Loslassen lernen, Geschehnisse verarbeiten


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lememoire
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Loslassen lernen, Geschehnisse verarbeiten

Beitragvon lememoire » Mi 22 Mai 2013 11:56

Liebe Forumgemeinde

Seit einiger Zeit lese ich oft Beiträge in diesem Forum. Jetzt traue ich mich, etwas von mir zu erzählen.

Ich wurde in den letzten Monaten immer wieder mit dem Thema Tod und Krankheit konfrontiert. Jetzt ist soweit, hoffe ich, alles vorbei und ich muss alles verarbeiten. Vielleicht könnt ihr mir dabei helfen.

Zu meiner Geschichte...

Alles fing im August 2012 an. Der Monat hatte wunderbar begonnen, aus meinem besten Freund und mir wurde nach einer wunderbaren, 16-jährigen Freundschaft ein Paar. Bald darauf verspürte er in der linken Hand ein Kräuseln, welches später in ein Taubheitsgefühl wechselte. Dieses Taubheitsgefühl verteilte sich immer mehr in der linken Körperhälfte - Arm, Bein und Brustkorb. Der Arzt schickte ihn zu einer MRI Untersuchung ins Spital. Eine Woche später gingen wir in die Arztpraxis um die Ergebnisse zu besprechen. Uns wurde mitgeteilt, dass mein Freund einen Hirntumor habe. Wir müssen noch am selben Tag in die Notaufnahme, ins Inselspital Bern.
So hatte alles begonnen. Es folgten unzählige Besprechungen, Untersuchungen und Tränen unsererseits. Mein Freund entschied sich dann für die Option einer Biopsie. Ich war während dieser Biopsie anwesend, durfte ihn bis vor den OP begleiten (es wurde sogar vom Arzt gewünscht, als Beruhigung). Ich tat das, obwohl ich mir bewusst war, es wäre besser es nicht zu tun. Es war nicht schön, ihn mit diesen Stäben zu sehen, die sie ihm in den Kopf gebohrt hatten. Noch Wochen später kamen diese Bilder in meinen Träumen vor.
Meine Mühe stark zu sein hat sich ein paar Tage später ausbezahlt - es wurde festgestellt, dass es sich nicht um einen Tumor handelt, sondern um eine Entzündung. Möglicherweise war das etwas einmaliges. Und wenn nicht, können wir davon ausgehen, dass es sich um Multiple Sklerose handelt. Das wissen wir bis heute nicht. Es spielt auch keine Rolle, denn es geht ihm gut.

Im Oktober, an meinem Geburtstag, verstarb meine Tante. Unerwartet, keine Zeit zum verabscheiden.

Das Leben nahm seinen Lauf. Monate später verstarb mein Onkel, den ich so sehr geliebt habe. Unerwartet, keine Zeit zum verabschieden. Einige Tage später folgte der Schicksalsschlag, der mir bis heute am meisten zu schaffen macht. Mein Grossvater (der Vater meines zuvor verstorbenen Onkels), erlag seiner Krankheit. Der Bauchspeicheldrüsenkrebs besiegte diesen so starken, intelligenten und liebevollen Mann. "Ätti", wie ich ihn immer nannte, kämpfte ein Jahr mit dieser ekelhaften Krankheit.
Der Krebs nimmt dir alles. Das Lächeln. Den Lebensmut. Und am Schluss auch den Verstand. Ich kann es nicht verstehen. Mein Grossvater war einer der liebsten und wichtigen Menschen in meinem Leben. Er hat weder geraucht, noch getrunken. Bis zu seiner Diagnose (im Alter von 79 Jahren), ging er immer noch alleine auf Wandertouren. Denn er liebte die Berge.

Immer mehr veränderte sich sein Wesen in diesem Jahr. Er nahm das Leben wie es war, ich habe ihn niemals jammern gehört. Selbst in der Zeit seiner Krankheit. Aus meinem fröhlichen, zufriedenen Grossvater, der das Leben immer mit einem Augenzwinkern betrachtete, wurde ein lebensmüder, aggressiver Mann.

Seit seinem Tod sind jetzt knapp zwei Monate vergangen. Er durfte in seiner schlimmsten Zeit einschlafen. In dieser Zeit erkannte er uns nicht mehr und konnte nicht mehr sprechen. Nur weinen konnte er noch. Essen und trinken war schon lange kein Thema mehr.
Ich bin leider noch kein Stück über seinen Tod hinweg. Immer noch denke ich "Das kann nicht sein. Er war mein ganzes Leben da, und jetzt nicht mehr?". Ihr müsst wissen, "Ätti" war für mich Vater. Nicht einfach ein Grossvater. Ich wohnte 20 Jahre lang neben ihm, bzw. bei ihm. Wenn ich am seinem Grab stehe, welches er sich mit seinem Sohn teilt, breche ich regelrecht zusammen.
Von meiner Umwelt fühle ich mich nicht verstanden, weil (zum Glück) niemand dieses Gefühl kennt.

Seit August sind viele schlimme Dinge geschehen, die mich sehr geprägt haben. Dafür bin ich auch dankbar. Denn ich habe viel über mich gelernt. Wie stark ich sein kann. Und vorallem wie stark ich für andere sein kann. Jedoch möchte ich anfangen, weiter zu leben und den Tod als solches zu akzeptieren.
Mein Freund unterstützt mich wo er nur kann. Aber ich habe Angst, ihm auf die Nerven zu gehen.

Es ist schrecklich, was dieser Krebs mit einem Mensch tun kann. Er verändert das Wesen von Grund auf. Das ist weder für den Betroffenen selbst, noch für die Angehörigen einfach.

