoch;
Ich bin keinesfalls schadenfroh, aber ich bin so unendlich erleichtert
über den hoffnungsvollen Befund bei mir
und irgendwo tief drinnen,
spüre ich einen Hauch von Gerechtigkeit.

Ladina, 33 Jahre
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Nebengeräusche
°°°°°°°°°°°°°°°°
Etwas vom Belastendsten in der Zeit der Tests und Untersuchungen,
sind diese Nebengeräusche.
Nicht das Dröhnen im MRI, nicht das Summen im Sono,
nicht das Flutschen im Labor, nicht die piepsenden Apparate.
Bei ihnen allen kenne ich den Auslöser,
sie sind zwar manchmal laut und aufdringlich,
doch sie bleiben Nebensächlichkeiten, die nicht weiter stören.
Das wirklich Belastende aber sind die menschlichen Zwischentöne,
die nichts und doch irgendwie viel, ja zuviel sagen.
Seufzen. Grumeln. Flüstern.

Murmeln von fremdartigen Abkürzungen über meinen Kopf hinweg.
Nahezu blind, ohne Brille und Orientierungsmöglichkeit,
bin ich diesen Geräuschen schutzlos ausgeliefert,
ich kann zwar die Erzeuger lokalisieren, aber nicht den Auslöser,
alles beziehe ich auf mich.
Nebensächlichkeiten werden zu Hauptsächlichkeiten.
Wieder ein Seufzen. Gibt es Anlass zu Sorge?
Ein Murmeln:"Und schau mal da, oi, oi oi !".
Alle gucken und sehen,
nur ich hab keine Ahnung.
Ich muss warten, eine Woche lang,
mit all den bizarren Geräuschen im Kopf,
mit den immer wiederkehrenden Fragen,
mit all den schrecklichen Ahnungen,
die solche Geräusche ganz natürlich hervorrufen!

Ladina, 33 Jahre
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Gewöhnt
°°°°°°°°°
Gewöhnt
an schmerzhafte Eingriffe und unangenehme Untersuchungen.
Gewöhnt
an die Sterilität der Räume und das kalte Licht darin.
Gewöhnt
an fremdes Personal in dessen Beisein ich mich hingeben muss
den Nadeln, Röhrchen und Infusionen.
Gewöhnt auch
an den Anblick widerlicher Sekrete, die aus meinem Innnern herausbefördert werden.
Gewöhnt an das Gefühl, abstossend und ekelerregend zu sein.
Gewöhnt, Tapferkeit zu mimen.
Gewöhnt sein, setzen viele Unbeteiligte mit Abgebrühtsein und Unverletzbarkeit gleich,
und sie gehen mit mir um,als sei ich ein Stück lebloses Fleisch.
Plötzlich, ohne dass ich es will, löst sich ein Schluchzen.
Sofort fragen sie nun nach Schmerzen,
und als ich dies verneine, sind sie ratlos.
Für eventuell später auftretende Schmerzen bekomme ich Tabletten,
der wahre Grund für mein Weinen bleibt ihnen verborgen,
das nächste Opfer ist schon parat.
Draussen sacke ich an einem Baum zusammen und lasse die Tränen fliessen
- nicht wegen der Schmerzen, sondern wegen der Lieblosigkeit.
Auch ein an schmerzhafte Eingriffe gewöhnter Mensch
sehnt sich in seinem Herzen doch immer noch
nach der Behutsamkeit des ersten Mals.

Ladina, 30 Jahre
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Gefühle bei einer neurologischen Untersuchung
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Eine Untersuchung, um meine Hautoberflächensensibilität zu erfassen,
steht auf dem Programm.
Da bin ich, die ich zuerst angezogen und später nackt, nur mit Unterwäsche,
die "Spielereien" des Arztes ertragen muss.
Ich muss die Augen schliessen und erlegt meine Hand
auf irgendein Körperteil von mir, das ich dann benennen soll.
Aber ich spüre nichts!!! Kaum eine Stelle , die ich richtig benennen kann.
Es ist nicht schmerzhaft und doch tut es mir weh, jedes Mal, wenn ich ihm gestehen muss,
dass ich nichts spüre oder dass ich die Empfindung nicht lokalisieren kann.
Jedes Mal versetzt es mir innerlich einen Stich.
Ich möchte ihn anflehen, mit den Tests aufzuhören,
doch das Erschrecken über meine Gefühlslosigkeit,
lässt mich starr und stumm werden....
Selten habe ich bei den vielen Untersuchungen die Kontrolle über mich verloren,
ich habe selbst wirklich Schmerzhaftes ertragen,
weil ich wusste, es wird mir helfen,
es wird mir ein Stück Zukunft schenken, - aber heute ist das anders.
Jedes Nein, das ich dem Arzt antworten muss, auf seine Frage:
"Spüren Sie, wo Sie sich selbst berühren?",
bedeutet für mich selbst eine Absage,
nimmt mir Stück für Stück meine Zuversicht,
und am Ende weine ich nur noch....
Endlich lässt er mich gehen.
Draussen sacke ich entkräftet auf einen Stuhl in der Sitzecke,
versuche mich zu beruhigen,
das innere und äussere Beben und Zittern zum Stillstand zu bringen,
doch es gelingt mir nicht.
Ich schliesse meine Augen, weine leise vor mich hin,
und ich fühle mich, als ob ich mich selbst verloren hätte....

Ladina, 30 Jahre
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Aufgeklärt
°°°°°°°°°°
Ich erinnere mich noch gut an die neurologischen Untersuchungen,
die ich durchlief zu Beginn meiner Krankheit.
Ich erinnere mich daran, wie die Ärzte mit Fachausdrücken um sich warfen,
laut oder leise komische fremdartige Worte sagten,
die ich nicht verstehen konnte,
von denen ich aber wusste, dass sie mit mir zu tun haben,
und die ich mir zu merken versuchte, um sie im Duden nachzuschlagen.
Worte, von denen ich nicht wusste,wie man sie schreibt
und sie mir nie richtig einprägen konnte.
Ich erinnere mich daran, wie ich Angst hatte,
jedes Mal, wenn so ein geheimes Wort fiel,
weil ich keine Ahnung hatte und annehmen musste,es sei sicher was Schlimmes.
Heute durchlaufe ich wieder solche Untersuchungen,
wieder fallen Wörter unter den anwesenden Aerzten,
Wörter, die der Patient nicht verstehen soll.
Aber heute kenne ich die Bedeutung all dieser Wörter,
ich weiss, was es bedeutet, eine optische oder eine Autotopagnosie zu haben.
Ich kann Testergebnisse selber deuten, mich freuen,
dass ich meinen Zeigefinger mit geschlossenen Augen auf die Nasenspitze legen kann.
Ich weiss, was das Okzipitallappen-Syndrom ist ,
was visueller Feldausfall bedeutet.
Ich weiss, was auf mich zukommt, wenn sie ein Szintigramm anordnen,
und ich weiss, was es bedeutet, wenn sie eine Parietallappenläsion vermuten....
Ungewissheit im früheren Sinne kenne ich nicht mehr,
damit verbundene Aengste auch nicht,
doch manchmal kann auch das Wissen und Aufgeklärtsein
sehr belastend sein...

Ladina, 30 Jahre

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Ja zur Chemotherapie
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Kotzen, bis alles wehtut.
Würgen,bis am Auge Äderchen platzen.
Bauchschmerzen haben, so, als würde ich innerlich zerfressen.
Verfolgungswahn in der Isolation.
Halluzinationen von Feuer im Bett.
Durchfall, bis ich mich vor mir selber ekle.
Löcher in den Schleimhäuten und Schmerzen, die nicht enden wollen.
Ruhelose Tage.
Schlaflose Nächte.
Unaussprechbare Ängste.
Schwäche.

Mich ausgeliefert fühlen.
Alle Haare und sogar die Augenwimpern verlieren.
Unerklärliches Fieber haben.
Mit Vertröstungen leben müssen.
Mir selber nicht mehr trauen.
Soor im Mund haben und Pilze in der Scheide.
Juckreiz und ewiges Missempfinden
- das ist Chemo derzeit mal wieder für mich.
- Nichts als eine Qual,die mir soviel an Leiden bringt
- und Tränen wie Sturzbäche fliessen lässt
Immer wieder ,
muss ich mir bewusst machen,
dass ich es so wollte,
dass ich Ja sagte zu dieser Tortur ,
dass niemand anders mich dazu zwang,
als mein eigener Hunger nach LEBEN.