Ich bedanke mich an dieser Stelle bei all jenen, die stark sind für jemand anderes. Jemand der unsere Stärke braucht. Ich bedanke mich bei allen Frauen und Männern, die ihr eigenes Leben nach der Krankheit eines anderen richten. Aber ich bin unendlich froh gibt es solche Leute, die ihr eigenes Leben opfern, um das Leben eines Kranken etwas besser zu machen.

Danke!

- Michèle, 20 Jahre

Jens B
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Sei gewiss, Du nervst Deinern Freund nicht!

Beitragvon Jens B » Mi 22 Mai 2013 18:47

Hallo Michèle,

Dankeschön das Du Dich hier anvertraust!
Du hast recht, Tod & Krankheit brauchen viel Zeit, um richtig verarbeitet zu werden! Gerne will ich/wollen wir Dir dabei helfen.
Es tut mir sehr leid, dass Du viele Deiner geliebten Menschen verloren hast!
Mein tiefstes Mitgefühl!
Aber vielleicht mag Dir ja bei der Trauerbewältigung die Freude dass es kein Hirntumor bei Deinem Freund war, etwas helfen.
Ich wünsche Euch von Herzen, dass keine Multiple Sklerose bei Deinem Freund ausbricht! Denn so viel Schmerz & Leid… Das ist wirklich unsagbar traurig!
Du schreibst: "…den Tod als solches zu akzeptieren." Hm das ist die größte Schwierigkeit die einem Menschen auferlegt wurde!
Doch schon alleine die Erkenntnis von Dir das es ein Akzeptieren sein muss, trägt zu einer Trauerverarbeitung bei. Es ist ein langer Weg dies zu begreifen, zu verstehen & letzten Endes zu akzeptieren! Jeden Menschen betrifft mal das Thema Tod oder Krankheit. Solange man aber nicht selbst betroffen ist, verdrängt man dieses unliebsame Thema.
Vielleicht magst Du Dich in speziellen Trauerforen umsehen? Denn da findest Du selbst Betroffene, die Dich nahtlos verstehen, trösten können und sich Deinem Kummer annehmen. Ich möchte Dir hier ein Foren speziell der Schweiz nennen. Dort findest Du wunderschöne Worte, Sprüche, Gedichte & Fotos, die Dir in Deiner schwierigen Zeit etwas Trost spenden mögen. http://www.trauerforum.ch/
Vielleicht mag auch eine Trauerreise für Dich interessant sein? Dann schau mal hier: http://www.trauernetz.com/trauerreisen.html
Aber sieh es doch auch mal von einer anderen Seite. In anderen Kulturen wird der Tod - das Ableben vom irdischen Leben - regelrecht "gefeiert". (z.B. bei den Naturvölkern usw.) Dort wird es als eine Art "Hinüberfahrt" in eine andere Welt & Dimension begangen. Nur in unserer westlichen Welt wird es "so düster" begangen.
Da haben die Naturvölker uns wohl etwas voraus! Sie werden seit frühesten Kindheitstagen mit dem Tod vertraut gemacht. Damit ist ihnen eine lockere, selbstverständliche Art mit dem Sterben umzugehen möglich.
Du musst Dich daran freuen, welch schöne Zeit Deinen Lieben vergönnt war! Sie waren glücklich & dankbar für das Leben.
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"Meeresblick
Denk dir ein Bild. Weites Meer.
Ein Segelschiff setzt seine weißen Segel
und gleitet hinaus in die offene See.
Du siehst, wie es kleiner und kleiner wird.
Wo Wasser und Himmel sich treffen, verschwindet es.
Da sagt jemand: Nun ist es gegangen.
Ein anderer sagt: Es kommt."
(Verfasser leider unbekannt)
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Dein lieber Großvater…
Du hast geschrieben: "Er durfte in seiner schlimmsten Zeit einschlafen." Ganz genau, er DURFTE Einschlafen. Sieh das als Erlösung von seinen Schmerzen & dem Leid! Sei gewiss, auch er hat sich das selber gewünscht!
Und einst nehmt Ihr Euch wieder in die Arme. In einer uns Menschen noch unvorstellbaren Dimension.
"Auferstehung ist unser Glaube, Wiedersehen unsere Hoffnung, Gedenken unsere Liebe." (Bibelspruch)

Als Dein lieber Großvater von Dir schied, weinte er sicher nur, dass er Dich unglücklich macht, dass er dies nicht ändern und verhindern oder Dir erklären kann! …doch einst seht ihr Euch wieder…

Dein Freund…
Es ist sehr lieb von Deinem Freund das er Dich jetzt in der unsagbar harten Zeit so gut unterstützt!
Du brauchst Dich aber nicht zu sorgen, dass Du ihn nervst. Denn er hat ja durch sein Verständnis und die Geduld bereits bewiesen, dass er Dich "wahrhaft liebt" & diese Belastung erträgt! Er ist sich vollends bewusst, dass Du ihn jetzt am meisten brauchst! Für ihn ist das eine absolute Selbstverständlichkeit, Dir seine aufrichtige, grenzenlose Liebe zu beweisen. Er ist für Dich da, wie auch Du für ihn da bist/da sein wirst!

Also sorge Dich nur nicht zu sehr. Denn Liebe bedeutet eine solche Belastung tapfer g e m e i n s a m ohne wenn und aber durchzustehen!
Kopf hoch, alles Liebe & Gute! Sei weiterhin ganz tapfer, Dein Freund ist stolz auf Dich, wie es Dein Großvater auch wäre!
Zu guter Letzt möchte ich Dir noch folgenden Musiklink schicken. ("Yiruma – River Flows in you")
Er soll Dich zum Träumen einladen.
http://www.youtube.com/watch?v=F-4wUfZD ... r_embedded

Sei herzlichst gegrüßt
Jens B


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