Ladina, 29 Jahre alt
(erlebt während der Hochdosis-Therapie)
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Mäuse
°°°°°°
Sie sind klein und grau, manchmal auch weiss oder braun,
manche finden sie niedlich,
und andere springen ihretwegen auf einen Stuhl und kreischen.
Sie leben in Gängen unter der Erde oder in Kellern,
aber oft auch in den Laboren von Forschungsinstituten.
Sie leiden für Kosmetika oder für pharmazeutische Produkte
genauso wie die Hasen, die Hunde oder die Affen
aber im Gegensatz zu diesen Tieren werden Mäuse als grundsätzlich schädlich betrachtet.
„ Es ist ja egal,wenn sie sterben „, denken viele.
Sie stehen nicht unter Tierschutz, wie z. B. die Hunde,
niemand käme auf die Idee,
Labormäuse in spektakulären Befreiungsaktionen zu retten,
denn sie gelten als nutzlose Kreaturen,
ihnen trauert fast niemand nach.
Sie sind klein und grau, manchmal auch weiss oder braun oder nackt,
viele fürchten sich vor ihnen
und verachten sie.

Mir haben sie das Leben gerettet!

Ladina, 24 Jahre
(mit Mäuse-Antikörpern erfolgreich gegen den Tumor behandelt)
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Gentiana
°°°°°°°°°
Jeden Tag mehrmals tupfe und bepinsle ich jetzt wieder
meine Mundschleimhaut mit dem Wirkstoff Pyoktanin oder Gentiana,
um schmerzhaften Entzündungen vorzubeugen.
Schon als Schulkind habe ich diese Prozedur
immer wieder ausführen müssen,
doch damals fand ich es noch lustig,
davon einen blauen Mund und blaue Zähne zu bekommen.

Heute braucht es für mich oft Überwindung,
diese Mundpflege mit der erforderlichen Konsequenz auszuführen ,
und dabei dennoch irgendwie am Leben teilhaben zu können.
Einmal mehr fühle ich mich mit dem blauen Mund
in eine Aussenseiter- Rolle gedrängt.
Ich werde von den Mitmenschen draussen angestarrt,
weiss, dass ich so ungepflegt und unsauber aussehe,
und irgendwie schäme ich mich mit den blauverschmierten Lippen,
die von weit her sichtbar sind.
Warum nur muss diese Lösung blau sein?
So sehr ich auch sonst die Farbe Blau liebe,
so sehr hasse ich sie jetzt, wo sie mich derart verunstaltet.
Ich gäbe viel dafür, wäre diese Tinktur nicht blau oder lila,
sondern durchsichtig und farblos,
denn dann könnte ich mich pflegen ohne negativ aufzufallen
und mal ausgehen, ohne von allen angestarrt zu werden.
Ich wünschte, sie wäre unsichtbar,
um einigermassen als Mensch erkannt zu werden
und mich nicht in jedem Detail
von der Normalität zu entfernen.

Ladina, 28 Jahre
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Gefühle in einer geruchs - und geschmacklosen Zeit
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Süsses, Saures oder Salziges kann ich nicht mehr geniessen,
nicht mehr kosten, nicht mehr naschen, nicht mehr schmecken,
denn die Geschmacksknospen meiner Zunge haben mir wegen der Chemo mit Platinol
ihren Dienst quittiert
und alles, einfach alles schmeckt bitter wie Galle.
Der Antrieb zum Essen geht so weitgehend verloren.
Gleichzeitig ist auch mein Geruchssinn erlahmt.

Ich kann nichts mehr riechen,
nicht die Essenzen der Bade-Zusätze, keine Essengerüche, keine Blumendüfte
und selbst üble Gerüche finden sich keine mehr .
So angenehm letzteres erscheint, so unangenehm ist es in Wirklichkeit.
Denn ich habe die Kontrolle darüber verloren, wie ich rieche,
wie anderes riecht und ich bin zutiefst verunsichert.
Natürlich kann ich so weiterleben,
doch bin ich nun von zwei Empfindungsbereichen des Lebens vollständig ausgeschlossen,
und fühle mich
fremd und verarmt
ohne sie.

Ladina, 31 Jahre
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Übelkeit
*******
Jeden Tag, seit fast 9 Jahren, bedeutet morgendliches Erwachen
für mich zuerst Übelkeit.
Würgen, Erbrechen und Frieren.
Jeden Morgen wieder.
Ich hab mich an vieles gewöhnt,
was als Folge meiner Krankheit oder der Behandlung zurückgeblieben ist:
- an die verminderte Infektabwehr , die mich zuweilen zwingt,
- auch in der Öffentlichkeit einen Mundschutz zu tragen und
- an die Fett-Unverträglichkeit meiner Leber.
- An meine Sprachstörung
- und daran, dass ich am Hinterkopf vielleicht nie mehr Haare haben werde.
- Auch an die Gefühlstaubheit der Finger – und Zehenspitzen,
- Geruchs – und Geschmacksverlust, sogar an das quälende Ohrgeräusch
- und an die rasche Erschöpfbarkeit.
Bei all dem kann ich heute sagen, da steh ich einfach drüber.
Diese Übelkeit aber ist wie eine Folter, jeden neuen Morgen.
Sie legt die Lebensfreude lahm
in den ersten bewussten Stunden eines jeden neuen Tages,
und ich kann sie nicht übergehen oder ihr entkommen,
ohne sie zu spüren.
Sie ist die grässlichste Fratze, die mich jeden Morgen verhöhnt,
und ich leide unter ihr, noch heute, genau so sehr wie am ersten Tag.

Ladina, 32 Jahre
(Inzwischen, seit etwa 2 Jahren gehört die morgendliche Übelkeit nicht mehr zu meinem Alltag. Jeder, der von ähnlichem betroffen ist oder war, wird mein Glück darüber nachempfinden können)

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Re: Auch im Tal blühen Blumen - Erfahrungsgedichte von Ladina

Beitragvon Ladina » Mi 22 Mai 2019 22:25

GEDICHTE ÜBER SCHMERZEN

Der Schrei
““““““““““
Nach einer Unterleibs-OP in der Nacht
durchzucken mich plötzlich
heftige Schmerzen.
Alle Organe scheinen sich
wie im Krampf zusammenzuziehen.
Ich bin vor Entsetzen zuerst wie gelähmt,
aber dann löst er sich –
Ein Schrei!
So laut, so heftig, so flehend
wie ich noch nie in meinem Leben geschrien habe.

Ich kann kaum glauben, dass ich das bin.
Zulange bin ich immer wieder mundtot gemacht worden.
Ich schreie
wie gefangen von dem Schmerz
ich kann nicht aufhören
es ist mir peinlich
und doch befreit es mich.
5 Mal in dieser Nacht wiederholen sich die Schmerzattacken.
Der Schrei löst sich jedes Mal wieder,
bleibt,
bis der Krampf zu Ende ist,
unverändert laut.

Doch keiner hört ihn durch die gut isolierte Zimmerwand,
keinen stört er.
Er ist einfach da
und er darf dasein.

Und dann ist es Morgen,
es scheint vorbei zu sein.
Ich bin zwar erschöpft
weil ich nicht geschlafen habe,
denke aber doch, dass ich nach Hause kann
und rufe meinen Freund an, damit er mich abholt.
Kaum aufgelegt
kommt dieser entsetzliche Krampf wieder
ohne Vorankündigung,
ausgelöst vielleicht
durch eine falsche Bewegung, falsches Atmen,
was weiss ich.

Von neuem Todesangst,
Panik, weil der Schmerz alles zusammenzieht,
weil mir erst die Luft wegbleibt vor Schreck.

Und wieder löst er sich
Der Schrei!
Ich will ihn nicht!
Ich hasse es , derart Aufsehen zu erregen,
aber ich kann ihn nicht unterdrücken.
Er ist einfach da und bleibt da.
Diesmal aber wird er gehört
und auch
als die Attacke ein 2.Mal beginnt
wird er gehört.
Er wird gehört und ertragen.

Eine Schwester setzt sich an mein Bett.
Ich umklammere ihre Hand
fühle mich nicht mehr allein.
Es tut gut, auch wenn die Krämpfe nach wie vor da sind,
auch wenn der Schrei sich nicht ersticken lässt.

Sie sitzt einfach da bei mir.
Sie hält sich nicht die Ohren zu,
sondern reicht mir ihre Hand.
Sie brüllt nicht, dass ich mit dem Schreien aufhören soll,
sondern redet behutsam auf mich ein,
dass ich einfach ruhig atmen soll.

Und als ich ihr später,
als es mir nach der Spritze besser geht, sage,
dass es mir peinlich ist,
so geschrien zu haben,
dass ich das gar nicht wollte,
da sagt sie nicht:
“ Es ist ja jetzt vorbei“
sondern einfach
„Es ist ein Schmerz. Ein Schmerz:“
Mehr nicht.
Einfach:“ Es ist ein Schmerz.“

Sie hat es verstanden.
Sie hat den Schrei ertragen,
nicht nur eine Last für sich darin gesehen,
sondern gespürt, dass meine Seele ihn brauchte,
auch wenn mein Verstand dagegen rebellierte,
diese innere Not nach aussen dringen zu lassen.

Der Schrei!
Er war einfach da und er durfte da sein.

Ladina, März 1997
(Dieses Gedicht ist an Schwester Liane gewidmet, der Schwester, die meinem Schrei damals in solch beruhigender Weise begegnet ist.
Ich schenkte ihr das Gedicht, als ich aus dem Spital entlassen wurde und sie hat es später in ihrer Weiterbildung der HöFa Onkologie in einer Stunde zum Thema: Umgang mit Schmerzen vorgelesen.

Ich möchte diesen sehr persönlichen Text hier einbringen, um all jenen zu danken, die Patienten in ebenso liebevoller Weise begegnen, und anderen vielleicht einen Einblick zu geben, wie Patienten in schmerzhaften Situationen empfinden können.


Den Schmerzen ausgeliefert
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Ich war im Krankenhaus mit meinen unerträglichen Kopf- und Kieferschmerzen,
sie röntgten und fanden nichts.
Sie gaben mir Fortalidon P , ein Schmerzmittel, das letztlich keine Wirkung zeigte
und bestellten mich zur näheren Abklärung der Beschwerden in Einer Woche.

Eine Woche kann so lange, zu lange sein, wenn Schmerzen plagen
wenn die Ungewissheit und Ängste nagen.
In einer Woche kann förmlich eine Welt zusammenbrechen.

Ich fühle mich im wahrsten Sinne hängengelassen
und frage mich, ob sie im Spital wirklich ermessen können
was sie da mit mir machen,
wenn sie mich so einfach auf die lange Bank schieben?
Ob sie eine Ahnung haben davon,
wie sehr verloren ich mich fühle dabei,
wie sehr ausgeliefert an die Qual ich mir vorkomme?

Dieses lange Hingehalten-Werden,
dieses Warten auf den Befund
ist für mich wie ein freier Fall
in einen gefährlichen Abgrund
der immer tiefer wird
je mehr Zeit ungenutzt verstreicht

Ladina, 2.September 1999

Vertröstungen
°°°°°°°°°°°°°
Es gibt Vertröstungen, die wie Verletzungen sind.

Ladina, 2.September 1999

Leben zwischen Behandlungsterminen
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Die meisten Leute
platzieren einen Arzttermin
irgendwo im grossen Raum
des normalen Lebens.
Ich bin in anderer Lage
und muss stets versuchen
inmitten aller Arzt- und Behandlungstermine
noch Raum
zum normalen Leben
zu finden

Ladina, Sept. 1999

Die wirkliche Grösse
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Ich hatte ganz konkrete Vorstellungen
von meinen Aktivitäten in diesem Sommer.
Ich wollte Grosses erreichen,
wollte mit dem Fahrrad auf die Albula fahren,
wollte auf den Niessen, den Harder und in die Aareschlucht.
Doch abgesehen von wenigen Tagen,
wo mir ähnlich Grosses, Wunderschönes möglich war,
fühlte ich mich zu schwach und war ich zu krank
um irgendein Ziel zu erreichen.
Immer mehr
wird mir bewusst,
dass ich Illusionen hinterher jage,
die nichts mit meinen realen Möglichkeiten
gemeinsam haben
und ich spüre,
dass die wirkliche Grösse meiner Leistung
darin liegt,
die Freude im Kleinen zu finden.

Ladina, Sept. 1999

Unter quälenden Schmerzen
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Unter quälenden Schädelschmerzen,
unfähig, noch einen klaren Gedanken zu fassen,
geben mir die logischsten Dinge
nur noch Rätsel auf,
jeder Pulsschlag geht synchron mit dem Schmerz einher,
das Herz pocht mir bis zum Hals
immer schneller vor Not.
Sonst gewiss kein Jammerlappen
wünschte ich,
ich hätte
noch Stimme zu wimmern und zu klagen
noch Augen in eine bessere Zukunft zu sehen
noch Phantasie in schöne Träume abzutauchen
noch Ohren, um aus einer vertrauten Stimme Trost herauszuhören
noch Kraft, meine Hände auszustrecken, der Wärme einer anderen entgegen.
Doch nichts von allem kann ich nutzen.
Der Schmerz hält alles gefangen, jede andere Empfindung,
jede mögliche Ablenkung, jeden Traum, jede Wahrnehmung.
Mein Herz schlägt,
ich atme,
ich weiss, dass ich lebe,
doch das einzige, was ich vom Leben noch spür'
sind in diesen Tagen nur
diese Schmerzen.
Tag und Nacht, Nacht und Tag
als hörten sie nie mehr wieder auf
Tag und Nacht
Nur Schmerzen

Ladina, 29.08 - 08.09. 1999

Diese Schmerzen
°°°°°°°°°°°°°°°°
Wenn ich auf der Schmerzskala
nur noch zwischen 9 und 10 hin und her pendle,
wenn keine Wärme, keine Kälte, keine Berührung
mit noch Linderung verschafft
und der Schmerz unverändert bleibt.
Wenn ich unter warmen Decken noch friere und schlottere
wenn mir todschlecht wird von den Schmerzen
und ich nur noch apathisch rumliege
stundenlang
nicht schlafe, nicht richtig wache,
mich nur noch aus Schmerz bestehend wahrnehme,
keine anderen Bedürfnisse mehr spüre,
dann ist es mir letztendlich egal,
was zur Schmerzbeseitigung unternommen wird
- und wenn sie mir alle Zähne ziehen
- und wenn sie mein Auge entfernen
- und wenn sie mir ihr stärkstes, giftigstes Analgetikum spritzen

Nichts kann schlimmer sein als diese SCHMERZEN

Ladina, 19.September 1999

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Re: Auch im Tal blühen Blumen - Erfahrungsgedichte von Ladina

Beitragvon Ladina » Mo 17 Aug 2020 12:44

Peters Botschaft oder das Geheimnis zum Glück, trotz allem

Diesen Text habe ich als eine Art Trauerrede für einen lieben, kürzlich verstorbenen Freund aus Jugendtagen verfasst. Ich veröffentliche dies hier im Einverständnis mit der Trauerfamilie und vor allem darum, weil PETERS BOTSCHAFT in meinem Augen so viel Weisheit und Hilfe enthält, dass sie auch vielen Krebsbetroffenen oder Angehörigen hier evtl. einen neuen Denkansatz oder ein neues Selbstverständnis geben kann.
Auch ich selber möchte Peters Botschaft im Leben nie mehr vergessen - und sie umsetzen, wenn ich in ein "neues Land" gekommen bin.


Peter
Peter hiess mit Nachnamen "Reis" "I gang uf d'Reis", so sagen die Schwaben und auch die Schweizer, wenn sie auf eine Reise gehen. Peter wollte viele Reisen machen - danach, wenn er transplantiert worden ist mit gesundem Spendermark - gegen seine Leukämie, die ihm seit dem 11. Lebensjahr sein Leben erschwerte. Mit 17 fand er einen Spender und er konnte die lang ersehnte Knochenmarktransplantation machen lassen. Als man ihn fragte, was er machen möchte, nach der Transplantation, sagte er: ein Fussballtor schiessen, in die Schweiz in die Berge gehen und dann geh i auf d'Reis - eine Weltreise wollte er machen.

Trotz all seinem Optimismus und aller guten Gedanken und Gebete seiner Kirchgemeinde konnte Peter seine Träume nach der an sich gelungenen Transplantation nicht leben. Er erlebte eine seltene, irreversible sogenannte GvHD - eine Abstossungsreaktion, welche die Gelenke betraf, nicht lebensbedrohlich, aber die Lebensqualität stark minimierend, denn der Bewegungsmensch Peter musste fortan mit sich versteifenden Gelenken leben - und sicher auch mit Schmerzen, wobei er über letztere kaum klagte.
2 Jahre lang wehrte er sich gegen das neue Leben, wer mag ihm das übel nehmen. Nichts von seinen Träumen konnte er leben.
Eine weite Reise machte er dann doch noch - mit 18 Jahren - nach Amerika - in ein Camp für an Krebs erkrankte Jugendliche. Es ist mein persönliches Glück, dass ich ihm zu dieser Reise verhelfen durfte - dass man mich angehört hat bei der Organisation und ihn mitgenommen hat. Dort ist er an einem Seil über einen Fluss geschwebt wie Tarzan. Es war sein Abenteuer, von dem er noch lange erzählte und von dem er auch zehrte, fast bis am Schluss.

Nach dieser Reise kam aber zuerst das Trauern, dann nochmals Phasen der Rebellion gegen ein Leben mit steifen Gelenken. Er hatte im Camp Jugendliche getroffen, denen es sehr gut ging nach einer ebensolchen Knochenmarktransplantation.
Statt wie geplant in einem Architekturbüro zu arbeiten kam er in eine Werkstätte für körperlich behinderte Menschen. Statt mit seinen Händen Gebäude zu entwerfen, steuerte er mit dem Mund eine Schreibmaschine. Statt in die Schweizer Berge zu fahren, blieb er auf der schwäbischen Alb. Statt ein Fussballtor zu schiessen, schaute er im Rollstuhl an vorderster Position manche Spiele des VFB Stuttgart. So richtig glücklich war er damals nicht.

Wir hielten den Kontakt über all diese Zeit aufrecht. Mein Glück, dass ich ihn damals nicht im Stich liess, wo er manchmal wirklich schwierig zu ertragen war - jeder muss durch so eine Phase durch, sagte er später - nur so kann man reifen.

Die Reifung, ich kann gar nicht genau sagen, wann sie kam - es vollzog sich völlig unspektakulär. Peter wurde ruhiger, gelassener, geduldiger, schimpfte weniger, hatte weniger depressive, durchaus nachvollziehbare Phasen.
Wir telefonierten alle 1-2 Monate, so wie schon immer. Er wirkte einfach zufrieden.

Eines Tages, als er an ein Treffen in Basel kam, chauffiert von einem Betreuer der Wohngruppe, wo Peter schon länger einen Platz im Betreuten Wohnen hatte, fragte ich ihn, wie er es geschafft hat, vom Hadern mit seinem Schicksal so weg zu kommen, dass er heute, bzw. damals mit ca. 45 Jahren so positiv auf sein doch so besonderes Leben schauen kann.

Und da verriet mir Peter sein Geheimnis zum Glück, trotz allem. Dieses Gespräch und die darin enthaltene Botschaft, die ich nie mehr vergessen möchte. Die ich hervorholen möchte, wenn es mit meinem Augenlicht bachab geht, wenn sonst ein unabdingbares Schicksal in mein Leben tritt.

Ich fragte ihn also, wie er es so akzeptieren kann und so zufrieden wirkt trotz dem Umstand, dass er all seine Träume nach der Transplantation nicht leben konnte, weil die steifen Gelenke keine Bewegung zulassen.
"Es ist ähnlich, wie wenn Du in einem neuen Land unterwegs bist"- sagte Peter, "da begibst Du dich auf die Suche nach den Schönheiten dieses Landes, nicht wahr? Du verharrst nicht an Orten, die Du Scheisse findest, du setzt dich nicht in den Dreck und jammerst, sondern du suchst Dir schöne Orte. Jedes Land hat schöne Orte.
Sobald sich etwas im vertrauten Umfeld unverhofft und für immer ändert, bist Du wie in einem neuen Land. Erst stehst Du da wie versteinert, kannst den neuen Zustand nicht fassen, willst es auch nicht. Du hoffst zu erwachen, wieder im alten, Dir vertrauten Land. Irgendwann weisst Du, ich kann nicht zurück, ich muss im neuen Land weitergehen.
Irgendwann wagst Du erste Schritte, vermisst noch immer im jedem das vertraute Gefühl, leidest und bist traurig. Das ist normal, wir Menschen sind eh Gewohnheitstiere"

Peter sagte weiter: "Irgendwann realisierst Du, Du bist nun in einem neuen Land mit neuen Gegebenheiten und Regeln. In einem Land, wo niemand Fussball spielt, niemand in die Berge geht, weil es das nicht gibt. Irgendwie haben wir fast alle doch auch Träume, irgendwohin zu reisen, wo wir noch nie waren. Du bist nun auf so eine Reise geschickt worden, ohne dass Du das vielleicht wolltest. Aber er, sagte Peter, habe das irgendwann angenommen und sich so verhalten, wie man sich benimmt im neuen Land. Er ging das Schöne in diesem Land erkunden bzw. suchen, das, was gut ist, was wohl tut, was Kraft gibt, was einen Entdeckungswert hat. Und erlebte so manche schöne Überraschung.
Hin und wieder hatte er traurige Momente, wo er sich doch wieder fragte, warum darf ich nicht gesund sein, aber immer öfter gelang es ihm vom Hadern weg -hinein ins Erkunden des neuen Landes zu kommen, von dem was ist. In seinem Fall eine mittlerweile vollkommene Gelenksteife vom Hals abwärts - kein Zustand für grosse Abenteuer. Mehrheitlich bereiste er sich selbst, sein beschränktes Leben, die Interaktionen mit Menschen, die ihn betreuten und den paar Freunden, die ihm geblieben waren. 31 Jahre lang so leben und seit den Anfangsphasen nie mehr so bitter verhärmt zu sein, nicht hart gegenüber denen, die mehr Glück hatten - einfach ein lieber Freund zu bleiben. Es ist unendlich stark, wie Peter das gemacht hat!

Nun ist Peter gegangen, mit 48 Jahren. Es kam ein neues Leiden noch dazu, eines, das ihn nochmals in ein neues Land entführt hätte, in ein sehr schwer erträgliches Land, vielleicht das erste, in dem es nur noch wenig Freude gibt. Peter hatte nicht mehr die Kraft, dieses neue Land so positiv zu sehen, wie sein vorheriges, zumal das Leiden nun tödlich und qualvoll geworden wäre. Er hat sich helfen lassen und ist geflogen, nochmals in ein anderes Land, das hinter den Sternen liegen mag oder wo auch immer.

Peters Botschaft behält für mich seine Kraft - so oder so. Ein Schicksal annehmen können, ein verändertes, ganz anders als erträumtes Leben so annehmen können, als sei es eine Reise durch ein neues Land. Offen sein für das Schöne darin, das Gute suchen und erkunden gehen und Vertrauen finden, dass es gut kommen wird. Jeden Tag neu, das Beste aus diesem Dasein im neuen Land machen - oder es versuchen.

Ich werde daran denken, wenn sich bei mir unveränderbare Gesundheitseinbussen einstellen oder sonst etwas an mich prallt, was ich nicht abschütteln kann.
Peter bleibt mein lieber Freund -nun ganz fest im Herzen - und er bleibt ein Mensch, der mein Leben positiv geprägt hat, der schon dadurch unvergesslich bleibt.

Vielleicht vermag Peters Botschaft vom Erkunden eines neuen Landes auch Eltern etwas zu geben, die ein Kind gross ziehen, das anders ist, als sie es sich erhofft haben. Das ihre Träume von einer unbeschwerten Zukunft durchkreuzt. Von einem Kind mit Behinderung, die viele Sorgen bringt. Oder Eheleuten, die mit einer nicht heilbaren Krankheit des Partners/der Partnerin konfrontiert sind. Gestattet Euch zu trauern so wie Peter, dem Schicksal zu zürnen in der Anfangszeit - wie Peter es sagte, das ist nötig um zu reifen.
Allen betroffenen Menschen wünsche ich, dass sie im neuen Land schneller als vielleicht erwartet gute Seiten, schöne Dinge finden, die den Weiterweg erleichtern und einfach Mut und Freude schenken.

In diesem Sinne und im Sinne von meinem Freund Peter -

Ladina, 4. August 2020


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